BT-Drucksache 18/55

Whistleblower Edward Snowden in Deutschland aufnehmen und Schutz vor Auslieferung gewähren

Vom 14. November 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 18/55

18. Wahlperiode 14.11.2013

Antrag

der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Petra Sitte, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth,
Dr. Andre Hahn, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Katrin Kunert, Stefan Liebich,
Petra Pau, Harald Petzold, Martina Renner, Kersten Steinke, Frank Tempel
und der Fraktion DIE LINKE.

Whistleblower Edward Snowden in Deutschland aufnehmen und Schutz vor
Auslieferung gewähren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Täglich kommen neue skandalöse Überwachungsmaßnahmen des amerikanischen Geheimdienstes
NSA und inzwischen auch des britischen Geheimdienstes GCHQ ans Licht. Die Ausspähung reicht
vom anlasslosen und massenhaften Abfangen und Speichern der Kommunikationsdaten von Bürgerin-
nen und Bürgern überall auf der Welt, auch in Deutschland, über das Abschöpfen interner Netze von
privaten Kommunikationsanbietern wie Google und Yahoo bis hin zur Kommunikationsüberwachung
von Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitikern aus Regierung und Opposition sowie der Bundes-
kanzlerin.

2. Das Wissen über diese massenhaften Verletzungen von Datenschutzrechten und des Rechts auf infor-
mationelle Selbstbestimmung ist dem ehemaligen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden zu verdanken.
Er hat Stigmatisierung und Strafverfolgung riskiert, um die Öffentlichkeit über die illegalen Geheim-
dienstaktivitäten der NSA aufzuklären, mit der neben Deutschland viele europäische Staaten eng zu-
sammenarbeiten. Viele Details und das gesamte Ausmaß der Ausspähung sind aber noch unbekannt,
keiner seiner Vorwürfe wurde konkret widerlegt. Im Gegenteil, ein Großteil, wie das Ausspähen des
Kanzlerinnen-Handys oder die Weiterleitung von Daten des Bundesnachrichtendienstes an die NSA,
wurde indirekt bestätigt.

3. Der Schlüssel zu mehr Aufklärung und damit zu der Möglichkeit, die andauernden Grund- und Men-
schenrechtsverletzungen in Zukunft zu verhindern, ist Edward Snowden. Er hat sich bereit erklärt, in
Deutschland auszusagen, wenn sein sicherer Aufenthalt gewährleistet ist.

4. Schon wegen des öffentlichen Interesses in Deutschland ist die Bundesregierung dazu verpflichtet,
alles Erdenkliche für eine lückenlose Aufklärung zu tun und eine Aussage des Whistleblowers Edward
Snowden zu ermöglichen. Die bisherigen Aktivitäten der Bundesregierung, wie Beratungen mit der
US-Regierung zu einem „No-Spy“-Abkommen, Fragebögen oder die sich als haltlos erwiesene Zusi-
cherung seitens der USA, nicht gegen deutsche Gesetze verstoßen zu haben oder zu verstoßen, reichen
nicht aus.

5. Die dringend notwendige Aufklärung darf nicht mit Hinweis auf eine mögliche Störung des transat-
lantischen Verhältnisses verhindert werden. Es geht nicht um lapidare Vorgänge, sondern um massive
Verletzungen von Grundrechten, für deren Einhaltung die Bundesregierung gegenüber der Bevölke-
rung in Deutschland Verantwortung trägt. Die im Amtseid der Bundeskanzlerin und der Bundesminis-
terinnen und Bundesminister ausgedrückte Verpflichtung, Schaden vom Volke abzuwenden und das
Grundgesetz zu verteidigen (Artikel 64 Absatz 2, Artikel 56 GG), kann nicht mit Hinweis auf die
transatlantischen Beziehungen ausgehöhlt werden. Zudem ist Grundvoraussetzung für gute Beziehun-

Drucksache 18/55 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

gen zwischen den USA und Deutschland der gegenseitige Respekt vor Souveränität und Rechtsstaat-
lichkeit.

6. Ein geeignetes Verfahren zur Aufklärung stellt die Einrichtung eines parlamentarischen Untersu-
chungsausschusses im Bundestag dar, zu der sich alle Bundestagsfraktionen grundsätzlich bereit er-
klärt haben, im Rahmen dessen Edward Snowden aussagen könnte. Eine Vernehmung in Russland
hingegen bietet nicht dieselbe Gewähr zur umfassenden Aufklärung wie in Deutschland. Bundestag
und Bundesregierung dürfen Edward Snowdens Aufenthaltsstatus in Russland nicht dadurch gefähr-
den, dass sie auf eine Vernehmung in Russland bestehen. Es ist bekannt, dass er im Gegenzug zur
Asylgewährung versichert hat, den USA nicht durch weitere Veröffentlichungen zu schaden. Zudem
ist sein Aufenthaltsrecht auf ein Jahr befristet.

7. Die Bundesregierung muss daher die Möglichkeiten, die das Recht für die Gewährung von Aufenthalt
und Schutz vor Auslieferung für Edward Snowden bietet, nutzen. Der effektive Schutz von Bürger-
rechten, Demokratie und Rechtsstaat sowie die Aufklärungsrechte des Bundestages verpflichten sie
ebenso dazu wie der auf das Grundgesetz geleistete Amtseid.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. Edward Snowden nach § 22 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) in der Bundesrepublik
Deutschland aufzunehmen,

2. Edward Snowden zuzusichern, dass er nicht ins Ausland ausgeliefert wird, und die Zustimmung zu
einer Auslieferung zu versagen.

Berlin, den 14. November 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/55

Begründung

Zu Abschnitt II

Zu Nummer 1

Eine Aufnahme von Edward Snowden ist nach § 22 Satz 2 AufenthG möglich. Danach ist einem Ausländer
eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesinnenministerium zur Wahrung politischer Interes-
sen der Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme des Ausländers aus dem Ausland erklärt hat. Die Vor-
schrift dient der Wahrung des außen- und innenpolitischen Handlungsspielraums und räumt dem Bundes-
ministerium einen weitreichenden Beurteilungsspielraum ein (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, 80. EL
2013, § 22 Rn. 3; vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung Schutz vor
Verhaftung von Zeugen vor einem Untersuchungsausschuss, WD 7-3000-175/13; WD 3-3000-152/13,
Seite 17). Das politische Interesse ist in der von der Bundesregierung angestrebten Aufklärung über den
Überwachungsskandal begründet. Durch die Aufnahme von Edward Snowden und die Ermöglichung einer
Aussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss ist ein wertvoller Erkenntnisgewinn über
massive Grundrechtsverstöße gegenüber Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland und ihren Volksvertrete-
rinnen und Volksvertretern sowie über die Verletzung von vertraglichen Vereinbarungen durch Spionagetä-
tigkeiten von Botschaften gegen die Bundesregierung (Artikel 41 des Wiener Übereinkommens vom
18. April 1961 über diplomatische Beziehungen), zu erwarten. Diese Erkenntnisse bieten die Möglichkeit
für die Bundesregierung, derartige Verstöße durch neue Vereinbarungen und deren Kontrolle in Zukunft zu
verhindern.

Soweit ein Untersuchungsausschuss den Beschluss fasst, einen im Ausland befindlichen Zeugen zu laden,
kann sich das Ermessen der Bundesregierung hinsichtlich einer Aufnahme nach § 22 Satz 2 AufenthG so-
gar auf null reduzieren. Denn aus dem parlamentarischen Untersuchungs- und Beweiserhebungsrecht sowie
aus der in Artikel 44 Absatz 3 GG normierten Amtshilfeverpflichtung lässt sich parallel zu den Fällen der
Verpflichtung der Bundesregierung zur Erteilung von Aussagegenehmigungen (vgl. BeckOK GG Artikel
44, Rn. 47; Glauben/Brocker/Glauben Hdb UA, 2. Auflage 2011, § 20 Rn. 17 ff. ) folgern, dass die Bun-
desregierung dem Untersuchungsausschuss bei der Beschaffung der notwendigen Beweise Hilfe zu leisten
hat, wenn ihre Mitwirkung hierzu erforderlich ist (Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags, Ausarbeitung
Schutz vor Verhaftung von Zeugen vor einem Untersuchungsausschuss, WD 7-3000-175/13; WD 3-3000-
152/13, S. 18).

Die Aufnahme von Snowden ist auch deswegen erforderlich, weil eine Vernehmung in Russland seinen
dortigen Aufenthaltsstatus gefährden könnte. Eine umfassende Aussage ist unter diesen Umständen von
Snowden weder zu erwarten noch ihm zuzumuten. Zudem wären eine mehrmalige Vernehmung und (spon-
tane) Nachfragen durch die Parlamentarier erschwert. Gerade diese bringen aber häufig zusätzlichen Er-
kenntnisgewinn.

Zu Nummer 2

Der Bundesregierung ist es möglich, die Auslieferung von Snowden an die USA zu verweigern und ihm
Schutz zu gewähren. Das Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von
Amerika über Auslieferung (im weiteren EU-Abkommen genannt) regelt, dass unter bestimmten Voraus-
setzungen eine Ablehnung durch den um Auslieferung ersuchten Staat möglich ist. Nach Artikel 17 Ab-
satz 1 des EU-Abkommens in Verbindung mit Artikel 4 Absatz 1 des Auslieferungsvertrags zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten (im weiteren als bilaterales Abkommen bezeich-
net) wird eine Auslieferung nicht bewilligt, wenn die Straftat, derentwegen sie begehrt wird, vom ersuchten
Staat als eine politische Straftat, als eine Straftat mit politischem Charakter oder als eine mit einer solchen
zusammenhängende Straftat angesehen wird.

Da das Abkommen auf die Beurteilung des ersuchten Staates abstellt, richtet es sich primär nach deutschem
innerstaatlichem Auslieferungsrecht, ob eine politische Straftat vorliegt, also nach § 6 Absatz 1 des Geset-
zes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) (Schomburg/Hackner, IRG-Komm., § 6
Rn. 29). Zwar sieht § 6 Absatz 1 IRG keine Definition vor, dennoch wird die Legaldefinition aus dem vor-
mals gültigen Deutschen Auslieferungsgesetz (DAG) als grundsätzlich geeignet anerkannt. Danach sind
politische Taten „strafbare Angriffe, die sich unmittelbar gegen den Bestand oder die Sicherheit des Staa-
tes, […] oder gegen die guten Beziehungen zum Ausland richten“. Nach § 6 Absatz 1 IRG soll sogar ein

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weiteres Verständnis von einer politischen Tat maßgeblich sein, um die Gesamtheit der Tatumstände be-
rücksichtigen und eine flexiblere Handhabung ermöglichen zu können, die sich nicht starr und ausschließ-
lich an objektiven Merkmalen orientiert (vgl. Bundestagsdrucksache 9/1338, Seite 39).

Bei den Snowden von den USA laut öffentlich gewordener Strafanzeige des FBI bisher vorgeworfenen
Delikten handelt es sich um Diebstahl von Regierungseigentum (18 U.S.C. § 541) sowie die widerrechtli-
che Weitergabe geheimer Informationen über die nationale Verteidigung (18 U.S.C. § 793(d)) und von
Geheimdienstinformationen (18 U.S.C. § 198(a)). Die entsprechenden und möglicherweise einschlägigen
Vorschriften im deutschen Recht der §§ 94 ff. StGB gehören auch in Deutschland zum Staatsschutzstraf-
recht und sollen die Gefährdung der äußeren Sicherheit bekämpfen. Insofern erscheint eine Einordnung als
politische Straftat aus deutscher Sicht naheliegend. Jedenfalls bewertet die USA die Informationsweiterga-
be Snowdens als unmittelbaren Angriff auf die Sicherheit des Staates und somit als politische Tat. Daneben
sieht sie eine Gefährdung der Außenbeziehungen. Das ergibt sich u. a. aus Äußerungen des FBI-Chefs
Robert Mueller bei einer Anhörung im Kongress in Washington darüber, dass die Weitergabe vertraulicher
Informationen großen Schaden für das Land und die Sicherheit angerichtet habe und der demokratischen
Senatorin und Vorsitzenden des Geheimdienstausschusses Diane Feinstein, die Snowdens Vorgehen als
„Verrat“ bezeichnete. Wegen des Gegenseitigkeitsprinzips kann selbst bei anderer Wertung aus deutscher
Sicht die Wertung der USA als politische Straftat ausreichen (vgl. BGH NJW 1982, 531; Schomburg, IRG-
Komm., § 6 Rn.22).

Daneben kann bei Erweiterung des bisher absehbaren Deliktkatalogs um Straftatbestände, die die Todes-
strafe vorsehen, wie beispielsweise Hochverrat (18 U.S.C. § 2381), ein Ablehnungsgrund aus Artikel 13
des EU-Abkommens greifen, soweit eine etwaige Zusicherung der USA, keine Todesstrafe zu verhängen,
für unzureichend befunden wird.

Auch die nach Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Artikel 19 Absatz 2 der Charta
der Grundrechte der Europäischen Union eine Ablehnung begründende Annahme einer erniedrigenden
Behandlung erscheint im Hinblick auf die Haftbedingungen der Whistleblowerin Chelsea (Bradley) Man-
ning nicht völlig abwegig.

Gleiches gilt im Hinblick auf den wesentlichen Verfassungsgrundsatz (Artikel 17 Absatz 2 EU-
Abkommen) des verhältnismäßigen Strafens aus Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes, wenn man be-
denkt, dass bei der Anwendung der bisher in Betracht gezogenen Delikte der 18 U.S.C. §§ 541, 793(d),
§ 198(a) eine Freiheitsstrafe von über 20 Jahren verhängt werden könnte.

Selbst wenn das Gericht eine Auslieferung für zulässig erklären würde, verbleibt dem Bundesjustizministe-
rium als Bewilligungsbehörde im Hinblick auf eine Auslieferungsverweigerung noch Ermessenspielraum
(Weigend, JuS 2000, 105(111); vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags, Sachstand Zulässige Grün-
de für die Ablehnung eines Auslieferungsersuchens nach dem Auslieferungsabkommen zwischen der EU
und den USA, PE 6-3000-075/13, Seite 7/8). Es kann und sollte durch eine andere Bewertung zum Vorlie-
gen einer politischen Tat kommen und die Auslieferung nach Artikel 17 Absatz 1 EU-Abkommen i. V. m.
Artikel 4 Absatz 1 bilaterales Abkommen ablehnen. Die Zusicherung, Edward Snowden nicht auszuliefern,
ist der Bundesregierung somit in jedem Fall möglich und entspricht ihrem und dem öffentlichen Aufklä-
rungsinteresse sowie ihrer Verantwortung für Bürgerrechte und Demokratie.
http://de.wikipedia.org/wiki/Diebstahl
http://de.wikipedia.org/wiki/Geheimhaltungsstufe

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