BT-Drucksache 18/5381

Gute Versorgung, gute Arbeit - Krankenhäuser zukunftsfest machen

Vom 1. Juli 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5381
18. Wahlperiode 01.07.2015
Antrag
der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Maria
Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Kai
Gehring, Ulle Schauws, Tabea Rößner, Doris Wagner, Beate Walter-Rosenheimer,
Corinna Rüffer, Britta Haßelmann und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gute Versorgung, gute Arbeit – Krankenhäuser zukunftsfest machen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Krankenhäuser haben eine zentrale Bedeutung bei der Sicherstellung der gesund-
heitlichen Daseinsvorsorge. Durch ihre Leistungen gewährleisten sie eine vielfach
gute und bedarfsgerechte stationäre Versorgung in Deutschland. Zudem übernehmen
sie zunehmend Verantwortung auch in der ambulanten Versorgung etwa durch am-
bulantes Operieren oder durch medizinische Versorgungszentren (MVZ). Stationäre
Einrichtungen sind darüber hinaus bedeutsame Arbeitgeber. Weit über 1 Millionen
Menschen sind dort als medizinisches oder nichtmedizinisches Personal beschäftigt.

Der demographische Wandel führt jedoch zu einer zunehmende Zahl älterer und
chronisch kranker Patientinnen und Patienten und sich ändernden Bedürfnissen. Es
ist beispielsweise damit zu rechnen, dass im Jahr 2020 jeder fünfte Krankenhauspa-
tient an einer Demenz erkrankt ist. Die Krankenhäuser werden sich dieser Entwick-
lung stellen müssen. In Zukunft kommt es vor allem auf eine stärkere Verzahnung
mit der ambulanten Versorgung, eine bessere Zusammenarbeit zwischen den unter-
schiedlichen Gesundheitsberufen und eine Aufwertung der Pflege an. Nötig sind dar-
über hinaus insbesondere in ländlichen Räumen flexiblere Konzepte, die auch die
ambulante Versorgung durch Krankenhäuser ermöglichen.

Allerdings ist insbesondere aus der Perspektive der Patientinnen und Patienten sowie
der Beschäftigten in den Krankenhäusern unübersehbar, dass es massive Probleme
gibt. So steigt etwa durch den erheblichen Personalabbau der letzten Jahre insbeson-
dere für Pflegekräfte die Arbeitsbelastung immer mehr. Sie haben immer weniger
Zeit, sich um die Patientinnen und Patienten zu kümmern und ihnen die notwendige
Versorgung und Zuwendung zukommen zu lassen. Abstimmungsprobleme zwi-
schen Krankenhaus und niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten treten immer häufi-
ger und deutlicher zutage. Die Zahl von Krankenhausinfektionen ist aufgrund der
steigenden Anzahl multiresistenter Keime und oftmals mangelnder Hygienemaßnah-
men auf einem hohen Niveau. Die Bevölkerung beobachtet diese Entwicklungen mit
großer Sorge. Die verständlichen Ängste der Patientinnen und Patienten vor einem
Krankenhausaufenthalt werden unter diesen Bedingungen noch stärker.

Diese Problemanzeigen offenbaren einen erheblichen Reformbedarf, auf den seitens
der Bundesregierung bislang nur unzureichend und zögerlich reagiert wurde. Zwar

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hat sich laut Krankenhaus Rating Report 2015 die Ertragslage der Häuser im Ver-
gleich zum Vorjahr leicht verbessert; nach wie vor besteht aber ein Investitionsstau
von mindestens 12 Milliarden Euro. Die Investitionsmittel der Länder, die für Kran-
kenhäuser bereitgestellt werden, sind demgegenüber seit Jahren nicht bedarfsge-
recht. Dies ist vor allem für Häuser in kommunaler Trägerschaft ein erhebliches
Problem. Viele Häuser finanzieren ihre notwendigen Investitionen aus den laufen-
den Betriebseinnahmen, was dazu führt, dass das Geld an anderer Stelle fehlt. An
der Problematik der unzureichenden Investitionsmittel der Länder wird sich auch
angesichts der Schuldenbremse nichts ändern.

Die Krankenhausplanung der Länder erfolgt weiterhin losgelöst von den Strukturen
im niedergelassenen Bereich und kann daher – je nach Region – auch zu erheblichen
Überkapazitäten oder Versorgungslücken führen.

Die Personalausstattung vor allem im pflegerischen Bereich ist in vielen Häusern so
niedrig, dass nicht mehr sichergestellt ist, alle notwendigen Tätigkeiten auch durch-
führen zu können. Davon sind nicht zuletzt auch Hygienemaßnahmen betroffen. Die
unzureichende Personalausstattung gefährdet nicht nur Patientinnen und Patienten,
sondern führt auch zu unattraktiven Arbeitsbedingungen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Investitionsfinanzierung für Kranken-
häuser reformiert, durch eine hälftige Beteiligung der Krankenkassen auf eine
stabile Basis stellt und den Krankenkassen zugleich Mitsprache bei der Kran-
kenhausplanung ermöglicht;

2. gemeinsam mit den Ländern die Krankenhausplanung hin zu einer bedarfsge-
rechten und sektorübergreifenden Versorgungsplanung weiterzuentwickeln, die
auf gründlichen und vorausschauenden regionalen Versorgungsanalysen sowie
einer Differenzierung nach Versorgungsstufen beruht und zu einer besseren
Verzahnung mit den ambulanten Strukturen führt;

3. einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den dem akuten Personalnotstand kurz-
fristig begegnet wird, im Pflegebereich der Krankenhäuser verbindliche Perso-
nalbemessungsregelungen eingeführt werden und mittel- und langfristig ein
transparentes und leistungsbezogenes System der Pflegefinanzierung entwickelt
und eingeführt wird;

4. auf Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Kranken-
haus wie etwa einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und einer
besseren Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe untereinander hinzuwirken;

5. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Geltung der Psychiatrie-Personalver-
ordnung verlängert und zu verbindlichen Personalstandards führt sowie ein al-
ternatives Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik vorsieht, das
schwerstpsychisch Erkrankte nicht benachteiligt, die sektorenübergreifende Be-
handlung fördert und die Verweildauer verkürzt, ohne Drehtüreffekte zu erzeu-
gen.

Berlin, den 30. Juni 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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Begründung

Union und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag auferlegt, die Patientinnen und Patienten in das Zentrum
ihrer Gesundheitspolitik zu stellen. Dazu gehört auch, den Bürgerinnen und Bürgern eine gute und bedarfsge-
rechte gesundheitliche Versorgung zur Verfügung zu stellen. Darin inbegriffen ist zweifelsohne auch die stati-
onäre Versorgung.

Krankenhäuser haben in letzten Jahren mit vielen Herausforderungen zu kämpfen. Dazu gehören eine unzu-
reichende Investitionsfinanzierung seitens der Länder und eine wenig abgestimmte Versorgungsplanung von
stationärem und ambulantem Bereich mit der Folge, dass regional teilweise erhebliche Überkapazitäten oder
Versorgungslücken bestehen. Auch haben das DRG-Vergütungssystem und der Stellenabbau insbesondere
beim Pflegepersonal im Krankenhaus zu einer immer höheren Arbeitsverdichtung vor allem in der Pflege ge-
führt.

Bislang ist kaum erkennbar, dass die derzeitige Regierungskoalition der Aufgabe gerecht wird, nachhaltige
Lösungen für diese Probleme zu finden. Der von der Koalition vorgelegte Entwurf für ein Krankenhausstruk-
turgesetz nimmt die notwendigen Reformen im Krankenhaussektor überwiegend nicht in Angriff. Vielmehr
beschränkt er sich auf weitgehend zusammenhanglose Einzelmaßnahmen, ohne grundsätzlich etwas an den
finanziellen und strukturellen Rahmenbedingungen zu ändern. Geplante Maßnahmen wie etwa das erneute
Pflegestellen-Förderprogramm und die beabsichtigte Expertenkommission zeigen, dass die Koalition die be-
stehenden Probleme zwar erkannt hat, vor nachhaltigen und verbindlichen Lösungen aber zurückscheut. An
zahlreichen Stellen des Gesetzentwurfes überträgt die Koalition der Selbstverwaltung umfangreiche Aufgaben,
unterlässt es aber, wenigstens die notwendige politische Zielsetzung zu definieren. Das betrifft beispielsweise
die beabsichtigten Zu- und Abschläge für „besonders gute“ oder „besonders schlechte“ Qualität. Dabei zeigen
internationale Erfahrungen, dass vermeintliche Details bedeutsam für den Erfolg des Instrumentes sind. Doch
die Regelung dieser vermeintlichen Details überlässt die Koalition allein der Selbstverwaltung, was die Wirk-
samkeit der Regelung fraglich erscheinen lässt.

Zu Nummer 1

Der Investitionsstau an Krankenhäusern wird seit Jahren kritisiert. Selbst vorsichtige Schätzungen gehen von
einem Investitionsbedarf von mindestens 12 Milliarden Euro aus. Zwar müssen manche Investitionsentschei-
dungen kritisch hinterfragt werden, beispielsweise weil durch sie Doppelstrukturen bei der Ausstattung mit
medizinischen Großgeräten aufgebaut wurden. Gleichwohl sind aus verschiedenen Gründen auch künftig er-
hebliche Investitionen nötig. Durch den größeren Anteil älterer Patientinnen und Patienten müssen die statio-
nären Einrichtungen verstärkt in eine funktions- und altersgerechte Krankenhausarchitektur investieren. Einen
großen Bedarf gibt es ferner absehbar bei der IT-Ausstattung der Krankenhäuser. Auch steigende Energiepreise
und die Anforderungen klimagerechten Bauens verlangen erhebliche Investitionen. Zugleich spielt eine dem
aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechende apparative Ausstattung der Krankenhäuser eine
wichtige Rolle bei der Versorgung der Patientinnen und Patienten. Vor diesem Hintergrund ist die bislang
praktizierte Regelung zur Investitionsfinanzierung von Krankenhäusern nicht mehr zukunftsfähig. Aktuellen
Zahlen zufolge stammen mehr als die Hälfte der Investitionsmittel der Krankenhäuser nicht aus der Investiti-
onsförderung der Länder. Die wirtschaftlich schwierige Lage vieler Krankenhäuser ist daher auch auf den Um-
stand zurückzuführen, dass sie die notwendigen Mittel für die Investitionsfinanzierung aus den eigentlich nur
für die Betriebs- und Personalkosten vorgesehenen Fallpauschalen erwirtschaften müssen.

Die Investitionsfinanzierung für Krankenhäuser muss grundlegend reformiert werden. Dabei sollen die Länder
nicht aus der Verantwortung für die Investitionsfinanzierung entlassen werden. Die Bundestagsfraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat bereits in der 16. Wahlperiode einen Vorschlag für ein Modell vorgelegt,
nach dem Krankenkassen und Ländern die Möglichkeit eröffnet wird, gemeinsam die Verantwortung für die
Investitionsförderung und Planung zu übernehmen (BT-Ds. 16/9008). Dabei sollen Krankenkassen und Länder
die Option erhalten, die Investitionsfinanzierung gemeinsam zu schultern. Dazu soll auf Landesebene ein je-
weils hälftig getragener Fonds eingerichtet werden, aus dem die Investitionspauschalen finanziert werden. Die
Höhe der Landesmittel bestimmt die Höhe der Mittel, die von den Krankenkassen gestellt werden. Im Gegen-
zug sollen die Krankenkassen bei der Krankenhausplanung einbezogen werden, so wie dies in Ostdeutschland
seit 1990 erfolgreich praktiziert wird. Es muss zudem gewährleistet sein, dass die Länder ihre Investitionsmittel
aufgrund des Fonds nicht weiter reduzieren.

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Zu Nummer 2

Die bisherige Krankenhausplanung hat es nicht vermocht, die im internationalen Vergleich deutlich erkennba-
ren und zum Teil erheblichen Überkapazitäten zu vermeiden. Die bestehende Planung ist überdies eine der
zentralen Ursachen für die Trennung zwischen den Sektoren und den daraus resultierenden Brüchen und Dop-
pelstrukturen in der Versorgung. Es fehlt eine vorausschauende Planung der Versorgungsstrukturen, in der
Qualität und Patientenbedürfnisse berücksichtigt werden.

Ziel muss daher eine grundlegende Reform der Krankenhausplanung sein. Dadurch entsteht ein wirksamer
Handlungsrahmen für Selbstverwaltung, Länder und andere regionale Akteure.

Kernbestandteil einer solchen Reform ist die Zusammenführung von stationärer und ambulanter Planung in
einem Landesversorgungsplan. Hierzu gehört eine gründliche Sektor übergreifende Analyse des tatsächlichen
Versorgungsbedarfs einer Region.

Stärker als bisher müssen bei der Versorgungsplanung unterschiedliche Versorgungsstufen sowie unvorher-
sehbare Krankenhausleistungen (Notfallleistungen) und planbare Leistungen (Elektivleistungen) unterschieden
werden. Während etwa für Leistungen der medizinischen Notfall- bzw. Grundversorgung (Primärversorgung)
kleinräumiger geplant werden muss, ist für bestimmte fachärztliche Angebote bzw. Leistungen der stationären
Maximalversorgung wie zum Beispiel Universitätskliniken großräumiger zu planen. Dabei halten wir es für
notwendig, anstelle einer auf Bettenzahlen abstellenden Planung künftig Kriterien der Raumordnung wie etwa
Erreichbarkeiten sowie vorhandene Einrichtungen zum Beispiel in der Rehabilitation und Schnittstellen zur
Pflege einzubeziehen. Einfluss auf die notwendige Zahl der stationären Einrichtungen hat im Übrigen auch ein
flexibel und bedarfsgerecht ausgebautes Krankentransportwesen.

Für hochspezialisierte Leistungen wie etwa seltene Erkrankungen oder Organtransplantationen ist länderüber-
greifende bzw. bundesweit abgestimmte Planung geboten. Der Notwendigkeit einer Spezialisierung stationärer
Einrichtungen sollte durch intensivere Zentrenbildung Rechnung getragen werden.

Eine solche erreichbarkeitsorientierte Versorgungsplanung könnte einem Sektor übergreifenden Versorgungs-
ausschuss auf Landesebene übertragen werden, der neben Vertretern der Leistungserbringer auch Land, Kom-
munen und Patientenverbände einbezieht. Dem Versorgungsausschuss soll eine unabhängige Institution zuge-
ordnet werden, die auf Landesebene anhand bundesweiter Kriterien Versorgungsanalysen vornimmt und mit-
tels objektiver Daten sowie Szenarien der künftigen Entwicklung der Morbidität Empfehlungen bei der Defi-
nition von Versorgungszielen ausspricht. In eine solche Versorgungsplanung müssen im Übrigen auch regio-
nale Gesundheitskonferenzen beratend einbezogen werden. Auch hierzu hat die Bundestagsfraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN bereits ihre Vorstellungen eingebracht (BT-Ds. 18/4153).

Zu Nummer 3

Seit der Abschaffung der so genannten Pflegepersonalregelung (PPR) gibt es keinen wirksamen Mechanismus
mehr, der Kosteneinsparungen zulasten der Pflege wirksam verhindert. Zwischen 1996 und 2012 wurden rund
11 Prozent der Vollzeitstellen in der Krankenhauspflege abgebaut. Die Vergütung durch Fallpauschalen
(DRGs) hat zudem zu einer Konzentration auf wirtschaftlich attraktive ärztliche Leistungen geführt, die zulas-
ten der Pflege gingen. Dazu kommen die zunehmende Finanzierung von Investitionen aus den für die Betriebs-
mittel vorgesehenen Fallpauschalen sowie eine verspätete „Einpreisung“ von Personalkostensteigerungen in
das DRG-System.

Die Personalquote der pflegerischen Berufsgruppen in deutschen Krankenhäusern befindet sich im internatio-
nalen Vergleich auf einem ausgesprochen niedrigen Niveau. So werden pro Schicht durchschnittlich 9,9 Pati-
entinnen und Patienten von einer Pflegekraft betreut. Im Vergleich dazu müssen Pflegekräfte in den Nieder-
landen oder Norwegen deutlich weniger Patientinnen und Patienten versorgen. Häufig ist in Deutschland nicht
gewährleistet, dass alle notwendigen pflegerischen Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden können. Das
betrifft etwa notwendige Hygienemaßnahmen zur Vermeidung von Krankenhausinfektionen, die im pflegeri-
schen Alltag auch mit einem entsprechenden Zeit- und damit Personalaufwand verbunden sind. Auch ver-
mehrte Sturzereignisse und größere Sterblichkeit werden mit der unzureichenden Personalausstattung assozi-
iert. Die Situation in der Pflege gefährdet somit die Sicherheit von Patientinnen und Patienten.

Zugleich führt die unzureichende Personalausstattung in der Pflege zu schlechten und unattraktiven Arbeitsbe-
dingungen. An Beschäftigte in Pflegeberufen werden überdurchschnittlich hohe psychische und physische An-

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forderungen gestellt, was sich u. a. in Überforderung, Stresszunahme und krankheitsbedingten Fehlzeiten wi-
derspiegelt. Dies belegen auch die geringe Verweildauer von Krankenpflegekräften im Beruf von durchschnitt-
lich 13,7 Jahren und der geringe Anteil älterer Pflegender, die im Beruf mehr als 20 Jahre verbleiben (vgl. u. a.
Berufsgenossenschaft Gesundheitsschutz und Wohlfahrtspflege, www.bgw-online.de/SharedDocs/Down-
loads/DE/Medientypen/Fachartikel/2011-Symposium-Hackmann.pdf?__blob=publicationFile). Im europäi-
schen Vergleich, neben Großbritannien und Italien, besteht bei deutschen Pflegekräften der größte Ausstiegs-
wunsch. In einer älter werdenden Gesellschaft, in der nicht nur der Pflegebedarf, sondern auch das Durch-
schnittsalter der Pflegenden steigt, muss die Gestaltung guter Arbeitsbedingungen für Pflegende deutlich mehr
Beachtung gewinnen (vgl. www.baua.de/dok/5479728, 9/2014).

Untersuchungen deuten darauf hin, dass die aus den DRGs resultierenden Zuweisungen zu gering sind, um den
tatsächlichen notwendigen Bedarf an Pflegepersonal zu decken und eine adäquate pflegerische Versorgung der
Patientinnen und Patienten sicherzustellen (vgl. Thomas, Wasem et al. 2014). Der 2012 eingeführte Pflege-
komplexmaßnahmen-Score (PKMS) greift überdies nur bei einem sehr kleinen Teil der Krankenhausfälle (ca.
0,5 Prozent) und wurde bislang nicht weiterentwickelt. Auch vor diesem Hintergrund werden die PKMS von
Experten als „gescheitert“ angesehen (vgl. Thomas, Wasem et al. 2014). Die von der Bundesregierung bislang
geplanten Maßnahmen sind vor allem aus mittel- bis langfristiger Perspektive unzureichend, um die Situation
nachhaltig zu verbessern.

Es muss daher zügig ein verbindliches Instrument zur objektiven Bemessung des notwendigen Personalbedarfs
in der akutstationären Pflege eingeführt werden. Der Personalbedarf muss sich dabei aus dem tatsächlichen
Pflegebedarf der Patientinnen und Patienten ableiten. Als Sofortmaßnahme ist ein Pflegestellenprogramm nö-
tig, das sich mindestens an den Größenordnungen der 1997 abgeschafften Pflegepersonalregelung (PPR) ori-
entiert. Um sicherzustellen, dass das Instrument auch zu einer besseren Personalausstattung führt, sollte eine
Zweckbindung der DRG-Zuweisungen für den Pflegebereich vorgesehen werden.

Für die mittel- bis langfristige Perspektive ist eine leistungsbezogene Pflegepauschale (Nursing Related
Groups) denkbar. Ein vergleichbares Instrument zur besseren Abbildung des Pflegebedarfs im stationären Ver-
gütungssystem und zur Entwicklung von Pflegeindikatoren hatte beispielsweise 2008 der Deutsche Pflegerat
ins Gespräch gebracht (Bartholomeyczik, Sabine: Adäquate Abbildung des Pflegeaufwands im G-DRG-Sys-
tem. Witten-Herdecke, Berlin 2008). Bei der Entwicklung müsste zwingend auch pflegepraktischer und pfle-
gewissenschaftlicher Sachverstand an zentraler Stelle einbezogen werden. Auch eine unabhängige Begleitfor-
schung wäre vor dem Hintergrund der Erfahrungen bei der Einführung der DRGs notwendig.

Zu Nummer 4

Zusätzlich zu einer ausreichenden Personalausstattung sind auch motivierende Arbeitsbedingungen und team-
orientierte Organisationsstrukturen wichtige Voraussetzungen für eine qualitativ hochwertige Versorgung.
Dazu gehören eine familienfreundliche Arbeitszeitorganisation ebenso wie auskömmliche und langfristigere
Anstellungsverhältnisse und Betreuungsmöglichkeiten für Kinder. Die besonderen Anforderungen an Beschäf-
tigte im Krankenhaus machen es notwendig, dass gerade in diesem Bereich dafür Sorge getragen wird, dass sie
langfristig gute Arbeit leisten können.

Vor allem vor dem Hintergrund eines zunehmenden Anteils älterer, mehrfach erkrankter und chronisch er-
krankter Patientinnen und Patienten hat der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen wiederholt eine
stärkere Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe angemahnt. Dies gilt nicht nur für den ambulanten Sektor,
auch im Krankenhaus sind teamorientierte und multiprofessionelle Ansätze notwendig. Untersuchungen zeigen
überdies, dass Behandlungsfehler häufig aus unzureichender Zusammenarbeit resultieren.

Gerade die stationäre Versorgung beispielsweise dementer Patientinnen und Patienten verlangt eine enge Zu-
sammenarbeit unterschiedlicher Gesundheitsberufe mit der Konsequenz einer Aufwertung und Differenzierung
der Pflege- und Gesundheitsberufe. Sobald bspw. Pflegekräfte, PhysiotherapeutInnen oder LogopädInnen die
notwendigen Qualifikationen erworben haben, müssen sie bestimmte Tätigkeiten selbstständig ausüben dürfen
(so genannte Pool-Kompetenzen). Hierfür ist eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung der pflegerischen Aus-
bildung und des pflegerischen Berufsbildes sowie der weiteren Gesundheitsberufe notwendig – einschließlich
stärker akademisierter Aus-, Fort- und Weiterbildung. Zudem verlangt ein solches System interdisziplinäre
Behandlungsleitlinien, die auch gemeinsam von den Gesundheitsberufen entwickelt werden.

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Zu Nummer 5

Die Versorgungsqualität in psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen hängt maßgeblich von An-
zahl und Qualifikation des therapeutischen Personals ab. Die 1991 eingeführte Psychiatrie-Personalverordnung
hat erstmalig einen verbindlichen Rahmen für eine angemessene berufsübergreifende Personalausstattung in
den psychiatrischen Krankenhäusern geschaffen. Mit dem geplanten Wegfall der Psych-PV ab 2019 ist ohne
eine verbindliche Anschlussregelung mit einer Verschlechterung der Personalsituation in den psychiatrischen
Krankenhäusern zu rechnen. Der in § 137 Abs. 1c SGB formulierte Auftrag an den Gemeinsamen Bundesaus-
schuss, Personalstandards zur Sicherung der Qualität in den Einrichtungen der Psychiatrie und Psychosomatik
zu erarbeiten, ist nicht hinreichend konkret und verbindlich, weswegen die Beratungen stagnieren und insbe-
sondere Unsicherheit darüber herrscht, ob die Standards empfehlenden oder verbindlichen Charakter haben.

Es ist daher gesetzlich klarzustellen, dass die Anforderungen an die Personalausstattung verbindliche Mindest-
anforderungen sind, die so ausgestaltet sein müssen, dass dem Krankenhaus ausreichend Personal für eine leit-
liniengerechte Versorgung zur Verfügung steht. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich in den letzten Jahr-
zehnten die Intensität der stationären Behandlung in der Psychiatrie, Kinder-und Jugendpsychiatrie durch kür-
zere Liegezeiten und gestiegene Fallzahlen massiv verdichtet und die Versorgung psychisch kranker Menschen
sich seit der Verabschiedung der Psych-PV weiterentwickelt hat.

Die Große Koalition hat es bislang versäumt, das Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik entspre-
chend der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU, CSU und SPD weiterzuentwickeln. Doch die im Oktober
2014 beschlossene Verlängerung der Optionsphase muss jedoch dazu genutzt werden, dieses Entgeltsystem zu
reformieren. PEPP kann als Instrument zur Schaffung von Transparenz aufrechterhalten bleiben, ist aber für
die Budgetfindung nicht geeignet, weil es sich auf ein Sparmodell beschränkt, anstatt die notwendige Weiter-
entwicklung der Versorgung zu unterstützen und flexible patientenorientierte Versorgungsformen zu ermögli-
chen.

Es ist ein Entgeltsystem zu entwickeln, das eine sektorübergreifende Versorgungsstruktur unterstützt. Am Ende
des Prozesses muss eine am individuellen Bedarf ausgerichtete Vergütung stehen, die während und nach einer
stationären, teilstationären oder ambulanten Krankenhausbehandlung und gegebenenfalls einer Behandlung
durch eine Institutsambulanz die Überleitung in die gemeindenahen sozialpsychiatrischen Hilfen, die Einbe-
ziehung von Angehörigen sowie die ambulante Krisenbegleitung ermöglicht. Dabei sind neuere Erkenntnisse
zur Ausweitung von Psychotherapie, zur Einbeziehung des familiären Umfeldes, von Peer-to-Peer-Ansätzen
einzubeziehen.
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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