BT-Drucksache 18/5330

Aktuelle neonazistische Straftaten mit Bezugnahme auf Aktionsformen der Kameradschafts- und Anti-Antifa-Bewegung der 1990er Jahre

Vom 23. Juni 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5330
18. Wahlperiode 24.06.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Martina Renner, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, Katrin Kunert,
Harald Petzold (Havelland), Kersten Steinke, Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Aktuelle neonazistische Straftaten mit Bezugnahme auf Aktionsformen der
Kameradschafts- und Anti-Antifa-Bewegung der 1990er Jahre

Im April 1996 befestigten Aktivistinnen und Aktivisten der damaligen neonazis-
tischen Kameradschaft Jena – darunter die mutmaßlichen Mitglieder des „Na-
tionalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) und Unterstützer Uwe Mundlos, Uwe
Böhnhardt, Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben – anlässlich des Besuchs von
Ignatz Bubis, langjähriger Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutsch-
land, in Weimar und Buchenwald eine lebensgroße Puppe mit einem Davidstern
und einer Bombenattrappe an einer Autobahnbrücke der Bundesautobahn 4 bei
Jena. Dabei handelte es sich um eine in den 90er-Jahren in der Neonazibewe-
gung – insbesondere bei den Freien Kameradschaften und der Anti-Antifa-Be-
wegung – weit verbreitete Aktionsform. Aktuell erfährt diese Aktionsform, die
als direkte Bedrohung die jeweiligen Betroffenen bzw. Zielpersonen einschüch-
tern und bedrohen soll, ein Revival. Einige aktuelle Beispiele machen deutlich,
dass Neonazis sich seit der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 in ih-
ren Aktionsformen sowohl formal als auch in ihren Inhalten betont auf Aktions-
formen der 90er-Jahre beziehen: Unbekannte Täter befestigten im April 2015
auf dem Schulgelände der privaten deutsch-russischen Lomonossow-Grund-
schule in Berlin-Marzahn eine Reichskriegsflagge am Schultor und eine lebens-
große Puppe mit einem Strick an einem Basketballkorb und hinterließen Flug-
blätter mit rassistischen und volksverhetzenden Parolen (vgl. RBB online vom
13. April 2015 „Fremdenfeindliche Flugblätter an deutsch-russischer Schule“
www.rbb-online.de/politik/beitrag/2015/04/fremdenfeindliche-flugblaetter-an-
deutsch-russischer-schule.html). Auch anlässlich von neonazistischen Kampa-
gnen, sei es rings um den so genannten Volkstrauertag, zu den so genannten
Rudolf-Hess-Aktionswochen jeweils im August anlässlich des Todestages des
NS-Kriegsverbrechers und Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess oder im Vorfeld
des Jahrestages der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg, verwenden
Neonazis bei Propagandaaktionen, wie in den 90er-Jahren, wieder vermehrt
Puppen. So hatten Neonazis am 24. November 2012 im Stadtgebiet von Suhl
(Thüringen) anlässlich des so genannten Volkstrauertags Puppen mit Schildern
und aufgemalten Parolen wie „Gehasst, Gefoltert, Getötet – weil sie Deutsche
waren“ hinterlassen und sich später auf einschlägigen Internetseiten zu der
Propagandaaktion bekannt (vgl. Antifaschistische Gruppen Südthüringen vom
30. November 2012, www.afaction.info/index.php?menu=news&aid=547).
Und im Vorfeld der neonazistischen Kampagne anlässlich des Jahrestags der
Bombardierung von Dresden befestigten Neonazis am 3. Februar 2012 eine
Puppe, die eine Leiche darstellen sollte, am Zentrum für Demokratie in Berlin-

Drucksache 18/5330 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Treptow (vgl. Register zur Erfassung rassistischer, antisemitischer und rechts-
extrem motivierter Vorfälle in Treptow-Köpenick 2012, www.register-tk.de/
Downloads/Auswertung2012tk.pdf).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Straftaten aus dem Phänomenbereich Politisch motivierte Kriminali-

tät – PMK-rechts, die unter Zuhilfenahme von Puppen als Tatmerkmal durch-
geführt wurden, haben die Strafverfolgungsbehörden im Zeitraum seit
November 2011 bis heute registriert (bitte unter Angabe von Datum, Ort,
Bundesland, Tatausführung, Delikt, Ausgang des Ermittlungsverfahrens)?

2. Bei welchen der festgestellten Straftaten unter Zuhilfenahme von Puppen
handelt es sich nach Kenntnis der Bundesregierung um Aktionen im Rahmen
länderübergreifend koordinierter neonazistischer Kampagnen (bitte unter
Angabe von Tatzeiträumen und Bundesländern)?

3. Bei welchen der festgestellten Straftaten unter Zuhilfenahme von Puppen
konnten die Strafverfolgungsbehörden eine Bekennung – beispielsweise auf
einschlägigen Websites – durch Neonazis und bzw. oder PMK-rechts-Straf-
täter feststellen?

4. Bei welchen der festgestellten Straftaten unter Zuhilfenahme von Puppen
handelt es sich nach Kenntnis der Bundesregierung um Aktionen, mit denen
so genannte politische Gegner bedroht und eingeschüchtert werden sollen
(bitte unter Angabe von Tatdatum, Ort und Bundesland)?

5. Bei welchen der festgestellten Straftaten unter Zuhilfenahme von Puppen
handelt es sich nach Kenntnis der Bundesregierung um antisemitisch oder
rassistisch bzw. fremdenfeindlich motivierte Straftaten (bitte unter Angabe
von Tatdatum, Ort und Bundesland)?

6. Inwieweit untersuchen das Bundeskriminalamt bzw. nach Kenntnis der Bun-
desregierung die Staatsschutzdezernate der Landeskriminalämter Straftaten
aus dem Phänomenbereich PMK-rechts auf mögliche Übereinstimmungen in
den Tatmerkmalen hinsichtlich der Frage, ob es in der neonazistischen Szene
entsprechende Verabredungen bzw. Bezugnahmen auf vorangegangene Taten
gibt?

7. Wie viele Straftaten haben die Strafverfolgungsbehörden im Zusammenhang
mit Neonazi-Kampagnen anlässlich des so genannten Volkstrauertags in den
Jahren 2012 bis einschließlich 2014 registriert (bitte unter Angabe von Tat-
datum, Ort, Bundesland, Delikt)?

8. Wie viele Straftaten haben die Strafverfolgungsbehörden im Zusammenhang
mit Neonazi-Kampagnen anlässlich des so genannten Rudolf-Hess-Todes-
tags im August in den Jahren 2012 bis einschließlich 2014 registriert (bitte
unter Angabe von Tatdatum, Ort, Bundesland, Delikt)?

9. Wie viele Straftaten haben die Strafverfolgungsbehörden im Zusammenhang
mit Neonazi-Kampagnen anlässlich der Jahrestage von so genannten Alliier-
ten-Bombardierungen von Städten wie Dresden, Magdeburg oder Dessau in
den Jahren 2012 bis einschließlich 2014 registriert (bitte unter Angabe von
Tatdatum, Ort, Bundesland, Delikt)?

Berlin, den 24. Juni 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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