BT-Drucksache 18/5203

Unternehmen in die Verantwortung nehmen - Menschenrechtsschutz gesetzlich regeln

Vom 16. Juni 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5203
18. Wahlperiode 16.06.2015
Antrag
der Abgeordneten Niema Movassat, Caren Lay, Wolfgang Gehrcke, Jan van
Aken, Karin Binder,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Sabine
Leidig, Ralph Lenkert, Stefan Liebich, Dr. Alexander S. Neu, Dr. Kirsten
Tackmann, Azize Tank, Alexander Ulrich, Hubertus Zdebel und
der Fraktion DIE LINKE.

Unternehmen in die Verantwortung nehmen – Menschenrechtsschutz
gesetzlich regeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Multinationale Konzerne bedienen sich komplexer Netzwerke aus Tochterfirmen,
Subunternehmen und Zulieferern, um in jedem Arbeitsschritt die jeweils günstigsten
Produktionskosten zu nutzen und so ihren Profit zu maximieren. Sie entledigen sich
damit auch der Verantwortung für Missstände, die in ihrer Wertschöpfungskette auf-
treten.

Auch die Geschäftstätigkeit deutscher Unternehmen in den Ländern des Südens fin-
det häufig im Kontext schwerer Menschenrechtsverletzungen statt. Laut einer aktu-
ellen Studie der Universität Maastricht belegt Deutschland den fünften Rang hin-
sichtlich der Verletzung von Menschenrechten durch seine Unternehmen. Der Brand
in einer Fabrik in Pakistan, zu deren Hauptauftraggebern der deutsche Textildiscoun-
ter kik gehörte („Brandopfer klagen gegen kik“, Robert Pausch, Die Zeit, 13. März
2015), warf im Jahr 2012 ein Schlaglicht auf diesen Missstand. Damals starben 254
Arbeiterinnen und Arbeiter, weil rudimentäre Brandschutzverordnungen nicht ein-
gehalten worden waren. Die Fenster waren vergittert, Notausgänge nicht vorhanden.
Ein Jahr später starben beim Einsturz des Rana-Plaza Gebäudes in Bangladesch, in
dem mehrere Textilfabriken untergebracht waren, die auch für deutsche Abnehmer
produzierten, 1127 Menschen, 2438 wurden verletzt. Die betroffenen Unternehmen
weisen die Verantwortung für die Arbeitsbedingungen vor Ort weit von sich. Im
konkreten Fall weigern sich viele von ihnen, den Hinterbliebenen und Versehrten
eine angemessene Entschädigung zu zahlen.

In Reaktion auf diese Ereignisse rief die Bundesregierung ein Textilbündnis ins Le-
ben, in dessen Rahmen Unternehmen sich freiwillig verpflichten sollten, die Einhal-
tung von Menschen- und Arbeitsrechten in ihren Lieferketten zu sichern. Zunächst
schlossen sich nur wenige Unternehmen an. Erst als der Bundesminister für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung den Unternehmen weit entgegenkam
und die Verbindlichkeit der vereinbarten Standards aus der Bündnisvereinbarung

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strich traten Textilunternehmen in nennenswerter Zahl bei. Die Einhaltung von Men-
schenrechten darf aber keine Verhandlungsmasse sein. Die UN bemühen sich bereits
seit 1977 vergeblich um verbindliche Mindeststandards für das Agieren von Unter-
nehmen. Die „UN-Leitprinzipien zu Wirtschaft und Menschenrechten“ des Sonder-
berichterstatters für Menschenrechte und transnationale Unternehmen John Ruggie
(2011) betonen, dass Unternehmen Menschenrechtsverletzungen in der gesamten
Produktionskette ausschließen sollen. Die Grundelemente der UN-Leitprinzipien
sind die Schutzplicht der Staaten, die Verantwortung der Unternehmen und die Not-
wendigkeit von Beschwerdemechanismen und Abhilfe. Die Leitprinzipien stellen
zwar den Konsens der Staatengemeinschaft in Bezug auf Unternehmensverantwor-
tung dar, sie sind jedoch nicht völkerrechtsverbindlich.

Zahllose freiwillige Verpflichtungen sind insbesondere in den letzten 15 Jahren ge-
scheitert. Die Bundesregierung versucht, die Verantwortung dafür, ob ein Produkt
unter Menschenrechtsverletzungen produziert wurde, auf die Verbraucherin und den
Verbraucher abzuschieben. Doch sind Zertifizierungs- und Siegelsysteme, die faire
Bedingungen ausweisen sollen, oftmals fehlerhaft. Die Zertifizierungs- und Siegel-
branche hat sich zudem zu einem lukrativen Geschäft entwickelt. Für falsche Über-
prüfungen sind die Firmen im Nachhinein nicht haftbar. Kurz vor dem Fabrikbrand
in Pakistan bescheinigte eine Zertifizierungsagentur, dass vor Ort alles in Ordnung
sei. Gesetzliche Regelungen für ökologische und soziale Mindeststandards, die deut-
sche Unternehmen auch im Ausland einhalten müssen, sind deshalb notwendig, um
konkrete Verbesserungen auf den Weg zu bringen.

Die DAX-30-Unternehmen erwirtschaften heute nur noch ein Viertel ihrer Umsätze
in Deutschland und beschäftigten 60 Prozent ihrer Arbeitskräfte im Ausland.

Eine rechtlich verbindliche Haftung von Unternehmen für ihre Zulieferer besteht
derzeit weder auf internationaler noch auf europäischer Ebene. Auf nationaler Ebene
können Unternehmen unter bestimmten Umständen in dem Staat verklagt werden,
in dem die Verletzungen begangen wurden (Gaststaat), oder im Staat des Unterneh-
mens (Heimatstaat). Es sprechen keine völkerrechtlichen Hürden dagegen, dass
Deutschland auch darüber hinaus bei Vorfällen im Ausland Rechtsmittel in Deutsch-
land zur Verfügung stellt. In Deutschland selbst sind Haftungsmöglichkeiten durch
Schadenersatzzahlungen im Zivilrecht oder durch eine strafrechtliche Verantwor-
tung im Strafrecht klar geregelt. In beiden Rechtsgebieten bestehen erhebliche Hin-
dernisse bei der Durchsetzung der Rechte von Betroffenen von Unternehmensun-
recht.

Im deutschen Zivilrecht kann grundsätzlich aufgrund des Trennungsprinzips der
Rechtsverstoß eines Tochterunternehmens nicht dem Mutterunternehmen zugerech-
net werden. Weitere Probleme bestehen bei Arbeitsrechtfragen und exzessiver Ar-
beitsausbeutung in Bezug auf Schadensersatz z. B. bei der Bemessung von entfalle-
nem Lohn und entgangenem Gewinn. Im Zivilprozess können rein arbeitsrechtliche
Fälle, die Ansprüche gegen die Tochterunternehmen betreffen, nicht in Deutschland
behandelt werden. Haben Tochterunternehmen oder Zulieferer ihren Sitz im Aus-
land, sind deutsche Gerichte gar nicht erst zuständig.

Der Zugang zu Gerichten und zu effektiven Rechtsmitteln ist eine wesentliche Vo-
raussetzung zur Umsetzung von Menschenrechten. Auf EU-Ebene gibt es derzeit die
Rom-II-Verordnung zum Rechtsanwendungsrecht: Es gilt grundsätzlich das Recht
des Ortes, wo der Schaden eingetreten ist. Opfer der Geschäftstätigkeit transnatio-
naler Konzerne können jedoch in ihren Heimatländern häufig ebenfalls keinen fairen
Prozess erwarten. Erhebliche Lücken im Rechtszugang für ausländische Klägerin-
nen und Kläger in Deutschland verstärken die Problematik: Außereuropäische Kla-
gende tragen ein hohes Kostenrisiko, die Möglichkeit von Sammelklagen besteht in
Deutschland nicht.

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2010 hat die EU-Kommission für den Fall, dass ansonsten kein faires Verfahren zu
erwarten ist und eine hinreichende Verbindung zum betroffenen EU-Mitgliedstaat
besteht, die Einführung einer so genannten „Notzuständigkeit“ vorgeschlagen. Zu-
dem besteht in den Niederlanden und Großbritannien die Option der „Klageverbin-
dung“. Sie führt Klagen gegen Mutter- und Tochterunternehmen zusammen, wenn
ein Gericht für einen der beiden Beklagten zuständig ist und eine gemeinsame Be-
handlung des Falls für sinnvoll erachtet. Eine Klageverbindung sieht das deutsche
Recht ebenso wenig vor wie eine Notzuständigkeit. Selbst wenn ein deutsches Ge-
richt eine Klage wegen Menschenrechtsverstößen im Ausland annimmt, darf es in
der Regel nicht deutsches Recht anwenden, sondern muss sich nach der Gesetzlage
des Landes richten, in dem der Schaden eingetreten ist. Die genannten Hürden ma-
chen es Betroffenen derzeit nahezu unmöglich, ihre Rechte gegenüber einer deut-
schen Firma juristisch durchzusetzen.

Eine isolierte Position nimmt Deutschland zudem in der Frage einer Strafbarkeit von
Unternehmen ein: In Großbritannien, Irland, Frankreich, die Niederlande, Island,
Belgien, Dänemark, Schweden, Norwegen, Portugal, Slowenien, Malta, Ungarn,
Estland, Lettland, Liechtenstein, Litauen, die Tschechische Republik, Österreich und
die Schweiz gibt es eine Unternehmensstrafbarkeit, auch der Europarat gab entspre-
chende Empfehlungen ab. Strafverfahren gegen deutsche Unternehmen müssen bei
schweren Verstößen gegen die Sorgfaltspflichten oder gar vorsätzlichem Fehlver-
halten auch vor deutschen Gerichten möglich sein. Dazu gehören handfeste Sankti-
onsmöglichkeiten in Form von Geldstrafen. Derzeit sind in Deutschland Verfahren
nur über das Ordnungswidrigkeitenrecht möglich. Das genügt nicht, weil aufgrund
des Opportunitätsgrundsatzes die Staatsanwaltschaft weitgehend frei ist zu entschei-
den, ob sie ein Verfahren führt. Im Unternehmensstrafrecht hingegen würde der Le-
galitätsgrundsatz eine Prüfung des Falls obligatorisch machen.

Alle Initiativen der Bundesregierung, die Privatwirtschaft stärker in die Verantwor-
tung zu nehmen, bleiben dem Prinzip der Freiwilligkeit treu und missachten damit
konsequent die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte. Wenn die deutsche Ratspräsi-
dentschaft das Thema Unternehmensverantwortung beim G7-Gipfel in Elmau auf
die Tagesordnung setzt, sind die zentralen Elemente das freiwillige Textilbündnis
und der so genannte „vision zero fund“, in den Unternehmen freiwillig einzahlen
sollen, um unter anderem Arbeitnehmerversicherungen und Brandschutzmaßnah-
men in den produzierenden Ländern zu finanzieren. Beide Instrumente sind nicht
geeignet, umfassende Verbesserungen für die Betroffenen durchzusetzen. Die mo-
mentan laufende Erstellung eines nationalen Aktionsplans zum Thema Wirtschaft
und Menschenrechte durch das Auswärtige Amt bis Ende 2016 ist angesichts der
Bundestagwahlen 2017 ebenfalls ungeeignet, zeitnahe Lösungen für die bestehende
Problematik anzubieten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der
– den deutschen Unternehmen, die im Ausland produzieren oder produzie-

ren lassen, menschenrechtliche und umwelttechnische Sorgfaltspflichten
entlang der gesamten Wertschöpfungskette verbindlich auferlegt,

– eine zivilrechtliche Haftung für Menschenrechtsverstöße ausbaut und die
Unternehmen, die im Ausland produzieren oder produzieren lassen, dazu
verpflichtet, für Menschenrechtsverletzungen ihrer Subunternehmen und
Zulieferer zu haften, sofern sie Sorgfaltspflichten bei der Auswahl ihrer
Geschäftspartner missachtet haben,

– es ermöglicht, auch Arbeitsrechtsfragen wie z. B. Schadensersatzforde-
rungen aufgrund exzessiver Arbeitsausbeutung von Arbeiterinnen und Ar-
beitern zivilrechtlich zu verfolgen,
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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– die Zuständigkeit deutscher Gerichte erweitert, sodass bei Menschen-
rechtsverstößen im Ausland Klagen gegen Tochterunternehmen deutscher
Konzerne vor deutschen Gerichten zulässig sind, und eine Notzuständig-
keit deutscher Gerichte einführt,

– für neue Gesetzesvorhaben zur Regulierung unternehmerischer Aktivitä-
ten einen verpflichtenden „Menschenrechts-Check“ vorsieht,

– nach dem Vorbild anderer europäischer Staaten auch in Deutschland ein
Unternehmensstrafrecht einführt, welches Strafverfahren gegen Unterneh-
men ermöglicht und Sanktionsmöglichkeiten in Form von angemessenen
Geldstrafen vorsieht,

– Sammelklagen vor deutschen Gerichten ermöglicht,
– die Prozesskostenregelung mit dem Ziel reformiert, bei menschenrechtli-

chen Klagen einen geringeren Streitwert anzusetzen sowie Prozesskosten-
hilfe auch schon bei der Vorbereitung eines Falles zu ermöglichen,

– die EU-Richtlinie zur Offenlegung nichtfinanzieller Informationen ambi-
tioniert umsetzt und damit umfassende Offenlegungspflichten für Unter-
nehmen über soziale, insbesondere menschenrechtliche und ökologische
Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit einführt,

– ein Regelbeispiel in § 4 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb
aufnimmt, wonach die Verletzung von Menschenrechten und exzessiver
Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei der Produk-
tion einen Fall unlauteren Wettbewerbs darstellt,

2. den Prozess bei den Vereinten Nationen zur Entwicklung verbindlicher interna-
tionaler Standards im Bereich der Wirtschaft und Menschenrechte zu unterstüt-
zen und sich aktiv an der Arbeit der zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe zu be-
teiligen.

Berlin, den 16. Juni 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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