BT-Drucksache 18/5126

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/4095, 18/5123 - Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz - GKV-VSG)

Vom 10. Juni 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5126
18. Wahlperiode 10.06.2015
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Birgit Wöllert, Sabine Zimmermann (Zwickau), Dr. Petra
Sitte, Kathrin Vogler, Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 18/4095, 18/5123 –

Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Versorgung
in der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV-Versorgungsstärkungsgesetz – GKV-VSG)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) wird seinem Namen nicht
gerecht. Es bräuchte einen mutigeren Schritt, um Versorgungslücken auf dem
Land und in den benachteiligten Regionen zu bekämpfen sowie eine patienten-
orientierte Versorgung zu schaffen.
Die Bedarfsplanung soll eine sichere und gute ärztliche Versorgung der Bevöl-
kerung gewährleisten. Doch noch immer ist nicht bekannt, wie viele Ärztinnen
und Ärzte für eine gute Versorgung der Bevölkerung notwendig sind. Die heute
verwendeten Versorgungsgrade geben das tatsächliche Versorgungsgeschehen
nur unzureichend wieder. So können trotz eines nominellen Versorgungsgrades
von 100 Prozent lange Wartezeiten auf einen Behandlungstermin auftreten.
Dazu trägt bei, dass nicht bekannt ist, wie viel Zeit die zugelassenen Ärztinnen
und Ärzte tatsächlich für die Behandlung von gesetzlich Versicherten aufwen-
den. Auch die geplanten Terminservicestellen werden kaum zu einer besseren
Versorgung führen, denn bei bestehenden Versorgungslücken hilft auch eine
verbesserte Terminvergabe nichts. Zudem haben sich die Regelungen, die für
den Abbau von Unter- und Überversorgung sorgen sollen, als nicht ausreichend
wirksam erwiesen.
Wie schon beim GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) verpassen die
Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und SPD die
Chance, die Bedarfsplanung auf eine fundierte Grundlage zu stellen und wirk-
same Schritte hin zu einer bedarfsorientierten Verteilung von ärztlichen Nieder-
lassungen zu gehen.

Drucksache 18/5126 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Bei mehreren Regelungen des Gesetzentwurfs sollen auf Grundlage der Be-
handlungsqualität die GKV-Ausgaben gesteuert, also in der Regel gesenkt wer-
den. Hier sind etwa die Regelungen zum Zweitmeinungsverfahren und zur Nut-
zenbewertung von Medizinprodukten zu nennen.
Der geplante Anspruch auf ein geregeltes Zweitmeinungsverfahren wird zu ei-
nem Mittel der Kostensenkung, indem er ausdrücklich nur bei mengenanfälli-
gen Eingriffen gilt. So sollen ökonomisch motivierte Eingriffe und entspre-
chende Mehrausgaben bekämpft werden. Dieser Anspruch sollte aber bei allen
eingreifenden Behandlungen und besonders schweren Erkrankungen zum Stan-
dard gehören, um die Behandlungsqualität zu erhöhen sowie Patientinnen und
Patienten vor unnötigen Eingriffen zu schützen. Einige Krankenkassen haben
ein solches System bereits installiert, der Gesetzentwurf bleibt dahinter deutlich
zurück. Medizinisch fragwürdigen Eingriffen kann zudem nur wirksam begeg-
net werden, indem falsche Vergütungsanreize aufgehoben werden und der öko-
nomische Druck auf Behandelnde sowie auf die Krankenhäuser zurückgefahren
wird.
Ähnlich verhält es sich bei der Nutzenbewertung von Medizinprodukten. Diese
soll nach der Neuregelung nur vorgenommen werden, wenn die entsprechende
Methode über die reguläre Finanzierung nicht abgedeckt ist. Zudem bezieht sie
sich nur auf vollkommen neuartige Produkte. Nutzlose, aber preiswerte Medi-
zinprodukte werden so weiter zur Anwendung kommen. Zudem können so the-
rapeutisch fragwürdige Neuheiten auch künftig in die Versorgung gelangen,
wenn sie kein grundlegend neues Behandlungskonzept aufweisen. Eine hohe
Qualität sollte das Ziel jeder medizinischen Behandlung sein – auch bei der
Verwendung von weniger teuren und neuartigen Medizinprodukten. Daher
müssen alle neuen Medizinprodukte der Hochrisikoklassen IIb und III einer
Nutzenbewertung unterzogen werden, wie sie bei Arzneimitteln auch erfolgt.
Zur Steuerung und Begrenzung der Ausgaben erweitert die Bundesregierung
„die Möglichkeiten der Krankenkassen, im Wettbewerb gute Verträge abzu-
schließen“ (Bundestagsdrucksache 18/4095, S. 3). Aber gerade im Gesundheits-
wesen ist Wettbewerb grundsätzlich problematisch. Ein ökonomischer Konkur-
renzkampf führt kaum zu einer besseren Behandlungsqualität. Im Gegenteil:
Stattdessen werden Patientinnen und Patienten bzw. Versicherte sowohl bei Be-
handelnden als auch bei Krankenkassen zunehmend als Kundinnen und Kunden
angesehen, die dem eigenen Vorteil bzw. wirtschaftlichen Überleben dienen.
Allen Selektivverträgen ist etwa gemeinsam, dass ihr Vorteil für die Behand-
lungsqualität nicht oder nicht ausreichend nachgewiesen ist. Mindestens bei
Hilfsmittelausschreibungen und Arzneimittelrabattverträgen sind erhebliche
Nachteile für die Patientinnen und Patienten bekannt. Gleichzeitig sind Selek-
tivverträge ihrem Wesen nach intransparent und taugen damit kaum als Quali-
tätsindikator bei der Wahl der Krankenkasse oder Ärztin bzw. des Arztes. Der
Inhalt der Verträge gilt meist als Geschäftsgeheimnis und die Versicherten ha-
ben kaum die Möglichkeit, Einblick in die Vertragsunterlagen zu erhalten oder
einzuschätzen, welche Auswirkungen für die Versorgung etwa die Vergütungs-
anreize entfalten. Nur Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung werden frei-
willig veröffentlicht. Die Bundesregierung hätte die Neuformulierung von §
140a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) zum Anlass nehmen müs-
sen, mehr Transparenz, mehr Patientenorientierung und höhere Anforderungen
bezüglich der Ergebnisqualität bei Verträgen der besonderen ambulanten ärzt-
lichen Versorgung nach den § 73c SGB V, der integrierten Versorgung nach §§
140 a bis 140d und der hausarztzentrierten Versorgung nach § 73b SGB V zu
schaffen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5126
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf zur Nachbesserung des Versorgungsstärkungsgesetzes
vorzulegen und insbesondere zu gewährleisten, dass
1. wirksame Schritte hin zu einer bedarfsorientierten Planung und Steuerung der

gesundheitlichen Versorgung gegangen werden, die neben der Morbidität auch
die Sozialstruktur, die Altersstruktur der Bevölkerung wie Leistungserbringe-
rinnen und -erbringer sowie regionale Mobilitätsdaten berücksichtigen. Alle
Gesundheitsberufe sind in die Bedarfsermittlung einzubeziehen;

2. der Abbau von ärztlicher Überversorgung konsequenter, allerdings unter Be-
rücksichtigung der tatsächlichen Versorgungsituation vor Ort, erfolgt;

3. eine Nutzenbewertung von neuen Hochrisiko-Medizinprodukten (mindestens
Klasse IIb und III) erfolgt, unabhängig von ihrem Preis oder ihrem Innovati-
onsgrad;

4. das organisierte Zweitmeinungsverfahren bei den Behandlungen angeboten
wird, die gesundheitlich besonders belastend sind und/oder der Behandlung ei-
ner schweren Erkrankung dienen, und

5. die Selektivverträge einer validen Evaluation bezüglich ihrer Auswirkungen
auf die Behandlungsqualität, insbesondere die Ergebnisqualität, unterzogen
werden. Es ist sicherzustellen, dass die Versorgungsformen, die einen relevan-
ten Zusatznutzen für die Versicherten haben, durch Einbeziehung in die Regel-
versorgung allen Versicherten zur Verfügung stehen.

Berlin, den 9. Juni 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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