BT-Drucksache 18/5015

Polizeiabkommen mit Polen und Tschechien

Vom 22. Mai 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/5015
18. Wahlperiode 22.05.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Dr. André Hahn,
Andrej Hunko, Niema Movassat, Petra Pau, Kathrin Vogler, Jörn Wunderlich und
der Fraktion DIE LINKE.

Polizeiabkommen mit Polen und Tschechien

Die Bundesregierung hat mit der tschechischen Regierung einen neuen Vertrag
über die polizeiliche Zusammenarbeit beider Länder unterzeichnet, der bislang
noch nicht dem Deutschen Bundestag zugeleitet wurde. Der Vertrag soll, so
heißt es auf der Homepage des Bundesministeriums des Innern (BMI), vor allem
der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität dienen. Damit solle
„mehr Sicherheit für die Bürger auf beiden Seiten der Grenze“ geschaffen wer-
den. Notwendig geworden sei die Neuformulierung bisheriger Vereinbarungen
auch, weil das alte Abkommen noch aus der Zeit vor dem Beitritt Tschechiens
zur Europäischen Union (EU) stammt.
Soweit aus den bisher bekannten Veröffentlichungen hervorgeht, ähnelt das neue
Abkommen demjenigen mit Polen, dem der Deutsche Bundestag gegen die
Stimmen der Fraktion DIE LINKE. im Januar 2015 zugestimmt hat.
Das gilt jedenfalls dafür, dass die erweiterten Möglichkeiten für den Einsatz
tschechischer Polizisten „auf ganz Bayern und Sachsen ausgedehnt“ werden sol-
len, wie das BMI am 28. April 2015 mitgeteilt hat. Die Einsatzmöglichkeiten für
polnische Polizisten waren auf die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern,
Brandenburg, Berlin und Sachsen ausgedehnt worden. Nach Auffassung der
Fragesteller hat die Bundesregierung aber bislang nicht nachgewiesen, dass aus
einer im Grenzgebiet allfälligen besonderen Kriminalitätslage die Notwendig-
keit erwüchse, die jeweiligen Bundesländer in ihrer Gänze zum „Grenzgebiet“
zu erklären, wie es im deutsch-polnischen Abkommen gemacht wird und wohl
auch im deutsch-tschechischen. So sind etwa die bayerischen Städte Neu-Ulm
und Aschaffenburg fast 300 Kilometer vom nächsten Grenzübergang nach
Tschechien entfernt. Selbst die französische Grenze liegt näher, die schweizeri-
sche sowieso. Dass in Aschaffenburg eine aus Tschechien herüberreichende
grenzüberschreitende Kriminalität von besonderer Bedeutung sein sollte, er-
scheint den Fragestellern wenig plausibel, so dass sich die Frage stellt, warum
eine womöglich angezeigte Intensivierung grenzüberschreitender Zusammenar-
beit nicht auf die unmittelbaren Grenzregionen beschränkt bleibt.
Das deutsch-polnische Abkommen beinhaltet auch die Möglichkeit zum Einsatz
polnischer Polizisten in Deutschland und deutscher Polizisten in Polen bei nicht
näher definierten „Großveranstaltungen“ unter Einsatz hoheitlicher Befugnisse.
Den Fragestellern ist bewusst, dass die Hinzuziehung sprachkundiger Polizisten
des Nachbarlandes in beratender Funktion etwa bei konfliktträchtigen Fußball-
veranstaltungen sinnvoll sein kann – der Begriff „Großveranstaltungen“ ist al-
lerdings unspezifisch und kann auch Großdemonstrationen umfassen. Warum

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die ausländischen Polizisten das Recht etwa zum Schlagstockeinsatz erhalten
sollten, hat die Bundesregierung in der Begründung des Zustimmungsgesetzes
nicht erläutert. Es stellt sich die Frage, ob eine ähnliche Befugniserweiterung
auch im deutsch-tschechischen Abkommen enthalten ist.
Ein weiterer Kritikpunkt der Fraktion DIE LINKE. am deutsch-polnischen Ab-
kommen war die darin fixierte Kooperation der deutschen Polizeibehörden
(auch der Bundesländer Brandenburg, Berlin, Sachsen, Mecklenburg-Vorpom-
mern) mit der polnischen Agentur für Innere Sicherheit, dem dortigen Inlands-
geheimdienst. Diesem wurde auch eingeräumt, in Deutschland verdeckte Er-
mittlungen und Observationen durchzuführen. Angesichts des Geheimdiensten
eigenen Hanges zur Klandestinität lehnen die Fragesteller eine solche institutio-
nalisierte Zusammenarbeit mit dem polnischen Geheimdienst ab.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Woraus resultiert aus Sicht der Bundesregierung die Notwendigkeit zur Neu-

fassung des deutsch-tschechischen Polizeiabkommens?
a) Welche Regelungen bzw. fehlenden Bestimmungen des bisherigen Ab-

kommens haben sich konkret als nachteilig für die Kriminalitätsbekämp-
fung erwiesen (bitte konkrete Fälle anführen)?

b) Inwieweit werden die Möglichkeiten zur grenzüberschreitende polizeili-
chen Zusammenarbeit im EU-Rechtsrahmen (Prümer Beschlüsse etc.) als
nicht ausreichend für die grenzüberschreitende Polizeiarbeit angesehen?

2. Welche Behörden auf zentraler, Landesebene und regionaler Ebene in
Deutschland und Tschechien sind in das deutsch-tschechische Abkommen
eingebunden (bitte vollständig auflisten)?

3. Welche der auf tschechischer Seite einbezogenen Behörden sind Nachrich-
tendienste oder haben neben Befugnissen zur Gefahrenabwehr und Strafver-
folgung solche Befugnisse, die nach vergleichbarer Rechtslage in Deutsch-
land einem Nachrichtendienst zukommen?
Über welche nachrichtendienstliche Befugnisse verfügen diese Behörden
nach Kenntnis der Bundesregierung?

4. Trifft es zu, dass das deutsch-tschechische Abkommen den tschechischen Si-
cherheitskräften Einsatzmöglichkeiten in ganz Bayern und Sachsen gewährt,
und wenn ja,
a) welche kriminologischen oder polizeilichen Analysen lassen dies notwen-

dig erscheinen,
b) bei welchen konkreten Anlässen in der Vergangenheit hat sich das Fehlen

solcher Einsatzmöglichkeiten als Hindernis für die Kriminalitätsbekämp-
fung erwiesen, und, falls die Bundesregierung hierzu keine konkreten
Angaben machen kann, warum ist dann die Vereinbarung nicht auf die
unmittelbare Grenzregion begrenzt,

c) welchen konkreten Nutzen verspricht sich die Bundesregierung etwa von
einer gemeinsamen tschechisch-deutschen Streife in Neu-Ulm oder
Aschaffenburg?
Wenn sie sich davon keinen Nutzen verspricht, warum ist dann die diesbe-
zügliche Vereinbarung nicht auf die unmittelbare Grenzregion begrenzt?

5. Inwiefern bzw. in welchen Regionen verleiht das Abkommen deutschen
Polizisten welcher Behörden Eingriffsbefugnisse in Tschechien, welche kri-
minologischen oder polizeilichen Analysen lassen dies notwendig erschei-
nen, und bei welchen konkreten Anlässen in der Vergangenheit hat sich das

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/5015
Fehlen solcher Einsatzmöglichkeiten als Hindernis für die Kriminalitätsbe-
kämpfung erwiesen?

6. Welche konkreten Maßnahmen umfasst die im Abkommen geregelte Aus-
übung hoheitlicher Befugnisse für die jeweils ausländischen Polizisten im
jeweiligen Nachbarland?
a) Wie wird diese Kompetenzerweiterung begründet?
b) Bei welchen konkreten Anlässen in der Vergangenheit hat sich die feh-

lende Kompetenz zur Ausübung hoheitlicher Befugnisse als nachteilig
für die Kriminalitätsbekämpfung erwiesen?

7. Ist im deutsch-tschechischen Abkommen auch der Einsatz von jeweils aus-
ländischen Polizeibeamten bei Großereignissen im Nachbarland unter Aus-
übung hoheitlicher Befugnisse geregelt, und wenn ja,
a) aus welchen Erwägungen heraus,
b) inwiefern wird im Abkommen selbst oder von den beteiligten Regierun-

gen der Begriff des Großereignisses definiert,
c) können auch Demonstrationen als Großereignisse gewertet werden,

wenn ja, ab welcher Teilnehmerzahl, und inwiefern hält es die Bundes-
regierung für erforderlich, dass tschechische Polizisten in Sachsen oder
Bayern mit Schlagstöcken gegen Demonstranten vorgehen und deutsche
Polizisten vice versa in Tschechien,

d) bei welchen konkreten Anlässen in der Vergangenheit hat sich das Fehlen
solcher Einsatzmöglichkeiten für tschechische Polizeibeamte in Bayern
oder Sachsen als nachteilig erwiesen,

e) gilt die Befugnis zum Einsatz bei Großereignissen inklusive Ausübung
hoheitlicher Befugnisse auch für Angehörige eines in das Abkommen
allfällig eingebundenen tschechischen Geheimdienstes oder einer Poli-
zeibehörde mit geheimdienstlichen Befugnissen, und wenn ja, warum,
und welchen konkreten Nutzen verspricht sich die Bundesregierung da-
von?

8. Welche Art von Ordnungswidrigkeiten ist von der polizeilichen Zusammen-
arbeit im Abkommen eingeschlossen, und warum?

9. Welche Regelungen trifft das deutsch-tschechische Abkommen zum Ein-
satz von verdeckten Ermittlern, V-Leuten und der Durchführung von Obser-
vationen im jeweiligen Nachbarland, und bei welchen konkreten Anlässen
in der Vergangenheit hat sich das bisherige Fehlen solcher Befugnisse als
nachteilig für die Kriminalitätsbekämpfung erwiesen?

10. Sieht das deutsch-tschechische Abkommen auch einen Austausch der Infor-
mationen über die Routen und das Ausmaß illegaler Migration sowie über
Migrationsphänomene und die damit verbundenen Rechtsvorschriften vor,
und wenn ja,
a) welche Art von Informationen sollen dies sein,
b) können dies auch von Geheimdiensten übermittelte Informationen sein,
c) welchem Ziel soll der Informationsaustausch dienen,
d) inwiefern sollen dabei auch personenbezogene oder personenbeziehbare

Informationen ausgetauscht werden?
11. Welche Art von Informationen über die Routen und das Ausmaß illegaler

Migration sowie über Migrationsphänomene und die damit verbundenen
Rechtsvorschriften werden im Rahmen des deutsch-polnischen Abkom-
mens ausgetauscht?

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a) Können dies auch von Geheimdiensten übermittelte Informationen sein?
b) Welchem Ziel soll der Informationsaustausch dienen?
c) Inwiefern sollen dabei auch personenbezogene oder personenbeziehbare

Informationen ausgetauscht werden?
12. Lagen der Erweiterung des räumlichen Einsatzgebietes im deutsch-polni-

schen Abkommen
a) kriminologische oder polizeiliche Analysen (wenn ja, bitte ausführen)

oder
b) konkrete Anlässe in der Vergangenheit zugrunde, dass sich das Fehlen

solcher Einsatzmöglichkeiten als Hindernis für die Kriminalitätsbe-
kämpfung erwiesen (wenn ja, bitte detailliert ausführen, und wenn nein,
bitte begründen, warum die Vereinbarung nicht auf die unmittelbare
Grenzregion begrenzt ist)?

13. Welchen konkreten Nutzen verspricht sich die Bundesregierung etwa von
einer gemeinsamen polnisch-deutschen Streife in Leipzig, Wittstock oder
Brandenburg/Havel?
Wenn sie sich davon keinen Nutzen verspricht, warum ist dann die diesbe-
zügliche Vereinbarung nicht auf die unmittelbare Grenzregion begrenzt?

14. Aus welchen Erwägungen heraus wurde im deutsch-polnischen Abkommen
der Einsatz polnischer Polizisten sowie Angehöriger des Inlandsgeheim-
dienstes bei Großereignissen in Deutschland unter Ausübung hoheitlicher
Befugnisse geregelt?
a) Wie wird im beiderseitigen Verständnis der beteiligten Behörden der Be-

griff „Großereignis“ definiert?
b) Können auch Demonstrationen als Großereignisse gewertet werden,

wenn ja, ab welcher Teilnehmerzahl, und inwiefern hält es die Bundes-
regierung für erforderlich, dass polnische Polizisten in Deutschland ggf.
mit Schlagstöcken gegen Demonstranten vorgehen und deutsche Polizis-
ten vice versa in Polen?

c) Bei welchen konkreten Anlässen in der Vergangenheit hat sich das Feh-
len solcher Einsatzmöglichkeiten für polnische Polizeibeamte in ganz
Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin und Sachsen als nach-
teilig erwiesen?

15. Wie können Personen, die von Maßnahmen des polnischen und ggf. tsche-
chischen Geheimdienstes in Deutschland betroffen sind, nach Auffassung
der Bundesregierung sicherstellen, dass ihre Grundrechte gewahrt werden?
Welche Möglichkeiten und Befugnisse haben die am Abkommen beteiligten
deutschen Polizeibehörden, die Tätigkeit des ausländischen Geheimdiens-
tes effektiv zu kontrollieren?

Berlin, den 21. Mai 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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