BT-Drucksache 18/4943

Evaluierung des Dritten Conterganstiftungsänderungsgesetzes

Vom 19. Mai 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4943
18. Wahlperiode 19.05.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katrin Werner, Sigrid Hupach, Ralph Lenkert, Cornelia Möhring,
Norbert Müller (Potsdam), Dr. Petra Sitte, Jörn Wunderlich und der Fraktion
DIE LINKE.

Evaluierung des Dritten Conterganstiftungsänderungsgesetzes

Das Dritte Änderungsgesetz zum Conterganstiftungsgesetz wurde am 29. Juni
2013 im Bundesgesetzblatt verkündet und trat am 1. August 2013 in Kraft. Da-
mit wurden die monatlichen Conterganrenten rückwirkend zum 1. Januar 2013
deutlich angehoben (der maximale Höchstbetrag versechsfacht – auf knapp
7 000 Euro). Zusätzlich stehen für die betroffenen Menschen 30 Mio. Euro für
spezifische Bedarfe auf Antrag bereit. Laut dem Gesetz hat die Bundesregierung
im Jahr 2015 dem Deutschen Bundestag einen Bericht über die Auswirkungen
des Gesetzes sowie über die gegebenenfalls notwendige Weiterentwicklung die-
ser Vorschriften vorzulegen. Während die Leistungsempfängerinnen und Leis-
tungsempfänger generell die Anhebung der Renten auf ein angemessenes
Niveau begrüßen, äußern sie zunehmend Kritik an der unzureichenden Vertre-
tung ihrer Interessen in den Gremien der Stiftung. Anlass dazu gibt zum einen
die weite Spannbreite der Schadensbilder, aber auch die Vielfältigkeit von Le-
benserfahrung und Bildung der Leistungsempfängerinnen und Leistungsemp-
fänger und nicht zuletzt die individuellen Unterschiede im Hinblick auf ihre der-
zeitigen Lebenssituationen in der Bundesrepublik Deutschland und in anderen
Ländern. Gefordert wird eine direkte Wahl einer größeren Zahl von Contergan-
geschädigten in den Stiftungsrat und den Vorstand der Conterganstiftung. Ziel
soll es sein, dass die Betroffenen weitgehend selbst über ihre Angelegenheiten
entscheiden können, wie dies etwa bei den entsprechenden Institutionen in Japan
und in England schon seit langem der Fall ist. Betroffene klagen in Anfragen an
die Fraktionen, auch über www.abgeordnetenwatch.de, den Familienausschuss
des Deutschen Bundestages und an das Bundesministerium für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend über die mangelnde Mitsprache bei der Entscheidung
über die „Spezifischen Bedarfe“. Beantragte Bedarfe würden oft aus nicht
nachvollziehbaren Gründen abgelehnt oder nicht anerkannt. Es fehle auch an
verbindlichen Vereinbarungen zwischen der Conterganstiftung und anderen
Kosten- bzw. Rehabilitationsträgern, wie beispielsweise der Deutschen Renten-
versicherung hinsichtlich notwendiger Rehabilitationsmaßnahmen. Außerdem
würden die Antrags- und Widerspruchsverfahren teils viel zu lange Zeit in An-
spruch nehmen. Weiterhin wird kritisiert, dass bestimmte Schädigungen nicht
in die Berechnungen der Conterganrenten mit einbezogen werden, da die Con-
terganstiftung diese nicht anerkennt. Es stellen sich somit viele offene Fragen,
die im Jahr der Evaluierungspflicht der Bundesregierung durch diese beantwor-
tet werden sollten.

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Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Konsequenzen und Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung

aus dem vor knapp zwei Jahren verabschiedeten Dritten Conterganstiftungs-
änderungsgesetz?

2. Welche Auswirkungen hatte dieses Gesetz nach Einschätzung der Bundes-
regierung auf die Lebensgestaltung der betroffenen Menschen und deren
Teilhabe am gesamtgesellschaftlichen Leben?

3. Welche Verbesserungen ergaben sich, und welche Probleme traten aus Sicht
der Bundesregierung auf?

4. Wie wird die Bundesregierung den Prozess zur Evaluierung des Dritten
Conterganstiftungsänderungsgesetzes gestalten, und inwieweit werden die
Expertinnen und Experten in eigener Sache, die contergangeschädigten
Menschen und ihre Interessensorganisationen aktiv eingebunden und betei-
ligt?
Welchen konkreten Zeitplan gibt es hierfür, und wird es eine unabhängige
Bewertung des Gesetzes durch externe Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler geben?

5. Was muss aus Sicht der Bundesregierung im Rahmen der Evaluierung des
Dritten Conterganstiftungsänderungsgesetzes beachtet werden?
Welche gesetzlichen Regelungen, Vereinbarungen oder andere Maßnahmen
sollten überprüft und diskutiert werden?

6. In welcher Art und Weise wird die Bundesregierung die Zusammensetzung
des Vorstandes der Conterganstiftung in Richtung des von CDU, CSU und
SPD selbst in ihrem Koalitionsvertrag für die 18. Wahlperiode verankerten
Mottos „Nichts über uns ohne uns“ umgestalten, so dass die contergange-
schädigten Menschen und ihre Organisationen eine Stimmenmehrheit im
Vorstand erhalten?

7. Welche Veränderungen sollten nach Ansicht der Bundesregierung vorge-
nommen werden, um die Vertretung der Interessen der Betroffenen im Stif-
tungsrat zu verbessern?
Sollte die Zahl der Betroffenenvertreterinnen und -vertreter erhöht werden,
so dass sie auch hier die Mehrheit der Mitglieder stellen?

8. Welche Verpflichtungen hat die Bundesregierung gegenüber im Ausland
lebenden contergangeschädigten Menschen?

9. Wie viele contergangeschädigte Menschen gibt es in der Bundesrepublik
Deutschland nach Kenntnis der Bundesregierung, und für wie viele ist sie
im Ausland verantwortlich?

10. Wie viele Anträge auf Gewährung einer Conterganrente wurden nach In-
krafttreten des Dritten Conterganstiftungsänderungsgesetzes bis zum April
2015 gestellt?
Wie viele Anträge wurden davon mit welcher Begründung abgelehnt oder
nur zum Teil positiv beschieden, und wie viele wurden vollständig geneh-
migt?

11. Wie viele Anträge wurden seit Inkrafttreten des Dritten Conterganstiftungs-
änderungsgesetzes auf Gewährung von spezifischen Bedarfen bis April
2015 gestellt?
Wie viele wurden davon mit welcher Begründung abgelehnt oder nur zum
Teil positiv beschieden, und wie viele wurden vollständig genehmigt?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4943
12. Wie viele Klagen gegen die Conterganstiftung haben die Antragstellerinnen
und Antragsteller in diesem Zusammenhang eingereicht?
Wie viele dieser Gerichtsverfahren führten zur Bewilligung oder teilweisen
Bewilligung der beantragten Bedarfe?

13. Wie hoch ist der Betrag, der seit Inkrafttreten des Dritten Conterganstif-
tungsänderungsgesetzes von den für spezifische Bedarfe bereitgestellten
30 Mio. Euro an die Betroffenen bis zum April 2015 ausgezahlt wurde?

14. Wie lange dauerten das schnellste sowie das längste Antragsverfahren, und
wie gestaltet sich die durchschnittliche Laufzeit der Antragsverfahren (von
der Antragseinreichung bis zur Ablehnung oder Gewährung)?

15. Erachtet die Bundesregierung es als notwendig, die Antragsverfahren trans-
parenter und im Sinne der contergangeschädigten Menschen praktikabler
auszugestalten, beispielsweise die von Betroffenen geschilderte Regelung
abzuschaffen, dass teils jedes Jahr für bestimmte, offensichtlich dauerhaft
benötigte Behandlungen bzw. Maßnahmen eine ärztliche Bescheinigung
oder Verordnung eingereicht werden muss?
Wenn ja, wie und wann soll dies vorgenommen werden?
Wenn nein, warum nicht?

16. Werden im Zusammenhang mit der Gewährung von spezifischen Bedarfen
auch monatliche Pauschalzahlungen an die Leistungsempfängerinnen und
Leistungsempfänger in Betracht gezogen und diskutiert?
Wenn ja, wie sollen diese ausgestaltet werden?
Wenn nein, warum nicht?

17. Wie hat sich aus Sicht der Bundesregierung der Positiv- bzw. Negativ-
katalog bewährt, oder sollte dieses Katalogsystem abgeschafft und durch
eine nach Auffassung der Fragesteller bedarfsgerechte Gewährung ersetzt
werden?

18. Warum werden beispielsweise barrierefreie Umbauten in der Wohnung oder
eines Pkw nicht gewährt?

19. Gibt es seitens der Conterganstiftung verbindliche und transparente Ver-
einbarungen mit anderen Kostenträgern bzw. Rehabilitationsträgern (Ren-
tenversicherung, Krankenkassen usw.), damit den Antragstellerinnen und
Antragstellern die benötigten Leistungen zügig bereitgestellt werden?
Wenn ja, wie läuft dieses Verfahren konkret ab?
Wenn nein, warum nicht, und werden hier entsprechende Maßnahmen er-
griffen?

20. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, bei denen es Beschwerden gegen-
über den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Conterganstiftung wegen
unangemessenen und menschenunwürdigen Verhaltens gegenüber den An-
tragstellerinnen und Antragstellern gab?
Wenn ja, was plant die Bundesregierung, beispielsweise in Form von Sensi-
bilisierungsschulungen für das Stiftungspersonal, damit so etwas nicht mehr
passiert?

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21. Wird die Bundesregierung eine Studie zur Prüfung möglicher vorgeburt-
licher Schäden des Gefäßsystems nach der Einnahme von Contergan in der
Schwangerschaft (sogenannte Gefäßstudie) in Auftrag geben?
Wie werden die contergangeschädigten Menschen und ihre Interessensver-
bände an diesem Entscheidungsprozess partizipieren?
Wenn ja, wer wird diese Studie durchführen, und wie soll dieses Verfahren
konkret ausgestaltet werden?

Berlin, den 18. Mai 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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