BT-Drucksache 18/4917

Einrichtung eines sogenannten Anti-Terror-Zentrums bei Europol und die Verarbeitung geheimdienstlicher Informationen

Vom 12. Mai 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4917
18. Wahlperiode 12.05.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth,
Ulla Jelpke, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Petra Pau,
Harald Petzold (Havelland), Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und
der Fraktion DIE LINKE.

Einrichtung eines sogenannten Anti-Terror-Zentrums bei Europol und
die Verarbeitung geheimdienstlicher Informationen

Auch die Europäische Kommission schlägt mittlerweile die Einrichtung eines
„EU-Anti-Terror-Zentrums“ („European Counter Terrorism Centre“, ECTC)
vor („Europäische Agenda für Sicherheit“ vom 28. April 2015). Das Papier
beschreibt die „wichtigsten Prioritäten und Maßnahmen für den Zeitraum
2015-2020“. Bisher war ein solches Zentrum lediglich vom Anti-Terrorismus-
Beauftragten der EU befürwortet worden (www.statewatch.org/news/2015/jan/
eu-council-ct-ds-1035-15.pdf). Vor einem Monat hatte schließlich Europol
selbst für ein ECTC geworben (www.statewatch.org/news/2015/apr/eu-council-
europol-exchange-of-intelligence-7272-15.pdf). Die Polizeiagentur will auf
diese Weise auch geheimdienstliche Informationen („intelligence data“) spei-
chern und analysieren. Europol will dadurch „zentrale Nachrichtenlücken“
(„key intelligence gaps“) schließen. Nur eine Woche nach dem Europol-Pa-
pier hat auch die Justiz-Agentur Eurojust einen offensichtlich abgestimmten,
gleichlautenden Vorschlag zur Verarbeitung von „intelligence data“ gemacht
(www.statewatch.org/news/2015/apr/eu-councl-eurojust-info-exchange-7445-
15.pdf). Europol will sogar zum „vorrangigen Informationskanal“ für „intelli-
gence data“ werden. Die Daten würden von Geheimdiensten der Mitgliedstaaten
angeliefert. In Deutschland wäre dies das Bundesamt für Verfassungsschutz
(BfV). Derzeit darf Europol keine als „Geheim“ oder „Vertraulich“ eingestuften
Daten verarbeiten. Das könnte sich laut dem Europol-Papier ändern: Das „EU-
Anti-Terror-Zentrum“ soll abgeschottete, abhörsichere Hochsicherheitstrakte
erhalten. Dies wäre nötig, um die Anforderungen für die Verarbeitung als ver-
traulich oder geheim eingestufter Informationen zu erfüllen. Europol begründet
seine Vorschläge mit mehreren früheren Aufforderungen des Rates, seine An-
strengungen zum Informationsaustausch unter den Mitgliedstaaten zu verstär-
ken. Auch in den Beschlüssen zur Einrichtung des Schengener Informations-
systems, des SWIFT-Abkommens oder des Abkommens zum Tausch von Flug-
gastdaten tauchen Formulierungen zur Verarbeitung von „intelligence data“ auf.
Aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller waren diese aber womöglich
gar nicht als Aufforderung zum Aufbau einer geheimdienstlichen Kriminal-
polizei gedacht. Es fehlt an einer einheitlichen begrifflichen Definition von „in-
telligence data“.

Drucksache 18/4917 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Hinsichtlich welcher Defizite sieht die Bundesregierung einen Bedarf, den

Informationsaustausch oder die Zusammenarbeit von Polizeibehörden auf
europäischer Ebene bzw. auf Ebene der Europäischen Union zu verbessern?

2. Welche Maßnahmen hält sie deshalb für geeignet?
3. Hinsichtlich welcher Defizite sieht die Bundesregierung einen Bedarf, den

Informationsaustausch oder die Zusammenarbeit von Geheimdiensten auf
europäischer Ebene bzw. auf Ebene der Europäischen Union zu verbessern?

4. Welche Maßnahmen hält sie deshalb für geeignet?
5. Welche dieser Defizite hinsichtlich des Informationsaustausches oder der

Zusammenarbeit mit europäischen Polizeien und bzw. oder Geheimdiensten
könnten aus Sicht der Bundesregierung auf Ebene eines „EU-Anti-Terror-
Zentrums“ ausgeglichen werden?

6. Welche über die „Europäische Agenda für Sicherheit“ hinausgehenden
Details sind der Bundesregierung hinsichtlich der Pläne für ein „EU-Anti-
Terror-Zentrum“ bekannt?

7. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, ob bei Europol oder bei der
Europäischen Kommission bereits mit der Umsetzung der Pläne (auch For-
schungen, Studien oder Gutachten) begonnen wurde?

8. Wie hat sich die Bundesregierung gegenüber dem Anti-Terrorismus-Beauf-
tragten der EU, der Europäischen Kommission, in Ratsarbeitsgruppen oder
bei Europol hinsichtlich der Einrichtung eines „EU-Anti-Terror-Zentrums“
positioniert?

9. Welche Punkte sprechen aus Sicht der Bundesregierung im Einzelnen für
eine etwaige Ablehnung des Vorhabens?

10. Welche Einstufungen tragen vertrauliche Dokumente, die von deutschen
Behörden an Europol zur Speicherung und Analyse weitergegeben werden?

11. Mit welchem Personal aus welchen Abteilungen ist das Bundeskriminal-
amt bei Europol als Aktionsleiter des Projekts „Konsolidierung einer Inter-
netauswertungskoordinierungsgruppe“ beteiligt (Bundestagsdrucksache
18/4286)?
a) Welche „Internetauswertegruppen“ welcher Behörden aus Spanien, Nor-

wegen, der Schweiz, von Europol und Eurojust sind nach Kenntnis der
Bundesregierung an dem von ihren Behörden geleiteten Projekt betei-
ligt?

b) Wann und wo haben bereits Treffen des Projekts „Konsolidierung einer
Internetauswertungskoordinierungsgruppe“ stattgefunden, und was
wurde dort besprochen?

12. Mit welchem Personal aus welchen Abteilungen ist das Bundeskriminalamt
bei Europol als Aktionsleiter des Projekts „Maßnahmen gegen inkriminierte
Kommunikationsplattformen“ beteiligt (Bundestagsdrucksache 18/4286)?
a) Welche Behörden aus Griechenland und Spanien sowie von Europol sind

nach Kenntnis der Bundesregierung an dem von ihren Behörden geleite-
ten Projekt beteiligt?

b) Wann und wo haben bereits Treffen des Projekts „Maßnahmen gegen in-
kriminierte Kommunikationsplattformen“ stattgefunden, und was wurde
dort besprochen?

13. Inwiefern hält es die Bundesregierung für sinnvoll, dass Europol auch ge-
heimdienstliche Daten („intelligence data“) speichern und analysieren darf?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4917
14. Was genau ist aus Sicht der Bundesregierung mit dem Begriff erfasst bzw.
nicht erfasst?

15. Wie definiert die Bundesregierung die in Beschlüssen zur Einrichtung des
Schengener Informationssystems, des SWIFT-Abkommens oder des Ab-
kommens zum Tausch von Fluggastdaten beschriebenen Formulierungen
zur Verarbeitung von „intelligence data“?

16. Wie hat sich die Bundesregierung gegenüber dem Anti-Terrorismus-Be-
auftragten der EU, der Europäischen Kommission, in Ratsarbeitsgruppen
oder bei Europol hinsichtlich der Forderung der Polizeiagentur sowie der
Agentur für justizielle Zusammenarbeit Eurojust, geheimdienstliche Daten
(„intelligence data“) verarbeiten zu dürfen, positioniert?

17. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Auffassung von Europol bzw. Euro-
just, dadurch „zentrale Nachrichtenlücken“ („key intelligence gaps“) schlie-
ßen zu können?

18. Sofern die Bundesregierung hier anderer Ansicht ist, auf welche andere
Weise sollten „zentrale Nachrichtenlücken“ aus ihrer Sicht geschlossen
werden?

19. Inwiefern wäre aus Sicht der Bundesregierung durch die Verarbeitung ge-
heimdienstlicher Daten („intelligence data“) bei Europol das in Deutschland
geltende Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten berührt?

20. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, ob bei Europol oder bei der
Europäischen Kommission bereits mit der Umsetzung der Pläne, auch ge-
heimdienstliche Daten („intelligence data“) verarbeiten zu dürfen (auch
Forschungen, Studien oder Gutachten), begonnen wurde?

21. Inwiefern ist das Bundeskriminalamt mit den Agenturen Europol und Fron-
tex im gemeinsamen Operationsteam JOT MARE auch damit befasst, im
Rahmen der Sammlung von „Erkenntnisse[n] über kriminelle Organisatio-
nen“ auch Informationen über Schiffe und Boote zu gewinnen, die „für die
illegale Verbringung von Migranten auf dem Seeweg in die Europäische
Union“ genutzt werden (Pressemitteilung Europol vom 17. März 2015)?
a) Inwiefern werden im JOT MARE nach Kenntnis der Bundesregierung

auch Daten aus der Telekommunikationsüberwachung und der Rückver-
folgung von Finanzströmen verarbeitet?

b) Wie viele solcher Daten wurden seit Gründung des JOT MARE durch
das Bundeskriminalamt angeliefert?

22. Welche Bundesbehörden haben seit wann mit Europol im Rahmen der Ver-
haftung von fünf Fluchthelfern im Januar 2015 und drei Fluchthelfern am
6. Mai 2015 zusammengearbeitet (RP Online vom 6. Mai 2015)?
a) Im Rahmen welcher Focal Points oder sonstiger Zusammenarbeitsfor-

men wurde hierzu mit Europol kooperiert?
b) Mit welchem Personal und welcher Technik war Europol bei den Fest-

nahmen oder anderen polizeilichen Maßnahmen beteiligt?
23. An welchen europäischen Zusammenschlüssen von Inlandsgeheimdiensten

ist das BfV beteiligt?
24. Welche weiteren europäischen oder sonstigen Geheimdienste koordinieren

sich nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit in der „Counter Terrorism
Group“ (CTG)?

25. Welche weiteren europäischen oder sonstigen Geheimdienste koordinieren
sich nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit im „Berner Club“?

Drucksache 18/4917 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
26. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, ob die Vorschläge von Euro-
pol und Eurojust bzw. dem Anti-Terrorismus-Beauftragten der EU und der
Europäischen Kommission zum Austausch geheimdienstlicher Daten und
zur Einrichtung eines „EU-Anti-Terror-Zentrums“ im Rahmen der CTG
oder des „Berner Clubs“ erörtert oder verteilt wurden?
a) Welches Ergebnis ist der Bundesregierung aus entsprechenden Diskus-

sionen bekannt?
b) Welche Haltung hat die Bundesregierung im Rahmen der CTG oder des

„Berner Clubs“ hierzu vorgetragen?

Berlin, den 12. Mai 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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