BT-Drucksache 18/4736

Einsatz von Dispergatoren in der Nord- und Ostsee

Vom 22. April 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4736
18. Wahlperiode 22.04.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Dr. Tobias Lindner, Steffi Lemke, Peter
Meiwald, Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Tabea Rößner, Markus Tressel
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Einsatz von Dispergatoren in der Nord- und Ostsee

Der Einsatz von Chemikalien zum Ölabbau bei Ölunfällen, sogenannten Disper-
gatoren, ist nach den zurzeit öffentlich zugänglichen Informationen von der
Bundesregierung nicht vorgesehen. Dispergatoren sind Chemikaliengemische,
die zur Beschleunigung oder auch Ermöglichung der Dispergierung von Ölver-
schmutzungen im Wasser eingesetzt werden. Damit soll – so zumindest der
theoretische Ansatz – das Öl von der Wasseroberfläche entfernt, fein im Wasser
verteilt und so für ölabbauende Mikroorganismen verfügbar gemacht werden.
Ein Nachteil ist, dass im Wasser fein verteiltes Öl nicht mehr an der Wasserober-
fläche treibt und dort aufgenommen werden kann, sondern sich unerreichbar auf
die gesamte Wassersäule verteilt und zeitlich versetzt an die Küsten gespült
wird.
Niedrige Wassertiefen, wie vor der deutschen Nordseeküste und im Wattenmeer,
führen zu höheren Konzentrationen des zerstäubten Ölchemikaliengemisches.
Das bewirkt eine höhere Giftwirkung und fördert die zusätzliche Kontaminie-
rung des Meeresbodens. In sauerstoffarmen Seegebieten, wie der Ostsee, in
denen kein natürlicher vollständiger Wasseraustausch stattfindet, kann durch
den stark sauerstoffzehrenden Ölabbau durch Mikroorganismen der gesamte
Sauerstoff im Wasser verbraucht werden. Neben der Gefährdung des gesamten
marinen Nahrungsnetzes, ist eine Schädigung wirtschaftlich relevanter Fisch-
bestände und touristischer Anziehungspunkte entlang der Küste zu befürchten.
Zur Dispergierung ist zusätzlich zum Dispergatoreneinsatz mechanische Ener-
gie erforderlich. Auf See wird diese von der Wellenenergie aufgebracht, so dass
zum sinnvollen Dispergatoreneinsatz ein Mindestseegang erforderlich ist. Bei
hohem Seegang ist der Dispergatoreneinsatz ebenfalls nicht mehr sinnvoll, da
hier die natürliche Dispergierung ausreichend schnell abläuft.
In Deutschland wird bisher der Einsatz von Dispergatoren aufgrund der geolo-
gischen Besonderheiten (Wassertiefe und Wasseraustausch), der ökologischen
Besonderheiten (Wattenmeer, sauerstoffarme Ostsee) sowie des begrenzten Ein-
satzbereichs (Mindest- und Maximal-Wellenhöhe) mit einem breiten Konsens
von Umweltverbänden, Umweltfachleuten aus Politik und Verwaltung sowie
Ölbekämpfern als umweltgefährdende, weil ölverteilende PR-Aktivität (PR:
Public Relations; Öffentlichkeitsarbeit) abgelehnt. Stattdessen wird die mecha-
nische Bekämpfung durch den Einsatz von Ölsperren und Ölunfallbekämp-
fungsschiffen durchgeführt, um das ausgetretene Öl aufzunehmen und umwelt-
verträglich an Land zu entsorgen.

Drucksache 18/4736 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
In der Anlage zum Schreiben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale
Infrastruktur (BMVI) an den Rechnungsprüfungsausschuss „Reorganisation des
Such- und Rettungsdienstes (SAR-Dienst) in Deutschland“ vom 26. Februar
2015 heißt es unter anderem:
„Das Einsatzkonzept mit Transporthubschraubern sieht insbesondere folgendes
vor: Es ist notwendig, ausgetretenes Öl in Ausnahmesituationen durch eine
schnelle und gezielte Ausbringung von Dispergiermittel zu bekämpfen. Diese
werden mittels sogenannter Spraybuckets, die als Außenlast unter dem Hub-
schrauber hängen, punktuell ausgebracht, um eine hohe Effektivität bei geringst
möglicher Beeinträchtigung der Umwelt zu gewährleisten. Das Gewicht des ge-
füllten Spraybuckets liegt bei ca. 1 300 kg und die Ausbringeeinheit wird aus
dem Helikopter bedient.“

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Bei welchen Ölaustrittsszenarien (Seegebiet, Art des austretenden Öls, Um-

weltbedingungen – Seegang, Wind, Wassertemperatur –, Austrittsmenge,
Driftrichtung) hat die Bundesregierung seit wann aus welchem Grund und in
welchem Umfang (vorgesehene Dispergatorenmenge und Dosierung, Aus-
bringungszeitpunkt, Zeitfenster, Einsatzmittel für die Ausbringung) den Ein-
satz welcher Dispergatoren (Typ, Zulassung) bei der Bekämpfung von Öl-
unfällen in den deutschen Hoheitsgewässern oder der deutschen Ausschließ-
lichen Wirtschaftszone (AWZ) vorgesehen?

2. Durch wen soll unter Berücksichtigung welcher einsatztaktischen, techni-
schen und umweltrelevanten Rahmenbedingungen unter Einbeziehung wel-
cher Fachleute der Einsatz von Dispergatoren angeordnet werden?

3. Ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Erfolg einer mechanischen Auf-
nahme des ausgetretenen Öls nach dem Einsatz von Dispergatoren einge-
schränkt?
Wenn ja, warum, und in welchem Maße, und wenn nein, warum nicht?

4. Wie lange dauert nach Kenntnis der Bundesregierung die komplette Zerset-
zung der als Dispergatoren eingesetzten Chemikalien in der Umwelt unter
den in der Deutschen Bucht und der südwestlichen Ostsee vorherrschenden
Umweltbedingungen?

5. Wie lange dauert nach Kenntnis der Bundesregierung der komplette „Abbau“
von dem in der Wassersäule fein verteilten Öl, dessen Feinverteilung durch
einen Dispergatoreneinsatz unterstützt wurde, in der Umwelt unter den in der
Deutschen Bucht und der südwestlichen Ostsee vorherrschenden Umwelt-
bedingungen?

6. Wie kann nach Kenntnis der Bundesregierung verhindert werden, dass nach
dem Einsatz von Dispergatoren Wasser, in dem fein verteiltes Öl enthalten ist,
in das Weltnaturerbe Wattenmeer oder in die geschützten Boddengewässer
der Ostsee gelangt und dort die Flora und Fauna schädigt?

7. Welche Umweltfolgen hat nach Kenntnis der Bundesregierung der Einsatz
von Dispergatoren bei der Bekämpfung von Ölunfällen in der Nordsee für die
Flora und Fauna des Weltnaturerbes Wattenmeer beziehungsweise in den ge-
schützten Boddengewässern der Ostsee?

8. Welche Umweltfolgen hat nach Kenntnis der Bundesregierung das in der
Wassersäule nach dem Einsatz von Dispergatoren fein verteilte Öl für die
Flora und Fauna, wenn dieses Chemikalien-Öl-Wasser-Gemisch in das Welt-
naturerbe Wattenmeer bzw. die geschützten Boddengewässer der Ostseeküste
gelangt?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4736
9. Welchen Einsatzerfolg und welche Umweltfolgen hatte nach Kenntnis der
Bundesregierung der Einsatz von Dispergatoren bei der Bekämpfung der
Ölaustritte von
a) 117 000 Tonnen Rohöl bei der Havarie des beladenen Tankers „Torrey

Canyon“ im Jahr 1967 vor Cornwall,
b) 37 000 Tonnen Rohöl bei der Havarie des beladenen Tankers „Exxon

Valdez“ im Jahr 1989 in Alaska,
c) 72 000 Tonnen Rohöl bei der Havarie des beladenen Tankers „Sea Em-

press“ im Jahr 1996 vor dem walisischen Milford Haven,
d) 670 000 Tonnen Rohöl bei der Havarie der Ölbohrplattform „Deepwater

Horizon“ im Jahr 2010 im Golf von Mexiko?
10. Ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Einsatz von Dispergatoren zur

Ölunfallbekämpfung mit der im Jahr 2008 in Kraft getretenen Europäischen
Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL 2008/56/EG) vereinbar, nach der
die Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgefordert sind, „die notwen-
digen Maßnahmen zu ergreifen, um spätestens bis zum Jahr 2020 einen guten
Zustand der Meeresumwelt zu erreichen oder zu erhalten und vorrangig an-
zustreben, seinen Schutz und seine Erhaltung auf Dauer zu gewährleisten und
eine künftige Verschlechterung zu vermeiden“ (www.meeresschutz.info)?

Berlin, den 22. April 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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