BT-Drucksache 18/4710

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD - Drucksachen 18/4087, 18/4705 - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG-Änderungsgesetz - GVVG-ÄndG)

Vom 22. April 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4710
18. Wahlperiode 22.04.2015

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke,
Katrin Kunert, Petra Pau, Harald Petzold (Havelland), Martina Renner, Kersten Steinke,
Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
– Drucksachen 18/4087, 18/4705 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung
von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten
(GVVG-Änderungsgesetz – GVVG-ÄndG)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Rechtsstaat wandelt sich zunehmend in einen Präventionsstaat. Das zeigt sich
neben dem Ausbau von Überwachungsinstrumenten in der Strafprozessordnung und
im Gefahrenabwehrrecht sowie im Recht der Geheimdienste besonders deutlich im
Bereich des Terrorismusstrafrechts. Mit der Einführung des § 129a StGB 1976, der
die Gründung, Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung
unter Strafe stellt, begann eine Entwicklung weg von Tatstrafrecht und Schuldprin-
zip hin zu einer Verpolizeilichung des Strafrechts. Schon damals wurde in der Straf-
rechtsliteratur zur Antiterrorgesetzgebung gewarnt: „Wenn der Gesetzgeber auf dem
eingeschlagenen Weg fortschreitet, wird er den freiheitlichen Rechtsstaat zu Tode
schützen“ (so Dahs in Das „Anti-Terroristen-Gesetz“- eine Niederlage des Rechts-
staats, NJW 1976, 2145(2151)). Seit dem hat das Terrorismusstrafrecht viele Ver-
schärfungen erfahren, u. a. mit der Einfügung des § 129b StGB 2002 und dem Gesetz
zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten
(GVVG) 2009, dass nun durch das Gesetz zur Änderung der Verfolgung der Vorbe-
reitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG-ÄndG) auch noch er-
weitert werden soll. Das GVVG wurde von der damaligen Großen Koalition gegen
die Stimmen der Opposition aus DIE LINKE., FDP und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN beschlossen, die Einwände aus der Strafrechtsliteratur und -praxis wur-
den ignoriert. Mit dem GVVG-ÄndG geht die Bundesregierung nun noch einen
Schritt weiter und missachtet erneut die überwiegend kritischen Stimmen der Exper-
tinnen und Experten.

Drucksache 18/4710 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Schon bei den Paragraphen 129a und 129b StGB stellt sich die Problematik, dass
Handlungen erfasst werden, die noch keinen unmittelbaren Zusammenhang zu ei-
nem möglichen Anschlag aufweisen und einer Gefährdung von Personen noch sehr
weit vorgelagert sind. Diese Vorschriften dienen als Türöffner für weitreichende Er-
mittlungsmaßnahmen und führen überproportional häufig zu Einstellungen wie zum
Beispiel im Fall der jahrelangen haltlosen Überwachung des Berliner Soziologiedo-
zenten Andrej H.
Darüber noch hinausgehende Legitimationsdefizite weisen das GVVG und wiede-
rum verstärkt das jetzt von der Bundesregierung vorgelegte GVVG-ÄndG auf.
Mit dem GVVG wurde beispielsweise schon die Kontaktaufnahme zu einer terroris-
tischen Vereinigung unter Strafe gestellt. Es reicht also eine belanglose E-Mail an
einen Terrorverdächtigen aus, um in den Fokus der Strafverfolgungsbehörden zu ge-
raten, wenn sie terroristische Motive unterstellen. Zudem stellt es Vorbereitungs-
handlungen wie den Besuch eines sog. Terrorcamps oder das Erlernen von für An-
schläge nützlichen Fertigkeiten unter Strafe.
Diese weite Vorverlagerung der Strafbarkeit insbesondere auch auf neutrale Hand-
lungen unter primärer Anknüpfung an die Motivation befand selbst die damalige
Justizministerin Zypries als problematisch und gestand ein, dass das von ihr verant-
wortete GVVG „verfassungsrechtlich auf Kante genäht“ sei.
Die eigens von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zur Überprüfung der
Sicherheitsgesetzgebung in Deutschland wies 2013 auf die Problemlage hin und for-
dert eine strafverfolgungspraktische, verfassungsrechtliche und rechtspolitische
Überprüfung des GVVG.
Statt diese nun mehrere Jahre nach der letzten Studie und etlicher abgeschlossener
Ermittlungsverfahren durchzuführen, wird die Erweiterung des Gesetzes beschlos-
sen. Auch das zeigt, dass es der Bundesregierung vor allem darum geht, die billige
Beruhigungspille des Strafrechts zu bemühen, statt eine wissenschaftlich fundierte
und praxistaugliche Terrorismusbekämpfung zu betreiben.
Das nun vorgelegte GVVG-ÄndG verschärft die erwähnte Problematik noch, denn
mit dem § 89a Abs. 2a StGB n. F. soll u. a. die Ausreise und schon der Ausreisever-
such in ein sog. Terrorcamp und damit die Vorbereitung einer Vorbereitungshand-
lung bestraft werden. So sollen Personen, die ein Flugticket z. B. in den Irak, nach
Syrien, in ein Transitland wie die Türkei oder gar in ein sonstiges z. B. europäisches
Land, in dem für einen Anschlag nützliche Fertigkeiten wie die Flugzeugführung
erlernt werden können, kaufen oder sich mit dem Pkw mit entsprechendem Ziel auf
die Reise begeben und den Sicherheitsbehörden terrorverdächtig erscheinen, schon
vor der Ausreise aus Deutschland festgenommen werden können. Außerdem schafft
der Gesetzentwurf mit § 89c StGB einen neuen einheitlichen Tatbestand der Terro-
rismusfinanzierung, der jeden Kleinstbetrag erfassen soll. Mit dem GVVG-ÄndG
werden also nunmehr nur noch Handlungsweisen erfasst, die objektiv völlig neutral
und alltäglich sind wie eine Reise ins Ausland oder das Überweisen von Geld.
Diese Vorschriften verletzten durch die weite Vorverlagerung der Strafbarkeit vor
eine auch nur konkrete Gefährdung von Personen und der Kriminalisierung neutraler
Handlungen wichtige Grundsätze die Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips aus Artikel
20 Absatz 3 des Grundgesetzes sind. Das betrifft die Grundsätze des Tatstrafrechts,
des Schuldprinzips sowie des Strafrechts als letztes Mittel zur Herstellung des
Rechtsfriedens (ultima-ratio-Prinzip) und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das
Vorhaben ist daher verfassungswidrig.
Das Strafrecht dient originär der Aufklärung und Verfolgung von begangenen Straf-
taten. So werden auch weitreichende Grundrechtseingriffe wie z. B. die Untersu-
chungshaft legitimiert. Die mit dem GVVG-ÄndG unter Strafe gestellten Verhal-
tensweisen verletzen aber keine grundlegenden Regeln des gesellschaftlichen Zu-
sammenlebens und begründen daher kein Unrecht. Der kriminelle Gedanke darf in

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4710
einem demokratischen Rechtsstaat nicht strafbegründend sein. Das käme einem Ge-
sinnungsstrafrecht gleich. An den knüpfen die neuen Tatbestände aber primär an,
wenn sie bei neutralen Handlungen wie den Kauf eines Flugtickets allein wegen ei-
ner mutmaßlichen terroristischen Absicht eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren
vorsehen. Der Grundsatz des Tatstrafrechts und das Schuldprinzip, die eine straf-
würdige Handlung voraussetzen, werden so ebenso missachtet wie das ultima-ratio-
Prinzip.
Werden zur Vorbeugung von Gefahren neutrale Verhaltensweisen bestraft, die
weit vor einem etwaigen Anschlag liegen, wird zudem mit den Mitteln des Straf-
rechts eigentlich Gefahrenabwehr betrieben und weitreichende polizeiliche Eingriffe
unter dem Deckmantel des Strafrechts legitimiert, die als Instrumente der Gefahren-
abwehr nicht zu rechtfertigen wären. Das bedeutet eine Verpolizeilichung des Straf-
rechts.
Wie auch die Bundesdatenschutzbeauftragte feststellt, sind die neuen Tatbestände
Türöffner für alle Ermittlungsbefugnisse, die die Strafprozessordnung bietet, von der
Telekommunikationsüberwachung und akustischen Wohnraumüberwachung über
die Abfrage von Verkehrsdaten oder längerfristige Observationen bis hin zum Ein-
satz von verdeckten Ermittlern und V-Leuten oder der Durchsuchung bei Dritten
(§§ 100a ff., 161 StPO).
Sie werden daher zu einer Ausweitung der Überwachung aufgrund vager Verdachts-
momente führen, die sich häufig aus dubiosen Erkenntnissen von in- und ausländi-
schen Geheimdiensten speisen. Und wegen der Ermittlungen, die sich vor allem auf
die nachzuweisende Motivation und damit auf etwaige Äußerungen im sozialen Um-
feld beziehen, werden sie viele völlig Unbeteiligte treffen. Das ist im Hinblick auf
die erheblichen Eingriffe in Grundrechte unverhältnismäßig. Die internationalen
Vorgaben auf die die Bundesregierung zur Rechtfertigung verweist, zwingen nicht
zu einem Bruch von Verfassungsrecht.
Mit dieser von der Bundesregierung beabsichtigten Verschärfung im Bereich des
Terrorismusstrafrechts geht eine weitere Abwendung vom freiheitlichen Rechtsstaat
einher. Obwohl terroristische Handlungen bereits umfassend unter Strafe stehen und
die Effektivität der Vorfeldtatbestände nicht nachgewiesenen ist, werden sie einge-
führt. Das ist Symbolpolitik, die sich im Strafrecht verbietet. Statt aufklärerisch in
die Bevölkerung zu wirken, wird wieder einmal das Strafrecht bemüht, um eine hun-
dertprozentige Sicherheit zu suggerieren, die es nicht geben kann.
Wer aber die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides
verlieren (Zitat von Benjamin Franklin).

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Gesetzentwurf zur Änderung des GVVG zurückzunehmen,
2. keine Gesetzesvorhaben mehr zu verfolgen, die eine Entfernung vom Tatstraf-

recht und die Verpolizeilichung des Strafrechts bedeuten,
3. eine unabhängige Expertenkommission einzusetzen, die das gesamte Terroris-

musstrafrecht im Hinblick auf die Strafanwendungspraxis, seine Effektivität
und Verhältnismäßigkeit evaluiert und seine Verfassungsmäßigkeit prüft,

4. mehr finanzielle Mittel für die Prävention im Bereich Djihadismus zur Verfü-
gung zu stellen.

Berlin, den 21. April 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Drucksache 18/4710 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Begründung
Das Strafrecht erlaubt den in einem Rechtsstaat massivsten denkbaren Eingriff des Staates in die Rechtssphäre
des Bürgers. Abgeleitet aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darf es daher nur als ultima ratio zur Wie-
derherstellung des Rechtsfriedens in Betracht kommen. Dazu gehört auch, dass nur Handlungen kriminalisiert
werden dürfen, die durch die Verletzung grundlegender Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens solches
Unrecht begründen, dass sie einer Antwort durch das Strafrecht bedürfen. Neben diesem Grundsatz lassen sich
aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes auch der Grundsatz des Tatstrafrechts und
das Schuldprinzip ableiten. Danach können Gegenstand von Straftatbeständen nur Handlungen und nicht bloße
Gedanken sein. Eine Bestrafung kann nur aufgrund von dem Einzelnen persönlich vorwerfbaren Handlungen
erfolgen, wobei sich das Maß der Strafe an dem verwirklichten Unrecht zu orientieren hat. Von diesen wichtigen
Maximen entfernt sich insbesondere das Terrorismusstrafrecht zunehmend. Es dient immer mehr der Gefahren-
abwehr statt der Sanktionierung von begangenem Unrecht. Diese Entwicklung spiegelt sich im GVVG wider,
das nun noch weiter verschärft werden soll.
Auch der Bericht der Regierungskommission zur Überprüfung der Sicherheitsgesetzgebung in Deutsch-
land vom 28. August 2013 kritisiert diese Entwicklung. Es wird bzgl. des Terrorismusstrafrechts auf die „par-
tielle Funktionsverschiebung des Strafverfahrens“ und darauf, dass der „zentrale Verdachtsbegriff an Konturen
verliert“ hingewiesen (S. 36). Die Mehrheit der Berichtsverfasser teilt die Kritik zur Verpolizeilichung des
Strafrechts und zur Problematik weitreichender Ermittlungen aufgrund vager Verdachtsmomente. Es werden
insbesondere solche „Verbotsnormen, die ein äußerlich neutrales und nicht besonders schadensträchtiges Ver-
halten vor allem deshalb untersagen, weil es nach der Vorstellung des Täters in die Straftat eines anderen ein-
münden kann oder soll“ (S. 53) und bei denen sich der „deliktische Sinngehalt ausschließlich aus den Motiven
des Handelnden ergibt und die einer Strafbarkeit bloßer Gedanken oder Gesinnungen zumindest nahe kommt“
(S. 44) kritisiert. Aus der Analyse der vorhandenen Studien zur Wirksamkeit des GVVG wird geschlossen, dass
sich „die rechtsstaatlichen Bedenken gegen Straftatbestände, die übermäßig weit im Vorfeld angesiedelt sind,
weitgehend mit den Anwendungsproblemen, die in dem Evaluationsbericht zum GVVG geschildert werden,
decken“ und „dies insbesondere für die Beweisschwierigkeiten bei dem Verbot äußerlich neutraler Handlungen
gilt, denn hier ist der Nachweis eines strafrechtlich relevanten Vorsatzes entscheidend, aber zugleich besonders
schwierig“ (S.54). Abschließend schlagen die Kommissionsmitglieder Bäcker, Hirsch und Wolff vor „die weit-
reichende Kriminalisierung von Handlungen im Vorfeld terroristischer Anschläge durch das GVVG aus straf-
verfolgungspraktischer, verfassungsrechtlicher und rechtspolitischer Warte zu überprüfen“. Die beiden Mitglie-
der der Kommission Harms und Kaller, die das GVVG befürworteten, empfahlen aber ebenfalls eine Evaluation
zu einem Zeitpunkt bei dem mehr Datenmaterial zur Verfügung steht, als es noch bei der Studie 2012 der Fall
war (S. 56, vgl. www.bmjv.de/).
Die in der Begründung des GVVG-ÄndG (Bundestagsdrucksache 18/4087, S.6) zur Argumentation für den
Gesetzentwurf erwähnte vom Bundesamt für Justiz in Auftrag gegebene Studie der Kriminologischen Zentral-
stelle und der Universität Bochum vom August 2012 verdeutlicht – wie auch die Sachverständige Frau Müller-
Jacobsen in der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Bundestags am 23.
März 2015 ausführte – eher die kritischen Punkte des Gesetzes. Die Aktenanalyse ergab zwar, dass es aufgrund
der geringen Fallzahl verfrüht erschien Aussagen über den praktischen Nutzen der neuen Vorschriften zu ma-
chen (S.209). Im Hinblick auf die Frage der Auswirkungen auf Grundrechte wurde aber festgehalten, „dass in
keinem der untersuchten acht Verfahren der Anfangsverdacht nach den §§ 89a, 89b, 91 StGB letztlich nach-
weisbar war.“ Alle wurden von der Staatsanwaltschaft eingestellt. „Dennoch waren -mit jeweils unterschiedli-
chem Aufwand- diverse, überwiegend verdeckte Ermittlungstätigkeiten durchgeführt worden, die zum großen
Teil auch unbeteiligte Dritte betrafen. Dass sich die Ermittlungsmaßnahmen ganz überwiegend auf die ver-
deckte Überwachung elektronischer und telefonischer Kommunikation konzentrierten, erklärt sich auch mit
dem Bemühen der Ermittlungspersonen, die „terroristische Gesinnung“, also den Vorsatz für die jeweilige Tat
nachzuweisen, was, wie sich bereits aus den schriftlichen Befragungen ergab, besonders schwierig ist, wenn
der objektive Tatbestand sozial „neutrale“ Handlungen betrifft (S. 209). Ebenso bleibe offen, „ob die fraglichen
Ermittlungsmaßnahmen in den untersuchten Fällen unabhängig von der Einführung des GVVG nicht aufgrund
anderer polizei- oder strafrechtlicher Vorschriften eingeleitet worden wären“ (S.209). Die befragten Polizeibe-
amtinnen und Polizeibeamten sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte waren zwar überwiegend der Mei-
nung, dass die neuen Gesetze effektiv seien, allerdings wiesen sie darauf hin, dass es für eine Einschätzung
eigentlich aufgrund der noch laufenden Verfahren verfrüht sei. Die Forscher regten daher abschließend an, die

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Fragestellung in ausreichendem zeitlichem Abstand in einer Anschlussuntersuchung erneut aufzugreifen (S. 19,
vgl. www.krimz.de/).
Statt der Forderung der eigens von der Bundesregierung eingesetzten Expertinnen und Experten nun mehrere
Jahre nach der letzten Studie und etlicher abgeschlossener Ermittlungsverfahren nachzugehen und eine Evalu-
ation durchzuführen, hat das Kabinett die Erweiterung des GVVG beschlossen.
Es werden wieder Verhaltensweisen unter Strafe gestellt, die weit vor der eigentlichen Rechtsgutsverletzung,
weit vor dem Versuch einer solchen und sogar weit vor einer konkreten Rechtsgutsgefährdung liegen. Frühe
neutrale Vorbereitungshandlungen sind aber nicht strafwürdig, denn bis zur vermeintlich angestrebten Gewalt-
tat sind noch sehr viele Zwischenschritte und die Überwindung der Hemmschwelle zum maßgeblichen tödlichen
Tatentschluss erforderlich. Der potentielle Täter hat noch die Wahl von der Gewalttat Abstand zu nehmen,
vielleicht hat er auch bloß mit dem Gedanken gespielt. Hier liegt auch ein wesentlicher Unterschied zu anderen
abstrakten Gefährdungsdelikten, bei denen der Erfolgseintritt nur noch vom Zufall abhängt, wie beispielsweise
bei bestimmten Umweltdelikten, die wegen einer möglichen Grundwasserverschmutzung die nicht ordnungs-
gemäße Entsorgung von Chemikalien unter Strafe stellen (§ 326 StGB) oder der Trunkenheit im Verkehr (§ 316
StGB). Das die Koalitionsfraktionen mit dem Änderungsantrag vom 17.4.2015 (Ausschussdrucksache 18(6)98)
durch das Einfügen der tätigen Reue auch bei § 89c StGB n.F. verhindern, dass das Rücktrittsrecht komplett
leer läuft, wird begrüßt, allerdings handelt es sich anders als bei § 24 StGB bloß um eine Ermessensvorschrift
und es bleibt durch die grundsätzliche Strafandrohung bei der Kriminalisierung von nicht strafwürdigem Ver-
halten.
Diese Vorverlagerung der Strafbarkeit bedeutet eine Verpolizeilichung des Strafrechts. Insbesondere die Auf-
nahme des neuen § 89c StGB und des § 89a Abs. 2a StGB in den § 112a StPO, nach dem bei Wiederholungs-
gefahr ohne sonstigen Haftgrund die Anordnung von Untersuchungshaft möglich ist, belegen den Hauptzweck,
vermeintliche „Gefährder“ für längere Zeit festnehmen zu können, als es der polizeiliche Unterbindungsge-
wahrsam im Gefahrenabwehrrecht zulässt. Neben der materiellen Verfassungswidrigkeit verstößt das GVVG-
ÄndG auch gegen die grundgesetzliche Kompetenzaufteilung, da mit dem Gesetzentwurf im Grunde Gefahren-
abwehr betrieben wird, die nicht in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes, sondern der Länder liegt.
Auch die Einwände der Bundesdatenschutzbeauftragten, dass das GVVG-ÄndG erhebliche datenschutzrechtli-
che Auswirkungen haben wird, blieben unbeachtet. Sie spricht die Türöffner-Funktion der Tatbestände an, in-
dem sie darauf verweist, dass weit im Vorfeld einer Terrorgefahr ein großer Personenkreis in Verdacht geraten
kann und schwerwiegende Grundrechtseingriffe wie Wohnungsdurchsuchungen, Telekommunikationsüberwa-
chung und akustische Wohnraumüberwachung zu befürchten hat. Da sich die subjektive Tatseite oftmals erst
im fortgeschrittenen Ermittlungsstadium klären lasse, bestünde die Gefahr, „dass relativ frühzeitig ein Anfangs-
verdacht angenommen wird, der an für sich genommen neutrale Verhaltensumstände anknüpft“. So könne
„schon derjenige den Anschein der Terrorismusfinanzierung auslösen, der bei einem Terrorverdächtigen einen
Gebrauchtwagen kauft“ (Stellungnahme der Bundesdatenschutzbeauftragten Voßhoff zum GVVG-ÄndG vom
24.2.2015, Ausschussdrucksache 18(6)90).
Bereits bei einer weitgehend diffusen Bedrohungslage – genährt von dubiosen Geheimdienstberichten, die nur
beschränkt gerichtlich überprüfbar sind – kann ein Anfangsverdacht angenommen und Ermittlungen mit schwe-
ren Grundrechtseingriffen aufgenommen werden. So werden in dem Evaluationsbericht von Dessecker und
Feltes aus 2012 auch Fälle aufgeführt, in denen selbst Ermittlungsmaßnahmen von hoher Eingriffsintensität vor
allem auf Erkenntnisse zu den geäußerten Einstellungen, zu den sozialen Kontakten oder zu „verdächtigen“,
aber ambivalenten Handlungen des Betroffenen gestützt wurden. Es erscheint daher naheliegend, dass gerade
Ermittlungen, die solche Handlungen zum Gegenstand haben, in weiterem Umfang auf die inneren Einstellun-
gen und sozialen Kontakte zugreifen und darum auch weiter ausgedehnt werden als Ermittlungen wegen einer
Handlung, die weitgehend aus sich heraus eingestuft werden kann. Als Indiz spricht hierfür auch, dass in den
im Evaluationsbericht geschilderten Verfahren häufig zahlreiche Ermittlungsmaßnahmen nebeneinander einge-
setzt wurden, die insgesamt zu einer ausgesprochen hohen Überwachungsdichte führten (vgl. Bericht der Re-
gierungskommission, S. 46). So kann das gesamte persönliche und berufliche Umfeld der Verdächtigten in den
Fokus geraten. Viele Unbeteiligte werden betroffen. Die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden verlagern
sich nicht nur zeitlich vor, sondern weiten sie auch insgesamt aus. Der strafprozessuale Verdachtsbegriff, der
solche Ermittlungen eröffnet und begrenzt, verliert an Konturen. Denn es geht nicht mehr darum, ob ein An-
fangsverdacht für ein konkretes Anschlagsvorhaben an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit vorliegt,
sondern ob eine Anschlagsidee für die evtl. noch ferne Zukunft oder an einem noch ungewissen Ort existiert.

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Solche Vorfeldtatbestände, die als Ausforschungsinstrumente dienen, werden daher auch häufig als „Gummi-“
oder „Schnüffelparagraphen“ bezeichnet.
Da Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit nicht mehr die kriminelle Handlung, sondern die Motivation also der
kriminelle Gedanke ist und mit dieser ungewöhnlichen weiten Vorverlagerung der Strafbarkeit im Terrorismus-
bereich eine Art Sonderrecht geschaffen wird, liegt der Vorwurf des Gesinnungs- und Feindstrafrechts nah.
Die Tatbestände geraten wegen der vorausgesetzten noch wenig umrissenen künftigen Gewalttat außerdem auch
in Konflikt mit dem Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG.
Der Bundesgerichtshof hat bei der Überprüfung des § 89a StGB die angesprochene Problematik gesehen, aber
letztlich wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers und weil der Tatbestand immerhin noch eine Ma-
nifestierung der terroristischen Absicht in einer objektiven Handlung vorschreibt, noch eine verfassungskon-
forme Auslegung als möglich erachtet. Danach muss derjenige der eine Vorbereitungshandlung begeht auch
fest zur Begehung der Gewalttat entschlossen sein, obwohl nach dem Gesetzestext auch der Eventualvorsatz
ausgereicht hätte (BGH, Urt. v. 8.5.2014, Az. 3 StR 243/13). Die Entscheidung überzeugt aufgrund der erwähn-
ten Kritikpunkte nicht (so auch u. a. Prof. Dr. Mitsch, „Vorbeugende Strafbarkeit zur Abwehr terroristischer
Gewalttaten“, NJW 2015 S. 209(211)). Zudem ist zweifelhaft, ob nach den in der Entscheidung entwickelten
Kriterien das heutige GVVG-ÄndG ebenfalls noch gehalten würde, denn nun wurde durch die Strafbarkeit des
Ausreiseversuchs eine noch weitergehende Vorverlagerung vorgenommen, die Erheblichkeitsschwelle bei der
Finanzierung ist entfallen und es bestehen bei keiner der kriminalisierten Handlungen noch Anhaltspunkte für
eine Gewalttat. Als angestrebte terroristische Tat reichen nun sogar bestimmte Umwelt- und Sachbeschädi-
gungsdelikte aus.
Auch greift die von der Bundesregierung angeführte Argumentation mit der Verpflichtung aus der UN-Resolu-
tion vom 24. September 2014 zur Bekämpfung des IS (Resolution 2178 (2014)) und mit den Empfehlungen der
Financial Action Task Force (FATF) nicht. Die UN-Resolution schreibt in ihrer Ziffer 6 zwar vor, dass der
Ausreiseversuch zum Zweck der Involvierung in terroristische Aktivitäten unter Strafe gestellt werden muss,
verhält sich aber nicht näher dazu, nach welchen Maßstäben diese Zweckrichtung im Einzelfall zu ermitteln ist.
Sie bietet Gestaltungsspielraum, den der nationale Gesetzgeber im Sinne der Grundrechte ausschöpfen muss. In-
sofern lässt sich argumentieren, dass die terroristische Absicht, die hinter dem Ausreiseversuch steht, sich zu-
sätzlich in Form einer konkreten Vorbereitungshandlung nach außen hin manifestiert haben muss, die z. B.
bereits von den derzeit gültigen §§ 89a und 89b StGB erfasst ist (so Dr. Payandeh, „Globale Anti-Terrorgesetz-
gebung: Die deutsche Rechtsordnung im Sog des UN-Sicherheitsrats“, ZRP 2014, S. 241(243)). Oder man geht
davon aus, dass der Resolution durch die Vorschriften im Bereich des Passrechts, die schon jetzt die Verletzung
eines Ausreiseverbots unter Strafe stellen, Rechnung getragen werden kann (so Dr. Gazeas in der öffentlichen
Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Bundestags am 23. März 2015, schriftliche Stel-
lungnahme, S. 24). Hinsichtlich der Terrorismusfinanzierung ergibt sich gegenüber den bestehenden Vorschrif-
ten kein zwingender Änderungsbedarf aus der Resolution, da sie auch nach bisherigem Recht unter Strafe steht
wie auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags festgestellt hat (WD-Gutachten, „Strafrechtlicher Um-
setzungsbedarf aufgrund der Resolution 2178 des VN-Sicherheitsrats“, WD 7 – 3000 – 255/14). Die Empfeh-
lungen der Financial Action Task Force, die die Bundesregierung zur Begründung heranzieht, sind nicht ver-
pflichtend. Die Verpflichtung zur Strafverschärfung in der Resolution ist zudem zu weitgehend formuliert, so
dass diese quasi-legislative Tätigkeit des Sicherheitsrats eine Kompetenzüberschreitung darstellt, die sich auf
der Grundlage der UN-Charta nicht begründen lässt (so auch Scheinin, ehemaliger Sonderberichterstatter der
Vereinten Nationen für Menschenrechte im Kampf gegen den Terrorismus, „Zurück zur Post-9/11-Panik? Die
Resolution des UN-Sicherheitsrats zu Terrorkämpfern“, Verfassungsblog v. 25.9.2014; Dr. Payandeh, ebd., S.
241(242)). Maßgeblich ist letztlich aber, dass das GVVG-ÄndG gegen das Grundgesetz verstößt, so dass die
Resolution soweit sie die Änderungen verlangt keine wirksame Umsetzungspflicht begründen kann. Sie steht
im Rang der Normenhierarchie unter der Verfassung.
Im Hinblick auf das vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zum Antiterrordateiengesetz (BVerfG,
Urt. v. 24.4. 2013 – 1 BvR 1215/07) festgestellte grundgesetzliche informationelle Trennungsprinzip ist unab-
hängig von den obigen Feststellungen die in § 7 des G 10-Gesetzes vorgesehene Erweiterung des Straftatenka-
talogs um §§ 89b und 89c StGB zum Datenaustausch von Polizei und Geheimdiensten verfassungswidrig (so
auch Dr. Gazeas bzgl. § 89b StGB, ebd., schriftliche Stellungnahme S. 25).
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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