BT-Drucksache 18/4648

Wertstoffgesetz jetzt vorlegen

Vom 20. April 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4648
18. Wahlperiode 20.04.2015
Antrag
der Abgeordneten Peter Meiwald, Britta Haßelmann, Christian Kühn (Tübingen),
Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Steffi
Lemke, Dr. Julia Verlinden, Harald Ebner, Matthias Gastel, Stephan Kühn
(Dresden), Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel, Dr. Valerie Wilms
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wertstoffgesetz jetzt vorlegen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Um die Wirtschaft ressourceneffizient und im Sinne einer weitergehenden Kreis-
laufwirtschaft umzugestalten, müssen erheblich mehr Wertstoffe als bisher aus Ab-
fällen zurückgewonnen und verwertet werden. Das bisherige Abfallsystem mit ge-
teilten Zuständigkeiten zwischen Dualen Systemen für Verpackungen und Kommu-
nen für Restmüll hat sich nicht bewährt. Es führt bei Bürgern, der Wirtschaft und
insbesondere auch der Entsorgungswirtschaft zu Unsicherheit, Intransparenz und er-
füllt derzeit keine halbwegs anspruchsvollen ökologischen Ziele. Um deutlich mehr
Wertstoffe aus dem Abfall in Kreisläufe zu führen, muss das Abfallsystem grundle-
gend vereinfacht und ökologisch umgestaltet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

umgehend ein ökologisches und Transparenz schaffendes Wertstoffgesetz vor-
zulegen, das
o den Anteil der Wertstoffe in Abfällen, die mindestens stofflich verwertet

werden, sofort deutlich erhöht. Die Recyclingquoten für Wertstoffe werden
zusätzlich selbstlernend ausgestaltet. Die Höhe der zu erfüllenden Recyc-
lingquoten für die Folgejahre orientiert sich an den besten Recyclingergeb-
nissen des Vorjahres (Top-Runner-Mechanismus);

o die Intransparenz der Hausmüllentsorgung beendet. Hierfür ist eine grund-
legende Neuorganisation erforderlich. Die Kommunen erhalten die Organi-
sationsverantwortung für die Erfassung der in der Wertstofftonne gesam-
melten Wertstoffe zurück. Sie können die Aufgabe selbst etwa im Wege der
Inhouse-Vergabe übernehmen oder sich bei der Erfüllung dieser Aufgaben
im Weg der öffentlichen Ausschreibung Dritter bedienen. Jährlich ver-
pflichtend soll über die Menge der anfallenden Wertstoffe und ihren Ver-
bleib (z. B. stoffliche Verwertung oder Verbrennung) berichtet werden;
Drucksache 18/4648 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

o vorsieht eine zentrale Stelle mit hoheitlichen Befugnissen unter der Fach-
aufsicht des Umweltbundesamtes einzurichten, die für die Registrierung der
Produktverantwortlichen, die Lizenzierung und Überwachung, die Festset-
zung der Entgelte sowie die Ausschreibung der Sortierung und Verwertung
zuständig ist. Die zentrale Stelle soll außerdem perspektivisch die Lizenz-
gebühren im Sinne echter Produktverantwortung zu einer Ressourcenab-
gabe weiterentwickeln, um die bisherige Verschwendung von Wertstoffen
zu beenden. Die Ressourcenabgabe stellt die Finanzierung der Kosten der
Erfassung, Sortierung und Verwertung sicher und belohnt zugleich recyc-
lingfreundliches Design, sparsamen Rohstoffeinsatz und die Weiternutzung
von Wertstoffen, um sie im Stoffkreislauf zu erhalten.

Berlin, den 20. April 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Die Produktverantwortung wurde mit dem Ziel in die Verpackungsverordnung aufgenommen, die Hersteller
bzw. Inverkehrbringer in die Verantwortung für ihre Produkte und deren Recycling zu nehmen. Sie hat sich
aber zu einem reinen „Bezahlsystem“ entwickelt, ohne ihr eigentliches Ziel – Abfallvermeidung und möglichst
viel Recycling – zu erfüllen.

Das System der geteilten Verantwortung von privaten und öffentlich-rechtlichen Entsorgern führt nicht zu
größtmöglichen ökologischen Erfolgen. Die fest vorgeschriebenen Recyclingquoten werden überwiegend ein-
gehalten. Alles, was darüber hinausgeht, wird in die günstigste Entsorgung gegeben, üblicherweise die Ver-
brennung.

Angesichts knapper Ressourcen ist diese Verschwendung nicht akzeptabel. Die gravierendsten Schlupflöcher
wurden mit der 7. Novelle der Verpackungsverordnung möglicherweise gestopft. Das reicht aber nicht aus.
Außerdem ist das System für die Bürgerinnen und Bürger intransparent, was die Motivation zur Trennung des
Abfalles vermindert. Das System hat sich nicht bewährt und muss daher grundlegend umgestaltet werden. Es
führt zu Unsicherheiten bei Bürgerinnen und Bürgern, hohen Transaktionskosten durch das Nebeneinander von
kommunaler Restmüllentsorgung und Verpackungsentsorgung durch die Dualen Systeme und nicht zu der bes-
ten ökologischen Leistung, die technisch möglich wäre.

Daher muss umgehend ein Wertstoffgesetz vorgelegt werden, wie es seit langem angekündigt ist. Die Samm-
lung von Wertstoffen muss vereinfacht werden, zum Beispiel über eine Wertstofftonne. Das Wertstoffgesetz
legt die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten neu fest, um die Sammlung, Sortierung und Verwertung
von Wertstoffen dauerhaft effizient, verbraucherfreundlich, bürgernah und transparent zu gestalten und gleich-
zeitig den ökologischen Mehrwert zu erhöhen.

Dafür werden im Wertstoffgesetz die Recyclingquoten für Wertstoffe im Müll deutlich erhöht. Die Quoten
richten sich nach den derzeitigen technischen Möglichkeiten unter Berücksichtigung einer möglichst auch qua-
litativen Hochwertigkeit des Recyclings und enthalten einen Mechanismus zur dynamischen Erhöhung, so dass
sie sich selbstständig an den technischen Fortschritt in der Recyclingbranche anpassen und somit weitere In-
novationen im Recycling fördern. Sie werden anhand der gesammelten Wertstoffe berechnet. Es wird zudem
geprüft, ob eine Umstellung der Recyclingquoten für aus Abfällen gewonnene Sekundärrohstoffe im Verhältnis
zur eingesetzten Neuware möglich ist. Diese Recyclingquoten müssen perspektivisch auch analog für haus-
müllähnlichen Gewerbemüll gelten. Es ist nicht einsehbar, warum in Privathaushalten mühsam getrennt wird,

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4648
an Unternehmen aber geringere Ansprüche gestellt werden, ihre Abfälle zu recyceln. Das Wertstoffgesetz ent-
hält zudem verbindliche Abfallvermeidungsziele für Wertstoffe, um überdimensionierte und überflüssige Ver-
packungen zu verhindern.

Im Wertstoffgesetz wird außerdem den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern die Organisationsverantwor-
tung für die Erfassung der Wertstoffe aus dem Hausmüll zurückgegeben. Sie können die Aufgabe selbst etwa
im Weg der Inhouse-Vergabe übernehmen oder sich bei der Erfüllung dieser Aufgaben im Weg der öffentlichen
Ausschreibung Dritter bedienen.

Die Kommunen sind für die regelmäßige Information der Bürgerinnen und Bürger über die Verwertung der
Wertstoffe in ihrem Gebiet zuständig. Sie haben die Pflicht, jährlich in bürgerfreundlicher Art und Weise die
Menge der anfallenden Wertstoffe (Papier, Pappe, Karton, Glas, Metalle und Kunststoffe) und ihren Verbleib
(z. B. stoffliche Verwertung oder Verbrennung) darzulegen.

Die finanzielle Verantwortung der Hersteller für die Wertstofferfassung und -verwertung bleibt unverzichtbar.
Die Inverkehrbringer müssen im Rahmen der Finanzverantwortung die Kosten der Erfassung, Sortierung und
Verwertung tragen. Perspektivisch sollen schrittweise die bisherigen Lizenzentgelte in eine ökologisch len-
kende Ressourcenabgabe umgewandelt werden, um die Produktverantwortung zu stärken. Die Ressourcenab-
gabe muss dabei auch auf stoffgleiche Nichtverpackungen ausgeweitet werden in einem möglichst einfach
anwendbaren und praktikablen Ansatz für die unterschiedlichen Produktgruppen. Mit der Ressourcenabgabe
sollen ökologisch vorteilhafte Verpackungen und Produkte gefördert werden. Schwierig oder gar nicht stofflich
zu recycelnde Verpackungen und Produkte wollen wir im Gegenzug mit einem Malus belegen. Dadurch wird
eine wirkliche produkt- bzw. materialbezogene ökologische Lenkungswirkung erzeugt.

Außerdem wird eine „zentrale Stelle“ auf Bundesebene geschaffen, die die Dualen Systeme ersetzt. Sie ist mit
hoheitlichen Befugnissen – z. B. im Weg einer Beleihung – unter maßgeblicher Beteiligung der Länder, des
Bundes und der relevanten Akteure auszustatten. Die „zentrale Stelle“ ist für die Erhebung der Entgelte und
der künftigen Ressourcenabgabe, für die Registrierung der Produktverantwortlichen, die Lizenzierung und
Überwachung sowie die Ausschreibung der Sortierung und Verwertung der Wertstoffe zuständig. Sie wird
zudem verpflichtet, Einzelheiten einer aufgabengerechten Kostenerstattung mit den Ländern und kommunalen
Spitzenverbänden zu vereinbaren und vollständige Transparenz über das Marktgeschehen herzustellen. Die
privaten Entsorger werden weiterhin am Markt teilnehmen können.

Die Erstattung des Aufwandes der Kommunen muss kostendeckend sein, um eine Verlagerung der Produkt-
verantwortung der Hersteller zu Lasten der Kommunen und damit letztlich der gebührenzahlenden Bürgerinnen
und Bürger zu vermeiden.

Die zentrale Stelle entwickelt die bisherige sogenannte Produktverantwortung weiter, hin zu einer wirklichen
Produktverantwortung. Es gilt, echte Stoffkreisläufe zu schaffen, welche wechselseitig auf Herstellungsprozess
und Abfallbehandlung wirken und alle Beteiligten zu einer Betrachtung des gesamten Kreislaufes – angefangen
vom Produktdesign bis zur hochwertigen Abfallbehandlung – motivieren. Über diese Weiterentwicklung wer-
den sich Ressourceneffizienz und Ressourcenschonung als Wettbewerbsfaktor etablieren.

Die Bundesländer haben die Vollzugsverantwortung für die Ausführung des Wertstoffgesetzes und kontrollie-
ren diese im Rahmen ihrer kommunalen Fach- und Rechtsaufsicht unter Einbeziehung der Landesabfallgesetze
und -pläne.
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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