BT-Drucksache 18/4644

Struktur und Tätigkeit des deutsch-griechischen Zukunftsfonds

Vom 14. April 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4644
18. Wahlperiode 14.04.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine
Buchholz, Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Niema Movassat,
Dr. Alexander S. Neu, Petra Pau, Harald Petzold (Havelland), Frank Tempel,
Alexander Ulrich, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Struktur und Tätigkeit des deutsch-griechischen Zukunftsfonds

Die Bundesregierung verweigert bislang Entschädigungen für griechische NS-
Opfer und Reparationsleistungen für die Zerstörung griechischer Infrastruktur
während des Zweiten Weltkrieges. Dem Bekenntnis einer moralischen Schuld
folgt stets die Behauptung, es gebe keine rechtlichen Ansprüche auf Repara-
tionsleistungen. Statt realer Entschädigungen setzt die Bundesregierung viel-
mehr auf – in aller Regel wesentlich billigere – politische Gesten, wie etwa
Stiftungen, Kommissionen oder Projektförderungen.
Im Kontext dieses Bemühens, den politischen Druck nach Entschädigungszah-
lungen abzumildern, verorten die Fragesteller auch den deutsch-griechischen
Zukunftsfonds. Dieser wurde voriges Jahr gegründet und mit einem jährlichen
Budget von 1 Mio. Euro ausgestattet.
Die Hälfte dieses Geldes wird nach Angaben der Bundesregierung für For-
schungsprojekte verwendet. So finanziert der Deutsche Akademische Aus-
tauschdienst Stipendien, Gastdozenturen und Konferenzen. Die andere Hälfte
ist, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Schriftliche Frage 4 der
Abgeordneten Ulla Jelpke auf Bundestagsdrucksache 18/3888 formulierte,
„konkreten Gesten der Versöhnung gegenüber den Märtyrerdörfern und den
jüdischen Gemeinden“ gewidmet, also 500 000 Euro jährlich, was nur ein
Bruchteil jener 27 Mio. Euro sind, die griechische Gerichte allein den Opfern
des SS-Massakers von Distomo zugesprochen hatten.
Laut Internetpräsenz der deutschen Botschaft in Athen wurde mit Mitteln des
Fonds im März 2015 ein Konzert des Staatsorchesters Thessaloniki zum Ge-
denken an den ersten Transport jüdischer Bürger Thessalonikis in das Konzen-
trationslager Auschwitz im Jahr 1943 gefördert. Auch dies dürfte billiger ge-
wesen sein, als die Forderungen der jüdischen Gemeinde Thessalonikis zu erfül-
len. Deren Vorsitzender sagte gegenüber der „Jüdischen Allgemeinen Zeitung“
vom 19. März 2015: „Wenigstens die Fahrkarten sollte die Regierung in Berlin
uns erstatten, die wir 1943 haben lösen müssen“ – gemeint waren die Bahnti-
ckets für die Deportation der Jüdinnen und Juden nach Auschwitz, die von den
Deportierten selbst hatten bezahlt werden müssen.
Die Fragesteller begrüßen zwar die Förderung von Nachwuchswissenschaftlern
und historischer Forschung, betrachten dies aber nicht ansatzweise als adäqua-
ten Ersatz für Entschädigungen. Die Förderung eines Skizentrums in Kalavryta
durch Fondsmittel ist aus ihrer Sicht ebenfalls begrüßenswert – einen un-
mittelbaren Zusammenhang zu den Massenmorden, die deutsche Truppen in

Drucksache 18/4644 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Kalavryta begangen haben, können sie darin aber nicht erkennen. Überhaupt
stellt sich die Frage, welche Rolle den NS-Opfern bei diesem Fonds zugedacht
ist.
Der griechische Nationalrat für die Einforderung deutscher Kriegsschulden an
Griechenland betrachtet die Einrichtung des Fonds als Versuch, die Märtyrer-
gemeinden und NS-Opfer, die Entschädigungen statt Gesten fordern, zu spalten
(www.holocaust.gr).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Maßnahmen wurden aus den Mitteln des Fonds im Jahr 2014 im

Einzelnen gefördert (bitte jeweils die konkrete Fördersumme sowie den
genauen Zweck und den Stand der Umsetzung angeben)?

2. Welche Fördermaßnahmen sind bislang für das Jahr 2015 beschlossen (bitte
möglichst nach den Teilbereichen Erinnerungskultur und Versöhnung unter-
gliedern)?
a) Wie hoch ist die jeweilige Fördersumme?
b) Wer hat die Förderung für genau welchen Zweck beantragt?
c) Was sind die erwarteten Ergebnisse der jeweiligen Maßnahme?
d) An welche Zielgruppe richtet sich die Maßnahme?
e) In welchem Zusammenhang steht die Maßnahme mit den deutschen Ver-

brechen während des Zweiten Weltkrieges?
3. Falls Anträge für das Jahr 2015 abgelehnt worden sind, um welche Anträge

handelt es sich dabei?
a) Wie hoch war die jeweilige Fördersumme?
b) Wer hat die Förderung für genau welchen Zweck beantragt?
c) Warum wurden die Anträge jeweils abgelehnt?

4. Wer ist generell antragsberechtigt (bitte Anforderungen an Antragsteller
angeben)?
Gibt es ein Antragsformular (wenn ja, bitte möglichst als Anlage beifügen)?

5. Verfügt die Bundesregierung über eine abschließende Liste der Märtyrer-
dörfer, und wenn ja, welche Gemeinden sind darin enthalten?
Bedeutet dies einen Ausschluss anderer Gemeinden aus der Förderfähig-
keit?

6. Welche Maßnahmen sind förderfähig?
Über welchen Mindest- bzw. Maximalzeitraum müssen sich die Maßnahmen
erstrecken?

7. Sind auch thematische Veranstaltungen, die sich damit beschäftigen, eine
deutsche Pflicht zur Leistung von Reparationen, Entschädigungen und der
Rückzahlung der Zwangsanleihe zu begründen, förderfähig?

8. Sind auch individuelle finanzielle Aufwendungen für NS-Opfer förderfähig?
9. Welche Rechtsstruktur hat der Fonds?
10. Wer entscheidet über Anträge, und wer kontrolliert die Verwendung der

Fördermittel?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4644
11. Welches Verfahren wird bei der Antragsprüfung praktiziert?
Gibt es feste Fristen, bis wann ein Antrag zu stellen ist, oder wird in der Rei-
henfolge des Eingangs entschieden?
Gibt es feste regelmäßige Termine, zu denen über die Anträge entschieden
wird?
Ab wann können Anträge für das Jahr 2016 eingereicht werden?

12. Welche Verpflichtungen gehen Antragsteller ein, wenn sie Förderungen er-
halten?

13. Sind Einrichtung und Ausgestaltung des Fonds mit Verbänden griechischer
NS-Opfer abgesprochen worden?
Wenn ja, mit welchen, und wenn nein, warum nicht?

14. Inwiefern richtet sich der Fonds überhaupt an NS-Opfer, und welche Rolle
kommt diesen bei der Ausgestaltung und Arbeit des Fonds zu?

15. Inwiefern haben griechische NS-Opfer ein Mitspracherecht bei der Förder-
mittelvergabe?

16. Sind Einrichtung und Ausgestaltung mit sämtlichen Märtyrerdörfern abge-
sprochen worden?

17. Wer gestaltet das Programm für die vom Fonds geförderten thematischen
Informationsreisen von Bewohnern der Märtyrergemeinden oder Angehö-
rigen jüdischer Gemeinden in Griechenland, und welche Rolle spielt das
Auswärtige Amt konkret bei der Reisegestaltung?
Wie genau vollzieht sich dabei die zivilgesellschaftliche Vernetzung, mit
welchen deutschen zivilgesellschaftlichen Organisationen treffen sich die
Reisenden aus Griechenland dabei, und welche Rolle spielt das Auswärtige
Amt bei der Auswahl dieser Partner?

18. Waren zu dem vom Zukunftsfonds geförderten „kAAfeneio“ am 15. De-
zember 2014 im Auswärtigen Amt auch gezielt überlebende NS-Opfer bzw.
Hinterbliebene eingeladen, die Entschädigungen fordern, wenn ja, welche,
und wie haben diese auf die Einladung reagiert?
Wenn nein, warum nicht?
a) Wer hat darüber entschieden, welche Personen an diesem Treffen der

„Zivilgesellschaft“ teilnehmen?
b) Wurde der griechische Nationalrat für die Einforderung deutscher

Kriegsschulden an Griechenland eingeladen, und wenn ja, wie hat dieser
reagiert?

19. Beabsichtigt die Bundesregierung, den jüdischen Gemeinden Griechen-
lands die Bahnfahrkarten zu erstatten, die sich die deportierten Jüdinnen und
Juden hatten kaufen müssen?

20. Bleibt die Bundesregierung bei ihrer Auffassung (u. a. auf Bundestagsdruck-
sache 18/3492), „alle Bundesregierungen seit 1949“ hätten sich „nach Kräf-
ten und mit Erfolg bemüht, für das von den Nationalsozialisten begangene
Unrecht zu entschädigen“ (Vorbemerkung der Bundesregierung auf Bundes-
tagsdrucksache 18/3492), auch angesichts der Tatsache, dass sie selbst davon
ausgeht, die Angehörigen der Distomo-Klägergemeinschaft hätten niemals
eine solche Entschädigung erhalten (Antwort zu Frage 2 auf Bundestags-
drucksache 18/3492), und wenn ja, woran genau bemisst sie den „Erfolg“
der Entschädigungen hinsichtlich nicht entschädigter NS-Opfer?

Drucksache 18/4644 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
21. Beabsichtigt die Bundesregierung substantielle Änderungen am bisherigen
Fonds oder die Auflage eines neuen Fonds oder einer Stiftung, um auch
Zahlungen an einzelne NS-Opfer bzw. finanzielle Unterstützung in Härte-
fällen zu ermöglichen, und wenn ja, was genau ist geplant?

Berlin, den 14. April 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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