BT-Drucksache 18/4640

Diskussionen zur Einrichtung von Transitzentren der Europäische Union bzw. ihrer Mitgliedsstaaten in Transit- und Herkunftsstaaten von Migrantinnen und Migranten

Vom 14. April 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4640
18. Wahlperiode 14.04.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
Christine Buchholz, Annette Groth, Andrej Hunko, Niema Movassat, Dr. Alexander
S. Neu, Petra Pau, Harald Petzold (Havelland), Frank Tempel, Alexander Ulrich,
Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Diskussionen zur Einrichtung von Transitzentren der Europäischen Union
bzw. ihrer Mitgliedstaaten in Transit- und Herkunftsstaaten von
Migrantinnen und Migranten

Immer wieder wird auf europäischer Ebene über Möglichkeiten debattiert, uner-
laubte Migration durch die Einrichtung von Transitzentren, Auffanglagern u. Ä.
in den Transit- und Herkunftsstaaten von Migrantinnen und Migranten in die
Europäische Union (EU) einzudämmen. Im Jahr 2004 legte hierzu bereits Otto
Schily als damaliger Bundesminister des Innern ein Konzept vor, das er in einem
Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ darlegte (Frankfurter
Allgemeine Zeitung vom 23. Juli 2004, „Afrikas Probleme in Afrika lösen“).
Menschen, die aus Seenot gerettet wurden, in der EU an Land zu lassen und das
Stellen eines Asylantrags zu gestatten, könne „im Einzelfall richtig sein, als ge-
nerelles Verfahren wäre es problematisch“. In der Regel sollten die „aus Seenot
Geretteten in ihre Herkunftsländer oder die Transitstaaten zurückgeführt wer-
den“. Es solle geprüft werden, wie die Prüfung der Fluchtgründe in einer von der
EU betriebenen Außenstelle in dem Transitstaat vorgenommen werden könne.
Diese Prüfung sollte nach dem Willen des damaligen Bundesinnenministers
Otto Schily durch die Europäische Kommission und andere Arbeitsgremien des
damaligen EU-Rates durchgeführt werden. Wer Asyl suche, könne sich an diese
Außenstelle wenden, „ohne den gefahrvollen Weg über das Mittelmeer zu ris-
kieren“. Eine Aufnahme in die EU sollte aber auch bei festgestelltem Schutzbe-
darf nur in Ausnahmefällen und lediglich bei freiwilliger Bereitschaft eines Mit-
gliedstaates zur Aufnahme möglich sein; in der Regel sollten die Schutzbedürf-
tigen mit finanzieller Unterstützung der EU in der Nähe ihres Herkunftslandes
aufgenommen werden.
In den vergangenen Monaten hat die Debatte um die Einrichtung von externen
Einrichtungen der EU wieder an Fahrt aufgenommen. Die britische Tageszei-
tung „The Telegraph“ berichtet am 11. März 2015 („Italy calls for migration cen-
tres outside EU“), Italien fordere die Errichtung von mindestens drei Einrich-
tungen in Sahara-Staaten und Nordafrika, beispielsweise Niger, Tunesien und
Sudan. Wer dort als Flüchtling bewertet werde, solle das Asylverfahren dann im
EU-Mitgliedstaat seiner Wahl durchführen können. Alle anderen sollten in ihre
Herkunftsstaaten zurückgeschickt werden. Neben den Aufnahmezentren in
Drittstaaten sollten auch weitere EU-Einrichtungen und Botschaften von EU-
Mitgliedstaaten Asylanträge bearbeiten.

Drucksache 18/4640 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
In einer Meldung der Presseagentur „Associated Press“ vom 18. März 2015
(„EU considers migrant centers in Africa to deal with influx“) wird darüber be-
richtet, dass die EU plane, Immigrationsbeauftragte („immigration officers“) in
Transitstaaten zu senden, die dort Schutzbedarf oder andere Möglichkeiten des
legalen Aufenthalts bewerten sollten. Eine Testphase sei in Niger geplant, das
als Transitstaat für den Senegal, Gambia und Mali diene. Der zuständige EU-
Kommissar Dimitris Avramopoulos kündigte an, bald Tunesien und Ägypten zu
besuchen, um diese Länder zu größerem Engagement zu bewegen.
Auch der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, hat sich für
solche Zentren ausgesprochen. Er trat dafür ein, dass nicht die EU, sondern der
United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) solche Transitzen-
tren betreibt (DIE WELT, „Deutschland wird im Flüchtlingsstreit ‚ungeduldig‘“,
12. März 2015). Im Zuge eines entsprechenden Projektes sollen dann auch Er-
fahrungen mit der Umsetzung eines EU-Verteilungsmechanismus für Flücht-
linge gemacht werden. Widerspruch kam vom Bundesminister der Justiz und für
Verbraucherschutz, Heiko Maas. Es sei fraglich, ob „Flüchtlinge in solchen Auf-
fangstellen in Nordafrika alle rechtsstaatlichen Möglichkeiten haben, die sie in
der EU haben“, so der Bundesminister. Außerdem warnte er, dass die in den
Auffanglagern abgelehnten Schutzsuchenden dennoch weiterhin ihren Weg über
das Mittelmeer suchen könnten. Die Flüchtlingsorganisation „Pro Asyl“ lehnt
den Plan als „Instrument zur Aushebelung des Asylrechts“ ab, es könne „nicht
richtig sein, dass ein vorgezogener Grenzwall geschaffen wird“ (Frankfurter
Rundschau, „Kritik an Wall gegen Flüchtlinge“, 12. März 2015).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie weit sind die Überlegungen der Bundesregierung zur konzeptionellen

Ausgestaltung von Transit- oder Aufnahmezentren bislang gediehen, insbe-
sondere hinsichtlich
a) der Rechtsgrundlagen ihrer Errichtung,
b) der Finanzierung der Einrichtung und der Tätigkeit des UNHCR oder ei-

ner anderen internationalen Organisation darin,
c) der Rechtsverbindlichkeit der zum Schutzbedarf getroffenen Entscheidun-

gen in diesen Zentren für die Einreise und den Aufenthalt in der EU,
d) der erneuten Prüfung des Schutzgesuchs im Rahmen des nach EU-Recht

und nationalem Recht erteilten Schutzstatus,
e) des Aufenthaltstitels, der nach Aufnahme in der EU erteilt werden könnte,
f) der Verteilung der in diesen Zentren als schutzbedürftig anerkannten

Flüchtlinge in den EU-Staaten,
g) des weiteren Umgangs mit den abgelehnten Asylsuchenden in den Gast-

staaten dieser Zentren,
h) der Einbindung solcher Zentren in die Entwicklungszusammenarbeit der

EU mit den Gaststaaten dieser Zentren?
2. Ist vonseiten des Bundesministeriums des Innern auch weiterhin Teil der

Konzeption, die in den Zentren als schutzbedürftig anerkannten Personen
nicht in die EU einreisen zu lassen, sondern ihre Aufnahme und Integration
vor Ort finanziell zu fördern oder anderweitig zu unterstützen (bitte begrün-
den)?

3. War das Konzept von Transit- oder Aufnahmezentren Gegenstand der Staats-
sekretärs-Arbeitsgruppe „Internationale Migration“, und welche Positionen
wurden von den beteiligten Ministerien bzw. der Bundesbeauftragten für Mi-
gration, Flucht und Integration dazu vertreten?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4640
4. Gab es in anderer Form eine Verständigung zwischen den Bundesministe-
rien zur Frage der Einrichtung solcher Zentren, und wenn ja, welche Bun-
desministerien haben sich dazu geäußert und mit welchem Tenor?

5. Zu wann erwartet die Bundesregierung von der Europäischen Kommission
die Vorlage eines Konzepts für ein Pilotprojekt zur Schaffung von Transit-
oder Aufnahmezentren?

6. Werden solche Zentren bereits Teil des im Mai 2015 vorzulegenden Ent-
wurfs einer Migrationsstrategie der EU sein?

7. Trifft die Meldung (Radiosender RF I vom 2. August 2013) zu, dass ein Pi-
lotprojekt zu einem solchen Zentrum in Niger stattfinden könnte, und von
wem ist das in welchem Zusammenhang vorgeschlagen worden?

8. Welche konzeptionellen Überlegungen bestehen seitens oder nach Kenntnis
der Bundesregierung zur Verknüpfung der Zentren mit dem Konzept der
„Regionalen Schutzprogramme“ der EU, etwa indem der ausbleibende Auf-
bau eines Asylsystems in den Ländern der „Regionalen Schutzprogramme“
durch den Aufbau solcher Zentren ausgeglichen werden soll?

9. Wurde bereits mit potenziellen Gaststaaten eines solchen Zentrums oder
Pilotprojekts dazu Kontakt aufgenommen, um die Bereitschaft zur Auf-
nahme eines solchen Zentrums zu eruieren, und wenn ja, mit welchem Staat,
und was waren gegebenenfalls die Reaktionen?

10. Teilt die Bundesregierung die von Italien in einem Non-Paper für den Rat
der Innenminister vorgetragene Position, Ägypten und Tunesien sollten sich
verstärkt an der Seenotrettung bis hinein in die libyschen Küstengewässer
beteiligen, und die dort geretteten Personen bei sich aufnehmen (www.
spiegel.de, „EU will ‚echten Abschreckungseffekt produzieren‘“, 21. März
2015)?
a) Teilt die Bundesregierung insbesondere die Position, diese Seenotret-

tungsaktionen einschließlich der Verbringung nach Tunesien und Ägypten
solle einen „echten Abschreckungseffekt“ produzieren?

b) Hat die Bundesregierung in ihren Überlegungen einfließen lassen, dass
syrische Flüchtlinge, insbesondere Christen, in Ägypten Opfer ggf. er-
niedrigender Behandlung werden können und genau deshalb von dort in
Richtung Europa weiterfliehen, und wenn nein, warum nicht?

c) Wird sich die Bundesregierung an diplomatischen Bemühungen oder einer
gemeinsamen diplomatischen Aktion Ägypten und Tunesien gegenüber
beteiligen, um sie zu einer Kooperation bei der Seenotrettung im Sinne
des Non-Papers zu bewegen?

d) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zum Funktionieren des
Asylsystems in Ägypten und Tunesien?

e) Ist die Bundesregierung bereit, sich an dem im Non-Paper geforderten
„ernsthaften und starken Engagement“ zur „Verbesserung der institutio-
nellen und operativen Kapazitäten“ zur Seenotrettung und zur Aufnahme
von Asylsuchenden in Tunesien und Ägypten zu beteiligen, und welche
Zusagen hat sie diesbezüglich gegenüber Italien, Frankreich und Spanien
gegeben?

Berlin, den 14. April 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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