BT-Drucksache 18/4518

Pläne zur Erarbeitung einer erneuten Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung

Vom 27. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4518
18. Wahlperiode 27.03.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Harald Petzold (Havelland),
Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und
der Fraktion DIE LINKE.

Pläne zur Erarbeitung einer erneuten Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung

In seiner Ausgabe 11/2015 berichtet „DER SPIEGEL“ über Pläne der Bundes-
regierung zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung durch die nationale Ge-
setzgebung. Diesbezüglich soll es bereits Gespräche zwischen dem Bundes-
minister des Innern, Dr. Thomas de Maizière und dem Bundesminister der Justiz
und für Verbraucherschutz, Heiko Maas, über die Ausgestaltung der Regelungen
gegeben haben. Der Bundesjustizminister dementierte dies allerdings und
verwies darauf, dass er seit mehr als einem Jahr mit dem Bundesinnenminister
über die Probleme des Sammelns und Speicherns von Telefon- und Internetdaten
rede und es diesbezüglich „nichts Neues“ gebe (www.sueddeutsche.de/digital/
vorratsdatenspeicherung-maas-gegen-datensammeln-1.2383975). Darüber hi-
naus geht aus dem „SPIEGEL“-Artikel hervor, dass die Europäische Kommission
der Bundesregierung kürzlich signalisiert habe, dass mit einer neuen Richtlinie
zur Vorratsdatenspeicherung auf absehbare Zeit nicht zu rechnen sei.
Dabei hieß es noch im Januar 2015, dass Überlegungen zu einer erneuten, mit
dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) konformen Wiedereinfüh-
rung der Vorratsdatenspeicherung angestellt werden. Der europäische Innen-
kommissar Dimitris Avramopoulos wollte offenbar noch in diesem Jahr eine
„breit angelegte Konsultation in die Wege leiten, ob und wie es künftig einen
neuen Anlauf für eine EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung geben kann“.
Durch die Europäische Kommission soll ein „umsichtiger und robuster Ansatz“
für einen zweiten Anlauf gefordert worden sein. Dazu gehört offenbar auch die
Überlegung „einer möglichen neuen Fassung des Vorschlages“ , welcher auch
die Speicherung von Datensätzen aus Social Media „wirksam“ machen soll
(www.netzpolitik.org/2015/vorratsdatenspeicherung-auf-eu-ebene-kommission-
prueft-neue-richtlinie-und-ausweitung-auf-social-media/).
Im März 2015 wurde dies jedoch offiziell durch die Sprecherin der General-
direktion Migration und Inneres (DG HOME) gegenüber der Internetplattform
„Netzpolitik.org“ für hinfällig erklärt (www.netzpolitik.org/2015/vertretung-
der-eu-kommission-in-deutschland-abkehr-von-vorratsdatenspeicherung-auf-
eu-ebene/).
Die Öffentlichkeit kann, angesichts der sich ständig widersprechenden Verlaut-
barungen und darauffolgenden Dementis aus der Großen Koalition, nicht aus-
machen, welche Pläne die Bundesregierung in Punkto Vorratsdatenspeicherung
verfolgt. Daran änderte auch die Aktuelle Stunde „Pläne der Bundesregierung
für einen nationalen Alleingang bei der Vorratsdatenspeicherung“ am 18. März
2015 im Deutschen Bundestag nichts.

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Die Vorratsdatenspeicherung wurde im Jahr 2010 vom Bundesverfassungs-
gericht als verfassungswidrig kategorisiert und im Jahr 2014 vom EuGH wegen
Verstoßes gegen mehrere Artikel der Europäischen Grundrechtecharta aufgeho-
ben. Mehrere Studien, darunter die des Wissenschaftlichen Dienstes des Deut-
schen Bundestages und des Max-Planck-Instituts für ausländisches und interna-
tionales Strafrecht, hatten gezeigt, dass die Vorratsdatenspeicherung keinen oder
allenfalls einen marginalen Effekt auf die Erfolgsquote der Strafverfolgungs-
behörden hat und somit ihre Notwendigkeit nicht erwiesen ist.
Trotzdem folgte unmittelbar nach den Anschlägen in Frankreich eine Positio-
nierung innerhalb der Bundesregierung und der Großen Koalition zum Thema
Vorratsdatenspeicherung. So betonte die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
während einer Fraktionssitzung der CDU/CSU, dass es nicht verfassungswid-
rig sei, Verbindungs- und Standortdaten länger aufzubewahren (www.heise.de/
newsticker/meldung/Merkel-draengt-auf-Vorratsdatenspeicherung-nach-Pariser-
Anschlaegen-2517587.html). Insbesondere Vizekanzler Sigmar Gabriel, SPD,
vertrat die Meinung, es wäre gut, „wenn die Vorschläge, die von der damaligen
Bundesregierung verworfen wurden, jetzt sorgfältig beraten würden“ (www.
sueddeutsche.de/news/panorama/terrorismus-gabriel-prinzipiell-offen-fuer-
vorratsdatenspeicherung-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-150114-99-09273).
Diese konkretisierte und bekräftigte er am 15. März 2015 während eines Inter-
views mit dem Deutschlandfunk. Dort konstatierte er: „Ich bin der Überzeugung,
wir brauchen das […].“ Gleichzeitig warb der Bundesminister für Wirtschaft und
Energie, Sigmar Gabriel, für eine „ideologiefreie Debatte“ und warnte, „die
Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen“ (www.netzpolitik.org/2015/spd-
chef-sigmar-gabriel-fordert-wiedereinfuehrung-der-vorratsdatenspeicherung/).
Der SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sprach sich dafür aus, dass mit Au-
genmaß überlegt werden müsse, ob und welche Konsequenzen aus den Anschlä-
gen von Paris zu ziehen seien und dass es jetzt an der Kommission sei, eine neue
Richtlinie zu erarbeiten – das müsse man allerdings in Ruhe abwarten (vgl. ebd.).
Einzig und allein der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz,
Heiko Maas, lehnte die Vorratsdatenspeicherung kategorisch ab. Es sei „fahrläs-
sig, den Leuten weiszumachen, dass Anschläge damit zu verhindern seien“
(www.deutschlandfunk.de/bundesjustizminister-maas-
vorratsdatenspeicherung.694.de.html?dram:article_ id=308417).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wann und in welchem Rahmen fanden bzw. finden die Gespräche zwischen

dem Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière und dem Bundesjustiz-
minister Heiko Maas zur möglichen Gestaltung von gesetzlichen Regelungen
zur Vorratsdatenspeicherung auf nationaler Ebene statt, und wer nahm bzw.
nimmt daran jeweils teil?

2. Wie ist der aktuelle Stand der Gespräche zwischen dem Bundesinnenminister
und dem Bundesjustizminister?

3. Worin bestehen zum jetzigen Zeitpunkt mögliche Differenzen zwischen dem
Bundesinnenminister und dem Bundesjustizminister hinsichtlich
a) der Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung zur Vorratsdatenspeiche-

rung im Allgemeinen,
b) der technischen und rechtlichen Umsetzung eines solchen Gesetzesvorha-

bens?

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4. Wie gedenkt die Bundesregierung die Vorhaben zur Vorratsdatenspeiche-
rung unter Einhaltung der Vorgaben des EuGH und denen des Bundesver-
fassungsgerichts umzusetzen, und zieht sie vor diesem Hintergrund grund-
rechtsschonendere Verfahren in Betracht?
Wenn ja, welche, und wie soll bei diesen Verfahren jeweils die Verhältnis-
mäßigkeit gewahrt werden?

5. Worin bestehen nach Auffassung der Bundesregierung rechtliche Schwie-
rigkeiten bei der Erarbeitung und Umsetzung einer nationalen Gesetzge-
bung zur Vorratsdatenspeicherung?

6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Bundesbeauftragten für den
Datenschutz und die Informationsfreiheit Andrea Voßhoff, dass die Vorrats-
datenspeicherung nach dem Urteil des EuGH vom April 2014 nur noch
unter strengen Auflagen möglich sei und somit letztlich keinen Nutzen etwa
bei den Ermittlungen der Behörden bieten würde (vgl. SPIEGEL ONLINE
vom 1. Februar 2015)?
Wenn nein, warum nicht?

7. Existieren neue Erkenntnisse und Fälle, die einen schlüssigen Nachweis für
die Erforderlichkeit der Vorratsdatenspeicherung führen können, und wenn
ja, welche sind dies im Detail?

8. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Abgeordneten Elisabeth
Winkelmeier-Becker, die in der Aktuellen Stunde vom 18. März 2015 zur
Untermauerung ihrer Forderung nach Wiedereinführung der Vorratsdaten-
speicherung zahlreiche Beispiele von Urheberrechtsverstößen und Betrug
vortrug, dass für diese Tatbestände eine Vorratsdatenspeicherung zur Er-
mittlung der Täter nötig sei (Plenarprotokoll 18/93; bitte begründen)?

9. Räumt die Bundesregierung ein, dass bei den Ermittlungen nach den An-
schlägen von Anders Breiviks in Norwegen entgegen verschiedener öffent-
licher Behauptungen, wie u. a. des Vizekanzlers Sigmar Gabriel im „ARD-
Brennpunkt“ vom 27. November 2013, eine Vorratsdatenspeicherung keiner-
lei Rolle gespielt hat, weil es eine solche auch in Norwegen nicht gegeben
hat (www.netzpolitik.org vom 17. März 2015 „Sigmar Gabriel und die Vor-
ratsdatenspeicherung in Norwegen: Lügen haben kurze Beine“)?
Kann die Bundesregierung die Aussagen des SPD-Parteivorstandes „die
Norweger haben das Instrument der Vorratsdatenspeicherung im Fall
Breivik genutzt, ohne rechtliche Grundlage. Also nein. Herr Gabriel lügt
nicht.“ (vgl. www.netzpolitik.org vom 20. März 2015 „Journalisten sind
keine Bürger. Und Vorratsdatenspeicherung in Norwegen heißt in Wahrheit
NSA“) bestätigen, und wenn ja, aufgrund welcher Informationen?
Wenn nein, gab es nach Kenntnis der Bundesregierung bereits Beschwerden
seitens der Regierung Norwegens?

10. Welche Regelungen sieht die Bundesregierung als geeignet an, die im Gut-
achten des Max-Planck-Instituts Freiburg vom Februar 2008 zitierten Sach-
verständigen (Polizeibeamte, Mitarbeiter von Telekommunikationsunter-
nehmen, Datenschützer) und die von ihnen geäußerten Vermutungen zu
widerlegen, dass die Nutzung der Vorratsdatenspeicherung allen verfah-
rensrechtlichen Schranken zum Trotz, vom Einzelfall- zu einem Standard-
ermittlungsinstrument in der Polizeiarbeit entwickeln wird?

11. Teilt die Bundesregierung die vonseiten des Bundeskriminalamts vertretene
Meinung (Gutachten zu den Auswirkungen des Urteils des Bundesverfas-
sungsgerichts zu „Mindestspeicherfristen“ vom 27. Januar 2012), dass eine
kürzere als eine Sechsmonatsspeicherfrist aus polizeilicher Sicht ineffektiv

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sei, und welche Sicherheiten kann sie dafür geben, dass jede kürzere Frist
sich als Türöffner für immer längere erweisen wird?

12. Wurden konkrete Vorschläge für die Neuregelung einer Richtlinie zur Vor-
ratsdatenspeicherung vonseiten der Europäischen Kommission einge-
bracht?
Wenn ja, wann, in welchem Rahmen und welcher Art?

13. Inwieweit unterstützt die Bundesregierung das ursprüngliche Vorhaben der
Europäischen Kommission, auch die Speicherung von Daten aus Social
Media in eine neue Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung aufnehmen zu
wollen?

14. Welche konkreten Vorschläge für eine Neuregelung einer Richtlinie zur
Vorratsdatenspeicherung wurden nach Kenntnis der Bundesregierung bis-
her im EU-Rat durch wen eingebracht und gegebenenfalls mit wessen Zu-
stimmung bzw. Ablehnung abgestimmt?

15. Welche Position nahmen und nehmen die Vertreterinnen und Vertreter des
Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) und des
Bundesministeriums des Innern (BMI) bei den Gesprächen im EU-Rat hin-
sichtlich einer Neuauflage einer Vorratsdatenspeicherung ein (bitte nach
Ressort aufschlüsseln)?

16. Wurden durch das BMJV und das BMI im EU-Rat bereits Vorschläge hin-
sichtlich einer neuen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung eingebracht?
Wenn ja, welche sind dies (bitte nach Datum, Verfasser, Gremium und je-
weiligem Vorschlag aufschlüsseln)?

17. Wie schätzt die Bundesregierung die Einführung einer Vorratsdatenspeiche-
rung bei gleichzeitiger Existenz der Regelungen zu PNR und SWIFT sowie
anderer Datenbanken vor dem Gesamtbilanz-Argument des Bundesverfas-
sungsgerichts (BVerfG, 1 BvR 256/08 vom 2. März 2010) ein (bitte begrün-
den)?

18. Wie schätzt die Bundesregierung die Pläne zur Neuauflage einer Richtlinie
zur Vorratsdatenspeicherung vor dem Hintergrund des gerade erschienenen
Gutachtens des Juristischen Dienstes des Europäischen Parlaments vom
22. Dezember 2014 („LIBE – Questions relating to the judgment of the
Court of Justice of 8 April 2014 in Joined Cases C-293/12 and C-594/12,
Digital Rights Ireland and Seitlinger and others – Directive 2006/24/EC on
data retention – Consequences of the judgment“) über Konsequenzen aus
dem EuGH-Urteil zur Richtlinie 2006/24/EG im Hinblick auf ihre Reali-
sierungschancen ein (bitte jeweils begründen)?

19. Würde die Bundesregierung nach einer nationalen Regelung weiterhin eine
europäische Lösung verfolgen und sich an der Erarbeitung dieser einbrin-
gen?

Berlin, den 26. März 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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