BT-Drucksache 18/4508

Völker- und Menschenrechtsverletzungen in der Westsahara

Vom 24. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4508
18. Wahlperiode 24.03.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Sevim Dağdelen, Christine
Buchholz, Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Dr. Alexander S. Neu,
Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Völker- und Menschenrechtsverletzungen in der Westsahara

Die auf UN-Ebene (UN – Vereinte Nationen) anerkannte Unabhängigkeit der
Westsahara bleibt auch Anfang des Jahres 2015 weiter aus. Die UN-Resolution
690 zur Abhaltung eines Referendums über die völkerrechtliche Zukunft der
Westsahara ist nach wie vor nicht umgesetzt worden. Die UNO-Mission
MINURSO zur Vorbereitung und Durchführung der Volksabstimmung ist seit
dem Jahr 1991 ergebnislos geblieben. Im Gebiet der Westsahara finden weiter-
hin laufend Völker- und Menschenrechtsverletzungen statt. Unter Berücksich-
tigung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus dem Jahr 2013 (Bundestagsdrucksache 17/
13602), ergeben sich weitere Fragen, insbesondere zum verminten Mauerstrei-
fen, zu den mehrfach erhobenen Kinderfolter-Vorwürfen und den Aktivitäten
deutscher Unternehmen in der Region.
Zwischen dem marokkanisch besetzten und dem von der POLISARIO be-
herrschten Teil hat das Königreich Marokko in den Jahren 1980 bis 1987 eine
2 700 km lange Mauer im Sand (www.un.org vom 10. Oktober 2014) errichtet,
zu deren Verstärkung circa sieben Millionen Landminen verlegt wurden. Jähr-
lich sterben tausende Menschen durch explodierende Minen oder werden
schwer verletzt. Damit verstößt das Königreich gegen die UN-Resolution 2625,
der zufolge „das Hoheitsgebiet eines Staates […] nicht zum Gegenstand der An-
eignung durch einen andren Staat als Ergebnis der Androhung oder Anwendung
von Gewalt gemacht werden [darf]“. An der Grenze zwischen der Westsahara
und Mauretanien werden mehrere Millionen Minen vermutet. Nach Informa-
tionen des Auswärtigen Amts unterstützt die Bundesregierung die Nichtregie-
rungsorganisation „Norwegian People’s Aid“ (NPA) bei der Minen- und Kampf-
mittelräumung auf mauretanischer Seite.
Ferner haben in den vergangenen Jahren Menschenrechtsorganisationen immer
wieder auf die Missachtung der UN-Kinderrechtskonvention durch Marokko
hingewiesen, die es im Jahr 1993 unterzeichnet hat. Über mehrere Vorwürfe der
Folter an Minderjährigen im von Marokko besetzten Gebiet hat bislang keine
unabhängige Untersuchung stattgefunden, wie es unter anderem Amnesty Inter-
national gefordert hatte (www.spsrasd.info/fr/content/six-sahraouis-dont-un-
enfant-tortur%C3%A9s-amnesty-international-appelle-%C3%A0-une-enqu%C
3%AAte-ind%C3%A9pendan).
Nach Informationen der spanischen Tageszeitung „El País“ soll der saharauische
Aktivist Hassanna Aalia in Kürze aus Spanien abgeschoben werden (www.
politica.elpais.com/politica/2015/01/20/actualidad/1421768023_687243.html).

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Nach seiner Heimkehr in die Westsahara droht ihm lebenslange Haft in einem
marokkanischen Gefängnis, weil er im Jahr 2011 an einer friedlichen Demons-
tration gegen die völkerrechtswidrige marokkanische Besatzung der Westsahara
teilgenommen hatte.
Fast zeitgleich zum Beschluss der spanischen Behörden, Hassanna Aalia
abzuschieben, besuchte der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter
Steinmeier, gemeinsam mit einer Wirtschaftsdelegation und einigen Bundes-
tagsabgeordneten die Länder des Maghreb, darunter auch Marokko. Seit über
einem Jahr nehmen wieder Militärbeobachter der Bundeswehr an der bisher
nach Auffassung der Fragesteller ergebnislosen UN-Mission MINURSO teil.
Das Wüstengebiet der Westsahara ist sehr phosphatreich und eignet sich über-
durchschnittlich gut für die Erzeugung von Solar- und Windenergie. Aus diesem
Grund ist es für die marokkanische Wirtschaft – aber auch für Unternehmen aus
anderen Staaten – von großem Interesse. Die Aneignung von Profit durch
marokkanische und internationale Unternehmen, der aus wirtschaftlichen Ak-
tivitäten auf dem Gebiet der Westsahara gewonnen wird, ist völkerrechtlich
höchst umstritten.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Verlegung von Land-

minen entlang der 2 700 km langen Mauer im Sand, die das durch Marokko
völkerrechtlich besetzte Gebiet von dem von der POLISARIO befreiten Ge-
biet trennt, in der Westsahara?

2. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Anzahl der Land-
minen, die an der Mauer sowie an der Grenze zwischen der Westsahara und
Mauretanien angebracht sind?

3. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Herkunft sowie die
Art der Minen, die an der Mauer innerhalb der Westsahara sowie an der
Grenze zwischen der Westsahara und Mauretanien liegen?

4. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Minen, nichtexplodierte
Geschosse und Munitionen auf dem Gebiet der Westsahara über die ge-
nannten Mauer- bzw. Grenzgebiete hinaus?

5. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl der Opfer, die seit
dem Jahr 1987 auf dem gesamten Gebiet der Westsahara durch Minen
getötet oder schwer verletzt worden sind (bitte nach Regionen unterteilt auf-
führen)?

6. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Projekte humanitärer
Minen- und Kampfmittelräumung auf dem Gebiet der Westsahara?

7. Inwieweit beteiligt sich die Bundesregierung an humanitärer Minen- und
Kampfmittelräumung auf dem Gebiet der Westsahara?

8. Inwieweit spielt die Minenproblematik eine Rolle in den bilateralen Ge-
sprächen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich
Marokko sowie zwischen der EU und Marokko?

9. Welche Rolle spielt die Europäische Union für das Mittelmeer bei der
humanitären Minenräumung auf dem Gebiet der Westsahara?
Welche Rolle sollte sie aus Sicht der Bundesregierung spielen?

10. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Staaten, die beim Trans-
port von Materialien zum Bau der 2 700 km langen Mauer im Sand in der
Westsahara beteiligt waren?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4508
11. Welche Kenntnisse hat die die Bundesregierung über die Herkunft der Ma-
schinen, die das Königreich Marokko beim Bau dieser Mauer eingesetzt
hat?
Kann die Bundesregierung ausschließen, dass auch deutsche oder andere
europäische Unternehmen daran beteiligt waren?

12. Wie beurteilt die Bundesregierung die Errichtung der Mauer im Sand unter
dem Gesichtspunkt völkerrechtlicher Standards?

13. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der von Amnesty
International erhobenen Forderung nach Einsetzung einer unabhängigen
Untersuchung über die Foltervorwürfe vom 17. Mai 2013, als sechs Häft-
linge, darunter der minderjährige Hussein Abbah (17) in marokkanischer
Polizeihaft gefoltert worden sein sollen (www.spsrasd.info/fr/content/six-
sahraouis-dont-un-enfant-tortur%C3%A9s-amnesty-international-appelle-
%C3%A0-une-enqu%C3%AAte-ind%C3%A9pendan)?

14. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Behandlung der zwei
Minderjährigen, die im Zuge einer Demonstration vom 29. Dezember 2012
in Marrakesch verhaftet und gemäß Amnesty International zu zwei Mona-
ten Haft verurteilt worden sind (www.amnesty.org/fr/library/asset/MDE29/
004/2014/fr/ef5d6c2c-982e-4056-b8ee-0ad82e7dddd7/mde290042014en.
pdf)?

15. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den von „Sahara Press
Service“ gemeldeten Fall der drei minderjährigen Söhne des Sahrauis
Mʼbarek Daoudi, die am 12. August 2013 im Klimime ohne rechtliche
Grundlage verhaftet und vor der Familie geschlagen worden sind (www.
spsrasd.info/fr/content/arrestation-de-trois-jeunes-sahraouis-dans-le-sud-
du-maroc)?

16. Hat nach Kenntnis der Bundesregierung eine Verurteilung Marokkos wegen
Verletzung der Artikel 19, 37, 40 des Übereinkommens über die Rechte des
Kindes aus dem Jahr 1989 durch ein UN-Organ stattgefunden, und wenn
nicht, inwieweit hat die Bundesregierung eine Verurteilung gefordert?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung die von spanischen Behörden angekün-
digte Abschiebung des saharauischen Aktivisten Hassanna Aalia vor dem
Hintergrund der Menschenrechtslage auf dem Gebiet der Westsahara?

18. Inwieweit hat die Bundesregierung ihren Einfluss auf EU-Ebene und in
bilateralen Gesprächen mit der spanischen Regierung geltend gemacht, um
die Abschiebung Hassanna Aalias zu verhindern?

19. Welche Ergebnisse hatte die Reise des Bundesministers des Auswärtigen,
Dr. Frank-Walter Steinmeier, in der Woche vom 19. Januar 2015 in Ma-
rokko?

20. Welche deutschen Wirtschaftsvertreterinnen und Wirtschaftsvertreter haben
den Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier, auf die-
ser Reise begleitet?

21. Welche wirtschaftlichen Kooperationsvereinbarungen wurden zwischen
Deutschland und Marokko getroffen?

22. Inwieweit waren Menschenrechte und Minenräumung auf dem Gebiet der
Westsahara Teil der Gespräche mit der marokkanischen Regierung?

23. Wie beurteilt die Bundesregierung die ökonomische Erschließung, Nutzung
und Profitabschöpfung deutscher und anderer internationaler Unternehmen
auf völkerrechtlich besetztem saharauischen Territorium unter dem Ge-
sichtspunkt des ungeklärten Völkerrechtsstatus der Westsahara?

Drucksache 18/4508 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
24. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die wirtschaftlichen
Aktivitäten deutscher Firmen in der völkerrechtswidrig besetzten West-
sahara?

25. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die wirtschaftlichen Ak-
tivitäten marokkanischer Firmen mit deutschen Beteiligungen im Gebiet
der völkerrechtswidrig besetzten Westsahara?

26. Welche Kenntnisse hat die Bunderegierung über die Aktivitäten internatio-
naler Firmen mit deutschen Beteiligungen im Gebiet der völkerrechtswidrig
besetzten Westsahara?

27. Inwiefern sieht die Bundesregierung einen Widerspruch zwischen ihren
menschenrechtspolitischen Leitlinien, ihrem Einsatz fürs Völkerrecht und
der Tatsache, dass das deutsche Unternehmen Siemens AG auf dem Gebiet
der Westsahara in Partnerschaft mit der marokkanischen Industrie- und
Finanzgruppe Nareva Holding ein Windpark-Projekt in Foun El Qued, nahe
El Ayoun, betreibt (www.gtai.de vom 4. März 2013 „Marokko treibt Wind-
kraft voran“)?

28. Resultiert aus Sicht der Bundesregierung aus Vertragsabschlüssen zwischen
deutschen und marokkanischen Unternehmen eine De-facto-Anerkennung
Marokkos als Gebietssouverän über den von ihm völkerrechtswidrig be-
setzten Teil der Westsahara?

29. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den aktuellen Stand der
Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen Marokko und der
EU, und welche Rolle spielt die Situation im Gebiet der Westsahara dabei?

30. Inwieweit würde nach Kenntnis der Bundesregierung das Inkrafttreten der
Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der
Europäischen Union und den Vereinigten Staaten (TTIP), des europäisch-
kanadischen Freihandelsabkommens (CETA) und des transatlantischen
Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen (TiSA) die Handels-
beziehungen zwischen Marokko und den EU-Staaten verändern?

31. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass Produkte aus
den völkerrechtswidrig besetzten Gebieten der Westsahara auf den europä-
ischen Markt gelangen (z. B. Tomaten), ohne dass sie als solche erkennbar
sind, sondern vom marokkanischen Landwirtschaftsministerium mit dem
Etikett „Hergestellt in Marokko“ versehen werden und damit gegen eine der
Schlüsseldirektiven der EU, die den Verbraucherinnen und Verbrauchern
zusichert, bezüglich des Herkunftslandes der Produkte wahrheitsgetreu
informiert zu werden, verstößt (vgl. Western Sahara Ressource Watch
– WSRW – vom 18. Juni 2012 „EU-Konsumenten unterstützen unwissent-
lich die Besetzung der Westsahara“)?

32. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die humanitäre Hilfe
Kubas und Venezuelas für die Westsahara (www.amerika21.de/2013/11/
92653/venezuela-kuba-west-sahara)?

Berlin, den 10. Februar 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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