BT-Drucksache 18/4413

Ausbau des ursprünglich zur Internetbeobachtung gestarteten BKA-Projekts "Check the Web" zur Meldestelle für unliebsame Internetinhalte

Vom 19. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4413
18. Wahlperiode 19.03.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Annette Groth, Ulla Jelpke, Harald Petzold
(Havelland), Martina Renner und der Fraktion DIE LINKE.

Ausbau des ursprünglich zur Internetbeobachtung gestarteten BKA-Projekts
„Check the Web“ zur Meldestelle für unliebsame Internetinhalte

In dem im Jahr 2007 vom Bundeskriminalamt (BKA) initiierten Europol-Pro-
jekt „Check the Web“ (Ratsdokument 8457/3/07) speichert Europol umfangrei-
che Informationen zu Personen, Sachen und Vorgängen. Im Rahmen von „Check
the Web“ wird das Internet durchsucht und werden auffällige Postings auch ge-
speichert. Gesammelt werden Informationen von „Webseiten und Verlautbarun-
gen von Organisationen/Personen aus dem Phänomenbereich des Islamistischen
Terrorismus“. Bereits zwei Jahre später wurde „Check the Web“ in eine Arbeits-
datei für Analysezwecke überführt. „Check the Web“ ist mittlerweile eine um-
fangreiche Datenbank mit grafischem Frontend geworden, an das alle beteilig-
ten Behörden angeschlossen sind. Sie wird sowohl von Europol als auch von den
teilnehmenden Staaten befüllt. Die Informationen werden mit Einschätzungen
angereichert, die dann von anderen Polizeibehörden eingesehen und abge-
glichen werden können. Außer den Kriminalpolizeien der Mitgliedstaaten sind
die Schweiz und Australien als „assoziierte Drittstaaten“ dabei.
Nun soll „Check the Web“ zu einer „Hinweisstelle“ (EU Internet Referral
Unit) ausgebaut werden (www.statewatch.org/news/2015/mar/eu-council-cosi-
terrorism-riga-statement-followUp-6606-15.pdf). Demnach wird die Einheit zu-
künftig als zuständige Hinweisstelle für die Internetbeobachtung und die
Speicherung unliebsamer Inhalte geführt. Bis Ende Mai 2015 sollen alle Mit-
gliedstaaten die polizeilichen Stellen benennen, die an der neuen Europol-Ein-
heit mitarbeiten wollen. Für Deutschland dürfte es sich dabei um eine Abteilung
des BKA handeln; was den Bereich der Internetkriminalität angeht, ist allerdings
auch das Landeskriminalamt Bayern auf europäischer Ebene überaus aktiv. Die
neue Europol-Einheit zur Beobachtung und Meldung unliebsamer Internet-
inhalte soll dann am 1. Juli 2015 ihre Arbeit beginnen.
Europol soll auch stärker mit Internetanbietern kooperieren. Zur Begründung
heißt es, das Internet sei ein Hauptfaktor für die „Radikalisierung“ hin zum Ter-
rorismus. Allein der schiere Umfang betreffender Internetinhalte erfordere eine
bessere Koordination. Deshalb will der Rat der Europäischen Union nicht nur
den Austausch Europols über inkriminierte Inhalte mit „relevanten Partnern“
ausbauen, sondern auch die Einlieferung von Hinweisen „schnell, effizient und
effektiv“ gestalten. Europol soll die gemeldeten Inhalte dann mit strategischen
Analysen unterfüttern und Empfehlungen für operative Maßnahmen aus-
sprechen. Hierzu gehört auch, Provider zu Löschungen zu bewegen. Es müssten
deshalb auch Kooperationen mit der Industrie eingegangen werden. Um welche
Sektoren der Privatwirtschaft es sich dabei handelt, wird nicht gesagt, vermut-
lich sind aber Internetdiensteanbieter gemeint. Vor ihrer Oktobersitzung im Jahr

Drucksache 18/4413 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
2014 hatten sich die Innenminister aller Mitgliedstaaten der Europäischen
Union hierzu mit den Internetkonzernen Twitter, Google, Microsoft und Face-
book zu einem informellen Abendessen getroffen. Auch die Europäische Kom-
mission war eingeladen. Ziel war es, „Instrumente und Techniken“ zu ent-
wickeln, um den „terroristischen Onlineaktivitäten“ entgegenzutreten (Bundes-
tagsdrucksache 18/3236).
Aus der informellen Zusammenkunft vom Oktober 2014 ist laut dem Ratsdoku-
ment nun ein „Forum der Gemeinschaft der Internetdienstleister“ geworden, das
die Arbeit von Europol ausdrücklich unterstützen soll. Allerdings ist unklar, um
welche inkriminierten Inhalte es sich eigentlich handeln soll. Denn in Bezug auf
Videos von Enthauptungen oder anderen Gräueltaten sind die Interdienstleister
längst von sich aus bemüht, Filme möglichst schnell zu erkennen und den Zu-
gang zu sperren. Dass es für den Geltungsbereich des Grundgesetzes und auch
außerhalb desselben keine konkreten Defizite in der bereits existierenden Praxis
der Anbieter von Telemediendiensten, gewaltverherrlichende Inhalte ohne Auf-
forderung durch Behörden zu sperren oder zu löschen, gibt, hatte die Bundes-
regierung unlängst eingeräumt (Bundestagsdrucksache 18/4035).
Ohnehin können Verfahren zum leichteren Löschen unerwünschter Inhalte nicht
verallgemeinert werden, denn es müssen in allen Ländern unterschiedliche
rechtliche Voraussetzungen für Löschungen berücksichtigt werden. Die einzel-
nen Anbieter folgen ebenfalls unterschiedlichen Verfahren zur Meldung und Lö-
schung unerwünschter Inhalte. Sämtliche Anstrengungen zur Kooperation mit
Google & Co. bewegen sich unterhalb der Schwelle von Rechtsetzungen. Das
ist nach Ansicht der Fragestellerinnen und Fragesteller insofern problematisch,
als dass Europol dadurch seine Beobachtungsrolle verlässt. Die Agentur wird
dadurch zur Meldestelle für jene Inhalte, die nach Möglichkeit rasch entfernt
werden sollen. Die Bundesregierung hatte demgegenüber noch im Februar 2015
erklärt, ihr lägen „keine Informationen zu Plänen über die Einführung eines fes-
ten Verfahrens für die Löschung von Internetinhalten vor“. Durch die „EU Inter-
net Referral Unit“ wird dies jedoch durch die Hintertür umgesetzt.
Inwiefern für die „Internetbeobachtung“ automatisierte Verfahren genutzt wer-
den, ist unklar; Europol bewirbt aber online und in seinen Hochglanzbroschü-
ren gern seine Fähigkeiten zum Data Mining und Verarbeiten von Massendaten.
Im neuen Arbeitsprogramm werden die Anwendungen als „future-forecasting
and scenario techniques“ beschrieben (www.statewatch.org/news/2015/jan/eu-
europol-2015-work-programme.pdf). Die Nutzung solcher Technologien wäre
dem BKA bislang nicht gestattet. Ob vom BKA angelieferte Daten auf in
Deutschland unzulässige Weise bei Europol verarbeitet werden, ist der Bundes-
regierung nach eigener Aussage nicht bekannt (Bundestagsdrucksache 18/4035).
Aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller verstieße dies aber gegen Da-
tenschutzbestimmungen. Die Bundesregierung muss dieses Wissensdefizit des-
halb ausgleichen und die erforderlichen Informationen bei Europol besorgen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Auf welche Weise ist das BKA an „Check the Web“ beteiligt, und inwiefern

wird dort von deutschen Behörden eine führende Rolle eingenommen?
2. Wer hatte nach Kenntnis der Bundesregierung den Vorschlag gemacht, das

vom BKA initiierte Projekt „Check the Web“ in eine Arbeitsdatei für Analy-
sezwecke zu überführen, und welche Gründe waren hierfür maßgeblich?

3. Welche Arten von Daten (Personen, Sachen, Vorgänge) enthält „Check the
Web“?
a) Welche Datenfelder existieren für die Eingabe von Informationen bei

„Check the Web“?
b) Wie viele Daten sind derzeit bei „Check the Web“ gespeichert?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4413
4. Wann hatten die Schweiz und Australien oder auch andere Länder sich nach
Kenntnis der Bundesregierung zur Aufnahme als „assoziierte Drittstaaten“
beworben, und welche Gründe gaben die Regierungen hierfür an?

5. Wie hat sich die Bundesregierung in der Vergangenheit zur Erweiterung der
Fähigkeit zur Meldung von Internetinhalten bei Europol positioniert?

6. Wer hat nach Kenntnis der Bundesregierung den Vorschlag eingebracht,
„Check the Web“ zu einer „Hinweisstelle“ (EU Internet Referral Unit) aus-
zubauen?
a) Wie hat sich die Bundesregierung zur Umwandlung des „Check the

Web“-Projekts in eine EU Internal Referral Unit positioniert?
b) Worin genau besteht der Unterschied zur bisherigen Arbeit von „Check

the Web“?
7. Welche polizeilichen Stellen wird die Bundesregierung zur Zusammenar-

beit mit „Check the Web“ benennen (bitte auch die Abteilungen nennen)?
a) Welche erforderlichen Ressourcen bzw. welches Personal werden für die

nationalen Kontaktstellen beschafft bzw. abgestellt?
b) Welche Kosten entstehen hierfür?
c) Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern auch bei Euro-

pol Ressourcen oder Personal beschafft werden müssen und welche Kos-
ten dabei entstehen?

8. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, ob Europol zukünf-
tig Risikoanalysen auf Basis seiner Internetbeobachtung via „Check the
Web“ erstellen soll?

9. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, ob Europol zukünf-
tig Empfehlungen für operative Maßnahmen aussprechen soll, und was ist
aus Sicht der Bundesregierung darunter zu verstehen?

10. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern Europol
im Rahmen von „Check the Web“ stärker mit Internetanbietern oder ande-
ren Partnern kooperieren soll?

11. Um welche Internetanbieter oder anderen Partner handelt es sich aus Sicht
der Bundesregierung dabei konkret?

12. Da die Bundesregierung bislang der Ansicht war, dass es für den Geltungs-
bereich des Grundgesetzes und auch außerhalb desselben keine konkreten
Defizite in der bereits existierenden Praxis der Anbieter von Telemedien-
diensten gibt, gewaltverherrlichende Inhalte ohne Aufforderung durch Be-
hörden zu sperren oder zu löschen (Bundestagsdrucksache 18/4035), inwie-
fern ist eine Kooperation von Europol mit Internetanbietern oder anderen
Partnern im Rahmen von „Check the Web“ aus Sicht der Bundesregierung
dann überhaupt nötig?

13. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern Europol
im Rahmen von „Check the Web“ gefundene terroristische oder extremisti-
sche Onlineinhalte und Verteilung der Information an Internetanbieter oder
andere Partner weiterleiten soll?
a) Welcher Zweck wird damit verfolgt?
b) Inwiefern übernimmt Europol damit aus Sicht der Bundesregierung die

Funktion einer Meldestelle für jene Inhalte, die nach Möglichkeit rasch
entfernt werden sollen, wozu die Bundesregierung noch im Februar 2015
erklärte, ihr lägen „keine Informationen zu Plänen über die Einführung
eines festen Verfahrens für die Löschung von Internetinhalten vor“ (Bun-
destagsdrucksache 18/4035)?

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14. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung weiterhin zu, dass
es seit dem informellen Abendessen mit Vertretern der Internetkonzerne
Twitter, Google, Microsoft und Facebook am Vorabend des Rates für Justiz
und Inneres der EU am 8. Oktober 2014 in Luxemburg keine weiteren Ge-
spräche oder sonstigen Zusammenarbeitsformen mit den dort vertretenen
Diensteanbietern in diesem Format gegeben hat (Bundestagsdrucksachen
18/3655 und 18/4035)?

15. Was ist nach Kenntnis der Bundesregierung mit der Formulierung „Forum
der Gemeinschaft der Internetdienstleister“ gemeint (www.statewatch.org/
news/2015/mar/eu-council-cosi-terrorism-riga-statement-followUp-6606-
15.pdf), und wie ist dieses Forum entstanden?

16. Wann wurde das „Forum der Gemeinschaft der Internetdienstleister“ nach
Kenntnis der Bundesregierung gegründet, und wie war das deutsche Bun-
desministerium des Innern daran beteiligt?

17. Wer gehört dem „Forum der Gemeinschaft der Internetdienstleister“ nach
Kenntnis der Bundesregierung an?

18. Worin besteht Aufgabe oder Ziel des „Forums der Gemeinschaft der Inter-
netdienstleister“?

19. Auf welche Weise sollte Europol aus Sicht der Bundesregierung mit dem
„Forum der Gemeinschaft der Internetdienstleister“ zusammenarbeiten?

20. Inwiefern ist die Bundesregierung willens, in Erfahrung zu bringen, ob bei
Europol für die Internetbeobachtung oder sonstige automatisierte Verfahren
zur Datenverarbeitung Fähigkeiten zum Data Mining und Verarbeiten von
Massendaten genutzt werden, die dem BKA in Deutschland nicht gestattet
wären (Bundestagsdrucksache 18/4035)?

21. Inwiefern ist die Bundesregierung in der Lage, in Erfahrung zu bringen, ob
bei Europol für die Internetbeobachtung oder sonstige automatisierte Ver-
fahren zur Datenverarbeitung solche Fähigkeiten zum Data Mining und Ver-
arbeiten von Massendaten genutzt werden, die dem BKA in Deutschland
nicht gestattet wären (Bundestagsdrucksache 18/4035)?

22. Wann könnte die EU Internal Referral Unit nach Kenntnis der Bundesregie-
rung ihren Betrieb aufnehmen?

Berlin, den 18. März 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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