BT-Drucksache 18/4345

Kooperation mit Mexiko überprüfen, Sicherheit und Wohlstand unterstützen

Vom 16. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4345
18. Wahlperiode 16.03.2015

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Heike Hänsel, Sevim Dağdelen, Annette Groth, Andrej Hunko,
Niema Movassat, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Kooperation mit Mexiko überprüfen, Sicherheit und Wohlstand unterstützen

Die Verschleppung und mutmaßliche Ermordung von 43 Lehramtsstudenten im
südmexikanischen Bundesstaat Guerrero bedeutet nicht nur für das lateinameri-
kanische Land eine Zäsur. Die Debatte über die Ursachen der Gewalt und die
hohe Straflosigkeit haben längst auch die Partnerstaaten Mexikos erreicht. Seit
den gewaltsamen Ereignissen Ende September 2014 in Guerrero ist die deutsche
Mexiko-Politik daher mehrfach auch im Deutschen Bundestag thematisiert wor-
den. Dabei ging es in erster Linie um die militärische und sicherheitspolitische
Zusammenarbeit, so etwa den Umstand, dass knapp 10 100 Gewehre des Typs
G36 der Heckler & Koch GmbH nach Mexiko verkauft worden sind (www.
spiegel.de vom 8. Februar 2015, „Waffenexport: Heckler & Koch lieferte
Tausende Sturmgewehre an Mexiko“) und Gewehre von Heckler & Koch im
Zusammenhang mit den 43 verschwundenen Lehramtsstudenten im Bundesstaat
Guerrero bei den Sicherheitskräften sichergestellt wurden (www.taz.de vom
10. Dezember 2014, „Die Spur führt nach Iguala“).
Die Militarisierung in Mexiko im Kontext des „Krieges gegen den Drogen-
handel“ wird von Menschenrechtsorganisationen äußerst kritisch gesehen (u. a.
www.revistas.unam.mx/index.php/rms/article/view/29532). So wurden Mitglie-
der der Armee ebenso wie Polizisten wiederholt für Verletzungen der Men-
schenrechte verantwortlich gemacht (www.jornada.unam.mx/2014/02/28/
politica/014n1pol). Dies ist nicht zuletzt im Fall des mutmaßlichen Massakers
in Guerrero der Fall, in das nach mexikanischen und internationalen Presse-
recherchen sowohl die mexikanische Bundespolizei als auch Armeeeinheiten
direkt oder indirekt verstrickt waren (www.somoselmedio.org/article/militares-
se-enfrentan-con-padres-de-los-normalistas-desaparecidos).
In der Debatte über die Hintergründe der jüngsten Gewalteskalation in Mexiko
haben Vertreter von Menschenrechtsgruppen, sozialen Organisationen und der
katholischen Kirche zuletzt stärker auf die soziale Misere in dem lateinamerika-
nischen Land hingewiesen. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, inwieweit
die wirtschaftliche Kooperation der Bundesrepublik Deutschland und der Euro-
päischen Union mit Mexiko dazu geeignet ist, zur Bekämpfung von Armut und
zu einer sozialen Entwicklung beizutragen. Vor allem das seit dem Jahr 2000
geltende Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit Mexiko
(www.trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2004/october/tradoc_111722.pdf) muss
einer kritischen Prüfung unterzogen werden.
Im Fall der bundesdeutschen Mexiko-Politik wird vor allem ein geplantes
„Sicherheitsabkommen“ mit Mexiko weiter in der Diskussion stehen. Darüber
hinaus ist unklar, welche Auswirkungen die handels- und entwicklungspoliti-
sche Kooperation mit Mexiko hat. In deutschen Medien wurde in diesem Kon-

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text in den vergangenen Jahren bereits die sogenannte Exportinitiative Sicher-
heitstechnologie kritisch gewürdigt (www.3sat.de/page/?source=/scobel/
172810/index.html). In Rahmen dieser Initiative haben Vertreter der deutschen
Botschaft in Mexiko-Stadt Lobbyarbeit für deutsche Rüstungskonzerne betrie-
ben. Angesichts der jüngsten Gewalttaten in Mexiko und der Verstrickung von
Sicherheitskräften in Menschenrechtsverletzungen erscheint auch dieses Agie-
ren deutscher Diplomaten in einem neuen Licht.
Schließlich stellt sich die Frage, inwieweit die deutsche Entwicklungspolitik
dem Anspruch gerecht wird, zu einer nachhaltigen Lösung der sozialen Pro-
bleme in Mexiko beizutragen. Exemplarisch wird dazu im Folgenden ein seit
2013 laufendes Projekt zur Entwicklung der Luft- und Raumfahrttechnologie
thematisiert.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie kann das derzeit verhandelte „Sicherheitsabkommen“ zwischen

Deutschland und Mexiko dazu beitragen, die Sicherheit der Bürgerinnen
und Bürger in Mexiko zu stärken?

2. Welche menschenrechtlichen und politischen Anforderungen stellt die Bun-
desregierung im Zuge der geplanten sicherheitspolitischen Kooperation an
die mexikanische Seite?

3. Inwieweit haben sich diese Anforderungen im Laufe des Verhandlungspro-
zesses verändert?

4. Auf Basis welcher Daten oder Beobachtungen kommt die Bundesregierung
zu der Schlussfolgerung (Plenarprotokoll 18/62, Antwort zu Frage 10), dass
eine als „mehr Sicherheit“ interpretierte Ausweitung der Zusammenarbeit
mit den mexikanischen Bundesbehörden den Schutz der Menschenrechte
stärken könnte?

5. Wie setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass die Positionen regie-
rungsunabhängiger Menschenrechtsorganisationen in einem etwaigen „Si-
cherheitsabkommen“ über bloße Gespräche mit Menschenrechtsorganisa-
tionen hinaus berücksichtigt werden?

6. Wie verhält sich die Bundesregierung zu der Aussage (www.amerika21.de/
2014/12/110204/mexiko-auswaertiges-amt-boehmer) mexikanischer Men-
schenrechtsorganisationen, die während ihrer Mexiko-Reise mit der Staats-
ministerin im Auswärtigen Amt, Dr. Maria Böhmer, zusammengekommen
sind und die Dr. Maria Böhmers Darstellung widersprechen, sie würden das
sogenannte Sicherheitsabkommen „grundsätzlich bejahen“?

7. Welche Mechanismen würden in einem etwaigen „Sicherheitsabkommen“
die Achtung der Menschenrechte gewährleisten?

8. Welche Möglichkeiten wird es geben, ein etwaiges „Sicherheitsabkommen“
auszusetzen (Exit-Klausel)?

9. Wie kann ein etwaiges „Sicherheitsabkommen“ dem Problem der Straflo-
sigkeit (www.es.amnesty.org/actua/acciones/mexico-injusticia-impunidad/)
unter mexikanischen Sicherheitskräften entgegenwirken, die für Menschen-
rechtsverletzungen verantwortlich sind?

10. Welchen Anteil hat der mexikanische Markt an Geschäften von deutschen
Rüstungs- und Sicherheitsunternehmen im Zeitraum ab dem Jahr 2000 bis
zum Jahr 2014 entwickelt (bitte jedes Jahr einzeln auflisten)?

11. Wie viele und welche Veranstaltungen hat die Deutsche Botschaft Mexiko-
Stadt in den vergangenen zehn Jahren für deutsche Rüstungs- und Sicher-
heitsunternehmen mitorganisiert (bitte einzeln auflisten)?

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12. Wie viele und welche Informationsveranstaltungen der Deutsch-Mexikani-
schen Industrie- und Handelskammer haben in der Deutschen Botschaft
zum Thema Sicherheitstechnologie in den letzten zehn Jahren stattgefunden
(bitte einzeln auflisten)?

13. Welche Aktivitäten der Deutsch-Mexikanischen Industrie- und Handels-
kammer fanden vonseiten und nach Kenntnis der Bundesregierung in den
vergangenen fünf Jahren im Zuge der „Exportinitiative Sicherheitstechno-
logie“ statt?

14. Wie bewertet die Bundesregierung die Aktivitäten dieser rüstungspoli-
tischen Initiative in Mexiko angesichts des Umstands, dass nach Angaben
des letzten Mexiko-Jahresberichtes (www.amnesty.de/jahresbericht/2013/
mexiko) der Menschenrechtsorganisation Amnesty International während
der sechsjährigen Präsidentschaft von Felipe Calderón, die im Dezember
2012 endete, 60 000 Menschen durch Drogengewalt zu Tode kamen und
150 000 vertrieben wurden?

15. Wird die „Exportinitiative Sicherheitstechnologie“ in Mexiko fortgeführt,
und wenn ja, mit welchen Zielen?
Wenn nein, weshalb nicht?

16. Gab es angesichts der Opferzahlen im Drogenkrieg in Mexiko Veränderun-
gen der „Exportinitiative Sicherheitstechnologie“?

17. Hat die Bundesregierung nach dem mutmaßlichen Massaker an 43 Lehr-
amtsstudenten im südmexikanischen Bundesstaat Guerrero Ende Septem-
ber 2014 Veränderungen in der polizeilichen Zusammenarbeit des Bundes-
kriminalamtes (BKA) mit mexikanischen Polizeibehörden vorgenommen?

18. Wie verhält sich die Bundesregierung zu Berichten mexikanischer und in-
ternationaler Medien, nach denen die vom BKA unterstützte mexikanische
Bundespolizei an der Verschleppung und mutmaßlichen Ermordung von
43 Lehramtsstudenten im südmexikanischen Bundesstaat Guerrero Ende
September 2014 beteiligt oder zumindest umfassend informiert war
(www.proceso.com.mx/?p=390560)?

19. Inwieweit ist die Deutsche Botschaft Mexiko-Stadt entsprechenden Berich-
ten nachgegangen?

20. Welche weitere Zusammenarbeit ist zwischen dem BKA und mexikani-
schen Polizeibehörden im Laufe des Jahres 2015 geplant?

21. Wie hat die mutmaßliche Ermordung von 43 Lehramtsstudenten im süd-
mexikanischen Bundesstaat Guerrero diese Kooperation bzw. weitere Pla-
nungen beeinflusst?

22. In welchen anderen Staaten Lateinamerikas und der Karibik führt das BKA
polizeiliche Ausbildungsmaßnahmen durch, und seit wann (bitte alle Län-
der und Zeiträume einzeln auflisten)?

23. Weshalb ist ein Sicherheitsabkommen notwendig, wenn das BKA seit
Jahren bereits polizeiliche Ausbildungsarbeit in Mexiko betreibt
(www.amerika21.de/2014/12/109882/polizei-mexiko-bka-ausbildung)?

24. Mit welchen anderen Staaten Lateinamerikas und der Karibik bestehen Si-
cherheitsabkommen oder sind Sicherheitsabkommen geplant?

25. Bestehen Mechanismen, mittels derer die Bundesregierung verhindern
kann, dass das durch die Ausbildung des BKA in Mexiko vermittelte Wis-
sen für repressive Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung missbraucht
werden kann?

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26. Welche Exporte von Waffen, Rüstungstechnologie und Dual-Use-Gütern
deutscher Rüstungsunternehmen nach Mexiko haben in den Jahren 2013
und 2014 stattgefunden (bitte detailliert aufführen)?

27. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, nach der die Ver-
schleppung und mutmaßliche Ermordung der 43 Lehramtsstudenten im
südmexikanischen Bundesstaat Guerrero in einem direkten kausalen und
ausschließlichen Zusammenhang mit der dort herrschenden Armut stehen,
dass also eine makroökonomische Verbesserung der Lage unmittelbar auch
die Situation der Menschenrechte verbessern würde?

28. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den von Men-
schenrechtsorganisationen und Angehörigen erhobenen Vorwürfen unzurei-
chender Ermittlungen durch die mexikanische Generalstaatsanwaltschaft
im Fall der mutmaßlichen Ermordung der 43 Lehramtsstudenten im süd-
mexikanischen Bundesstaat Guerrero (www.diepresse.com vom 28. Januar
2015)?

29. Ist die Bundesregierung angesichts der weitgehenden Einstellung der Er-
mittlungen der Meinung, dass eine viermonatige Ermittlungszeit im Fall
eines solchen Verbrechens ausreicht, um die Hintergründe zu klären und die
Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen?

30. Sieht die Bundesregierung in dem Wirtschaftsbündnis MISTA (Mexiko,
Indonesien, Südkorea, Türkei und Australien) eine Alternative zu der Ko-
operation mit den BRICS-Staaten, und plant die Bundesregierung eine en-
gere Kooperation auf wirtschaftlicher und/oder politischer Ebene?

31. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass das geltende Freihandelsab-
kommen zwischen der Europäischen Union und Mexiko modernisiert wer-
den muss, und wenn ja, worin sollte diese Novellierung bestehen?

32. Welche Bilanz im Hinblick auf Armutsbekämpfung und soziale Entwick-
lung innerhalb Mexikos zieht die Bundesregierung unter Einbeziehung der
Wirkungen des derzeit bestehenden Freihandelsabkommens zwischen der
Europäischen Union und Mexiko?

33. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung dieses Handelsabkommen
nachvollziehbar auf die soziale Gerechtigkeit in Mexiko ausgewirkt, etwa
auf die Entwicklung des Gini-Index oder vergleichbare Erfassungsmetho-
den?

34. Welchen entwicklungspolitischen Sinn hat nach Ansicht der Bundes-
regierung die Förderung eines seit dem Jahr 2013 laufenden Projektes zur
Unterstützung der Luft- und Raumfahrtindustrie in der industriell gut er-
schlossenen Region Querétaro, Mexiko, das mit Geldern des Bundes-
ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)
finanziert wird (www.sequa.de/index.php?option=com_content&view=
article&id=1340:mexiko-know-how-transfer-aus-baden-wuerttemberg-
fuer-eine-innovative-wettbewerbsfaehige-industrie-&catid=83:sequade&
Itemid=62)?

35. Welchen prozentualen Anteil des gesamten Engagements des BMZ in
Mexiko nimmt das genannte Vorhaben in Querétaro im Förderzeitraum ein?

36. In welchen anderen Staaten fördert das BMZ wirtschaftliche Entwicklungs-
vorhaben zur Unterstützung der Luft- und Raumfahrt in Entwicklungs- oder
Schwellenländern (bitte nur Angaben, die über die Antwort des Parlamen-
tarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung, Hans-Joachim Fuchtel, auf die Schriftliche
Frage 94 auf Bundestagsdrucksache 18/3519 hinausgehen)?

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37. Hat es während der Prüfung des Vorhabens durch die durchführende sequa
gGmbH Kritik an der Ausrichtung des Vorhabens gegeben, und wenn ja, in-
wiefern ist diese Kritik berücksichtigt worden?

38. Welche Gutachten und weiteren Berichte liegen der Bundesregierung zu
dem genannten Projekt vor, das im Rahmen der Kammer- und Ver-
bandspartnerschaft zwischen dem Landesverband der Baden-Württember-
gischen Industrie e. V. und mexikanischen Verbänden entwickelt wurde und
das von der sequa gGmbH mit Mitteln des BMZ durchgeführt wird (Gutach-
ten gegebenenfalls bitte anfügen)?

39. Gibt es im Besonderen einen Zwischenbericht zu dem genannten Vorhaben,
und wenn ja, zu welchem Ergebnis kommt er?

40. Wie und durch wen wird dieses Projekt evaluiert?
41. Inwieweit sollen Gutachten durchführender Organisationen dazu beitragen,

Korruption und/oder den Missbrauch öffentlicher Mittel zu verhindern?
42. Welche Rechtskraft haben vorab erstellte Gutachten über die Durchführbar-

keit und den Sinn entwicklungspolitischer Maßnahmen, d. h. haben sie bin-
dende Wirkung oder lediglich Empfehlungscharakter?

43. Wie ist das Procedere bei der Entwicklung und Durchführung entwicklungs-
politischer Maßnahmen, die von der Bundesregierung finanziert werden,
und welche Rolle spielen dabei die von der Durchführungsorganisation
vorab erstellen Gutachten?

Berlin, den 16. März 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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