BT-Drucksache 18/4307

Alleinerziehende stärken - Teilhabe von Kindern sichern

Vom 16. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4307
18. Wahlperiode 16.03.2015
Antrag
der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, Ulle Schauws, Lisa Paus, Brigitte Pothmer, Beate
Müller-Gemmeke, Kai Gehring, Maria Klein-Schmeink, Tabea Rößner, Elisabeth
Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe, Doris Wagner, Beate
Walter-Rosenheimer, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, Dieter Janecek,
Claudia Roth (Augsburg), Corinna Rüffer, Dr. Julia Verlinden und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Alleinerziehende stärken – Teilhabe von Kindern sichern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Wer heute in Deutschland alleine Kinder erzieht, gehört zu einer wachsenden
Gruppe: In knapp jedem vierten Familienhaushalt leben Kinder allein mit ihrer Mut-
ter oder ihrem Vater. Ein-Eltern-Familien haben längst einen festen Platz in unserer
Gesellschaft. Sicheres Auskommen, verlässliche und gute Tagesbetreuung ihrer
Kinder in Kita, Schule, Hort und gut bezahlte Arbeit ist für viele Alleinerziehende
dennoch kaum zugänglich.

Die meisten Alleinerziehenden sind allein verantwortlich: Sie verdienen das Geld,
versorgen und erziehen ihre häufig kleinen Kinder, gehen einkaufen, machen den
Haushalt, bringen die Kinder zum Chor, Fußball oder Kinderarzt. Sie sind an sieben
Tagen 24 Stunden im Einsatz und leisten dabei Beachtliches. Sie verdienen unsere
besondere Unterstützung. Sie brauchen mehr Wege in gut bezahlte Arbeit, einen
leichteren Wiedereinstieg in den Beruf und müssen vor Armut besser geschützt wer-
den. Das ist zugleich einer der Schlüssel, Kinderarmut in Deutschland wirksam zu
bekämpfen und ihnen Teilhabe zu ermöglichen. Knapp eine Million Kinder unter
18, die Grundsicherung beziehen, leben in einem Alleinerziehenden-Haushalt – mit
weitreichenden Folgen für ihre Bildung, Gesundheit und Erfolgschancen.

Besonders auf dem Arbeitsmarkt sind Alleinerziehende schlechter gestellt – in neun
von zehn Fällen sind es Frauen, die mit ihren Kindern allein leben. Die Motivation
den Lebensunterhalt selbst zu verdienen ist hoch, mehr als zwei Drittel der Single-
Mütter und -Väter sind erwerbstätig, viele von ihnen arbeiten in Vollzeit. Diese Zah-
len können nicht darüber hinweg täuschen, dass Frauen und Männer, die Kinder al-
lein großziehen nach wie vor am stärksten von Armut betroffen sind. Viele alleiner-
ziehende Frauen arbeiten in Minijobs, auf Stundenbasis mit niedrigen Löhnen und
müssen trotz Arbeit ihr Gehalt aufstocken, indem sie Leistungen vom Jobcenter be-
ziehen. Knapp 40 Prozent erhalten Grundsicherung. Die Wege aus dem Bezug von
SGB II sind für Alleinerziehende erschwert und sehr bürokratisch.

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Schicht- oder Nachtdienst, lange Schulferien, geschlossene Kitas, die Anforderung
im Job ständig erreichbar zu sein, eine anspruchsvolle Aus- oder Weiterbildung er-
schweren es Alleinerziehenden, Arbeit und Familie zu vereinbaren. Vereinbarkeits-
probleme, die alle Familien haben, stellen sich ihnen in besonderem Maße. Sie sind
deshalb auf erreichbare, gute und verlässliche Betreuung ihrer Kinder in Kindergär-
ten und Ganztagesschulen angewiesen – auch für Notfälle außerhalb der Öffnungs-
zeiten.

Um Alleinerziehende vor Armut zu schützen, spielen Steuer-, Sozial- wie Unter-
haltsrecht eine wichtige Rolle. Beispiel Steuerrecht: Hier profitieren sie ausschließ-
lich vom Kinderfreibetrag, der sich aber vor allem bei hohen Einkommen auswirkt,
Eltern mit geringem Einkommen erhalten das niedrigere Kindergeld. Ähnlich ist es
beim Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, der für Geringverdienende oder mitt-
leren Einkommen wenig Wirkung erzielt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den besonderen Belastungen von Alleinerziehenden bei der Integration in den
Arbeitsmarkt Rechnung zu tragen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
sowie den Einstieg bzw. Wiedereinstieg zu erleichtern und dafür
in Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Ländern deutlich mehr Ausbildun-

gen in Teilzeit zu ermöglichen. Dabei muss gewährleistet sein, dass das
Existenzminimum von Alleinerziehenden und ihren Kindern auch dann ge-
sichert ist, wenn sie an einer Berufsausbildung in Teilzeit teilnehmen. Si-
cherzustellen ist, dass Leistungen unbürokratisch und vor allem lückenlos
fließen, damit sich Alleinerziehende auf ihre Ausbildung konzentrieren
können, statt ihre Zeit mit der Sorge um den Lebensunterhalt zu verbringen;

deutlich mehr Qualifizierungen und Weiterbildungen, insbesondere be-
triebsnahe Maßnahmen, in Teilzeit zu ermöglichen und dafür Sorge zu tra-
gen, dass erwerbslose Alleinerziehende bei der Vermittlung in diese Maß-
nahmen besonders berücksichtigt werden;

zu gewährleisten, dass sowohl bei Ausbildungen als auch bei Qualifizie-
rungs- und Weiterbildungsmaßnahmen die Kinderbetreuung gesichert ist
und so Alleinerziehende tatsächlich teilnehmen können;

zu prüfen, ob der Berufseinstieg von Alleinerziehenden erleichtert werden
kann, wenn diese mehr Mitsprache bei Lage und Dauer ihrer Arbeitszeiten
erhalten;

2. gemeinsam mit den Ländern und Kommunen den Ausbau und die Verbesserung
der Qualität in der Kindertagesbetreuung voranzutreiben und dafür anteilige fi-
nanzielle Mittel von Bundesseite zur Verfügung zu stellen sowie Unterstüt-
zungsangebote im Alltag leichter zugänglich zu machen, um die Vereinbarkeit
von Beruf und Familie für Alleinerziehende zu verbessern. Für Ausbau und Ver-
besserung der Qualität sollte der Bund jährlich 1 Milliarde Euro zusätzlich vor-
sehen:
ein weiteres Investitionsprogramm des Bundes für den Ausbau der U-3-

Plätze aufzulegen, da der Bedarf an Plätzen für unter Dreijährige nach wie
vor nicht flächendeckend durch ein ausreichendes Angebot gedeckt ist;

einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz in Kita und Tagespflege für
alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr im SGB VIII zu veran-
kern;

dafür Sorge zu tragen, dass die Angebote der öffentlich geförderten Kinder-
tagesbetreuung sowie die Kindertagespflegeangebote den zeitlichen Be-
dürfnissen von berufstätigen Eltern, insbesondere mit Arbeitszeiten außer-

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halb der üblichen Betreuungszeiten, entsprechen, dabei müssen in der Um-
setzung der Flexibilisierung die kindlichen Bedürfnisse nach verlässlichen
Bezugspersonen, vertrauten Tagesabläufen und der Zugehörigkeit zu ande-
ren Kindern berücksichtigt werden;

einen Gesetzentwurf vorzulegen, um im SGB VIII die Fachkraft-Kind-Re-
lation zu definieren; diese gibt im Unterschied zum Personalschlüssel die
Zeit für die direkte pädagogische Interaktion mit dem Kind (unmittelbare
pädagogische Arbeitszeit) wieder und sollte die Maximalgröße von 1:4 für
unter Dreijährige und 1:10 für über Dreijährige nicht überschreiten; zusätz-
lich sollten Leitungszeiten und Verfügungszeiten, wie z. B. Ausfallzeiten,
Elterngespräche, Weiterbildungszeiten, Vor- und Nachbereitung ausrei-
chend berücksichtigt werden;

die finanzielle Förderung familienunterstützender Dienstleistungen nach
dem Beispiel anderer europäischer Länder weiterzuentwickeln und Fami-
lien, insbesondere für die Kindernotfallbetreuung, kurzfristige Hilfen im
Haushalt sowie Bring- und Abholangebot, die die Teilhabe von Kindern er-
möglichen, leichter zugänglich zu machen;

3. das derzeitige Fördersystem grundsätzlich zu reformieren, damit alle Kinder un-
abhängig von der Familienform, in der sie groß werden, eine angemessene ma-
terielle Absicherung erhalten; die Benachteiligung von Alleinerziehenden, auch
im Steuer-, Sozial- und Unterhaltsrecht, kurzfristig insbesondere durch folgende
Maßnahmen zu beheben:
die begrüßenswerte angekündigte Erhöhung des Entlastungsbetrags für Al-

leinerziehende um eine Steuergutschrift für Geringverdienende zu ergän-
zen, da sich eine solche Erhöhung aber vor allem in hohen Einkommens-
klassen auswirkt und Mittel- und GeringverdienerInnen nur sehr wenig ent-
lastet;

das Unterhaltsvorschussgesetz dahingehend zu reformieren, dass die Be-
zugsdauer von 6 Jahren abgeschafft sowie die Altersgrenze auf das vollen-
dete 18. Lebensjahr angehoben wird; die gegenwärtige Verpflichtung, den
Leistungsanspruch auf Unterhaltsvorschuss bei Bezug von Arbeitslosen-
geld II vorrangig zu beantragen, sollte aufgehoben werden; die Kosten lie-
gen dafür in einem ersten Schritt beim Bund, aber Ziel ist, gemeinsam mit
den Ländern darauf hinzuwirken die Rückholquote bei säumigen unterhalts-
pflichtigen Elternteilen zu steigern und die Datenlage sowie Ursachenfor-
schung in diesem Bereich zu verbessern;

eine Auszahlung des Kindererziehungsmehrbedarfs außerhalb des SGB II-
Bezugs durch eine wertgleiche Erhöhung des Kinderzuschlags zu ermögli-
chen;

schnellstmöglich dafür zu sorgen, dass die Regelsätze für Kinder und Er-
wachsene im SGB II und im SGB XII angehoben werden, so dass sie den
Bedarf tatsächlich decken;

die Grundsicherung, auch im SGB II, zu einer individuellen Leistung wei-
terzuentwickeln und dazu in einem ersten Schritt wie im SGB XII, bei der
Einkommensanrechung neben dem eigenen Einkommen nur Einkommen
von PartnerInnen anzurechnen, das über deren eigenen Bedarf hinausgeht;

den Kinderzuschlag entsprechend den Konsequenzen aus der Reform der
Ermittlung der Kinderregelsätze anzuheben, zu reformieren und dabei un-
bürokratischer zu machen;

dafür Sorge zu tragen, dass die Bedarfe in Bedarfsgemeinschaften getrennt
lebender Eltern mit zwischen den Haushalten wechselnden Kindern in aus-

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reichendem Maße gedeckt sind; dazu ist sicherzustellen, dass Alleinerzie-
henden der komplette Regelsatz des Kindes ausgezahlt und dem anderen
Elternteil ein Mehrbedarf gewährt wird;

die Unterhaltsrechtsreform von 2008 im Hinblick auf die Auswirkungen
insbesondere auf die Situation von Alleinerziehenden nach der Rechtsände-
rung vom 1. März 2013 (unter Einbeziehung der Rahmenbedingungen:
Ganztagsbetreuungsplätze, flexible Kinderbetreuungsmodelle, Situation am
Arbeitsmarkt, Ehedauer, familienfreundliche/r Arbeitsplatz/Betriebe, Situ-
ation Städte und ländliche Regionen, Situation Ost/West) zu evaluieren;

eine gesetzlich geregelte, gleiche Referenzgröße für Mindestunterhalt und
Selbstbehalt beim Unterhalt zu prüfen;

den Familienleistungsausgleich durch die langfristige Einführung einer
Kindergrundsicherung weiterzuentwickeln.

Berlin, den 3. März 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Alleinerziehende haben es oft besonders schwer auf dem Arbeitsmarkt. Sie sind allein verantwortlich für die
Betreuung und Erziehung der Kinder und haben wesentlich größere Schwierigkeiten, Erwerbsarbeit und Kinder
miteinander zu vereinbaren. Durch die alleinige Verantwortung für die Kinder haben Alleinerziehende nur
eingeschränkt Zeit für Erwerbsarbeit und somit häufig ein wesentlich geringeres Einkommen als Paare. Zudem
sind sie überdurchschnittlich häufig in atypischen und unsicheren Beschäftigungsverhältnissen angestellt.

Das Verarmungsrisiko von Alleinerziehenden ist im Vergleich zu anderen Familienformen besonders hoch. 50
Prozent der Haushalte im SGB II-Bezug mit Kindern sind Alleinerziehenden-Haushalte. Im Vergleich stellen
sie einen Anteil von 20 Prozent an allen Haushalten insgesamt.

Dabei haben alleinerziehende Eltern eine hohe Arbeitsmotivation. Doch gerade Alleinerziehende mit kleinen
Kindern haben es schwer, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Sie sind beim Spagat zwischen Beruf und Kin-
dern besonders gefordert. Sie sind daher – in noch größerem Umfang als Paarfamilien – auf eine bedarfsge-
rechte, flexible und qualitativ hochwertige Ganztagsbetreuung für ihre Kinder angewiesen. Um Beruf und Fa-
milie vereinbaren zu können, sind Ganztagsplätze in den Kitas für Alleinerziehende unabdingbar.

Alleinerziehende sind zudem überdurchschnittlich abends und am Wochenende tätig. Dies macht eine Kinder-
betreuung, die diesen zeitlichen Bedürfnissen besser entspricht erforderlich. Der zeitliche Umfang der Bil-
dungs- und Betreuungsangebote hat einen wesentlichen Einfluss auf die Qualität der frühkindlichen Bildung.
Hierbei ist die Zahl der ErzieherInnen, die sich um eine Gruppe von Kindern kümmern, ein entscheidender
Faktor.

Beim Ausbau wie bei den notwendigen Verbesserungen der Qualität der frühkindlichen Bildung sind Bund,
Länder und Kommunen gemeinsam in der Pflicht. Die Grüne Bundestagsfraktion sieht daher für Ausbau und
Verbesserung der Qualität der frühkindlichen Bildung jährlich zusätzlich 1 Milliarde Euro im Bundeshaushalt
vor.

Neben den regulären Betreuungsstrukturen braucht es Strukturen, die Hilfe im Notfall bieten. Familienunter-
stützende Dienstleistungen, sei es für kurzfristige Aufgaben im Haushalt, Notfallbetreuung oder Hol- und Brin-
geangebote, bieten eine wichtige Hilfestellung. Dafür müssen sie jedoch nach dem Beispiel anderer europäi-
scher Länder, wie Frankreich oder Belgien, weniger bürokratisch und einfacher nutzbar gemacht werden, etwa

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in Form eines Gutscheinsystems. Vorstellbar wäre hierbei eine Regelung nach der Privathaushalte bei staatlich
anerkannten Stellen Gutscheine erwerben, die vom Staat gefördert werden, und bei geprüften Dienstleistungs-
agenturen eingelöst werden können. In den genannten Ländern gelingt es hierdurch sozialversicherungspflich-
tige Jobs zu schaffen, anders als in Deutschland, wo illegale Beschäftigungsverhältnisse, von denen größten-
teils Frauen betroffen sind, den Markt dominieren.

Entsprechend ihrer hohen Motivation eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, nehmen Alleinerziehende, die von
Sozialleistungen leben, im Schnitt häufiger an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik teil als Frauen in
Paarfamilien. Allerdings sind dies nur selten betriebsnahe Maßnahmen, die meist bessere Erfolge bei der Ein-
gliederung bieten. Hier ist die Gewährleistung einer integrierten und begleitenden Kinderbetreuung, insbeson-
dere bei Maßnahmen mit längerer Dauer und Arbeitszeit notwendig, um eine Teilnahme neben der Verantwor-
tung für die Betreuung des Kindes besser zu ermöglichen.

Alleinerziehende können eine Ausbildung in Teilzeit besser bewältigen, deshalb soll die Teilzeitberufsausbil-
dung als arbeitsmarktpolitisches Instrument gestärkt werden. Immerhin bietet eine Ausbildung nachweislich
höhere Beschäftigungschancen. Im Rahmen der Allianz für Aus- und Weiterbildung hat die Bundesregierung
im Dezember 2014 angekündigt, gemeinsam mit ihren Partnern deutlich mehr Ausbildungen in Teilzeit zu
ermöglichen. Anders als bisher haben die Wirtschaft und die für die Berufsschulen zuständigen Länder sich
geeinigt, dass in Zukunft die Ausbildung sowohl im Betrieb wie auch in der Schule in Teilzeit erfolgen können
soll. Dadurch kann die Attraktivität einer Ausbildung für Alleinerziehende entscheidend erhöht werden. Damit
diese Chance nicht nur auf dem Papier, sondern auch beim Blick in den Geldbeutel ergriffen werden kann,
muss das Existenzminimum zu jeder Zeit gesichert sein, auch beim Übergang in eine Ausbildung. Der Ausbil-
dungserfolg hängt direkt davon ab, dass Alleinerziehende sich auf ihre Ausbildung konzentrieren können.
Heute müssen Alleinerziehende ihre Rechtsansprüche oft mühselig an verschiedenen Orten persönlich einfor-
dern. Die Unterstützung ist von der „Hilfe aus einer Hand“ weit entfernt. Das muss sich ändern.

Der Berufseinstieg von Alleinerziehenden scheitert oft daran, dass sich die Arbeitszeiten nicht mit dem Alltag
mit Kindern vereinbaren lassen. Es gilt zu prüfen, ob Alleinerziehende mehr Mitsprache bei Lage und Dauer
ihrer Arbeitszeiten brauchen. Wenn die Arbeitszeiten sich besser mit der Familie vereinbaren lassen würden,
könnten Alleinerziehende unterm Strich sogar mehr arbeiten.

Viele Alleinerziehende sind trotz der hohen Belastung im Alltag in Vollzeit beschäftigt und doch reicht in
vielen Ein-Eltern-Familien das Einkommen nicht aus. Rund 970.000 Kinder leben in alleinerziehenden Be-
darfsgemeinschaften. Um Armut und Armutsgefährdung in alleinerziehenden Familien entgegenzuwirken, ist
es nicht ausreichend ihre Position auf dem Arbeitsmarkt zu stärken, es müssen die Förderung Alleinerziehender
und das dahinterstehende Geflecht von Leistungen und rechtlichen Grundlagen grundsätzlich reformiert wer-
den. Ziel sollte es hierbei sein, Kinder, unabhängig von der Familienform in der sie aufwachsen, zuverlässig
vor Armut zu schützen. Eine langfristige Lösung wäre die Umstellung der Familienförderung von der steuerli-
chen Freistellung des Existenzminimums hin zur Auszahlung einer Kindergrundsicherung. So wäre gewähr-
leistet, dass jedes Kind die gleiche staatliche Förderung erhält, unabhängig vom Einkommen oder Steuerstatus
der Eltern. Kurzfristig gilt es hierbei eine Reihe von Nachbesserungen im Unterhalts-, Sozial- und Steuerrecht
umzusetzen.

Derzeit werden die Familienformen in Deutschland im Steuerrecht unterschiedlich behandelt. Die durchschnitt-
liche steuerliche Entlastung aus dem Entlastungsfreibetrag für Alleinerziehende betrug im Jahr 2014 nur 354 €.
Der Splittingvorteil konnte dagegen bei Spitzenverdienern mit bis zu 15.761 € ausfallen. Die im Koalitionsver-
trag versprochene Anhebung des steuerlichen Entlastungsbetrags muss daher für Alleinerziehende dringend
umgesetzt werden.

Familien müssen unabhängig vom Status in gleicher Weise entlastet und gefördert werden. Das Steuerrecht ist
dafür allerdings nur bedingt geeignet, weil Entlastungen regelmäßig auf Steuerpflichtige begrenzt sind und von
der Höhe des Einkommens abhängen. Handlungsbedarf besteht insbesondere bei Alleinerziehenden, die zwar
erwerbstätig sind, aber nur wenig verdienen. Eine Reform muss die unterschiedlichen Einkommensverhältnisse
berücksichtigen. Der Entlastungsbetrag wurde im Jahr 2014 von nur 40 Prozent der Alleinerziehenden in An-
spruch genommen. Um sämtliche Alleinerziehende zu entlasten, wäre etwa eine Steuergutschrift eine Lösung,
wie es sie in Österreich gibt.

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Um den spezifischen Bedarf von Kindern und Erwachsenen tatsächlich zu decken und deren Teilhaben zu
sichern, ist die Anhebung der Regelsätze im SGB II und SGB XII dringend notwendig. Hiervon profitieren
besonders Haushalte von Alleinerziehenden.

Im Sozialrecht sehen sich Alleinerziehende zudem derzeit einer Vielzahl an Leistungen gegenüber, die durch
ihre unterschiedlichen Antragsformalitäten und Anrechnungsmodalitäten kaum nachvollziehbar sind. Die be-
stehenden Sozialleistungen wirken nicht gut zusammen. Kindergeld, Kinderzuschlag, Wohngeld und Unter-
haltsvorschuss sollten es der Idee nach ermöglichen, dass Eltern, die erwerbstätig sind, keine Grundsicherungs-
leistungen in Anspruch nehmen müssen. Insbesondere der Kinderzuschlag kommt bei Alleinerziehenden je-
doch nur unzureichend an.

Die Anrechnungsmodalitäten führen dazu, dass ein alleinerziehendes Elternteil einen vergleichsweise hohen
Mindest-Bruttoverdienst erzielen muss, um die Abhängigkeit von SGB II-Leistungen zu überwinden. Dadurch
wird die Situation von Alleinerziehenden im SGB II verfestigt. Eine optionale Auszahlung des Mehrbedarfs-
zuschlags außerhalb des SGB II-Bezugs durch einen wertgleichen Erhöhungsbetrag zum Kinderzuschlag wie-
derum senkt das erforderliche Brutto-Einkommen und erleichtert das Verlassen des SGB II-Bezugs.

Die Anrechnung von Einkommen und Vermögen des Partners bzw. der Partnerin beim Arbeitslosengeld II
kann dazu führen, dass das Zusammenleben vermieden wird. Ein erster Schritt hin zu einer Individualisierung
der Leistung ist der Übergang zu einer vertikalen Einkommensanrechnung auch im SGB II. Damit wird auch
sichergestellt, dass in Paarhaushalten die aktiven Maßnahmen auf die Personen konzentriert werden, die kein
ausreichendes Einkommen erwirtschaften. Ein weiteres Problem ist, dass die Einkommens- und Vermögensan-
rechnung in Bedarfsgemeinschaften unabhängig davon geschieht, ob zivilrechtliche Ansprüche bestehen. So
müssen etwa Partnerinnen oder Partner in einem gemeinsamen Haushalt auch für die Kinder aufkommen, wenn
sie diesen nach dem Zivilrecht gar keinen Unterhalt schulden (sog. Stiefkinderproblematik). Bei Bedarfsge-
meinschaften gibt es – anders als im Familienrecht – nicht einmal einen Selbstbehalt.

Die Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen zeigt, insbesondere der Unterhaltsvorschuss
hat einen deutlichen Einfluss auf das Armutsrisiko von Kindern. Doch auch hier mildern die oben angeführten
Anrechnungsmodalitäten den positiven Effekt der Leistung und führen zu der widersinnigen Situation, dass
Alleinerziehende durch den Bezug der Leistung ihren Arbeitseinsatz noch vergrößern müssen, um den SGB II-
Bezug wieder zu verlassen. Es ist zudem nicht einsichtig, warum das Unterhaltsvorschussrecht bezüglich des
Alters der Kinder nicht an das Unterhaltsrecht angeglichen wird.

Kinder haben keine Garantie, dass nach ihrem 12. Geburtstag der Unterhalt tatsächlich fließt. Wie die so ge-
nannte Düsseldorfer Tabelle und ebenso § 1612a I Nr. 3 BGB (zivilrechtlicher Mindestunterhalt) vorgeben,
haben Kinder ab dem 12. Lebensjahr sogar einen höheren Bedarf als Kinder bis zum 12. Lebensjahr. Eine
Scheidung oder Trennung der Eltern kann unabhängig von dem Alter des betroffenen Kindes, auch nach dem
12. Lebensjahr, zu einer schwierigen finanziellen Lage für Kind und Alleinerziehende führen. Gleiches gilt
ebenso für die Bezugsdauer, nach deren Ablauf die Unterhaltszahlungen des Unterhaltspflichtigen an das Kind
weiterhin ausbleiben können.

Gleichzeitig muss alles getan werden, um den Unterhaltsschuldner oder die Unterhaltsschuldnerin zur Zahlung
heranzuziehen und die Rückholquote gemeinsam mit den Ländern zu verbessern. Dabei muss zum einen die
Datengrundlage und Ursachenforschung erweitert werden sowie zum anderen ein finanzieller oder personeller
Anreiz für die kommunalen UVG-Stellen geschaffen werden.

Den Vorschlag zur temporären Bedarfsgemeinschaft aus dem Bericht der Bund-Länder AG Rechtsvereinfa-
chung im SGB II lehnen wir ab. Dieser führt de facto zu einer Schlechterstellung von Alleinerziehenden und
setzt einen finanziellen Gegenanreiz für das betreuende Elternteil Umgangstage mit dem anderen Elternteil zu
gewähren.

Sowohl Kindesunterhalt als auch Selbstbehalt für Unterhaltspflichtige sollen dafür sorgen, das jeweilige Exis-
tenzminimum zu sichern. Seit 2011 ist der Selbstbehalt um insgesamt 180 Euro pro Monat gestiegen. Der
Kindesunterhalt wurde jedoch seit 2010 nicht mehr erhöht. Während der Mindestunterhalt an die Erhöhung der
Kinderfreibeträge gekoppelt ist, die seit 2010 stagnieren, orientiert sich der Selbstbehalt an der Düsseldorfer
Tabelle, die seit 2008 auf Basis des sächlichen Existenzminimums festgelegt wird. Leidtragende sind dabei die
Kinder von Alleinerziehenden, die vielfach weniger Unterhalt bekommen.
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