BT-Drucksache 18/4275

"Realitätscheck" als Handreichung des Auswärtigen Amts zum Ukraine-Konflikt

Vom 5. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4275
18. Wahlperiode 05.03.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko,
Dr. Gesine Lötzsch, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Azize Tank und der
Fraktion DIE LINKE.

„Realitätscheck“ als Handreichung des Auswärtigen Amts zum Ukraine-Konflikt

Am 18. Februar 2015 hat das Auswärtige Amt einen „Realitätscheck“ zum
Ukraine-Konflikt an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages verschickt,
welcher „in der öffentlichen Diskussion häufig verwendeten Behauptungen zum
Ukraine-Konflikt, die auf unrichtigen oder nur teilweise richtigen Fakten beru-
hen“, begegnen soll. Dieser „Realitätscheck“ wirft aber nach Auffassung der
Fragestellerinnen und Fragesteller einigen Fragen hinsichtlich der Deutung his-
torischer Daten und Abläufe sowie der Ursachen und des Verlauf des Ukraine-
Konfliktes auf.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Inwieweit entspricht es den diplomatischen Gepflogenheiten in der deut-

schen Außenpolitik, dass der damalige Bundesminister des Auswärtigen,
Dr. Guido Westerwelle, auf seiner Dienstreise in die Ukraine Anfang De-
zember 2013 etwas getan hat, „was sich für einen Außenminister normaler-
weise nicht gehört“, indem er nach der Landung „nicht etwa zur Regierung
[fuhr], sondern sich gleich mit der Box-Legende Vitali Klitschko [traf], dem
neuen Helden der proeuropäischen Protestbewegung in der Ex-Sowjetrepu-
blik“ und anschließend „die beiden mit Vitalis Frau Natalia und dessen Bru-
der Wladimir, ebenfalls Boxweltmeister, auch noch zum Maidan, dem Unab-
hängigkeitsplatz“ von Kiew weiterfuhren (www.haz.de/Nachrichten/Politik/
Deutschland-Welt/Westerwelle-unterstuetzt-Klitschko-in-Kiew)?

2. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, dass der ukrainische Präsident
Wiktor Janukowitsch Mitte Dezember 2013 die Reaktionen bzw. das Han-
deln des Westens im Zuge der Nichtunterzeichnung des EU-Assoziations-
abkommens durch die Ukraine als Einmischung in die inneren Angelegen-
heiten seines Landes betrachtet hat (www.welt.de/newsticker/news2/article
123121654/Janukowitsch-wirft-Westen-Einmischung-in-innere-
Angelegenheiten-vor.html)?

3. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, dass der US-amerikanische Prä-
sident Barack Obama am 1. Februar 2015 sagte, dass „Janukowitsch […] erst
geflohen [sei], nachdem [die USA] einen Deal zustandegebracht hatten, der
die Machtübergabe in der Ukraine ermöglichte“ (www.euractiv.de/sections/
ukraine-und-eu/jede-menge-propaganda-und-jede-menge-luegen-312009;
transcripts.cnn.com/TRANSCRIPTS/1502/01/fzgps.01.html)?

4. Inwieweit sieht die Bundesregierung in der Aushandlung dieses von Barack
Obama angesprochenen Deals im Nachhinein ihren mit Frankreich, Polen

Drucksache 18/4275 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
und dem ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch ausgehandelten
Kompromiss von Anfang an als konterkariert an?

5. Ist der Bundesregierung die Aussage des ehemaligen ukrainischen Minister-
präsidenten Mykola Asarow bekannt, wonach „sich [die USA] bereits zu
seiner Amtszeit massiv in die inneren Belange der Ukraine eingemischt und
letztlich auch den Umsturz im Februar 2014 gesteuert […] haben“ (www.
derstandard.at/2000011236567/Ex-Premier-Umsturz-in-Ukraine-von-USA-
gesteuert)?

6. Inwieweit hält die Bundesregierung die im „Realitätscheck“ unter „2. Be-
hauptung: In Kiew sind Faschisten an der Macht“ gegebene Reduzierung von
„Macht“ auf die am 27. Februar 2014 gebildete Übergangsregierung nicht für
sehr verkürzt, wenn mit
a) Tetjana Tschornowol ein ehemaliges Mitglied der extrem rechten „Ukrai-

nischen Nationalversammlung – Selbstverteidigung des Ukrainischen
Volkes“ (UNA-UNSO),

b) Oleg Machnitzkij ein Mitglied von „Swoboda“ Generalstaatsanwalt der
Ukraine (verantwortlich unter anderem für die verhinderte Aufklärung,
Unterdrückung oder sogar Unterschlagung von Beweismitteln, www.wdr.
de/tv/monitor/sendungen/2014/0410/maidan.php5),

c) Andrij Parubij, Mitbegründer der faschistischen Swoboda-Vorgänger-
partei „Sozial-Nationale Partei der Ukraine“ und ehemaliger „Komman-
deur des Maidan“, Chef des Rats für die Nationale Sicherheit und Vertei-
digung der Ukraine,

d) Dmitro Jarosch, ehemaliger Maidan-Kommandant, „Führer“ der extrem
rechten Organisationen „Trysub“ („Dreizack“) und „Prawyj Sektor“
(„Rechter Sektor“), stellvertretender Chef des Rats für die Nationale Si-
cherheit und Verteidigung der Ukraine,

e) der vorwiegend aus extrem Rechten und Hooligans bestehenden so-
genannten Maidan-Selbstverteidigung die Nationalgarde und Freiwil-
ligenbataillone wie das faschistische „Asow“ oder „Aidar“ gebildet
wurden, die heute maßgeblich die militärische Stütze der ukrainischen
Regierung und des Präsidenten darstellen,

extrem Rechte unmittelbar nach dem Sturz des ukrainischen Präsidenten
Wiktor Janukowitsch an zentralen Schaltstellen der „Macht“ positioniert
wurden (Bundestagsdrucksache 18/1222)?

7. Inwieweit ist es nach Auffassung der Bundesregierung nicht verkürzt, wenn
im „Realitätscheck“ unter „2. Behauptung: In Kiew sind Faschisten an der
Macht“ die extrem rechte „Swoboda“ als „rechtsnational“ bezeichnet wird,
obwohl die Bundesregierung noch in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage
auf Bundestagsdrucksache 17/14603 im August 2013 „Swoboda“ als „eine
rechtspopulistische und nationalistische Partei, die zum Teil rechtsextreme
Positionen vertritt“, einstufte bzw. den Bürgermeister von Ternopil/Ukraine,
Sergej Nadal, als „Mitglied der rechtsextremistischen Partei ,Swoboda‘ “
bezeichnete und dies auch in ihrer Antwort auf Bundestagsdrucksache 18/
1041 vom 1. April 2014 bestätigte, der Jüdische Weltkongress „Swoboda“
gar als „neonazistische“ Partei im Mai 2013 verboten sehen wollte (www.
ukrinform.ua/eng/news/world_jewish_congress_calls_svoboda_a_neo_nazi_
party_303220) und der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland
K. d. ö. R., Dieter Graumann, besorgt über die Beteiligung der „rechts-
radikale[n] und traditionell antisemitische[n] Swoboda-Partei“ war (www.
derwesten.de/politik/rechtsradikale-in-der-ukrainischen-regierung-aimp-id
9120236.html)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4275
8. Inwieweit hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, dass die „Radi-
kale Partei“ von Oleg Ljaschkos, dessen Kandidat zu den Präsidentschafts-
wahlen im Jahr 2014 über 8 Prozent (ca. 1,5 Millionen Stimmen) sowie zu
den Parlamentswahlen 2014 7,4 Prozent (ca. 1,1 Millionen Stimmen) erhal-
ten hat, keine extrem rechte Partei ist?

9. Inwieweit hat die Bundesregierung entgegen ihrer Antwort zu Frage 31 auf
Bundestagsdrucksache 18/3360, Plenarprotokoll 18/72, neue Erkenntnisse
darüber, dass die extrem rechte „Radikale Partei“ nicht mehr Teil der Koa-
lition ist, dank derer die ukrainische Regierung „knapp die Zweidrittelmehr-
heit in der Rada [erreicht], die zur Umsetzung eines Teils des im Koali-
tionsvertrag vereinbarten Reformprogramms erforderlich ist“?

10. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, dass Andrij Parubij, Mitbegrün-
der der faschistischen Swoboda-Vorgängerpartei „Sozial-Nationale Partei
der Ukraine“, ehemaliger „Kommandeur des Maidan“, ehemaliger Chef des
Rats für die Nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine über seine
inzwischen erlangte Mitgliedschaft in der „Volksfront“ von Ministerpräsi-
dent Arsenij Jazenjuk Erster Stellvertreter des Vorsitzenden der Werchowna
Rada der Ukraine ist (www.welt.de/politik/ausland/article137655806/Was-
ist-aus-den-Maidan-Schluesselfiguren-geworden.html)?

11. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, dass der ehemalige General-
staatsanwalt der Ukraine und bis Anfang 2015 auch Mitglied der extrem
rechten Partei „Swoboda“, Oleg Machnitzki, vom 18. Juni 2014 bis 5. Fe-
bruar 2015 Berater des ukrainischen Präsidenten war (www.vestiua.com/ru/
news/20150205/63630.html)?

12. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, dass Wadim Trojan, aktives
Mitglied der in Charkiw gegründeten neonazistischen Organisation „Patriot
der Ukraine“, die sich während der Proteste auf dem Maidan dem extrem
rechten Bündnis „Rechter Sektor“ als Polizeichef der Region Kiew einge-
setzt wurde (www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/wie-rechtsextremist-
wadim-trojan-polizeichef-in-kiew-wurde-13282357.html)?

13. Inwieweit hält die Bundesregierung extrem rechte Kräfte für nicht in den
ukrainischen Machtstrukturen verankert, wenn per Regierungsdekret nach-
träglich durch die Übergangsregierung der „Maidan-Selbstschutz“ und die
zum Teil auch daraus entstandenen Freiwilligenbataillone mit entweder
dominanten oder zumindest stark präsenten extrem rechten Kräften durch
die Kooperation mit der Regierung (Innen- und Verteidigungsministerium
etc.) legalisiert wurden und sich inzwischen, wie beispielsweise die unter
Führung des Chefs des „Rechten Sektors“, Dmitri Jarosch, stehenden Ein-
heiten, weitgehend der Kontrolle der ukrainischen Führung entziehen
(www.bagnet.org/news/politics/252200)?

14. Inwieweit ist nach Kenntnis der Bundesregierung das Verlassen der Haupt-
stadt durch den ukrainischen Präsidenten sowie vermeintlich mehrerer
Minister in der Nacht vom 21. auf den 22. Februar 2014 ein hinreichendes
Argument, um von einem handlungsunfähigen Staatsoberhaupt auszugehen
und umgehend am 22. Februar 2014 bzw. 23. Februar 2014 Neuwahlen aus-
zurufen und den gleich neu gewählten Parlamentspräsidenten Alexander
Turtschinow zum amtierenden Übergangspräsidenten zu bestimmen („Rea-
litätscheck“, Erklärung 3)?

15. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, dass vor der Eskalation am
20. Februar 2014 mit etwa 100 Toten und dem darauffolgenden Verlassen der
Hauptstadt Kiew durch den ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch
in der Nacht vom 21. auf den 22. Februar 2014 am 18. Februar 2014 ein
Marsch auf das ukrainische Parlament stattfand, bei dem Demonstranten
Brandsätze auf das Büro der regierenden Partei der Regionen warfen, wobei

Drucksache 18/4275 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
es dort zwei Tote gab und es, als die Demonstranten auf den Maidan zurück-
gedrängt wurden, zu Schießereien und Toten kam (www.wienerzeitung.at/
nachrichten/europa/europastaaten/?em_cnt=736123&em_cnt_page=2)?

16. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, dass es einen Untersuchungs-
bericht gibt, der nicht veröffentlicht wird, „weil darin Unangenehmes über
Andrij Parubi, den nationalistischen Kommandanten des Maidan, stehen
könnte“, was „sich auch mit dem decken [würde], was die BBC jetzt ver-
öffentlicht hat: Dass nämlich die Schüsse aus dem Konservatorium und dem
Hotel Ukraina gekommen sind“, wobei das Konservatorium aber „unter
vollständiger Kontrolle des Maidan“ war und „im Ukraina, das am 20. Fe-
bruar zu einem Maidan-Lazarett wurde, […] die westlichen Journalisten
[nächtigten]“, so dass niemand ins Hotel Ukraina kam, „ohne dass die Mai-
dan-Leute das bemerkt hätten“ (www.wienerzeitung.at/nachrichten/europa/
europastaaten/?em_cnt=736123&em_cnt_page=2; www.bbc.com/news/
magazine-31359021)?

17. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, dass zwar Scharfschützen der
Janukowitsch-Regierung eingesetzt worden sein sollen, die von der
Nationalbank aus geschossen hätten, aber erst am Nachmittag des 20. Fe-
bruar 2014, also nachdem bereits am Vormittag Schießereien begannen
(www.wienerzeitung.at/nachrichten/europa/europastaaten/?em_cnt=736123
&em_cnt_page=2)?

18. Inwieweit hält die Bundesregierung ihre Argumentation, dass der ukraini-
sche Präsident Wiktor Janukowitsch nach Zeichnung des durch Vermittlung
von Frankreich, Polen, Deutschland und Russland zustande gekommenen
Memorandums zur friedlichen Beilegung der Krise in der Nacht vom 21. auf
den 22. Februar 2014 aus Kiew geflohen ist, vor dem Hintergrund für sehr
verkürzt, dass er nach Auffassung der Fragesteller faktisch zum Verlassen
der Hauptstadt gezwungen wurde, nachdem aufgebrachte Demonstranten in
Kiew die Einigung der Opposition mit der Regierung am Freitagabend ab-
gelehnt haben und Dmitrij Jarosch, Anführer des faschistischen Rechten
Sektors, auf dem Maidan ankündigte, die Waffen nicht niederzulegen,
bevor Wiktor Janukowitsch nicht zurücktrete und nationalistische Akti-
visten Applaus für ihre Ankündigung bekamen, am Samstagvormittag das
Präsidialamt zu stürmen, falls Wiktor Janukowitsch bis dahin nicht ge-
gangen sein sollte, wobei tausende Demonstranten auf dem Maidan „Tod
dem Verbrecher!“ riefen (www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-maidan-
demonstranten-fordern-janukowitsch-ruecktritt-a-955007.html)?

19. Auf welchen Russisch-Osmanischen Krieg bezieht sich das Auswärtige
Amt in Erklärung 5 des „Realitätschecks“, laut welchem im Jahr 1744 die
Krim angeblich unabhängig geworden sei, da der sechste Russisch-Osma-
nische Krieg in den Jahren 1768 bis 1774 stattfand und der osmanische Va-
sallenstaat „Krimchanat“ von 1449 bis 1783 existierte?

20. Betrachtet die Bundesregierung die Eroberung von Teilen des Osmanischen
Reiches durch das Kaiserreich Österreich im 17. und 18. Jahrhundert – ana-
log der Bezeichnung der Eingliederung des osmanischen Vasallenstaats
„Krimchanat“ im Jahr 1783 in das russische Zarenreich („Realitätscheck“,
Erklärung 5) – als eine Annexion?

21. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die einseitige
Unabhängigkeitserklärung des Kosovos vom 17. Februar 2008 erst im Zuge
des Krieges gegen Jugoslawien im Jahr 1999, in dessen Folge die Provinz
Kosovo als ein UN-Protektorat innerhalb des serbischen Territoriums ver-
waltet wurde, möglich wurde, also das Kosovo „bis heute eine jugoslawi-
sche Provinz [wäre], hätte es nicht den Krieg gegeben, den die Nato […]
Jahren gegen den Belgrader Diktator Slobodan Milosevic führte, […] ein

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/4275
EU-Protektorat eingerichtet [wurde]“, dem dann die „halbe Selbstständig-
keit“ folgte (www.welt.de/politik/article3422045/Das-schier-unendliche-
Drama-im-Kosovo.html)?

22. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die einseitige Un-
abhängigkeit des Kosovos dem bis dahin geltenden serbischen Verfassungs-
recht widersprach?

23. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass das „Kosovo im
Moment der Unabhängigkeitserklärung nach wie vor unter einem umfassen-
den zivilen Verwaltungsregime der Vereinten Nationen sowie unter inter-
nationaler militärischer Kontrolle“ stand (www.swp-berlin.org/fileadmin/
contents/products/studien/2009_S33_slr_ks.pdf)?

24. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der einseitigen
Unabhängigkeitserklärung der Krim kein gewaltsamer Militäreinsatz bzw.
„völkerrechtswidriger Angriffskrieg“ von außen (Beschluss des Landge-
richts Berlin, Gz.: 564-81.00) noch die Einrichtung eines Protektorats vo-
rausging, wie im Falle des Kosovo?

25. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung des Internationalen
Gerichtshofs in Den Haag bezogen auf das Kosovo, dass es keine interna-
tionale Rechtsnorm gibt, die es einer Bevölkerung verbiete, sich auch ein-
seitig für unabhängig zu erklären (www.faz.net/aktuell/politik/ausland/
internationaler-gerichtshof-in-den-haag-unabhaengigkeitserklaerung-des-
kosovos-nicht-voelkerrechtswidrig-11010890.html)?

26. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Internationale
Gerichtshof bezüglich der einseitigen Unabhängigkeitserklärung lediglich
zur Frage Position bezog, ob das Kosovo ein Recht hatte, seine Unabhän-
gigkeit zu erklären, aber nicht, ob es generell ein Recht von Entitäten inner-
halb eines Staates gibt, sich von diesem zu lösen, womit ausdrücklich nicht
über die Unabhängigkeit von Serbien geurteilt wurde (www.webcitation.
org/5rRB9e3bz)?

27. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass es laut Internatio-
nalem Gerichtshof „ja durchaus möglich [ist], dass eine bestimmte Hand-
lung – wie eine einseitige Unabhängigkeitserklärung – nicht gegen inter-
nationales Recht verstößt, ohne notwendigerweise Ausübung eines Rechtes
zu sein“ (www.webcitation.org/5rRB9e3bz)?

28. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass „das russische
Vorgehen auf der Krim einen Verstoß gegen das Völkerrecht“ darstelle, wo-
für das „Kosovo die Blaupause“ gewesen sei, sowie das „von der russland-
freundlichen Krim-Regierung angesetzte Referendum über eine Abspaltung
von der Ukraine und den Anschluss an Russland […] mit der vom Westen
massiv unterstützen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo von Serbien zu
vergleichen sei (www.ksta.de/politik/-ukraine-schroeder-vergleicht-krim-
mit-kosovo,15187246,26521934.html)?

29. Stellte nach Ansicht der Bundesregierung der nach Auffassung des Land-
gerichts Berlin „völkerrechtswidrige Angriffskrieg“ gegen die Bundesrepu-
blik Jugoslawien im Jahr 1999 (Beschluss des Landgerichts Berlin, Gz.:
564-81.00) einen „Verstoß gegen das Verbot von Androhung oder Anwen-
dung von Gewalt in den zwischenstaatlichen Beziehungen nach Art. 2 (4)
VN-Charta dar“ („Realitätscheck“, Erklärung 6), ähnlich wie das Eingreifen
russischer Truppen in den Ukraine-Konflikt?

30. Inwieweit spielt die Dauer von Statusverhandlungen für die Anerkennung
einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung eine entscheidende Rolle, wenn
das Auswärtige Amt die Unabhängigkeitserklärung des Kosovos damit
rechtfertigt, dass diese auf das Scheitern der fast zehnjährigen Bemühungen

Drucksache 18/4275 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
zur definitiven konsensualen Statuslösung folgte („Realitätscheck“, Erklä-
rung 7), vor dem Hintergrund, dass seit 25 Jahren über den Status der ab-
trünnigen Republiken Abchasien, Südossetien und Transnistrien vergeblich
verhandelt wird?

31. Welche konkreten Fakten kann die Bundesregierung dafür vorweisen, dass
die „Separatisten“ im Donbass „nie die Unterstützung einer Mehrheit der
Bevölkerung“ gehabt haben („Realitätscheck“, Erklärung 8), obwohl an-
geblich 75 Prozent der Bevölkerung des Donbass sich an dem Statusreferen-
dum am 11. Mai 2014 beteiligt haben und davon 89 Prozent der Votierenden
für die Unabhängigkeit gestimmt haben sollen (www.bbc.com/news/world-
europe-27360146)?

32. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass
die ukrainische Regierung nur dank fortgesetzter massiver Unterstützung
aus dem Westen in der Lage ist, zu versuchen, „die öffentliche Ordnung [in
der Ostukraine] wiederherzustellen“?

33. Wie interpretiert die Bundesregierung den Konsens, die „NATO werde sich
nicht nach Osten ausdehnen“, den der damalige Bundesminister des Aus-
wärtigen, Hans-Dietrich Genscher, mit dem damaligen sowjetischen Außen-
minister Eduard Schewardnadse im Februar 1990 gefunden hatte, und die-
ser nicht nur in Bezug auf Ostdeutschland gelte, sondern „ganz generell“
(www.faz.net/aktuell/politik/ost-erweiterung-der-nato-was-versprach-
genscher-12902411.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2)?

34. Wie interpretiert die Bundesregierung die Aussage des damaligen US-
Außenministers James A. Baker gegenüber Michail Gorbatschow, dass die
NATO „um keinen einzigen Zoll ausgedehnt“ werden soll (Gerhard A.
Ritter: Hans-Dietrich Genscher, das Auswärtige Amt und die deutsche Ver-
einigung, C. H. Beck: München 2013, S. 48)?

35. Wie interpretiert die Bundesregierung die Aussage des damaligen NATO-
Generalsekretärs Manfred Wörner vom 17. Mai 1990, dass die „Tatsache,
dass wir bereit sind, keine NATO-Truppen außerhalb des Staatsgebiets der
BRD zu stationieren, […] der Sowjetunion feste Sicherheitsgarantien [gibt]
(www.bpb.de/apuz/32068/russland-und-die-nato-grenzen-der-gemeinsamkeit?
p=all)?

36. Mit welcher Begründung teilte die Bundesregierung – vor dem Hintergrund
der in den Fragen 33 bis 35 angesprochenen Zitate – das Ziel, für Ost-
deutschland einen nicht in die NATO integrierten sowie atomwaffenfreien
Status nach dem Zwei-plus-Vier-Vertrag festzuschreiben, wenn es ver-
meintlich eine „Zusage der NATO als Organisation […] nie gegeben [hat]“,
die NATO nach Osten zu erweitern („Realitätscheck“, Erklärung 10)?

37. Worin sieht die Bundesregierung die Gründe dafür, dass die jeweiligen Re-
gierungen der Russischen Föderation bisher gegen alle Erweiterungsrunden
der NATO (1999, 2004, 2009) protestiert haben (Hannes Adomeit: East
Germany: NATO’s First Eastward Enlargement, in: NATO at 60, Amster-
dam 2010, S. 11 bis 22, hier: S. 20), da es vermeintlich eine „Zusage der
NATO als Organisation […] nie gegeben [hat]“, die NATO nach Osten zu
erweitern („Realitätscheck“, Erklärung 10) sowie „seit dem Ende der
Sowjetunion eine systematische Politik der Ausgrenzung und der Schwä-
chung Russlands“ nicht betrieben wurde („Realitätscheck“, Erklärung 9)?

38. Wie bewertet die Bundesregierung die verschiedenen seit 1990 geführten
Kriege von einzelnen NATO-Staaten gegen mit Russland wirtschaftlich und
politisch eng verflochtenen Staaten wie Jugoslawien, Libyen, Irak und Sy-
rien vor dem Hintergrund, dass vermeintlich „seit dem Ende der Sowjet-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/4275
union eine systematische Politik der Ausgrenzung und der Schwächung
Russlands“ nicht betrieben wurde („Realitätscheck“, Erklärung 9)?

39. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über das politische Eingreifen
der US-Regierung gegenüber dem NATO-Generalsekretär Anders Fogh
Rasmussen, der eine Kooperation zwischen der NATO und der Orga-
nisation des Vertrages über Kollektive Sicherheit vorschlagen wollte
(www.eurodialogue.eu/osce/US-Blocking-NATO-CSTO-Cooperation) vor
dem Hintergrund, dass angeblich „seit dem Ende der Sowjetunion eine sys-
tematische Politik der Ausgrenzung und der Schwächung Russlands“ nicht
betrieben wurde („Realitätscheck“, Erklärung 9)?
Welche Konsequenzen und Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung
aus diesem Verhalten der US-Regierung?

40. Sieht die Bundesregierung in der im November 2013 getroffenen Entschei-
dung der ukrainischen Regierung Mykola Asarow, die EU-Assoziierung zu
stoppen und stattdessen einen Beobachterstatus in der Eurasischen Union
anzustreben, eine Entscheidung im Rahmen des „Rechts auf freie Bündnis-
wahl“, wie es in der Helsinki-Schlussakte verankert wurde („Reali-
tätscheck“, Erklärung 10)?

41. Sieht die Bundesregierung im nach Auffassung des Landgerichts Berlin
„völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ (Beschluss des Landgerichts Berlin,
Gz.: 564-81.00) gegen die Bundesrepublik Jugoslawien im Jahr 1999 einen
Bruch der „Prinzipien der NATO-Grundakte (keine Intervention in andere
Staaten etc.)“ („Realitätscheck“, Erklärung 10)?

42. Welche Ursachen hat die Weigerung der NATO, der russischen Regierung
rechtsverbindlich zuzusichern, dass sich der NATO-Raketenschild nicht ge-
gen die Russische Föderation richten würde (Neues Deutschland 15. Mai
2012), vor dem Hintergrund, dass die von der NATO „geplante Raketen-
abwehr nicht gegen Russland gerichtet [sei]“ („Realitätscheck“, Erklä-
rung 13)?

43. Worin sieht die Bundesregierung die Ursachen für die Nichtmitgliedschaft
der Russischen Föderation in der „Östlichen Partnerschaft“ der EU vor dem
Hintergrund, dass diese vermeintlich nicht „gegen Russland gerichtet [sei]“
(„Realitätscheck“, Erklärung 14)?
Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass der ukraini-
sche Präsident Wiktor Janukowitsch im Herbst 2013 erst von einer Unter-
zeichnung des EU-Assoziationsabkommens im November 2013 in Vilnius
absah, nachdem der für die kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stehende
Ukraine in Aussicht gestellte Kredit des Internationalen Währungsfonds als
Gegenmaßnahme die Erhöhung der Gaspreise für Privathaushalte vorsah
und dann – nachdem es hier fast zu einer Einigung kam – auch noch zusätz-
liche Forderungen, wie etwa das Einfrieren von Renten oder die Nichterhö-
hung von Stipendien, gefordert wurden (www.wienerzeitung.at/nachrichten/
europa/europastaaten/736123_Es-gibt-zahlreiche-offene-Fragen-zu-den-
Ereignissen-auf-dem-Maidan.html)?

44. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass der dama-
lige ukrainische Ministerpräsident Mykola Asarow daraufhin eine Ver-
schiebung der Unterzeichnung des Assoziationsabkommens mit der EU
um ein halbes Jahr erbat, um mit Unterstützung der EU erst die anstehen-
den Verhandlungen mit Russland in Gas- und Handelsfragen unter den
neuen Bedingungen zu führen (www.wienerzeitung.at/nachrichten/europa/
europastaaten/736123_Es-gibt-zahlreiche-offene-Fragen-zu-den-Ereignissen-
auf-dem-Maidan.html)?

Drucksache 18/4275 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
45. Teilt die Bundesregierung die Ansicht des damaligen schwedischen
Außenministers Carl Bildt vom 9. September 2013, dass eine EU-Assoziie-
rung Armeniens mit dem Beitritt zur Eurasischen Union „vom Tisch sei“
(www.twitter.com/carlbildt/status/377068021296406528), und inwieweit
korreliert diese Haltung mit der vom Auswärtigen Amt aufgestellten Aus-
sage, dass es sich bei der EU-Assoziierung „nicht um ein ‚entweder oder‘“
handeln würde („Realitätscheck“, Erklärung 14)?
a) Verhandelt die EU weiter mit der Republik Armenien über eine politi-

sche Assoziierung?
b) Wenn nein, welche Konsequenzen und Schlussfolgerungen zieht die

Bundesregierung aus dem Stopp der Verhandlungen über eine EU-Asso-
ziierung mit Armenien?

46. Inwieweit kann nach Auffassung der Bundesregierung der „zentrale Grad-
messer bei den Wirtschaftssanktionen […] die Umsetzung der Minsker
Vereinbarungen [sein]“, wenn einen Tag nach der zweiten Minsker Verein-
barung vom 11. Februar 2015 neue Sanktionen in Kraft gesetzt wurden
(www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-tote-bei-gefechten-nach-minsker-
gipfel-a-1018270.html)?

47. Welche Gründe hat die Bundesregierung, Angaben über die Ausbildung im
Rahmen des Lehrgangs internationaler Generalstabs- und Admiral-
stabsdienst (LGAI) im Fall der Republik Moldau öffentlich zugänglich zu
machen (Bundestagsdrucksache 18/3790) und im Fall der Ukraine als „Ver-
schlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“ einzustufen (Bundestagsdruck-
sache 18/863)?

Berlin, den 26. Februar 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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