BT-Drucksache 18/415

Erfahrungen mit dem "Aussteigerprogramm für Linksextremisten" des Bundesamtes für Verfassungsschutz

Vom 31. Januar 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/415
18. Wahlperiode 31.01.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Harald Petzold (Havelland),
Kersten Steinke, Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Erfahrungen mit dem „Aussteigerprogramm für Linksextremisten“ des
Bundesamtes für Verfassungsschutz

Im Oktober 2011 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ein „Ausstei-
gerprogramm“ für so genannte Linksextremisten und Linksextremistinnen ge-
startet. Dessen Betreuung stellt nach Meinung der Fragesteller einen übersicht-
lichen Arbeitsaufwand dar, wie die Antwort der Bundesregierung auf eine
Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. ein Jahr nach Programmbeginn
gezeigt hatte (Bundestagsdrucksache 17/11412). Insgesamt hatte es lediglich
33 Kontaktaufnahmen gegeben, 19 davon gleich im ersten Monat. Drei Viertel
dieser wenigen Anrufe waren nicht ernst gemeint – das dürften wohl Ulkanrufe,
Fragen von Journalisten und Journalistinnen oder schlichtweg Off-Topic-
Querulanten gewesen sein. Nur in drei Fällen sei der „Ausstiegswille“ ernsthaft
genug gewesen, um persönliche Gespräche folgen zu lassen. Dabei hat sich dann
gezeigt, dass zwei der drei Anruferinnen und Anrufer gerade ein Ermittlungsver-
fahren am laufen hatten, jedoch gehört das Anbieten eines Strafnachlasses offi-
ziell nicht zum Programm. Am Ende habe ein (in Zahlen: 1) junger Mann aus
Bayern mit Hilfe des Verfassungsschutzes die autonome Szene verlassen. Dass
die Unterstützung des BfV dabei kausal gewesen ist, geht aus der Antwort nicht
hervor.
Die Fragestellerin hatte sich schon zu Programmbeginn gedacht, dass Personen,
die aus linken politischen Zusammenhängen aussteigen wollen, dazu nicht
unbedingt auf die Hilfe des Inlandsgeheimdienstes angewiesen sind. Nach ihrer
eigenen Erfahrung genügt es vielmehr, nicht mehr zum jeweiligen Gruppen-
plenum zu erscheinen und die 1.-Mai-Demo zu schwänzen.
Die angekündigten Hilfsangebote des Geheimdienstes (Hilfe beim Umzug,
Hilfe bei Vermittlung von Behördenkontakten, Hilfe bei der Arbeitsplatz- und
Wohnungssuche usw.) scheinen für die Realisierung des „Ausstiegs“ des einen
jungen Bayern nicht erforderlich gewesen zu sein. Im Wesentlichen, so die
Bundesregierung in der genannten Drucksache, bestand die geheimdienstliche
Unterstützung darin, „als Gesprächspartner“ zu dienen, worauf insbesondere
Personen angewiesen seien, die „kaum über soziale Kontakte außerhalb der
Szene verfügen“ und Angst haben, nach einem Ausstieg keine Freunde mehr zu
haben.
Es mag für solche Menschen persönlich tragisch sein, dass sie dann ausgerech-
net bei einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin des gehobenen technischen
Dienstes des Inlandsgeheimdienstes, der gerade Telefondienst hat, Zuspruch
suchen. Für solche Lagen gibt es aber nach Kenntnis der Fragestellerin geeig-
netere Hilfsangebote (z. B. Kummertelefone, Priester, Therapeutische Einrich-
tungen).

Drucksache 18/415 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Der politische Kern des Programms liegt nach Auffassung der Fragestellerin
nicht darin, tatsächlich „Ausstiegshilfe“ anzubieten. Es ist womöglich die Hoff-
nung damit verbunden, den einen oder anderen Informanten anzuwerben. Im
Wesentlichen dürfte das Programm aber Ausdruck des „Extremismusansatzes“
sein, also der Gleichsetzung von Neofaschismus und Linksradikalismus als an-
geblich gleichermaßen die Demokratie gefährdende „Extreme“. Das verkennt
unter anderem, dass Elemente neofaschistischer Politik, wie etwa Rassismus, bis
weit in die „Mitte“ der Gesellschaft hineinreichen. Zudem vergibt der Verfas-
sungsschutz nach Beobachtungen der Fragestellerin das Prädikat „linksextrem“
recht großzügig und häufig bereits aufgrund der entschiedenen Ablehnung von
Kapitalismus, Faschismus und Krieg.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Hat auch im Jahr 2013 ein junger Mann oder eine junge Frau mit Hilfe des

Verfassungsschutzes die linke Szene verlassen?
2. Wie viele Kontaktaufnahmen hat das Aussteigerprogramm jeweils insgesamt

im Jahr 2012 und im Jahr 2013 verzeichnet?
a) Wie viele Anruferinnen und Anrufer bzw. Personen, die sich per E-Mail

gemeldet haben, wurden als grundsätzlich ausstiegswillig eingeschätzt?
b) In wie vielen Fällen erfolgte der Erstkontakt nicht durch die ausstiegswil-

ligen Personen selbst, sondern durch deren Umfeld bzw. Angehörige
usw.?

c) Wie viele Anruferinnen und Anrufer wurden als unernst (Ulkanrufe etc.)
eingeschätzt (bitte jeweils Geschlecht, Alter und Bundesland angeben)?

3. Wie viele dieser ausstiegswilligen Personen waren zum Zeitpunkt ihrer Kon-
taktaufnahme mit Ermittlungsverfahren konfrontiert oder befanden sich in
Haft?

4. Welche Erfahrungen bei der weiteren Betreuung wurden hinsichtlich der
grundsätzlich als ausstiegswillig eingeschätzten Personen gesammelt?
Mit wie vielen der zunächst für ausstiegswillig gehaltenen Personen fanden
wie viele Folgegespräche mit welchem Ergebnis statt?

5. Wie viele Personen sind jeweils in den Jahren 2012 und 2013 tatsächlich mit
Hilfe des Verfassungsschutzes „ausgestiegen“ (bitte hierzu jeweils Alter,
Bundesland und Geschlecht sowie den Charakter bzw. die Ausrichtung der
verlassenen Organisation bzw. Szene oder Subkultur angeben)?
a) Wie viele Gespräche, und wie viele davon, von Angesicht zu Angesicht,

gingen diesen Ausstiegen jeweils voraus?
b) Was war nach Kenntnis der Bundesregierung bei den betreffenden

Personen jeweils der Grund dafür, sich mit ihrem Ausstiegsbegehr aus-
gerechnet an den Inlandsgeheimdienst zu wenden, und worin bestand ihr
Unterstützungsbedarf?

6. Hat sich die Unterstützung des Geheimdienstes dabei weiterhin daraufhin be-
schränkt, jungen Menschen, die fürchten, ihren kompletten Freundeskreis zu
verlieren, als „Gesprächspartner“ zu dienen, oder gab es konkretere, auch
materielle Unterstützungsmaßnahmen (diese bitte ggf. vollständig auflisten
und allfällig entstandene Kosten aufschlüsseln)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/415
7. Inwiefern hat sich die Konzeption des Aussteigerprogramms seit seiner Ein-
führung geändert?

8. Beabsichtigt die Bundesregierung, das Programm weiterzuführen, und wenn
ja, inwiefern sind konzeptionelle Änderungen vorgesehen?

Berlin, den 30. Januar 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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