BT-Drucksache 18/3998

Befreiung Kobanis und Hilfe beim Wiederaufbau

Vom 11. Februar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3998
18. Wahlperiode 11.02.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan van Aken, Ulla Jelpke, Jan Korte, Christine Buchholz,
Kerstin Kassner, Petra Pau, Martina Renner, Kathrin Vogler, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Befreiung Kobanis und Hilfe beim Wiederaufbau

Nach den rund viermonatigen Kämpfen gelang es den Verteidigungskräften des
Kantons Kobani in der letzten Januarwoche 2015, die Djihadisten des „Islami-
schen Staates“ (IS bzw. ISIS) aus dem Stadtgebiet von Kobani sowie einigen
umliegenden Dörfern zu verdrängen. Der Großangriff des IS auf Kobani, dem
kleinsten der drei Kantone des Selbstverwaltungsgebietes im Norden Syriens,
hatte Mitte September 2014 begonnen. Der IS setzte dabei aus irakischen
Armeebeständen erbeutete schwere Waffen einschließlich Kampfpanzer ein, wäh-
rend die Verteidigungskräfte nur über leichte Waffen verfügten. Entgegen den
Erklärungen des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, wonach er
mit einer Einnahme Kobanis durch den IS rechne, hielten die Verteidigungsein-
heiten stand (www.sueddeutsche.de/news/politik/konflikte-erdoganKobani-ist-
dabei-zu-fallen---luftschlaege-nicht-ausreichend-dpa.urn-newsml-dpa-com-
20090101-141007-99-06558).
Die Vertreibung des IS aus dem Stadtgebiet von Kobani war ein gemeinsamer
Erfolg der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten (YPG/YPJ) der Selbstver-
waltungsregion Rojava in Nordsyrien, ihnen mit panzerbrechenden Waffen zur
Hilfe gekommener Peschmerga der kurdischen Regionalregierung im Nordirak
sowie der verbündeten Sems El-Semal und Suwar El Rakka der Freien Syri-
schen Armee (FSA). Die Verteidigungskräfte von Kobani erhielten zudem Luft-
unterstützung der aus rund 40 Ländern gebildeten Anti-IS-Allianz.
Während der Offensive des IS mussten rund 200 000 Zivilistinnen und Zivilis-
ten aus der Stadt und den umliegenden Dörfern über die türkische Grenze flie-
hen. Nur ein kleiner Teil von ihnen ist nach Informationen, die die Fraktion DIE
LINKE. von örtlichen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern er-
halten hat, in staatlichen Flüchtlingslagern untergekommen. Die übrigen leben
in Zeltlagern der von der prokurdischen Partei der Demokratischen Regionen
(DBP) regierten Stadt Suruc, bei Verwandten, in Garagen, stillgelegten Indus-
trieanlagen und selbst Ställen in der Provinz Sanliurfa.
Nach der Befreiung der Stadt hoffen jetzt viele Flüchtlinge auf eine baldige
Rückkehr. Doch nach Beobachtungen eines Vertreters der in Kobani tätigen
Hilfsorganisation Medico International erwartet sie eine zu 60 Prozent zerstörte
Stadt, in der es an intaktem Wohnraum, Trinkwasser und Energieversorgung
fehlt (www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.interview-mit-medico-international-
Kobani-ist-eine-truemmerwueste.92540d64-fafe-42ec-8f4b-1919f65d45ff.html;
www.deutschlandradiokultur.de/eindruecke-aus-Kobani-die-lage-ist-trostlos-
aber-die.1008.de.html?dram:article_id=310604).

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Bei Kobani sowie den beiden anderen Kantonen Cizire und Afrin von Rojava
gehen die militärischen Auseinandersetzungen mit dem IS und der zu Al Qaida
gehörenden Al-Nusra-Front weiter. Zudem kam es Anfang Januar 2015 in der
Stadt Al Hasaka zu schweren Auseinandersetzungen zwischen YPG/YPJ und
syrischen Regierungsstreitkräften. Ein von der Türkei über Rojava verhängtes
Embargo mit willkürlichen Grenzblockaden verhindert die Versorgung und Si-
cherung der drei Kantone. Nach eigenen Angaben sind der „Kampf gegen die
Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus und die Lage in Syrien […] re-
gelmäßig Themen in den Gesprächen zwischen Vertretern der Bundesregierung
und der türkischen Regierung“ (Antwort der Bundesregierung auf die Schrift-
lichen Fragen 22 und 23 des Abgeordneten Thomas Nord auf Bundestagsdruck-
sache 18/3812). Damit verfügt die Bundesregierung offensichtlich über gute
Kanäle, um die Haltung der Türkei einzuschätzen und gegebenenfalls zu pro-
blematisieren.
Denn ebenso bedeutsam wie die internationale Hilfe beim Wiederaufbau in Ko-
bani ist ein Richtungswechsel in der türkischen Syrienpolitik, um eine Wieder-
holung der Eskalation von Kobani zu verhindern.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie stellt sich die Situation in und um die nordsyrische Stadt Kobani nach

Kenntnis der Bundesregierung derzeit
a) militärisch,
b) infrastrukturell (Ausmaß der Zerstörung an Wohngebäuden und Straßen),
c) medizinisch (Ausstattung mit Behandlungseinrichtungen, Medikamenten

etc.),
d) humanitär (Versorgung mit Lebensmitteln, Trinkwasser)
dar?

2. Welche staatlichen bzw. staatlich finanzierten Hilfen aus Deutschland wur-
den bis heute für die Region in und um die nordsyrische Stadt Kobani
a) infrastrukturell (Wohngebäude und Straßen),
b) medizinisch (Behandlungseinrichtungen, Geräte, Medikamente etc.),
c) humanitär (Versorgung mit Lebensmitteln, Trinkwasser),
geleistet (unter Angabe der konkreten Projekte und jeweiligen Finanzmittel)?
Falls keinerlei deutsche Hilfen erfolgt sind, warum nicht?

3. Welche staatlichen bzw. staatlich finanzierten Hilfen aus Deutschland wer-
den aktuell für die Region in und um die nordsyrische Stadt Kobani
a) infrastrukturell (Wohngebäude, Straßen etc.),
b) medizinisch (Behandlungseinrichtungen, Geräte, Medikamente etc.),
c) humanitär (Versorgung mit Lebensmitteln, Trinkwasser)
vorbereitet (unter Angabe der Projekte und jeweiligen Finanzmittel)?
Falls keinerlei deutsche Hilfen geplant sind, warum nicht?

4. Welche staatlichen bzw. staatlich finanzierten Hilfen aus Deutschland wur-
den bis heute für die beiden anderen mehrheitlich kurdisch besiedelten nord-
syrischen Selbstverwaltungskantone Afrin und Cizire
a) infrastrukturell (Wohngebäude, Straßen etc.),
b) medizinisch (Behandlungseinrichtungen, Geräte, Medikamente etc.),

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3998
c) humanitär (Versorgung mit Lebensmitteln, Trinkwasser)
geleistet (unter Angabe der konkreten Projekte und jeweiligen Finanzmittel)?
Falls keinerlei deutsche Hilfen erfolgt sind, warum nicht?

5. Welche staatlichen bzw. staatlich finanzierten Hilfen aus Deutschland wer-
den aktuell für die beiden anderen nordsyrischen Kantone Afrin und Cizire
a) infrastrukturell (Wohngebäude, Straßen etc.),
b) medizinisch (Behandlungseinrichtungen, Geräte, Medikamente etc.),
c) humanitär (Versorgung mit Lebensmitteln, Trinkwasser)
geplant bzw. vorbereitet (unter Angabe der konkreten Projekte und jeweili-
gen Finanzmittel)?
Falls keinerlei deutsche Hilfen geplant sind, warum nicht?

6. Beabsichtigt die Bundesregierung, sich auf EU-, UN- oder einer anderen in-
ternationalen Ebene für Wiederaufbau- und/oder humanitäre Hilfen für
Kobani einzusetzen, wenn ja, wie konkret, und wenn nein, warum nicht?

7. Wie viele Einwohner von Kobani und Umgebung sind nach Kenntnis der
Bundesregierung in die Türkei geflohen?
a) Wo halten sich diese Flüchtlinge nach Kenntnis der Bundesregierung der-

zeit auf?
b) Wie viele der aus Kobani Geflohenen werden von Institutionen des türki-

schen Staates etwa durch die Hilfsorganisation AFAD betreut?
c) Wie viele der aus Kobani Geflohenen werden von örtlichen Gemeindever-

waltungen betreut?
d) Wie viele der aus Kobani Geflohenen werden von der örtlichen Bevölke-

rung ohne staatliche oder kommunale Beihilfe betreut?
e) Wurden bislang aus Bundesmitteln finanzierte Hilfen aus Deutschland für

die aus Kobani in die Türkei geflohenen Menschen geleistet, und wenn ja,
um welche Hilfsleistungen in welcher Höhe handelt es sich dabei?

f) Wie ist die generelle Lebenssituation der aus Kobani Geflohenen in der
Türkei bezüglich Infrastruktur, medizinischer und humanitärer Versor-
gung?

8. Inwieweit und unter welchen Voraussetzungen ist nach Kenntnis der Bundes-
regierung die türkisch-syrische Grenze in die drei Selbstverwaltungskantone
Afrin, Kobani und Cizire passierbar für
a) humanitäre Hilfe,
b) Handelsgüter,
c) militärische Unterstützungsgüter für die Volksverteidigungseinheiten

YPG/YPJ der drei Kantone,
d) militärische Unterstützungsgüter für andere, im Bündnis mit YPG/YPJ

stehende Gruppierungen wie Peschmerga und Einheiten der Freien Syri-
schen Armee,

e) verwundete YPG/YPJ-Kämpferinnen und -Kämpfer,
f) verwundete Kämpfer der verbündeten Kräfte (Peschmerga und verbün-

dete FSA-Brigaden)?
g) Flüchtlinge aus den Kantonen und Rückkehrer,
h) Baumaterialien zum Wiederaufbau insbesondere von Kobani,

Drucksache 18/3998 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
i) Angehörige der gegen die Kantone kämpfenden djihadistischen Grup-
pierungen (IS, Al Nusra u. a.),

j) militärische Unterstützungsgüter für die gegen die Kantone kämpfenden
djihadistischen Gruppierungen?

9. Wie viele schwer verletzte Verteidigerinnen und Verteidiger der Stadt
Kobani wurden nach Kenntnis der Bundesregierung in türkischen Kranken-
häusern behandelt?
a) Wie viele in Kobani verwundete Verteidigerinnen und Verteidiger der

Stadt sind nach Kenntnis der Bundesregierung am syrisch-türkischen
Grenzübergang in Kobani gestorben, weil die türkischen Grenzsiche-
rungsbehörden eine rechtzeitige Einreise zu einer ärztlichen Versorgung
in die Türkei verhindert haben?

b) Wie viele aufgrund von Verwundungen in türkischen Krankenhäusern
versorgte Verteidigerinnen und Verteidiger von Kobani wurden nach
Kenntnis der Bundesregierung anschließend von der türkischen Polizei
festgenommen oder inhaftiert?

c) Inwieweit war der Umgang der türkischen Behörden mit Verwundeten
aus Kobani Gegenstand von Gesprächen deutscher Behörden mit der tür-
kischen Seite (bitte unter Angabe der Beteiligten, Datum und der konkre-
ten Thematik des Gesprächs)?

10. Wie viele gegen den IS kämpfende Personen aus Nicht-NATO-Staaten wur-
den seit Beginn der Auseinandersetzungen mit dem IS im Jahr 2014 aus der
Kriegsregion zur Behandlung nach Deutschland ausgeflogen (bitte unter
Angabe der Streitkräftezugehörigkeit, des Datums, der Verletzung und des
Behandlungsorts)?

11. Wurden seit Beginn der Auseinandersetzungen mit dem IS im Jahr 2014
verwundete Angehörige der YPG/YPJ aus der Kriegsregion zur Behand-
lung nach Deutschland ausgeflogen (bitte unter Angabe der Streitkräftezu-
gehörigkeit, des Datums, der Verletzung und des Behandlungsorts)?
Wenn nein, warum nicht?

12. Nach welchen Kriterien (Streitkräftezugehörigkeit, Schwere der Verlet-
zung, Aufenthaltsort etc.) wählt die Bundesregierung grundsätzlich verwun-
dete Anti-IS-Kämpferinnen und -Kämpfer aus Nicht-NATO-Staaten zur Be-
handlung in Deutschland aus?

Berlin, den 10. Februar 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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