BT-Drucksache 18/3976

Entschädigungen für zivile Opfer in Afghanistan

Vom 6. Februar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3976
18. Wahlperiode 06.02.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Katrin Kunert, Niema Movassat,
Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Entschädigungen für zivile Opfer in Afghanistan

Nach 13 Jahren Krieg in Afghanistan wird der Öffentlichkeit weiterhin eine um-
fassende Bilanz der deutschen Kriegsbeteiligung im Rahmen des Militäreinsat-
zes International Security Assistance Force (ISAF) vorenthalten. So hat bis heute
keine Bundesregierung umfassende Informationen über unter Beteiligung deut-
scher Einsatzkräfte verletzte oder getötete Zivilpersonen und durch die Bundes-
wehr verursachte Sachschäden zusammengestellt und veröffentlicht. Weder die
von der Bundesregierung veröffentlichen Fortschrittsberichte noch die regel-
mäßigen Unterrichtungen des Deutschen Bundestages liefern Erkenntnisse über
das Ausmaß deutscher Verantwortung für Zerstörungen und Opfer des Afghanis-
tankrieges. Selbst auf parlamentarische Fragen antwortet die Bundesregierung
unzureichend. So hat die Bundesregierung jüngst in der Antwort auf die Schrift-
liche Frage 45 auf Bundestagsdrucksache 18/3812 zu Entschädigungen für unter
Beteiligung deutscher Einsatzkräfte im Rahmen von ISAF verletzte, getötete
oder von Sachschäden betroffene Zivilistinnen und Zivilisten einige Vorfälle auf-
gelistet. Die Auflistung gibt aber noch nicht einmal Aufschluss darüber, wie viele
Zivilpersonen bei den jeweiligen Vorfällen verletzt bzw. getötet wurden. Die
Antworten werfen zudem weitere Fragen zum Ausmaß der Kriegsschäden, der
zivilen Opfer und der deutschen Entschädigungspraxis auf.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie kam es zu dem Personenschaden durch Schussabgabe am 15. Januar

2010, in dessen Folge nach Angabe der Bundesregierung eine „Ersatzleis-
tung“ in Höhe von 1 750 US-Dollar gezahlt wurde (bitte genaue Schilderung
des Vorfalls)?
a) Wie viele Personen wurden bei dem Vorfall verletzt bzw. getötet, wie viele

davon waren Männer, Frauen, Kinder, und welcher Art waren die Verlet-
zungen?

b) Nach welchem Verfahren und durch wen wurde eine Prüfung des Vorfalls
veranlasst, und wie wurde die Prüfung durchgeführt (bitte Verfahrensver-
lauf und Dienstgrad bzw. Institution angeben)?

c) Aufgrund welcher Sachlage und nach welchen Kriterien wurde über die
Zahlung einer „Ersatzleistung“ entschieden?

d) Wurde die Höhe der Zahlung anhand vorheriger Entschädigungsleistun-
gen der Bundeswehr oder anderer NATO-Staaten, durch Verhandlungen
oder anderweitig ermittelt (bitte mit Erläuterung)?

Drucksache 18/3976 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
2. Wie kam es zu dem Personenschaden durch Schussabgabe am 17. Januar
2010, in dessen Folge nach Angabe der Bundesregierung eine „Ersatzleis-
tung“ in Höhe von 7 900 US-Dollar gezahlt wurde (bitte genaue Schilderung
des Vorfalls)?
a) Wie viele Personen wurden bei dem Vorfall verletzt bzw. getötet, wie viele

davon waren Männer, Frauen, Kinder, und welcher Art waren die Verlet-
zungen?

b) Nach welchem Verfahren und durch wen wurde eine Prüfung des Vorfalls
veranlasst, und wie wurde die Prüfung durchgeführt (bitte Verfahrensver-
lauf und Dienstgrad bzw. Institution angeben)?

c) Aufgrund welcher Sachlage und nach welchen Kriterien wurde über die
Zahlung einer „Ersatzleistung“ entschieden?

d) Wurde die Höhe der Zahlung anhand vorheriger Entschädigungsleistun-
gen der Bundeswehr oder anderer NATO-Staaten, durch Verhandlungen
oder anderweitig ermittelt (bitte mit Erläuterung)?

3. Wie kam es zu dem Personenschaden durch Schussabgabe am 7. April 2010,
in dessen Folge nach Angabe der Bundesregierung eine „Ersatzleistung“ in
Höhe von 1 500 US-Dollar gezahlt wurde (bitte genaue Schilderung des Vor-
falls)?
a) Wie viele Personen wurden bei dem Vorfall verletzt bzw. getötet, wie viele

davon waren Männer, Frauen, Kinder, und welcher Art waren die Verlet-
zungen?

b) Nach welchem Verfahren und durch wen wurde eine Prüfung des Vorfalls
veranlasst, und wie wurde die Prüfung durchgeführt (bitte Verfahrensver-
lauf und Dienstgrad bzw. Institution angeben)?

c) Aufgrund welcher Sachlage und nach welchen Kriterien wurde über die
Zahlung einer „Ersatzleistung“ entschieden?

d) Wurde die Höhe der Zahlung anhand vorheriger Entschädigungsleistun-
gen der Bundeswehr oder anderer NATO-Staaten, durch Verhandlungen
oder anderweitig ermittelt (bitte mit Erläuterung)?

4. Wie kam es zu dem Personenschaden durch Schussabgabe am 13. November
2010, in dessen Folge nach Angabe der Bundesregierung eine „Ersatzleis-
tung“ in Höhe von 2 000 US-Dollar gezahlt wurde (bitte genaue Schilderung
des Vorfalls)?
a) Wie viele Personen wurden bei dem Vorfall verletzt bzw. getötet, wie viele

davon waren Männer, Frauen, Kinder, und welcher Art waren die Verlet-
zungen?

b) Nach welchem Verfahren und durch wen wurde eine Prüfung des Vorfalls
veranlasst, und wie wurde die Prüfung durchgeführt (bitte Verfahrensver-
lauf und Dienstgrad bzw. Institution angeben)?

c) Aufgrund welcher Sachlage und nach welchen Kriterien wurde über die
Zahlung einer „Ersatzleistung“ entschieden?

d) Wurde die Höhe der Zahlung anhand vorheriger Entschädigungsleistun-
gen der Bundeswehr oder anderer NATO-Staaten, durch Verhandlungen
oder anderweitig ermittelt (bitte mit Erläuterung)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3976
5. Handelt es sich bei den in der von der Bundesregierung vorgelegten Liste
vom 20. Januar 2015 aufgeführten Vorfällen am 15. Januar 2010 und am
17. Januar 2010 (Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage 45
auf Bundestagsdrucksache 18/3812 des Abgeordneten Jan van Aken) um
dieselben Fälle, die die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine
Anfrage der Fraktion DIE LINKE. vom 20. Mai 2010 auf Bundestagsdruck-
sache 17/1813 als „Force Escalations“ aufgeführt hat?

6. Aus welchem Grund werden die durch den Luftangriff bei Kundus getöteten
Zivilistinnen und Zivilisten nicht in der vom Bundesministerium der Ver-
teidigung erstellten Liste vom 20. Januar 2015 (siehe Antwort auf die
Schriftliche Frage 45 auf Bundestagsdrucksache 18/3812), sondern geson-
dert aufgeführt?

7. Was unterscheidet die Zahlung an die durch den Luftschlag bei Kundus be-
troffenen Familien von den in der Liste (siehe Antwort auf die Schriftliche
Frage 45 auf Bundestagsdrucksache 18/3812) aufgeführten, als Ersatzleis-
tungen deklarierten Zahlungen?

8. Wie viele Zivilpersonen sind nach heutigem Kenntnisstand der Bundes-
regierung bei dem Luftangriff bei Kundus getötet, verletzt oder anderweitig
geschädigt worden (bitte einzeln auflisten und unter der Angabe, auf wel-
chen Daten die Zahlen basieren)?

9. Wann liegen für die Bundesregierung „humanitäre“ Gründe für Zahlungen
vor, und welche sind dies im Einzelnen?

10. Unterscheidet die Bundesregierung zwischen Zahlungen aus humanitären
Gründen und Ersatzleistungen?
Wenn ja, wie unterscheidet sie?

11. In wie vielen Fällen wurde geprüft, ob Entschädigungen oder anderweitige
Kompensations- oder andere Leistungen durch die Bundesregierung oder
ihr nachgeordnete Behörden bzw. Institutionen zu leisten sind (bitte unter
Angabe der Gesamtzahl aller registrierten Fälle)?

12. Aufgrund welcher Sachlage und nach welchen Kriterien wurde darüber ent-
schieden, ob ein Vorfall, bei dem Zivilpersonen verletzt oder getötet wur-
den, untersucht und geprüft wird, ob Entschädigungen oder anderweitige
Kompensations- oder andere Leistungen durch die Bundesregierung oder
ihr nachgeordnete Behörden bzw. Institutionen zu leisten sind?

13. Aufgrund welcher Kriterien wurden Entschädigungen oder anderweitige
Kompensations- oder andere Leistungen durch die Bundesregierung oder
ihr nachgeordnete Behörden bzw. Institutionen geleistet bzw. abgelehnt
(bitte Fälle einzeln und mit jeweiliger Begründung aufführen)?

14. In welchen Fällen lagen welche rechtlichen oder humanitären Gründe für
die Entschädigungen oder anderweitigen Kompensations- oder andere Leis-
tungen durch die Bundesregierung oder ihr nachgeordnete Behörden bzw.
Institutionen vor, und welche waren dies im Einzelnen (bitte Fälle einzeln
und nach rechtlichen und humanitären Gründen unterschieden auflisten)?

15. In welchen Fällen von unter Beteiligung deutscher Einsatzkräfte verletzten
oder getöteten Zivilpersonen bestehen nach Auffassung der Bundesregie-
rung rechtliche Verpflichtungen zur Zahlung von Entschädigungen oder
sonstigen Kompensations- oder anderweitigen Leistungen (bitte unter An-
gabe von Beispielen)?

16. In wie vielen Fällen wurden Opfern, ihren Angehörigen oder Dritten Ent-
schädigungszahlungen verweigert, und aufgrund welcher Bewertung (bitte
Fälle einzeln und unter Angabe der Begründung auflisten)?

Drucksache 18/3976 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
17. In wie vielen Fällen wurden aufgrund von Anzeigen bzw. Klagen Entschä-
digungen oder anderweitige Kompensations- oder andere Leistungen durch
die Bundesregierung oder ihr nachgeordnete Behörden bzw. Institutionen
geleistet (bitte Fälle einzeln auflisten)?

18. In wie vielen Fällen sind Anzeigen nicht zur Anklage gekommen bzw. wur-
den Klagen abgewiesen (bitte Fälle einzeln und mit jeweiliger Begründung
auflisten)?

19. Wie viele Anzeigen bzw. Klagen sind zurzeit noch nicht entschieden bzw.
sind noch anhängig?

20. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass während der siebentägigen
ISAF-Militäroffensive Operation HALMAZAG, während der unter Beteili-
gung deutscher Einsatzkräfte Schäden an Feldern verursacht wurden, für die
die Bundesregierung laut eigenen Angaben 78 000 US-Dollar Ersatzzah-
lung geleistet hat, keine Zivilpersonen verletzt oder getötet wurden bzw.
dies nicht unter Beteiligung deutscher Einsatzkräfte?
Und wenn ja, aufgrund welcher Untersuchung ist sie zu dieser Auffassung
gelangt (bitte Untersuchungsbericht vorlegen bzw. Inhalt des Berichts doku-
mentieren)?

21. In welchen Verfahren und nach welchen Kriterien wird bzw. wurde nach
Kenntnis der Bundesregierung von den anderen an ISAF beteiligten NATO-
Truppenstellern über eventuelle Entschädigungen oder anderweitigen Kom-
pensations- oder andere Leistungen entschieden (bitte nach Ländern und un-
ter Beschreibung der jeweiligen Verfahren auflisten)?

22. Inwieweit finden bzw. fanden zwischen den an ISAF beteiligten NATO-
Truppenstellern Absprachen bzw. ein Austausch über Verfahren, Kriterien
und finanziellen Umfang von Entschädigungen oder anderweitigen Kom-
pensations- oder andere Leistungen statt, und wurde dabei eine Angleichung
angestrebt?

23. Nach welchen Kriterien, welchen Verfahren und durch welche Instanzen
wurde in Fällen, bei denen unter Beteiligung von Einsatzkräften mehrere
ISAF-Truppensteller-Zivilpersonen getötet oder verletzt wurden, entschie-
den, welcher Truppensteller gegebenenfalls Entschädigungen oder ander-
weitige Kompensations- oder andere Leistungen zu erbringen hatte (bitte
einzeln nach Vorfällen und jeweiliger Begründung auflisten)?

24. Hat die Bundesregierung Kenntnisse über in Menschenrechtsschutzabkom-
men für bestimmte Fälle vorgesehene individuelle Entschädigungsrechte,
und inwiefern finden diese Anwendung in der deutschen Entschädigungs-
bzw. Kompensationspraxis?

25. Wie viele Personen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung unter Be-
teiligung deutscher Einsatzkräfte im Rahmen von ISAF insgesamt getötet
oder verletzt?

26. Wie viele Zivilistinnen und Zivilisten wurden nach Kenntnis der Bundes-
regierung unter Beteiligung deutscher Einsatzkräfte im Rahmen von ISAF
insgesamt getötet oder verletzt?

27. Nach welchem Verfahren und durch wen werden bzw. wurden die Daten
über verletzte oder getötete Personen ermittelt und entschieden, ob es sich
um Zivilpersonen handelt oder nicht (bitte ausführen)?

Berlin, den 6. Februar 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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