BT-Drucksache 18/3968

Mögliche Zusammenarbeit der EU-Polizeimission in der Ukraine mit rechtsextremen bewaffneten Kräften

Vom 5. Februar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3968
18. Wahlperiode 05.02.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz, Sevim
Dağdelen, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Niema
Movassat, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Mögliche Zusammenarbeit der EU-Polizeimission in der Ukraine mit
rechtsextremen bewaffneten Kräften

Die EU-Polizeimission in der Ukraine (EUAM) hat am 1. Dezember 2014 offi-
ziell begonnen und soll nun personell ausgeweitet werden.
Obwohl sie von der EU als Mission zur Reform des „zivilen“ Sicherheitssektors
bezeichnet wird, gab die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine An-
frage der Fraktion DIE LINKE. an, die Mission richte sich „an die Sicherheits-
behörden in der Ukraine in ihrer Gesamtheit“ (Bundestagsdrucksache 18/2327).
EUAM selbst gibt an, „so eng wie möglich mit allen Sicherheitseinrichtungen,
auch mit dem Nachrichtendienst, der Bereitschaftspolizei oder den Grenz-
schutzbeamten“ zusammenzuarbeiten (vgl. Video auf der EUAM-Facebook-
seite), dabei aber den „Verteidigungsbereich“ aus der Kooperation auszuschlie-
ßen. Allerdings unterstehen militärische Kräfte keineswegs nur dem ukraini-
schen Verteidigungsministerium, sondern auch dem Innenministerium. Dazu
gehört unter anderem die Nationalgarde, die direkt militärische Angriffe gegen
Aufständische führt (vv.gov.ua). Dem Innenministerium zumindest formal an-
gegliedert sind auch zahlreiche irreguläre bewaffnete Milizen bzw. Freiwilligen-
bataillone, von denen unter anderem die Bataillone Asow, Donbass, Dnipro und
Aidar in großen Teilen rechtsextrem orientiert sind (vgl. Ausarbeitung des Wis-
senschaftlichen Dienstes, 220/14). Nach Angaben des Wissenschaftlichen
Dienstes sind mindestens 36 Freiwilligenbataillone, die, jedenfalls formal, unter
Kontrolle des Innenministeriums stehen, bislang an den Kämpfen im Osten ein-
gesetzt worden. Die Fragestellerinnen und Fragesteller sehen sich deswegen in
ihrer Befürchtung bestärkt, dass die enge Zusammenarbeit der EU-Polizeimis-
sion mit dem ukrainischen Innenministerium und seinen Gliederungen faktisch
die ausbildungsmäßige Unterstützung einer Bürgerkriegspartei bedeutet.
Die Bedenken erhöhen sich insbesondere durch zahlreiche Hinweise auf eine
anhaltende rechtsextreme Durchdringung der offiziellen Politik und des Sicher-
heitsapparates. Insbesondere über die Wahllisten der Parteien „Volksfront“ und
„Selbsthilfe“, die an der Regierung beteiligt sind, sind mehrere Anführer pro-
blematischer Milizen ins Parlament gewählt worden, darunter etwa die Kom-
mandanten der Bataillone Donbass, Semjon Sementschenko (über „Selbst-
hilfe“), des Asow-Bataillons, Andrij Bilezkij, des Bataillons Dnipro 1, Juri
Beresa, sowie des Bataillons Aidar, Ihor Lapin (die Letztgenannten über die
Liste der „Volksfront“).
Insbesondere das Asow-Bataillon lässt an seiner rechtsextremen Einstellung
durch die Wahl faschistischer Symbole (Wolfsangel, Hakenkreuz, SS-Runen)

Drucksache 18/3968 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
keinen Zweifel. Dennoch wurde dessen Kommandeur Bilezkij im August 2014
vom ukrainischen Innenminister Arsen Awakow zum Polizeileutnant ernannt
(DIE ZEIT, 11. Dezember 2014). Anfang November 2014 ernannte Awakow au-
ßerdem Asow-Vizekommandeur Wadim Trojan zum neuen Chef der Polizei der
Oblast Kiew. Das Asow-Bataillon wurde formal in die Nationalgarde eingereiht
und hat damit einen legalisierten Status erhalten. Das bedeutet aber, auch dem
Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes zufolge, keineswegs, dass damit das
ukrainische Innenministerium auch faktisch Kontrolle über dieses und andere
Bataillone hat, die ihm pro forma unterstellt sind.
Bilanzierend spricht selbst der ansonsten äußerst Maidan- und Kiew-freundliche
ukrainische Rechtsextremismusexperte Anton Schechowzow von einer „pro-
blematischen Beziehung zwischen dem Innenministerium und den Neonazis“
(DIE ZEIT, 11. Dezember 2014).
Ein weiteres Beispiel für die enge Zusammenarbeit des Sicherheitsappara-
tes mit Neonazis ist die Aufnahme des früheren Swoboda-Politikers Juriy
Michaltschischin in den Geheimdienst (SBU), wo er nach eigenen Angaben
unter anderem mit Propaganda („operativer Information“) betraut ist (www.
glavcom.ua/articles/23838.html). Michaltschischin hatte u. a. den Holocaust
als „Lichtblick in der europäischen Geschichte“ bezeichnet und sich an Para-
den zu Ehren der Waffen-SS-Division Galizien beteiligt (junge welt, 20. De-
zember 2012, www.dokmz.wordpress.com/?s=michaltschischin).
In Kiew haben die rechtsextreme Partei „Rechter Sektor“ und der Polizeichef von
Kiew-Stadt im November 2014 angekündigt, gemeinsam im Stadtteil Troieschina
gegen Drogen und illegales Glücksspiel vorzugehen (Ukraine Crisis media cen-
ter, 12. November 2014).
Eine Zusammenarbeit mit dem ukrainischen Innenministerium und seinen Si-
cherheitsbehörden, wie sie von EUAM Ukraine angestrebt wird, ist daher von
einer Zusammenarbeit mit Rechtsextremisten kaum zu trennen. Die letzten
faschistischen „Sicherheitskräfte“ in der Ukraine wurden im Jahr 1944 von der
Roten Armee zerschlagen. Aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller soll-
ten nun nicht mit deutscher Hilfe wieder welche ausgebildet werden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Aktivitäten hat EUAM nach Kenntnis der Bundesregierung bislang

entwickelt, und welche Schlussfolgerungen zieht sie aus dem bisherigen Ver-
lauf der Mission (inklusive Erkundungsmission)?

2. Wie hat sich die Mission personell entwickelt?
a) Wie viele internationale (diese bitte nach Herkunftsländern aufschlüsseln)

und nationale Beschäftigte gehören ihr derzeit an?
b) Wie viele Angehörige der Bundespolizei und welcher Länderpolizeien ge-

hörten ihr bisher an, wie viele gehören ihr derzeit an, und wie wird sich die
deutsche Beteiligung künftig voraussichtlich entwickeln?

c) Welche Resonanz hat es auf den jüngsten Aufruf der EU zur Teilnahme an
der Mission gegeben?

d) Trifft es zu, dass als Gesamtumfang der Mission 100 internationale und
75 lokale Beschäftigte geplant sind (bitte ggf. korrigieren), und inwiefern
lässt die Resonanz auf den jüngsten Aufruf der EU zur Teilnahme an der
Mission erwarten, dass dieses Ziel erreicht wird?

3. Inwiefern beteiligen sich Drittstaaten an EUAM, bzw. inwiefern ist ihre Be-
teiligung derzeit angestrebt, welche Staaten sind dies, und in welchem Um-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3968
fang und mit jeweils welcher speziellen Expertise beteiligen sich diese bzw.
sind sie angefragt?

4. Mit welchen Sicherheitsbehörden und anderen Gesprächspartnern haben sich
EUAM-Vertreter nach Kenntnis der Bundesregierung bislang getroffen?
a) Wie häufig haben sich EUAM-Vertreter mit Angehörigen der National-

garde getroffen?
b) Wie häufig haben sich EUAM-Vertreter mit Angehörigen von Freiwilli-

gen-Bataillonen getroffen, und welche Bataillone waren dies?
c) Wie häufig haben sich EUAM-Vertreter mit Angehörigen des Inlandsge-

heimdienstes SBU getroffen
(bitte jeweils vollständig unter Angabe der Behörde, der Einrichtung bzw. des
Bataillons, der Ortschaft, des Namens und der Funktion aller Gesprächspart-
ner angeben, außerdem bitte jeweils den Inhalt der Gespräche angeben, die
ggf. angesprochenen Defizite und den Unterstützungsbedarf durch EUAM
sowie darauffolgende Zusagen oder Maßnahmen seitens EUAM; außerdem
bitte angeben, ob bei den Gesprächen deutsche Polizisten dabei waren)?

5. In welchen (weiteren) Städten war EUAM bisher vertreten, und was waren
jeweils Gegenstand und Ziel des Aufenthaltes dort (bitte ggf. Angaben zu
möglichen Gesprächspartnern und Gegenstand der Besprechungen machen)?

6. Welche der vorgenannten Gesprächspartner sind oder waren nach Kenntnis
der Bundesregierung in der Vergangenheit Mitglieder des Rechten Sektors,
der Swoboda, der Radikalen Partei, der Organisation UNA-UNSO, Patriot
der Ukraine oder anderer rechtsextremer Zusammenschlüsse?
Bei welchen Gesprächen mit solchen Gesprächspartnern waren deutsche Po-
lizisten dabei?

7. Hat die Bundesregierung besondere Anweisungen, Empfehlungen oder sons-
tige Hinweise für die deutschen Polizisten herausgegeben hinsichtlich poten-
zieller Begegnungen mit Rechtsextremen bzw. Vertretern rechtsextrem be-
einflusster Organisationen unter den Gesprächspartnern, und wenn ja, welche
sind dies, und für welche Sicherheitseinrichtungen, Personen und Milizen
gelten diese?
Wie beurteilt die Bundesregierung die allfällige Teilnahme deutscher Mis-
sionsmitglieder an Gesprächen mit Angehörigen rechtsextremer Milizen oder
sonstiger Organisationen?

8. Inwiefern ist von EUAM sowie von der Bundesregierung gegenüber den
ukrainischen Gesprächspartnern deren Verhältnis zu Rechtsextremisten und
Milizen, einschließlich zu Angehörigen des Bataillons Asow, angesprochen
worden, und wie haben die ukrainischen Gesprächspartner darauf reagiert
(bitte detailliert darlegen)?

9. Welche Schlussfolgerungen hat EUAM nach Kenntnis der Bundesregierung
aus der Ernennung von Asow-Vizekommandant Wadim Trojan zum Poli-
zeichef der Oblast Kiew für die Reformbereitschaft des ukrainischen Innen-
ministeriums gezogen, und welche Schlussfolgerungen zieht sie selbst da-
raus?
Legt die Bundesregierung Wert darauf, dass die deutschen Missionsangehö-
rigen nicht mit Trojan kooperieren, und wenn ja, was unternimmt sie in dieser
Hinsicht?
Hat es bereits Begegnungen mit Trojan gegeben, und wenn ja, wann, wo, wer
war daran beteiligt und was war Gegenstand des Gesprächs?

Drucksache 18/3968 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
10. Wie stellt sich aus Sicht der Bundesregierung die Problematik der Dominanz
oder der Beeinflussung von Freiwilligenbataillonen sowie der Sicherheits-
behörden durch Rechtsextremisten dar?
Welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus, und inwiefern wird diese Pro-
blematik von EUAM angesprochen?

11. Welche Angaben kann die Bundesregierung über die konkrete Funktion ma-
chen, die der rechtsextreme Politiker Juriy Michaltschischin nun beim In-
landsgeheimdienst SBU innehat?

12. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung von der angekündigten Koope-
ration der rechtsextremen Partei Rechter Sektor und der Polizei im Kiewer
Stadtteil Troieschina?
a) Welche Rolle übernehmen Angehörige des Rechten Sektors dabei kon-

kret?
b) Inwiefern ist diese Kooperation aus Sicht der Bundesregierung ein Indiz

für die Reformbereitschaft der Polizei bzw. des vorgesetzten Innenminis-
teriums?

c) Inwiefern hat EUAM dieser Kooperation in seinen Gesprächen ange-
sprochen, und wie bewertet EUAM sie?

d) Muss aus Sicht der Bundesregierung ausgeschlossen bleiben, dass die
Kiewer Polizei sowie der Rechte Sektor durch EUAM oder wenigstens
deutsche Missionsangehörige bei ihrer Kooperationstätigkeit unterstützt
werden, und wenn ja, was unternimmt sie in dieser Hinsicht?

13. Welche Angaben kann die Bundesregierung zur Rolle der Nationalgarde bei
den Kämpfen gegen die Aufständischen im Osten der Ukraine machen?

14. Welche jener Sicherheitseinrichtungen, mit denen EUAM bislang in Kon-
takt stand, werden auch im Rahmen der sogenannten Anti-Terror-Operation
eingesetzt?

15. Welche Position hat EUAM nach Kenntnis der Bundesregierung hinsicht-
lich des Status der Freiwilligenbataillone?
a) Welche Position hat die Bundesregierung dazu?
b) Inwiefern hält es EUAM nach Kenntnis der Bundesregierung für die an-

gestrebte Sicherheitssektorreform zielführend, dass die ukrainische Re-
gierung die Bataillone bislang nicht auflöst und dies offenbar auch nicht
beabsichtigt (siehe Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes), sondern
sie entweder formal integriert oder die irregulären Formationen etwa des
Rechten Sektors und der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN)
unangetastet lassen will?

16. Kann man nach Kenntnis der Bundesregierung davon sprechen, dass die
ukrainische Regierung eine effektive Kontrolle über die ihr formal unter-
stellten Freiwilligenverbände ausübt?
Welche Defizite erkennt die Bundesregierung?

17. Inwiefern ist nach Kenntnis der Bundesregierung sichergestellt, dass bei ei-
ner Beratung der Nationalgarde oder des Nachrichtendienstes durch EUAM
nicht auch militärisch relevante Fragen erörtert werden?
Inwiefern ist es überhaupt machbar, einerseits „so eng wie möglich mit allen
Sicherheitseinrichtungen, auch mit dem Nachrichtendienst, der Bereit-
schaftspolizei oder den Grenzschutzbeamten“ zusammenzuarbeiten, ande-
rerseits „Verteidigungsfragen“ dabei ausklammern zu können, angesichts
der Tatsache, dass etwa der SBU die sog. Anti-Terror-Operation leitet und
die Nationalgarde aktiv Kämpfe führt?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3968
18. Wie drückt sich die von EUAM angesprochene „enge Koordination“ mit
dem Verteidigungssektor (Facebookeintrag vom 1. Dezember 2014) bislang
konkret aus?
Mit welchen Einrichtungen und Personen des Verteidigungssektors fanden
seit Missionsbeginn Gespräche statt, was war ihr Gegenstand, und welche
Schlussfolgerungen hat EUAM daraus gezogen?

19. Was sind die wesentlichen Aussagen des Status of Mission Agreement?
20. Was genau sieht der Operationsplan vor, den der Europäische Rat im Okto-

ber 2014 bestätigt hat?
21. Inwiefern hat EUAM bislang einen Beitrag zur Erarbeitung neuer Polizeige-

setze geleistet (bitte möglichst konkret ausführen)?
22. Worin besteht das „Lviv Police Project“, das auf der Facebookseite von

EUAM erwähnt wird?
23. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Frage, inwiefern Deser-

teure nach ukrainischem Recht erschossen werden können, und inwiefern
a) gilt dies auch für Personen, die aus den Freiwilligenbataillonen desertie-

ren,
b) haben Angehörige solcher Bataillone das Recht, die Erschießungen vor-

zunehmen, und
c) hat die Bundesregierung Erkenntnisse über tatsächlich erfolgte Erschie-

ßungen?
24. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Rekrutierung von Min-

derjährigen durch (para)militärische Einheiten (siehe Kyiv Post, 27. Ja-
nuar 2015)?
a) Welche Einheiten rekrutieren Minderjährige?
b) Inwiefern werden Minderjährige in den umkämpften Gebieten oder in

deren Hinterland eingesetzt?
c) Inwiefern beteiligen sich Minderjährige an Gefechten?
d) Inwiefern ist diese Praxis von EUAM angesprochen worden?
e) Wie positionieren sich nach Kenntnis der Bundesregierung die ukraini-

schen Behörden diesbezüglich?
25. Wie viele und welche Angehörige welcher Freiwilligenbataillone sind nach

Kenntnis der Bundesregierung derzeit im ukrainischen Parlament vertreten,
und welchen Fraktionen gehören sie dort jeweils an?

Berlin, den 4. Februar 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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