BT-Drucksache 18/3852

Ermittlungen gegen eine deutsch-britische Software-Firma wegen illegaler Überwachung von Oppositionellen in Bahrain und Deutschland

Vom 26. Januar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3852
18. Wahlperiode 26.01.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Christine Buchholz, Annette Groth, Heike Hänsel,
Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Petra Pau, Harald Petzold (Havelland), Martina Renner,
Dr. Petra Sitte, Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Ermittlungen gegen eine deutsch-britische Software-Firma wegen illegaler
Überwachung von Oppositionellen in Bahrain und Deutschland

Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und die
britische Organisation Privacy International haben Anhaltspunkte, wonach bah-
rainische Behörden unter anderem auch in Deutschland lebende Oppositionelle
mithilfe des Gamma-Trojaners FinFisher unrechtmäßig ausgespäht haben. Am
16. Oktober 2014 haben die Organisationen deshalb bei der Staatsanwaltschaft
München Strafanzeige gegen Mitarbeiter des deutsch-britischen Konzerns
Gamma eingereicht. Den Organisationen liegen Datensätze vor, die den Ver-
dacht begründen, dass Gamma die Überwachungssoftware FinFisher nach Bah-
rain lieferte sowie technische Hilfe von Deutschland aus leistete. Dadurch konn-
ten laut ECCHR bahrainische Behörden den Trojaner nutzen, um Computer in
Deutschland auszuspähen. Die Staatsanwaltschaft hat eine entsprechende
Ermittlungsaufnahme indes abgelehnt, obwohl aus Wikileaks-Dokumenten
(www.wikileaks.org/spyfiles4/database.html) entsprechende Hinweise und In-
formationen hervorgehen. Weitere Hinweise, insbesondere zur Situation in
Bahrain und zum Einsatz des Gamma-Trojaners FinFisher, lassen sich in etli-
chen Dokumenten auf der Homepage der Nichtregierungsorganisation Bahrain
Watch finden (vgl. www.bahrainwatch.org/blog/2014/08/07/uk-spyware-used-
to-hack-bahrain-lawyers-activists/.). Laut Dr. Miriam Saage-Maaß, der stellver-
tretenden Legal Director des ECCHR, werden in Bahrain Menschenrechts-
aktivisten, Journalisten und Oppositionelle systematisch überwacht, verfolgt, in-
haftiert und immer wieder auch gefoltert. „Angesichts der Überwachungsrealität
in Bahrain ist es absurd, zu sagen, staatliche Behörden könnten gar nicht
‚hacken‘ und gegen § 202a StGB [StGB – Strafgesetzbuch] – dem Verbot der
Ausspähung von Daten – verstoßen“ (Pressemitteilung des ECCHR vom
12. Dezember 2014). Die Staatsanwaltschaft München erklärte in ihrem Schrei-
ben an das ECCHR vom 28. November 2014 unter Punkt 2aa), dass das Vorbe-
reiten des Ausspähens von Daten gemäß § 202c StGB generell nicht die Herstel-
lung und den Vertrieb von Software zur Datenerhebung durch staatliche Stellen
erfasst, unabhängig davon, ob die Datenerhebung durch den Staat mithilfe der
Software rechtmäßig erfolgt.
Nach Informationen des ECCHR geht aus Daten von 77 Computern hervor, dass
bahrainische Behörden mit dem Trojaner neben Geräten in Großbritannien auch
je einen Computer in Belgien und Deutschland ausgespäht haben. In Großbri-
tannien waren davon unter anderem prominente bahrainische Menschenrechts-
aktivisten betroffen. Die Identität der in Deutschland ausspionierten Person ist
bisher nicht bekannt.

Drucksache 18/3852 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Auch in Großbritannien und Belgien liegen derzeit Strafanzeigen gegen die
Firma Gamma International, die FinFisher entwickelt und produziert hat, vor.
Werbematerial der Firma zeigt, dass die Software den umfassenden Zugriff auf
infizierte Geräte und alle enthaltenen Daten ermöglicht. Dazu gehört auch, dass
Kameras und Mikrofone an Computern angezapft werden können. Laut Privacy
International wird FinFisher-Software in 35 Ländern, darunter Äthiopien, Turk-
menistan, Bahrain und Malaysia, eingesetzt.
Da selbst das Bundeskriminalamt mindestens bis zum Jahr 2012 auf den Einsatz
einer Version des Gamma-Trojaners verzichtete, weil die Software gegen die
„standardisierende Leistungsbeschreibung“ der Bundesregierung (www.
netzpolitik.org vom 21. August 2014 „Geheimes Dokument: Bundeskriminal-
amt darf FinFisher/FinSpy nicht einsetzen, versucht einfach neue Version noch-
mal“) und damit gegen verfassungsrechtliche Mindeststandards verstieß, wirft
das ECCHR der Staatsanwaltschaft München außerdem vor, durch die Entschei-
dung keine Ermittlungen gegen Gamma International einzuleiten, die Rechts-
lage in Deutschland zu ignorieren.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Haben die Bundesregierung und deutsche Sicherheitsbehörden Kenntnis über

die Ausspähung in der Bundesrepublik Deutschland lebender Oppositioneller
mithilfe des Gamma-Trojaners FinFisher, und wenn ja, durch wen erfolgt die
Überwachung und wer ist davon betroffen?

2. Ist der Bundesregierung bekannt, ob auch Rechner und Informationssysteme
von an Asylverfahren beteiligten Einrichtungen, vor allem des Bundes, Ziel
der Ausspähung durch Geheimdienste von Staaten sind, die Oppositionelle
verfolgen?
a) Sind der Bundesregierung derartige Angriffe bekannt, und wenn ja, auf

welche Einrichtungen sind diese wann, von wem und mit welchem Ziel je-
weils erfolgt, und welche Konsequenzen seitens der Sicherheitsbehörden,
des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik oder des Bun-
desamtes für Verfassungsschutz hatte dies jeweils?

b) Sind der Bundesregierung grundsätzlich Angriffe auf die Kommunika-
tionsinfrastruktur des Bundes bekannt, die mit Produkten der Gamma-
Firmengruppe verübt wurden?

3. Wie beabsichtigt die Bundesregierung ihrer Schutzpflicht gegenüber ihren
Bürgerinnen und Bürgern aber auch gegenüber Asylsuchenden in Deutsch-
land nachzukommen, sie vor Zugriffen ausländischer Geheimdienste zu
schützen?

4. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus den auf der Wikileaks-Plattform veröffentlichten Dokumenten zur
Gamma-Firmengruppe im Hinblick auf ihre Beweiskraft?
Befürwortet die Bundesregierung, dass gegen das Unternehmen Ermittlun-
gen erfolgen?

5. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung in Bezug auf den Inhaber der
IP-Adresse 217.86.164.76 ergreifen, der laut im August 2014 veröffentlichter
Dokumente möglicherweise seit 2011 in Deutschland vom bahrainischen Ge-
heimdienst ausgespäht wird?

6. Stimmt die Bundesregierung der Auffassung der Staatsanwaltschaft Mün-
chen zu, wonach das Vorbereiten des Ausspähens von Daten gemäß § 202c
StGB generell nicht die Herstellung und den Vertrieb von Software zur
Datenerhebung durch staatliche Stellen erfasst, unabhängig davon, ob die
Datenerhebung durch den Staat mithilfe der Software rechtmäßig erfolgt?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3852
7. Ist die Bundesregierung Hinweisen darauf, dass Gamma International bzw.
FinFisher Labs GmbH kontinuierlich Updates an Bahrain liefert bzw. die
Technologie wartet, nachgegangen (www.netzpolitik.org vom 2. August
2014 „Gamma FinFisher: Überwachungstechnologie „made in Germany“
gegen Arabischen Frühling in Bahrain eingesetzt (Update)“ und
www.spiegel.de vom 8. August 2014 „FinFisher-Software: Kundendienst
half bei Überwachung in Bahrain“)?
a) Würden solche Wartungen im Zusammenhang mit Bahrain nach Ansicht

der Bundesregierung einen Einzeleingriff gemäß § 6 des Außenwirt-
schaftsgesetzes (AWG) rechtfertigen bzw. gegen die geänderte Europä-
ische Verordnung (EG) Nr. 428/ 2009 (EG-Dual-Use-Verordnung) ver-
stoßen?

b) Liegen der Bundesregierung entsprechende Anträge der Gamma- bzw.
FinFisher-Firmengruppe oder des Unternehmens Elaman vor?

8. Wie viele Lieferungen von Überwachungstechnologie und Zensursoftware
an Drittstaaten wurden im Zuge der vom Bundesminister für Wirtschaft und
Energie, Sigmar Gabriel, am 19. Mai 2014 angekündigten strengeren Kon-
trolle des Exports von Überwachungstechnologie und Zensursoftware durch
den Zoll auf Grundlage des Instruments des Einzeleingriffs gemäß § 6 AWG
untersagt (bitte mit Exportgut und Empfängerland konkret angeben)?

9. Wie viele Lieferungen von Überwachungstechnologie und Zensursoftware
an Drittstaaten sind seit der Ankündigung des Bundesministers für Wirt-
schaft und Energie, Sigmar Gabriel, vom 19. Mai 2014 nach Kenntnis der
Bundesregierung erfolgt (bitte mit Exportgut und Empfängerland konkret
angeben)?

10. Wie bewertet die Bundesregierung den Einsatz des FinFisher-Trojaners in
Deutschland in rechtlicher Hinsicht?

11. Inwieweit treffen Berichte zu (www.sueddeutsche.de vom 15. April 2014
„Allianz gegen die Feinde des Internets“ und www.ndr.de vom 7. Dezember
2011 „Exporthilfe für Überwachungstechnologie“), dass es außer den zwei
zugestandenen Hermesbürgschaften für Überwachungstechnologie in den
Jahren 2005 und 2006 weitere Hermesbürgschaften für solche Software ge-
geben hat?

12. Wie erklärt die Bundesregierung ihre widersprüchlichen Angaben gegen-
über den Bundestagsabgeordneten und der Presse zum Export von Überwa-
chungssoftware (vgl. Süddeutsche Online vom 28. November 2014)?

13. Wann genau hat das Bundeskriminalamt von der Gamma- bzw. FinFisher-
Firmengruppe den Staatstrojaner FinSpy 4.20 gekauft, wie hoch waren die
Kosten, und wie oft wurde dieser mittlerweile eingesetzt?

14. Sofern der Staatstrojaner FinSpy 4.20 nicht eingesetzt wurde, worin bestan-
den bzw. bestehen die Gründe?

15. Welche andere Version des FinSpy-Trojaners wurde bzw. wird im Bundes-
kriminalamt eingesetzt (bitte nach Version und Anzahl der eingesetzten
Fälle aufschlüsseln)?

16. Inwiefern und mit welcher Begründung trifft es zu, dass die Firma CSC
Deutschland Solutions GmbH letztes Jahr festgestellt hatte, dass die Soft-
ware in der Version 4.20 gegen deutsches Recht verstößt bzw. verstieß
(www.netzpolitik.org vom 8. Januar 2015 „Informationsfreiheits-Ableh-
nung des Tages: Informationsfreiheits-Beauftragte lehnt Anfrage zu illega-
lem Trojaner ab“)?

Drucksache 18/3852 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
17. Wird von der CSC ein Vorschlag gemacht, wie der Einsatz der Version 4.20
technisch und rechtlich ermöglicht werden könnte, und wenn ja, wie sieht
dieser aus?

18. Aus welchen Gründen ist der CSC-Prüfbericht als geheim eingestuft, und
wann wurde er wie dem Deutschen Bundestag zugänglich gemacht?

Berlin, den 23. Januar 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.