BT-Drucksache 18/3827

Unterstützung von ziviler Krisenprävention und Konfliktbearbeitung im Nigerdelta

Vom 20. Januar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3827
18. Wahlperiode 20.01.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kathrin Vogler, Jan van Aken, Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke,
Christine Buchholz, Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Niema Movassat,
Dr. Alexander S. Neu und der Fraktion DIE LINKE.

Unterstützung von ziviler Krisenprävention und Konfliktbearbeitung im Nigerdelta

Die Bundesrepublik Nigeria verfügt über einen großen Rohstoffreichtum. Den-
noch lebt weiterhin mehr als die Hälfte der Bevölkerung in extremer Armut (we-
niger als 1,25 US-Dollar pro Tag). Das Land wird von sozialen und ethnischen
Konflikten erschüttert. Das trifft nicht nur für die nordöstlichen Bundesstaaten
Borno, Jobe und Adamawa zu, deren Bevölkerung durch bewaffnete Übergriffe
der fundamentalistischen Terrorgruppe Boko Haram heimgesucht werden.
Noch weiter zurück datieren die vielfältigen Konflikte, die im Spannungsfeld
von sozialer Rebellion, ethnischer Differenz und Kriminalität im Nigerdelta
schwelen. Die dortige Rohölexploration und Rohölförderung bringen Nigeria
hohe Einnahmen: 2 der 2,5 Millionen Barrel Rohöl, die Nigeria jährlich ver-
kauft, werden im Nigerdelta gefördert. Der Ölexport bestreitet über 90 Prozent
der gesamten Ausfuhren des Landes. Die staatliche Erdölgesellschaft Nigerian
National Petroleum Corporation (NNPC) verzeichnete im Jahr 2013 einen Ge-
winn von 67 Mrd. Euro, auch die beteiligten transnationalen Ölkonzerne Shell,
Total und Exxon realisieren Milliardengewinne. In Nigeria kommt dies nur einer
winzigen gesellschaftlichen Schicht zugute. Während das Bruttonationalein-
kommen je Einwohner in den Jahren 2000 bis 2012 aufgrund der Erdölexporte
insgesamt von 270 auf 1 440 US-Dollar stieg, stagniert Nigerias Wert auf dem
Index der menschlichen Entwicklung der Vereinten Nationen auf niedrigem
Niveau. Nigeria lag dort im Jahr 2013 auf dem 152. Platz (von 187) zwischen
Ländern mit wesentlich geringerer Wirtschaftsleistung.
Die Umweltschädigungen durch die Ölförderung sind immens; nach Angaben
von Amnesty International sickert pro Jahr das Äquivalent des Inhalts eines Öl-
tankers (ca. 200 000 Tonnen) in die Arme des Flussdeltas. In vielen Gebieten
wurden auf diese Weise die dortigen traditionellen Lebensgrundlagen, wie
Ackerbau und Fischfang, bereits zerstört. In einem aktuellen außergerichtlichen
Vergleich wurden nun Entschädigungszahlungen in Höhe von 70 Mio. Euro von
Shell an eine Kommune und einige betroffene Bauern- und Fischerfamilien ver-
abredet. Allein für das Siedlungsgebiet der Ogoni gehen konservative Schätzun-
gen jedoch von Kosten von über 1 Mrd. Euro für die Entkontaminierung betrof-
fener Flächen aus (Amnesty International 2011).
Die weithin praktizierte Abfackelung von Erdgas macht Nigeria zu einem der
weltweit größten CO2-Emittenten. Die durchschnittliche Lebenserwartung im
Delta liegt bei knapp über 40 Jahren.
Diese Zustände führten in den 1980er-Jahren zuerst zu einer gewaltlosen, ab
dem Jahr 1992 zu einer zunehmend militanter werdenden Widerstandsbewe-

Drucksache 18/3827 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
gung zunächst einer ethnischen Gruppe, der Ogoni (Movement for the survival
of the Ogoni people, MOSOP). Ken Saro-Wiwa, Gründer der Organisation,
wurde im Jahr 1995 hingerichtet. In der Folge kam es im Gebiet der Volksgruppe
der Ijaw ab dem Jahr 1998 zu bewaffneten Auseinandersetzungen, der Kampf
für Selbstbestimmung und „totale Kontrolle über den Ölreichtum der Region“
(Ijaw Youth Declaration) wurde das Ziel für viele weitere dieser Milizen der un-
terschiedlichen Stämme. Die seitdem beständigen bewaffneten Zusammenstöße
machten die Deltaregion quasi unregierbar. Mit der Gründung des „Movement
for the Emancipation of the Niger Delta“ (MEND) im Jahr 2006 intensivierten
sich die Auseinandersetzungen, und die Ölfördermenge brach ein.
Im Jahr 2009 erließ die Regierung unter Präsident Yar’Adia eine Amnestie für
die Beteiligten an bewaffneten Aktivitäten im Delta. Unter dem Amnestie-Pro-
gramm des Jahres 2009 gaben viele, jedoch nicht alle Milizgruppen ihre Waffen
ab. Maßnahmen zur Reintegration der entwaffneten Kämpfer sind jedoch unter-
finanziert, strukturelle Probleme wie Arbeitslosigkeit und Unterentwicklung
werden aus Mangel an Ressourcen nicht angegangen. Die Arbeitslosigkeit liegt
weiterhin bei ca. 80 Prozent. Mehr als die Hälfte der erwachsenen Ogoni sind
Analphabeten. Illegale Ölzapfungen und Gewaltkriminalität, z. B. Entführun-
gen, sind weiter an der Tagesordnung.
Besonders die Piraterie nimmt zu: Von den in diesem Jahr im Golf von Guinea
registrierten Fällen von Piraterie sollen 71 Prozent von Nigerianern ausgeführt
worden sein (Risk Intelligence, 2014). Die deutsche Marine beteiligte sich im
April 2014 mit vier Kriegsschiffen am Manöver Obangame Express. Aufgabe
des Manövers war nach Auskunft der Bundesregierung, die Marinen der Anrai-
nerstaaten des Golfs von Guinea „im Hinblick auf den Aufbau ihrer Fähigkeiten
zur Verhinderung von bewaffnetem Raub auf See“ zu unterstützen (vgl. Bundes-
tagsdrucksache 17/14659).
Die Stabilität des Post-Amnestie-Programms steht deshalb mehr denn je in
Frage. Im Umfeld der Präsidentschaftswahlen im Februar 2015 werden Unruhen
befürchtet, die die prekäre Sicherheitssituation im Nigerdelta auf eine entschei-
dende Probe stellen können.
Deutschland hat enge wirtschaftliche Beziehungen mit Nigeria. Unter den Erd-
öllieferanten Deutschlands stand Nigeria im Jahr 2013 an fünfter Stelle. Im Jahr
2008 vereinbarten beide Länder eine Energiepartnerschaft. Im Rahmen dieser
Partnerschaft soll Deutschland ab dem Jahr 2014 Erdgas im Wert von bis zu
4 Mrd. Euro jährlich aus Nigeria beziehen. Diese Vereinbarung steht im Zusam-
menhang mit dem Bemühen der nigerianischen Regierung, die Förderung von
Erdgas erheblich auszuweiten und Vertriebswege über Pipelines nach West- und
Nordafrika zur Versorgung europäischer Märkte zu erschließen.
Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag vom November 2013 dazu
verpflichtet, Maßnahmen der zivilen Konfliktprävention und Konfliktbearbei-
tung zu stärken.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Kann die Bundesregierung Auskunft über die bilaterale Entwicklungszusam-

menarbeit mit Nigeria der Jahre 2005 bis 2015, und insbesondere
a) zum Gesamtumfang der bilateralen Zusammenarbeit (bitte nach Jahren

und Instrumenten auflisten) sowie
b) zu Projekten und Programmen, die in der Krisenregion Nigerdelta imple-

mentiert wurden oder werden (bitte jeweils Ziel, Maßnahmen, Zeitraum
und finanziellen Umfang nennen), geben?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3827
2. Kann die Bundesregierung Auskunft über die Zusammenarbeit der Europä-
ischen Union mit Nigeria der Jahre 2005 bis 2015, und insbesondere
a) zum Gesamtumfang der bilateralen Zusammenarbeit (bitte nach Jahren

und Instrumenten auflisten) sowie
b) zu Projekten und Programmen, die in der Krisenregion Nigerdelta imple-

mentiert wurden oder werden (bitte jeweils Ziel, Maßnahmen, Zeitraum
und finanziellen Umfang nennen), geben?

3. In welchem Umfang wurden in den Jahren seit dem Jahr 2005 Projekte und
Programme bzw. Komponenten der zivilen Konfliktbearbeitung und Kri-
senprävention in Nigeria und speziell im Nigerdelta mittels einer Finanzie-
rung aus den Einzelplänen 05 und 23 durchgeführt (bitte jeweils Träger und
lokale Partner, Ziel, Maßnahmen, Zeitraum und finanziellen Umfang nen-
nen)?

4. In welchem Umfang werden gegenwärtig Projekte und Programme bzw.
Komponenten der zivilen Konfliktbearbeitung und Krisenprävention in
Nigeria und speziell im Nigerdelta mittels einer Finanzierung aus den Ein-
zelplänen 05 und 23 durchgeführt (bitte jeweils Träger und lokale Partner,
Ziel, Maßnahmen, Laufzeit und finanziellen Umfang nennen)?

5. In welchem Umfang wurden in den Jahren seit 2005 Projekte und Pro-
gramme bzw. Komponenten der zivilen Konfliktbearbeitung und Krisenprä-
vention in Nigeria und speziell im Nigerdelta mittels einer Finanzierung der
Europäischen Union durchgeführt (bitte jeweils Träger und lokale Partner,
Ziel, Maßnahmen, Zeitraum und finanziellen Umfang nennen)?

6. In welchem Umfang werden gegenwärtig Projekte und Programme bzw.
Komponenten der zivilen Konfliktbearbeitung und Krisenprävention in Ni-
geria und speziell im Nigerdelta mittels einer Finanzierung der Europä-
ischen Union durchgeführt (bitte jeweils Träger und lokale Partner, Ziel,
Maßnahmen, Laufzeit und finanziellen Umfang nennen)?

7. Wie viele Anträge von deutschen Nicht-Regierungsorganisationen für Pro-
jekte zur zivilen Konfliktbearbeitung und Krisenprävention in Nigeria wur-
den seit 2005 insgesamt gestellt, und wie viele davon wurden positiv be-
schieden?
a) Wie viele wurden seit 2009 gestellt?
b) Wie viele wurden konkret für Projekte im Nigerdelta gestellt?

8. Wie viele Projekte von Nicht-Regierungsorganisationen zur zivilen Kon-
fliktbearbeitung und Krisenprävention wurden mit Unterstützung durch die
Bundesregierung in den Jahren 2005 bis 2015 in Nigeria und speziell im
Nigerdelta umgesetzt?

9. Welchen Stellenwert bei der Konfliktbearbeitung und der Krisenprävention
in Nigeria und speziell im Nigerdelta misst die Bundesregierung der Ar-
mutsbekämpfung zu?

10. Wie bilanziert die Bundesregierung die Entwicklung des im Jahr 2009 be-
gonnenen Amnestieprozesses im Nigerdelta bis heute?
Welche Fortschritte, welche Versäumnisse und welche Herausforderungen
sieht sie, insbesondere hinsichtlich der fortbestehenden sozialen, ökonomi-
schen und ökologischen Notlage?

11. Inwiefern spielen die Unterstützung des Amnestieprozesses sowie Aspekte
der Krisenprävention und der zivilen Konfliktbearbeitung im Nigerdelta
eine Rolle in der Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit zwischen
Deutschland und Nigeria?

Drucksache 18/3827 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
12. Inwiefern spielen Aspekte der Krisenprävention und der zivilen Konflikt-
bearbeitung im Nigerdelta eine Rolle im Kontext der deutsch-nigeriani-
schen Energiepartnerschaft?

13. Aus welchem Erdgasfördergebiet wird Deutschland im Rahmen der deutsch-
nigerianischen Energiepartnerschaft nigerianisches Erdgas beziehen?

14. Wie sichert die Bundesregierung die Einhaltung sozialer und ökologischer
Standards in der Förderung des für den Export nach Deutschland bestimm-
ten Erdgases ab?
Ist es nach Kenntnis der Bundesregierung im nämlichen Gebiet zu Umwelt-
beeinträchtigungen oder gar zu krisenhaften gesellschaftlichen Erscheinun-
gen im Gefolge der Förderung gekommen, und gibt es Pläne, dafür im För-
dergebiet durch Projekte entsprechend Verantwortung zu übernehmen?

15. Inwiefern sieht die Bundesregierung im jüngst abgeschlossenen Vergleich
zwischen dem Konzern Shell und der von Umweltverschmutzungen betrof-
fenen Gemeinde Bodo und ihren Bauern und Fischern (www.bbc.com vom
7. Januar 2015 „Shell agrees $ 84 m deal over Niger Delta oil spill“) ein Vor-
bild für mögliche weitere Vereinbarungen, und wie unterstützt Deutschland
Betroffene dabei, ihre Ansprüche gegen Konzerne durchzusetzen?

16. Was sind nach Auffassung der Bundesregierung die Gründe für die aktuelle
Zunahme an Piraterie vor der nigerianischen Küste?

17. Aus welcher geographischen Region kommt nach Informationen der Bun-
desregierung der Großteil der nigerianischen Piraten?

18. In welchem Rahmen gibt es eine militärische, paramilitärische oder sonstige
Sicherheitszusammenarbeit zwischen Nigeria und Deutschland?

19. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Strafverfolgung bzw. -vorbeu-
gung eine militärische oder eine polizeiliche Maßnahme im Rahmen der
Gewaltenteilung ist?

20. Welche militärischen Übungen mit deutscher Beteiligung bzw. Unterstüt-
zung werden für die Zukunft vor der nigerianischen Küste geplant, und be-
ziehen sich auch diese auf eigentlich polizeiliche Maßnahmen?

21. Gibt es Pläne, Gas oder Öl transportierende Schiffe, die entweder unter
deutscher Flagge fahren oder im Eigentum deutscher Reedereien sind, im
Golf von Guinea speziell zu schützen bzw. schützen zu lassen, z. B. durch
eine militärische Begleitung?

22. Sieht die Bundesregierung einen Widerspruch zwischen ihrer Unterstützung
der Marineaktivitäten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft
(ECOWAS-Staaten) und dem Bekenntnis im Koalitionsvertrag zum ver-
stärkten Engagement für zivile Konfliktlösungen?

23. Kann die Bundesregierung Ziel und Maßnahmen sowie die konkreten
Lehrinhalte der im Rahmen der Energiepartnerschaft eingegangenen Ko-
operation der deutschen Durchführungsorganisation GIZ (Gesellschaft für
Internationale Zusammenarbeit) mit der Modibo Adamawa University of
Technology (www.ngenergypartnership.de/projekte/index.php) darstellen?

24. Welche „friedens- und sicherheitspolitischen“ Themen umfasst die Bera-
tung der ECOWAS-Kommission durch die GIZ, die von der GIZ wie folgt
beschrieben wird: „Die in Abuja ansässige ECOWAS-Kommission (Econo-
mic Community of West African States) wird durch die GIZ in der Steue-
rung, Umsetzung und im Monitoring von Beschlüssen der ECOWAS in den

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3827
Bereichen Wirtschafts- und Handelspolitik sowie Friedens- und Sicher-
heitspolitik gestärkt.“ (www.giz.de/de/weltweit/1902.html)?
a) Welche Regionen betrifft sie?
b) Welche Rolle spielen militärische oder polizeiliche Bewältigungsstrate-

gien für interne Krisenprozesse im Rahmen dieser Beratung?
25. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung momentan deutsche (staatliche

oder nichtstaatliche) Sicherheits-, Polizei- oder Militärberater in Nigeria,
und wenn ja, auf welcher rechtlichen Grundlage, bzw. wenn nein, wird eine
Entsendung für die voraussehbare Zukunft in Erwägung gezogen?

26. Wie schätzt die Bundesregierung die Maßnahmen der nigerianischen Regie-
rung im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im Februar ein, die das Ziel
haben soll, eine erneute Eskalation der Krise im Nigerdelta abzuwenden,
setzt die nigerianische Regierung nach Einschätzung der Bundesregierung
insbesondere auf eine gewaltsame oder auf eine zivile Lösung der Kon-
flikte, und wie hoch schätzt die Bundesregierung die Gefahr einer baldigen
Rückkehr zur bewaffneten Gewalt ein?

27. In welchem Umfang genehmigte die Bundesregierung seit dem Jahr 2005
Ausfuhren von Rüstungsgütern aus der Bundesrepublik Deutschland nach
Nigeria (bitte nach Jahren, Gütern und Wert auflisten)?

Berlin, den 20. Januar 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.