BT-Drucksache 18/3808

Die Akten des V-Mannes "Tarif" des Bundesamtes für Verfassungsschutz

Vom 21. Januar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3808
18. Wahlperiode 21.01.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Martina Renner, Petra Pau, Sevim Dağdelen, Dr. André Hahn,
Ulla Jelpke, Harald Petzold (Havelland), Frank Tempel, Halina Wawzyniak und
der Fraktion DIE LINKE.

Die Akten des V-Mannes „Tarif“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz

Am 11. November 2011 wurden im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) u. a.
die Akten von mindestens sieben neonazistischen V-Leuten mit engsten Bezügen
zur neonazistischen Bewegung in Thüringen und zum „Thüringer Heimatschutz“
(THS) vernichtet, nachdem die damalige Amtsleitung des BfV bei allen zustän-
digen Referaten um Sichtung der Akten mit Bezügen zum Thüringer Heimat-
schutz und zum mutmaßlichen Kerntrio des „Nationalsozialistischen Unter-
grunds“ (NSU) – Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe – angeord-
net hatte. Unter diesen Akten befanden sich auch Akten, die den ehemaligen
neonazistischen V-Mann mit Decknamen „Tarif“ betrafen. Im Verlauf des
2. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages
zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ hatten das BfV und das Bundes-
ministerium des Innern erklärt, anders als im Fall der weiteren am 11. November
2011 vernichteten Akten seien die Akten zum ehemaligen V-Mann „Tarif“ größ-
tenteils nicht wieder rekonstruierbar (vgl. Bundestagsdrucksache 17/14600). In
der Fragestunde vom 17. Dezember 2014 erklärte der Parlamentarische Staats-
sekretär beim Bundesministerium des Innern, Dr. Günter Krings, auf die Münd-
liche Frage 58 der Abgeordneten Martina Renner nach der Anzahl der im BfV
vorliegenden Treffberichte des ehemaligen V-Mannes „Tarif“, dass im BfV
157 Treffberichte des ehemaligen neonazistischen V-Mannes vorliegen würden
(vgl. Plenarprotokoll 18/75). Auf die Nachfrage, ob alle der im BfV vorliegen-
den Quellenberichte des ehemaligen V-Mannes „Tarif“ dem 2. Parlamenta-
rischen Untersuchungsausschuss zum „Nationalsozialistischen Untergrund“
vorgelegt worden seien, erklärte der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Günter
Krings wörtlich: „Meines Wissens nicht alle.“
Im April 2014 hatte der ehemalige Neonazi M. v. D. (ehemals M. S.) im Maga-
zin „DER SPIEGEL“ (Ausgabe 9/2014) erklärt, dass er der ehemalige V-Mann
des BfV „Tarif“ sei. M. v. D. gab an, er sei 1994 vom BfV angeworben worden,
habe jahrelang die wichtige neonazistische Publikation „Sonnenbanner“ erstellt
und deren Texte seinem V-Mann-Führer vorab zur Kenntnis gegeben. Er habe
zudem in Thüringen in den Jahren 1996 und 1997 sogenannte Liederabende
organisiert, an denen u. a. der langjährige Bekannte und Unterstützer des NSU-
Kerntrios André K. (vgl. Bundestagsdrucksache 17/14600) teilgenommen habe.
Im Jahr 1998 sei er nach dem Untertauchen des mutmaßlichen NSU-Kerntrios
Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt von André K. gefragt wor-
den, ob er ein Versteck für Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt
zur Verfügung stellen könne. Er habe daraufhin seinen V-Mann-Führer „Alex“
über die Anfrage informiert. Dieser habe um Zeit gebeten, um Rücksprache mit

Drucksache 18/3808 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
einem Vorgesetzten zu halten, und habe ihm dann wenig später eine Absage er-
teilt (vgl. DER SPIEGEL 9/2014).
„DER SPIEGEL“ berichtet weiterhin, man habe im September 2012 – zu einem
Zeitpunkt, als im 2. Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des 17. Deut-
schen Bundestages zum Nationalsozialistischen Untergrund gerade bekannt ge-
worden war, dass der Referatsleiter im BfV Lothar Lingen im November 2011
u. a. die Vernichtung der Akten des V-Mannes „Tarif“ angeordnet hatte – nach
mehrjähriger Unterbrechung erstmals wieder Kontakt zu M. v. D., der zu diesem
Zeitpunkt in Schweden lebte, aufgenommen. Laut M. v. D. habe ihm sein ehe-
maliger V-Mann Führer „Alex“ geraten, nicht auf die Anfrage des Magazins
„DER SPIEGEL“ einzugehen. Wenige Wochen später sei M. v. D. nach
Deutschland gereist, um sich u. a. mit „Alex“ und zwei weiteren Mitarbeitern
des BfV zu treffen. Diese hätten ihm die Aufnahme in ein Schutzprogramm ver-
sprochen. Zudem habe M. v. D. auch berichtet, dass A. K. ihn im Jahr 1998 ge-
fragt habe, ob er das untergetauchte mutmaßliche NSU-Kerntrio unterbringen
könne. M. v. D. habe den Eindruck gehabt, die Mitarbeiter des BfV seien darü-
ber informiert gewesen. Während „DER SPIEGEL“ erst im April 2014 (vgl.
DER SPIEGEL 9/2014) über M. v. D. und dessen Aktivitäten als neonazis-
tischer V-Mann „Tarif“ berichtete, hatte das ARD-Magazin „FAKT“ schon im
Oktober 2013 erstmals einen Bericht über M. v. D. und seine Aktivitäten als
Neonazi und V-Mann „Tarif“ gesendet (vgl. ARD-Magazin FAKT, „V-Mann mit
Verbindungen zum NSU-Trio“, Sendung vom 1. Oktober 2013, www.mdr.de/
fakt/verfassungsschutz-vmann-tarif-nsu100.html). In dem Beitrag wird auch
eine Einschätzung des BfV zu den Verbindungen zwischen V-Mann „Tarif“ und
dem mutmaßlichen NSU-Kerntrio zitiert, wonach „ein Kennverhältnis nicht
ausgeschlossen werden könne“. Bei der polizeilichen Durchsuchung einer Ga-
rage des Trios im Januar 1998 in Jena wurden neben 1,4 kg TNT auch zahlreiche
neonazistische Publikationen, darunter auch eine Ausgabe des von M. S. heraus-
gegebenen Neonazimagazins „Sonnenbanner“, beschlagnahmt. Darin wird die
Neonazibewegung u. a. zur Bildung von konspirativen „Zellen“ aufgerufen (vgl.
Bundestagsdrucksache 17/14600). Als Reaktion auf den Beitrag im ARD-
Magazin „FAKT“ habe M. v. D. ebenfalls Kontakt zum BfV aufgenommen und
sich dann erneut mit Vertretern des BfV in Deutschland getroffen. Ein bei die-
sem Treffen unterbreitetes Angebot des BfV, ihn in einem Schutzprogramm
unterzubringen, sei im November 2013 jedoch vom BfV zurückgezogen worden.
Im Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“, Ausgabe 10/2014, erklärte M. v. D.
dann öffentlich, er sei bereit, als Zeuge im Prozess vor dem OLG München aus-
zusagen und beharrte darauf, dass er seinen V-Mann-Führer „Alex“ über die An-
frage von A. K. zur Unterbringung des gesuchten Trios informiert habe. Auf die
Frage 33 der Kleinen Anfrage „Der V-Mann ,Tarif‘ im Bundesamt für Verfas-
sungsschutz und seine V-Mann-Führer“, ob der V-Mann-Führer „Alex“ gegen-
über dem 2. Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des 17. Deutschen
Bundestages als Zeuge benannt worden sei, antwortet die Bundesregierung auf
Bundestagsdrucksache 18/2722, der seinerzeit zuständige V-Mann-Führer wäre
Mitte Mai 2013 als Zeuge geladen gewesen. Ausweislich des Abschlussberichts
des 2. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Nationalsozialis-
tischen Untergrund, Bundestagsdrucksache 17/14600, wurden am 13. Mai 2013
die im BfV arbeitenden Zeugen Richard Kaldrack (V-Mann-Führer) und
Sebastian Egerton gehört; der vom BfV ebenfalls benannte Zeuge Rüdiger
Grasser wurde nicht mehr gehört.
Unter dem Titel „Ich hätte den NSU stoppen können“ berichtete auch die
Zeitung „WELT am SONNTAG“ am 18. Oktober 2014 (www.welt.de/politik/
deutschland/article133415915/Ich-haette-den-NSU-stoppen-koennen.html)
über die Aktivitäten des ehemaligen V-Mannes „Tarif“ des BfV und dessen Be-
hauptungen, er habe im Sommer 1998 einen Anruf eines Unterstützers des mut-
maßlichen NSU-Kerntrios erhalten mit der Anfrage, ob er Uwe Mundlos, Uwe

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3808
Böhnhardt und Beate Zschäpe unterbringen könne. Darüber hinaus berichtet die
„WELT am SONNTAG“, mittlerweile sei bekannt geworden, dass doch mehr
Akten über die Aktivitäten des V-Mannes „Tarif“ im BfV vorhanden seien, als
bislang öffentlich bekannt gewesen sei, und dass das BfV im Archiv über alle
„Quellenberichte“ des V-Mannes „Tarif“ verfüge. Weiter heißt es in dem Arti-
kel: „Mitglieder des Bundestags-Untersuchungsausschusses weisen aber darauf
hin, dass die rekonstruierte Akte ,Tarif‘, die man ihnen vorgelegt habe, nachdem
die Schredder-Aktion bekannt geworden sei, nur aus einem einzigen Ordner be-
standen“ habe.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Seiten und Ordner umfassen die Quellenberichte des ehemaligen

neonazistischen V-Mannes „Tarif“ im BfV?
2. Aus welchem Jahr und Monat datiert die erste der 157 Quellenmeldungen

des ehemaligen V-Mannes „Tarif“, die im BfV vorliegen?
3. Aus welchem Jahr und Monat datiert die letzte der 157 Quellenmeldungen

des ehemaligen V-Mannes „Tarif“?
4. Aus welchem Monat und Jahr datieren die restlichen 155 Quellenmeldun-

gen des ehemaligen V-Mannes „Tarif“ (bitte unter Angabe der Anzahl der
Quellenmeldung pro Monat und Jahr)?

5. Wie viele der vom Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Günter Krings ge-
nannten 157 Quellenmeldungen des ehemaligen V-Mannes „Tarif“ sind
dem 2. Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum NSU vorgelegt
worden?

6. Aus welchen Gründen sind die dem 2. Parlamentarischen Untersuchungs-
ausschuss nicht vorgelegten Quellenmeldungen dem 2. Parlamentarischen
Untersuchungsausschuss nicht vorgelegt worden (bitte jeweils pro Quellen-
meldung extra begründen)?

7. Aus welchen Zeiträumen datieren die Quellenmeldungen, die dem 2. Parla-
mentarischen Untersuchungsausschuss nicht vorgelegt worden sind (bitte
unter Angabe der jeweiligen Monate und Jahre)?

8. Wann und von welchem Referat und in welcher Abteilung sind die dem
2. Parlamentarischen Untersuchungsausschuss nicht vorgelegten Quellen-
meldungen des ehemaligen V-Mannes „Tarif“ im BfV jeweils dem Referats-
leiter, dem Vizepräsidenten und dem Präsidenten zur Kenntnis gegeben
worden?

9. Bei wie vielen der 157 Quellenmeldungen des ehemaligen V-Mannes
„Tarif“ handelt es sich um Originalmeldungen und bei wie vielen um Re-
konstruktionen von Meldungen?

10. Wann und von welchem Referat und in welcher Abteilung sind die
157 Quellenberichte ursprünglich verfasst worden, und an welche Referate
in welchen Abteilungen sind die Berichte seit ihrer ursprünglichen Erstel-
lung weitergeleitet worden?

11. Wie viele V-Mann-Führer des ehemaligen V-Mannes „Tarif“ sind seit dem
4. November 2011 vom Bundeskriminalamt oder dem Generalbundesan-
walt als Zeugen vernommen worden (bitte unter Angabe des jeweiligen
Monats und Jahres)?

12. Wie häufig ist der ehemalige V-Mann „Tarif“ vom Bundeskriminalamt oder
dem Generalbundesanwalt seit dem 4. November 2011 vernommen wor-
den?

Drucksache 18/3808 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
13. Wird im BfV weiterhin nach Quellenmeldungen des ehemaligen V-Mannes
„Tarif“ gesucht?

14. Wie viele der 157 Quellenmeldungen des ehemaligen V-Mannes „Tarif“
wurden an welche Landesämter für Verfassungsschutz zur Kenntnisnahme
weitergeleitet zum Zeitpunkt ihrer Erstellung durch das BfV (bitte unter An-
gabe der jeweiligen Anzahl pro Landesamt für Verfassungsschutz und des
Monats und Jahres)?

15. Aus welchen Gründen fragt das BfV nicht bei den Landesämtern für Verfas-
sungsschutz Niedersachsen und Thüringen nach weiteren Quellenmeldun-
gen des ehemaligen V-Mannes „Tarif“?

16. Wer ist innerhalb des BfV mit der Suche nach den Gründen dafür befasst,
dass nicht alle 157 Quellenmeldungen des ehemaligen V-Mannes „Tarif“
dem 2. Parlamentarischen Untersuchungsausschuss vorgelegt wurden?

17. Wer ist innerhalb des Bundesministeriums des Innern mit der Suche nach
den Gründen dafür befasst, dass nicht alle 157 Quellenmeldungen des ehe-
maligen V-Mannes „Tarif“ dem 2. Parlamentarischen Untersuchungsaus-
schuss vorgelegt wurden?

Berlin, den 21. Januar 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.