BT-Drucksache 18/3774

Landgrabbing in der Ukraine

Vom 19. Januar 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3774
18. Wahlperiode 19.01.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Dr. Alexander S. Neu,
Dr. Kirsten Tackmann, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Landgrabbing in der Ukraine

Landgrabbing, die massive Landnahme durch Staaten und große nationale und
internationale Konzerne, die meist für den agroindustriellen Export von land-
wirtschaftlichen Gütern erfolgt, ist bislang eher als Problem des globalen Südens
an die Öffentlichkeit gelangt. Doch auch in Osteuropa findet in den letzten
Jahren eine massive Umverteilung von Land statt. Dies gilt nicht zuletzt für die
Ukraine. Im Schatten der Ukraine-Krise ist hier ein besorgniserregender Trans-
fer von Land an ukrainische Oligarchen, aber auch westliche, börsennotierte
Agrarunternehmen sowie nichtwestliche Staaten zu beobachten.
Die Ukraine galt in der Vergangenheit als die Kornkammer der Sowjetunion
und ist wegen ihres beträchtlichen Vorkommens von Schwarzerde als besonders
fruchtbar und produktiv bekannt. Mit 32 Millionen Hektar Anbaufläche ver-
fügt die Ukraine über doppelt so viel landwirtschaftlich nutzbare Fläche wie
Deutschland. Ukrainische und ausländische Agroholdings kontrollieren bereits
etwa die Hälfte des ukrainischen Agrarlandes, das sind ca. 17 Millionen Hektar.
Die Verpächter erzielen aufgrund der noch niedrigen Pachtpreise nur geringe
Einkommen und werden teilweise sogar nur in Naturalien bezahlt. Zwar wurde
ein bis zum Jahr 2012 geltendes Verkaufsmoratorium für Land in der Ukraine
bis Januar 2016 verlängert, aber durch das Konstrukt des Leasings für Zeit-
räume bis 50 Jahre ist das ukrainische Land bei den Investoren äußerst attraktiv.
Heute ist die Ukraine der fünftgrößte Weizenexporteur der Welt, die Landwirt-
schaft trägt zu 10 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes bei. Nach
Einschätzung der US-Agrarbehörde für das Jahr 2013, in dem die Ukraine mehr
als 30 Millionen Tonnen Getreide exportierte, könnte das osteuropäische Land
zum zweitgrößten Getreideexporteur der Welt nach den USA aufrücken
(www.land-grabbing.de/triebkraefte/nahrungsmittel/fallsbeispiel-land-grabbing-
in-osteueropa/).
Die monatelangen Proteste im November 2013 auf dem Maidan in Kiew be-
gannen, nachdem der damalige Präsident Victor Janukowitsch für ein geplantes
Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union (EU) noch mehr Zeit für
Verhandlungen gefordert hatte. Das EU-Assoziierungsabkommen mit der
Ukraine hat große Auswirkungen auf den Landwirtschaftssektor: Artikel 404
der EU-Vereinbarung bezieht sich auf die Landwirtschaft und macht den Weg
für eine Lockerung der gängigen Zertifizierungspraktiken, gentechnisch verän-
dertes Saatgut und Erleichterungen für die Agroindustrie frei. Die Ukraine zählt
zu den vielversprechenden Wachstumsmärkten für die Saatgutproduzenten
Monsanto und DuPont.

Drucksache 18/3774 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Befürchtet wird, dass Monsanto großen Druck auf die Behörden in der Ukraine
ausübt, um seine Forderungen nach einem Ausbau der Biotechnologie und ge-
netisch veränderte Organismen (GVO) durchzusetzen. Bereits im vergangenen
Jahr hat Monsanto 140 Mio. Dollar in der Ukraine investiert, um das Potenzial
für die zukünftige Produktion zu steigern. Die forcierte Technologisierung der
Landwirtschaft erhöht die Bodenkonzentration, weil es für Investoren interes-
santer wird, im Landwirtschaftsbereich zu investieren.
Im Frühjahr billigten die internationalen Finanzorganisationen (IFIs) eine seit
Langem erfolglos verhandelte Kredithilfe in Höhe von 17 Mrd. Dollar. Am
22. Mai 2014 zog die Weltbank mit einem 3,5 Mrd. Dollar-Kredit nach, der des-
halb zustande kam, weil Präsident Petro Poroschenko im Gegensatz zu seinem
Vorgänger Wiktor Janukowitsch neoliberale Reformen wie die Erhöhung des
Rentenalters oder die Absenkung der Gaspreise durchgesetzt hat. Zudem nimmt
der Transfer von Ackerland an börsennotierte Unternehmen und Agrokonzerne
mithilfe dieser Kredite an Fahrt auf (www.oaklandinstitute.org/walking-west-
side-world-bank-and-imf-ukraine-conflict).
Auch die europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) tätigt
in steigendem Ausmaß die Kreditvergabe für agroindustrielle Betriebe und ihren
Landkauf in der Ukraine. So erhielt die Alfred C. Toepfer International (ADM)
eine 60 Mio. Dollar-Unterstützung, mit der sie ihr Ackerland von 50 000 auf
100 000 Hektar verdoppeln konnte (www.boell.de/en/2013/10/30/land-grabs-
black-earth-ukrainian-oligarchs-and-international-investors).
Die zehn größten ukrainischen Agrarkonzerne kontrollieren bereits ca. 2,8 Mil-
lionen Hektar Land, einige Oligarchen besitzen je allein viele Hunderttausend
Hektar. Diese Flächen werden hauptsächlich für den Export landwirtschaftlicher
Güter angebaut, haben einen hohen Bedarf an Technologie und Kapital und sind
eng mit Aktien- sowie europäischen Rentenfonds verbunden. Außerdem erhal-
ten sie finanzielle Unterstützungen in Form von internationalen Finanz-, Ent-
wicklungs- und EU-Subventionen. So bauen Agro-Konzerne in der Ukraine seit
zehn Jahren vermehrt Raps an, was mit dem gestiegenen Bedarf der EU an Agro-
treibstoffen zusammenhängt: 90 Prozent des Rapses wird in die EU exportiert
und dort weiter verarbeitet (www.tni.org/sites/www.tni.org/files/download/
land_in_europe-jun2013.pdf).
In der Ukraine sind auch deutsche Firmen aktiv, die „über die Verwaltung bis hin
zu Bewirtschaftung komplette Dienstleistungspakete anbieten“. So können In-
vestorinnen und Investoren über die Verwendung von Ackerland entscheiden,
ohne dieses auch nur gesehen zu haben oder über eigenes Fachwissen verfügen
zu müssen. (www.land-grabbing.de/triebkraefte/nahrungsmittel/fallsbeispiel-
land-grabbing-in-osteueropa/). Das Nachsehen haben schon jetzt Kleinbäuerin-
nen und Kleinbauern, die vom Boom der agroindustriellen Landwirtschaft kaum
profitieren und oftmals zu Arbeiterinnen und Arbeitern in großen Agarunterneh-
men werden. Andere Bäuerinnen und Bauern verarmen oder stellen ihren Be-
trieb ganz ein. Nach einer wissenschaftlichen Studie lehnen die Kleinbäuerinnen
und Kleinbauern in der Ukraine, die vorwiegend kleine Landparzellen bewirt-
schaften, die jüngsten Privatisierungen von Land ab und sehen sich in ihrer Exis-
tenz gefährdet (www.cornell-landproject.org/download/landgrab2012papers/
mamanova.pdf).
Zu den deutschen Unternehmen, die vom Landgrabbing in Osteuropa profi-
tieren, gehört z. B. die im Jahr 2007 gegründete AGRARIUS AG mit Sitz in Bad
Homburg, die „Investition in Ackerland“ und Dienstleistungen rund um den
Landkauf anbietet. In Hamburg lockt die germanagrar CEE GmbH mit Renditen
um 100 Prozent für den „interessantesten Agrarmarkt der Welt“, und die
KTG Agrar SE, ebenfalls in Hamburg ansässig, wirbt mit Bioprodukten, weil
diese eine deutlich höhere Gewinnspanne versprechen (www.land-grabbing.de/
triebkraefte/nahrungsmittel/fallbeispiel-land-grabbing-in-osteuropa/).

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3774
Im September 2014 wurde ein Twinning-Projekt der ukrainischen Regierung zu
„best practices of how to manage land relations“ mit den Niederlanden,
Deutschland und Litauen ins Leben gerufen, wobei der Akzent auf die
Beratungsfunktion gelegt wird und betont wird, dass die ukrainische Seite die
konkrete Richtung vorgeben muss (www.land.gov.ua/en/news-en.html?view=
item&id=108933:the-twinning-project-for-development-of-land-relations-in-
ukraine-was-officially-launched&catid=120:top-novyny).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Landnahme durch

nationale und internationale Agrokonzerne, aber auch westliche und nicht-
westliche Regierungen in der Ukraine?

2. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Landnahme
in der Ukraine durch agroindustrielle Unternehmen für den Agrarexport
angesichts der Bekenntnisse des Bundesministers für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd Müller, zur Stärkung kleinbäuer-
licher Strukturen mit dem Ziel der Ernährungssouveränität?

3. Welche Ziele verfolgt die Bundesregierung mit der Kommunikationsplatt-
form des Deutsch-Ukrainischen Agrarpolitischen Dialogs (APD)?

4. Seit wann und in welcher Höhe wird das Deutsche Agrarzentrum (DAZ) in
der Ukraine vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
(BMEL) finanziell unterstützt (bitte nach Jahr und Projekt auflisten)?

5. Welche Rolle spielt die deutsche Beratergruppe, die sich auch mit Landwirt-
schaft beschäftigt, und in welcher Höhe wird diese Beratergruppe von der
Bundesregierung finanziert (siehe www.beratergruppe-ukraine.de)?

6. Wie hoch sind die Mittel, welche das BMEL für die Jahre 2015 und 2016
für landwirtschaftliche Projekte in der Ukraine zur Verfügung hat?

7. Wie hoch belaufen sich die EU-Finanzmittel im Rahmen der Gemeinsamen
Agrarpolitik (GAP) für die Unternehmen, die in der Ukraine tätig sind (bitte
für die Jahre 2012, 2013, 2014 und 2015 auflisten)?

8. Welche bilateralen Kooperationsprojekte fördert das BMEL in der Ukraine
(bitte einzeln mit Angabe der finanziellen Förderung auflisten)?

9. In welchem Ausmaß ist die KfW Bankengruppe für die Vergabe von Kredi-
ten an Agrokonzerne, die in der Ukraine investieren, beteiligt (bitte voll-
ständig mit Name und Höhe des Kreditvolumens auflisten)?

10. Auf welche Höhe belaufen sich die Zahlungen der Europäischen Bank für
Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) für nationale, d. h. ukrainische,
und internationale Agroholdings (bitte jeweils vollständig für die Jahre ab
2009 auflisten)?

11. Wurden Kredite von der KfW Bankengruppe oder der EBWE an die deut-
sche AGRARIUS AG mit Sitz in Bad Homburg vergeben, und wenn ja, für
welchen Zweck, und in welcher Höhe?

12. Ist der Bundesregierung bekannt, ob von der KfW Bankengruppe oder
EBWE Kredite an die germanagrar CEE GmbH in Hamburg vergeben wur-
den, und falls ja, für welchen Zweck, und in welcher Höhe?

13. Ist der Bundesregierung bekannt, ob die KTG Agrar SE mit Sitz in Hamburg
Kredite von der KfW Bankengruppe oder EBWE erhielt, und falls ja, für
welchen Zweck, und in welcher Höhe?

Drucksache 18/3774 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
14. Ist der Bundesregierung bekannt, ob die Agroton mit Sitz in Frankfurt
Kredite von der KfW Bankengruppe oder EBWE erhielt, und wenn ja, für
welchen Zweck, und in welcher Höhe?

15. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass der deutschstämmige Händler
Alfred C. Töpfer eine 60 Mio. Dollar-Unterstützung von der EBWE erhielt,
mit der er sein Ackerland von 50 000 auf 100 000 Hektar verdoppeln
konnte?

16. Inwiefern stimmt die Kreditvergabe an Alfred C. Töpfer mit den Zielen des
BMEL überein, Kleinbäuerinnen und Kleinbauern stärken zu wollen?

17. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Sorge von Kleinbäuerinnen bzw. Kleinbauern und Nichtregierungs-
organisationen (NGO) in der Ukraine und in Russland, durch die Unter-
zeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU hätten die ukraini-
schen Agrarbetriebe faktisch den russischen Markt, den der Zollunion und
der gesamten Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) verloren?

18. Wie schätzt die Bundesregierung das Projekt „Ukraine Investment Climate
Advisory Services Project“ von der International Finance Corporation der
Weltbank ein, mit dem eine Ausweitung des Agrobusiness gestartet wurde?

19. Über welches Budget verfügt das „Ukraine Investment Climate Advisory
Services Project“ nach Kenntnis der Bundesregierung, und in welcher Höhe
zahlt auch die Bundesregierung in dieses Projekt ein?

20. In welcher Höhe erhalten Monsanto und DuPont nach Kenntnis der Bundes-
regierung im Rahmen der Kredite durch die Weltbank Finanzmittel für eine
Expansion des Saatguthandels in der Ukraine?

21. In welcher Höhe erhalten Monsanto und DuPont nach Kenntnis der Bundes-
regierung Finanzmittel von der KfW Bankengruppe und der EBWE?

22. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Forderung
von Monsanto, in der Ukraine müssten Biotechnologie und Gentechnik aus-
gebaut werden (www.oaklandinstitute.org/walking-west-side-world-bank-
and-imf-ukraine-conflikt)?

23. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der nach Auffassung der Fragesteller bestehenden Gefahr, dass, sollte
es in der Ukraine zu einem Ausbau der Agro-Gentechnik kommen, über das
EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine durch die Hintertür die Gen-
technik auch in der EU etabliert werden könnte?

24. Mit welchen Projekten und welcher Fördersumme ist die Deutsche Gesell-
schaft für Ernährung e. V. (DGE) in der Ukraine an den Reformen in der
Agrarwirtschaft beteiligt?

25. Welche Unternehmen werden durch DGE-Projekte unterstützt (bitte jeweils
die Höhe der Förderung und den Schwerpunkt des Projekts angeben)?

26. Welche Ziele verfolgt das Twinning-Projekt der ukrainischen Regierung zu
„best practices to manage land relations“ mit den Niederlanden, Deutsch-
land und Litauen?

27. In welcher Höhe finanziert die EU dieses Twinning-Projekt?
28. Mit welchem Betrag zahlt die Bundesregierung in das Twinning-Projekt

ein?
29. Welche Partner in der Wirtschaft hat das Twinning-Projekt, und welche

Unternehmen unterstützen es finanziell?
30. Gibt es bereits erste Ergebnisse des Twinning-Projekts, und ist es an Land-

verkäufen an ausländische Investoren beteiligt?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3774
31. Hat die Bundesregierung Kenntnis über einen Landkauf Libyens in der
Ukraine aus dem Jahr 2010 über 250 000 Hektar (s. www.blaetter.de/archiv/
jahrgaenge/2009/september/die-neue-landnahme)?

32. Läuft nach Kenntnis der Bundesregierung der Landkauf Libyens in der
Ukraine trotz Regimezerschlagung in beiden Staaten noch, und um welche
Ländereien (Besitzform, Eigentümerrechte) handelt es sich dabei?

Berlin, den 16. Januar 2015

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.