BT-Drucksache 18/3632

Wirtschaftlichkeit und Zukunft der Nachtzüge

Vom 16. Dezember 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3632
18. Wahlperiode 16.12.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, Karin Binder,
Annette Groth, Kerstin Kassner, Thomas Lutze, Dr. Kirsten Tackmann und
der Fraktion DIE LINKE.

Wirtschaftlichkeit und Zukunft der Nachtzüge

Schon seit mehreren Jahren gibt es einen schleichenden Wegfall von Nachtzug-
linien im deutschen Netz sowie zwischen Deutschland und den europäischen
Nachbarländern. Die Tabelle in der Antwort der Bundesregierung auf die
Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE. zur Bahnreform (Bundestagsdruck-
sache 18/3266, Antwort zu Frage 77) zeigt den Wegfall von Nachtzugver-
bindungen (von 29 Linien im Jahr 1999 auf 17 im Jahr 2014). Mit dem Fahr-
planwechsel zum 14. Dezember 2014 fielen nochmals zahlreiche weitere Ver-
bindungen weg (vor allem die Strecken von Berlin, Hamburg und München
nach Paris sowie die Strecken von Amsterdam, Basel und Prag nach Kopen-
hagen und jeweils in Gegenrichtung, siehe Fahrplanangebot der Deutschen
Bahn AG – DB AG). Damit gibt es schon jetzt nur noch ein Rumpfnetz an
Nachtreiseverbindungen, auf vielen Strecken ist bereits kein Angebot mehr
vorhanden.
Die DB AG spricht offiziell davon (Berliner Zeitung vom 29. Juli 2014 „Bahn-
reisende kämpfen für Strecken“ und Bericht des RBB Inforadios vom 12. De-
zember 2014), bis 2016 eine neue Strategie für den Nachtreiseverkehr entwi-
ckeln zu wollen. Viele Bahnkenner befürchten jedoch schon jetzt ein komplettes
Aus für den Nachtreiseverkehr. Dafür spricht auch, dass die DB AG trotz des
überalterten Zugmaterials offenbar keine Neubestellungen von Wagen vor-
nimmt oder auch nur plant und dass sie bereits jetzt Niederlassungen der Nacht-
zugsparte schließt.
Die DB AG begründet die massive Einschränkung der Nachtreiseverkehre mit
der mangelnden Wirtschaftlichkeit und verweist u. a. auf eine zu geringe Aus-
lastung und zu hohe Kosten (STUTTGARTER ZEITUNG vom 15. September
2014 „Kahlschlag bei Nachtzügen stößt auf Protest“ sowie Flensburger Tage-
blatt vom 25. September 2014 „Frühes Aus für den Nachtzug“). Viele der von
der DB AG genannten Zahlen sind jedoch nicht öffentlich und werden von un-
abhängiger Seite überdies angezweifelt. Der Betriebsrat der für die Nachtzüge
zuständigen Tochter, die DB European Railservice GmbH (DB-ERS), spricht
gar von einem bewussten Schlechtrechnen des Zugangebots (so Betriebsratsmit-
glieder vor der Bundespressekonferenz am 14. September 2014).
Unstrittig ist hingegen, dass die Nachtzüge eine überaus ökologische und kom-
fortable Variante des Reisens auf längeren Strecken insbesondere in die europä-
ischen Nachbarländer darstellt. Während das Angebot an Nachtzügen zuneh-
mend eingeschränkt wird, wird im Gegenzug das Angebot an Nachtreisebussen
trotz des deutlich geringeren Komforts beständig ausgebaut.

Drucksache 18/3632 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Während die DB AG ihre Engagements bei Nachtzügen erheblich abbaut und
möglicherweise die ganze Sparte aufgibt, verstärken andere europäische Eisen-
bahnen ihre Aktivitäten in diesem Segment. Seit dem 11. Dezember 2014 gibt
es eine verstärkte Kooperation zwischen der französischen Eisenbahngesell-
schaft SNCF und der Russischen Staatsbahn RZB, als deren Ergebnis direkte
Eisenbahnverbindungen Moskau–Nizza (über Weißrussland, Polen, Tschechi-
sche Republik und Italien) und Moskau–Paris (über Weißrussland, Polen und
Deutschland) angeboten werden (AFP-Meldung vom 13. Dezember 2011 „Zug
auf Direktverbindung Moskau–Berlin–Paris gestartet“). Der Nachtzug auf der
letztgenannten Verbindung hat eine Fahrtzeit von 38 Stunden und Zwischenhalte
u. a. in Berlin, Hannover, Fulda und Köln.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass Nachtzüge eine ökologi-

sche und komfortable Variante des Reisens auf längeren Strecken insbeson-
dere in die europäischen Nachbarländer darstellen (bitte mit Begründung)?

2. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass das Nutzen von Nachtzü-
gen im Vergleich zum Luftverkehr aus ökologischen Gründen die politisch
zu bevorzugende Art des Reisens ist (bitte begründen)?

3. Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahlen der Fahr-
gäste im Nachtzugverkehr der DB AG allein und in Kooperation mit an-
deren europäischen Bahnunternehmen von 1994 bis heute entwickelt (bitte
tabellarische Darstellung nach Jahren)?

4. Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Fahrgastzahlen der
Nachtreisebusse im gleichen Zeitraum entwickelt (bitte tabellarische Dar-
stellung nach Zahlen)?

5. Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Fahrgastzahlen auf
den einzelnen Nachtzugverbindungen seit dem Jahr 1994 entwickelt (bitte
tabellarische Darstellung für die einzelnen Verbindungen aufgeschlüsselt
nach Jahren und nach Nutzerinnen und Nutzer von Schlafwagen, Liege-
wagen und Sitzwagen – Abteil oder Ruhesessel – sowie nach Reisenden in
den sogenannten Pendlerwagen)?

6. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung im gleichen Zeitraum auf
den gleichen Strecken das Platzangebot im Nachtzugverkehr entwickelt
(bitte tabellarische Darstellung für die einzelnen Verbindungen und die
Jahre, aufgeschlüsselt auch nach Schlafwagen-Betten, Liegewagen-Plätzen
und Sitzen – Abteil oder Ruhesessel – sowie nach Plätzen in den sogenann-
ten Pendlerwagen)?

7. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung im gleichen Zeitraum auf
den gleichen Strecken die Auslastung der Züge entwickelt (bitte tabellari-
sche Auflistung für die einzelnen Verbindungen aufgeschlüsselt nach Jahren
und nach Nutzerinnen und Nutzern von Schlafwagen, Liegewagen und Sitz-
wagen – Abteil oder Ruhesessel – sowie nach Reisenden in den sogenannten
Pendlerwagen)?

8. Welchen Anteil an den Fahrpreisen in den Nachtzügen machen nach Kennt-
nis der Bundesregierung im Durchschnitt die Trassenpreise aus, und wel-
chen Anteil die unterschiedlichen Steuern und Abgaben (Mehrwertsteuer,
Energiesteuer, EEG-Umlage u. a.)?

9. Ist es nach Kenntnis der Bundesregierung zutreffend, dass die Trassenpreise
für einige Verbindungen bis zu 50 Prozent der Gesamtkosten ausmachen?

10. Welche Einnahmen durch Trassenpreise sowie für Stationsgebühren gene-
rierte bzw. generiert nach Kenntnis der Bundesregierung die DB Netz AG

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3632
bzw. die DB Station & Service AG durch die Nachtzüge insgesamt im Jahr
2000, im Jahr 2005, im Jahr 2010 und im Jahr 2014?

11. Warum wird auf Nachtzüge nicht auch der ermäßigte Umsatzsteuersatz für
Hotelübernachtungen angewendet?

12. Warum wird der Nachtzug Berlin/Hamburg/München–Paris nicht in Ko-
operation zwischen DB AG und SNCF betrieben, sondern nach Information
der Fragesteller als eigenwirtschaftlicher Zug der DB AG, obwohl er seinen
Nutzen gleichermaßen für beide Länder entfaltet?

13. Ist es zutreffend, dass im Fall von Nachtzügen, die in Kooperation betrieben
werden, wechselseitig auf die Erhebung von Trassenpreisen verzichtet wird
bzw. diese sich gegenseitig verrechnen?

14. Was wurde nach Kenntnis der Bundesregierung vonseiten der DB AG ver-
sucht, um die Wirtschaftlichkeit des ihren Angaben nach trotz der guten
Auslastung defizitären Nachtzugs Berlin/Hamburg/München–Paris (Berli-
ner Zeitung vom 29. Juli 2014 „Bahnreisende kämpfen für Strecken“) zu
steigern?

15. Gibt es nach Einschätzung der Bundesregierung einen Zusammenhang zwi-
schen dem Nichtzustandekommen einer Kooperation von DB AG und
SNCF im Fall des genannten Nachtzugs sowie auf möglichen anderen Ge-
bieten und dem Angebot der DB AG, mit deren Tochter Arriva im Schienen-
personennahverkehr in Konkurrenz zur SNCF Schienenverkehre anzubie-
ten (bitte begründen)?

16. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
daraus, dass es nun keine tägliche direkte Zugverbindung mehr zwischen
den Hauptstädten Frankreichs und Deutschlands gibt?

17. War die DB AG nach Kenntnis der Bundesregierung an den Gesprächen
zum Zustandekommen einer Nachtzugverbindung Moskau–Berlin–Paris
beteiligt?
Gab es nach Kenntnis der Bundesregierung Versuche seitens der DB AG
oder seitens der maßbeglich Beteiligten SNCF oder RZB, eine solche
Nachtzugverbindung in einer Kooperation unter Einbeziehung der DB AG
zu bewerkstelligen?

18. Welche Trassenpreise werden nach Kenntnis der Bundesregierung für den
Nachtzug Moskau–Paris im deutschen Netz berechnet, bzw. gibt es eine
besondere Vereinbarung seitens DB Netz AG und den Betreibern dieses
Nachtzugs für die zu begleichenden Trassengebühren?

19. Gab es Gespräche der Bundesregierung oder sind Gespräche mit Vertretern
von Nachbarstaaten geplant, um die Verantwortung Deutschlands als wich-
tiges Transitland der Europäischen Union auch im Schienenpersonenfern-
verkehr zu erörtern?

20. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung dem Verkehrsträger Nacht-
zug für die Fußballeuropameisterschaft 2020 bei, ausgehend von den Erfah-
rungen der Fußballweltmeisterschaft 2006?

21. Hält die Bundesregierung ein leistungsfähiges Nachtzugnetz bei der Bewer-
bung des Deutschen Fußball Bundes (DFB) um die Ausrichtung der Fußbal-
leuropameisterschaft 2024 sowie bei der zu erwartenden Bewerbung einer
deutschen Stadt um die Olympischen Sommerspiele 2024 oder 2028 für för-
derlich?

22. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Gesamtnetznutzen der
Nachtzüge für das Bahnnetz, z. B. aufgrund von Anschlussreisen, durch
Hin- und Rückreisen auf der gleichen Verbindung am Tage, durch die zu-

Drucksache 18/3632 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
sätzlichen Pendlerwagen in Tagesrandlagen (die unter eigenen IC-Zugnum-
mern laufen) oder auch durch die Akzeptanz des Systems Bahn als Ver-
kehrsmittel für Fernreisen generell vorteilhaft ist (bitte begründen)?

23. Mit welchem Verkehrszuwachs im Straßenverkehr (bitte nach Pkw und
Fernbus aufschlüsseln) und im Luftverkehr rechnet die Bundesregierung bei
einem kompletten Wegfall der Nachtzüge der DB AG?

Berlin, den 16. Dezember 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.