BT-Drucksache 18/3559

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 18./19. Dezember 2014 in Brüssel

Vom 17. Dezember 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3559
18. Wahlperiode 17.12.2014
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Andrej Hunko, Alexander Ulrich,
Wolfgang Gehrcke, Klaus Ernst, Michael Schlecht, Dr. Sahra Wagenknecht
und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin

zum Europäischen Rat am 18./19. Dezember 2014 in Brüssel

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Auf der Tagung des Europäischen Rates wird die Beratung über die von EU-
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am 26. November 2014 vorgestellte
„Investitionsoffensive für Europa“ (KOM(2014)903 endg.) ein Schwerpunkt-
thema sein. Bereits im Sommer hatte Juncker ein Investitionspaket von 300
Mrd. Euro angekündigt. Dieses Paket, eine Liste möglicher Investitionsprojekte
und ein Bericht zu Investitionshindernissen, den eine Task Force unter Leitung
von EU-Kommission und Europäischer Investitionsbank (EIB) erstellte, liegt
nun vor. Mit der Initiative sollen dringend benötigte Investitionen ermöglicht
und dadurch die schleppende Wirtschaftsentwicklung in der EU belebt werden.
Junckers „Investitionsoffensive“ setzt jedoch weder an den Ursachen der schwa-
chen Investitionstätigkeit an, noch leitet sie den nötigen wirtschaftspolitischen
Kurswechsel ein: Der Rückgang öffentlicher und auch privater Investitionen
liegt wesentlich in den Kürzungsprogrammen im Zuge der EU-Krisenpolitik
sowie der Troika-Regime in den „Krisenländern“ begründet: öffentliche Ausga-
ben, Aufträge und Investitionen wurden massiv zurückgefahren, Stellen gestri-
chen, Löhne und Sozialleistungen gekürzt – mit den bekannten negativen Folgen
für Binnennachfrage und Konjunkturentwicklung. Dies drückt auch auf die pri-
vate Investitionstätigkeit. Vor dem Hintergrund ist die EZB an ihre Grenzen
gestoßen, mit expansiver Geldpolitik zur Konjunkturbelebung beizutragen. Be-
sonders private Akteure scheuen aufgrund hoher Risiken und geringer Rendi-
teerwartungen vor Investitionen in die Realwirtschaft – trotz niedrigster Zinsen.
So wächst die Gefahr einer Deflation. Voraussetzung einer wirksamen Wirt-
schafts- und Investitionsförderung ist somit die Beendigung der Kürzungspoli-
tik.
Bedingt durch die Krise und die verfehlte Krisenpolitik in der EU liegt aktuell
die Summe der Investitionen um 15 Prozent unter Vorkrisenniveau. Um diese
Investitionslücke zu schließen ist ein breit angelegtes öffentliches Investitions-
programm nötig, dass Investitionen zielgenau und zukunftsorientiert einsetzt:

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u. a. zum Infrastrukturausbau, zur Umsetzung sozial-ökologischer Ziele und
Maßnahmen der Beschäftigungsförderung sowie für Bildung und Forschung.
Obgleich viele Details der „Investitionsoffensive“ zur Ausgestaltung des geplan-
ten Europäischen Fonds für Strategische Investitionen (EFSI) und zu den ange-
kündigten Maßnahmen zur Beseitigung von Investitionshemmnissen noch nicht
endgültig ausgearbeitet sind, zeichnet sich deutlich ab, dass die EU-Kommission
einen anderen Weg einschlägt: Der EFSI soll von 2015 bis 2017 private Investi-
tionen im Umfang von mindestens 315 Mrd. Euro mobilisieren, indem Garan-
tien und Beiträge aus der EIB und dem EU-Haushalt gehebelt werden. „Frisches
Geld“ wird es nicht geben. Durch die Konstruktion des EFSI besteht darüber
hinaus die Gefahr, dass die öffentliche Hand einseitig die Investitionsrisiken
trägt, während private Investoren die Gewinne einfahren. Die „Investitionsof-
fensive“ ist ausdrücklich in den Dreiklang strategischer Ziele eingebettet, die
Juncker in seinen „Politischen Leitlinien“ formuliert hat: Fortsetzung der Haus-
haltskonsolidierung (der Kürzungspolitik) und der (marktradikalen) Strukturre-
formen sowie Maßnahmen zur privaten Investitionsförderung. Sie ist daher nicht
geeignet, die Investitionslücke in der EU wirtschaftlich, sozial und ökologisch
nachhaltig zu schließen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich im Europäischen Rat dafür einzusetzen, dass

1. die von der EU-Kommission vorgelegten Pläne zur „Investitionsoffensive“
zurückgezogen und einer grundlegenden Revision unterzogen werden;

2. die wachstumshemmende und unsoziale Kürzungspolitik im Rahmen des
Stabilitäts- und Wachstumspakts beendet wird und stattdessen ein EU-weit
koordiniertes öffentliches, sozial-ökologisches Zukunftsinvestitionspro-
gramm aufgelegt wird, das insbesondere den sozial-ökologischen Umbau
befördert, den Ausbau leistungsfähiger öffentliche Infrastrukturen ermög-
licht und die Arbeitslosigkeit abzubauen hilft;

3. die öffentliche Kreditaufnahme aus der Abhängigkeit der Finanzmärkte
befreit wird, indem eine öffentliche Bank eingerichtet wird, die zu den Kon-
ditionen der EZB in einem festgelegten Rahmen günstig Kredite an die
Staaten vergibt;

4. dass auf EU-Ebene wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerhin-
terziehung und Steuervermeidung durch Unternehmen und Vermögende er-
griffen werden und der schädliche Steuerwettbewerb zwischen den EU-
Staaten beendet wird;

5. in dem Zusammenhang eine fiskalpolitische Koordinierung eingeleitet wird,
die die Staatseinnahmen auf hohem Niveau stabilisiert, öffentliche Investiti-
onen und leistungsfähige öffentliche Daseinsvorsorge finanziert sowie EU-
weit die Lebensstandards der Bevölkerung erhöht. Dazu gehören unter an-
derem die Einführung von EU-weit koordinierten Mindeststeuersätzen für
Unternehmen bei breiten Bemessungsgrundlagen, eine EU-weit koordinierte
Vermögensabgabe, eine koordinierte, stärkere Besteuerung von Spitzenein-
kommen, Vermögen und Kapitalerträgen;

6. eine wirtschaftspolitische Koordinierung eingeleitet wird, die die souverä-
nen Gestaltungsmöglichkeiten der EU-Mitgliedstaaten nicht schmälert und
die Lebensstandards der Menschen in der EU verbessert. Dazu gehören un-
ter anderem soziale Mindeststandards auf hohem Niveau, EU-weit koordi-
nierte Mindestlöhne, die mindestens 60 Prozent des nationalen Durch-
schnittslohns betragen und antizyklisch wirken, indem sie nicht sinken dür-

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fen, sowie die Einführung einer sozialen Fortschrittsklausel in die EU-
Verträge;

7. die EU-Verträge einer grundlegenden Revision unterzogen werden, um auf
diesem Weg einen Neustart für ein demokratisches, soziales und friedliches
Europa zu ermöglichen.

Berlin, den 16. Dezember 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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