BT-Drucksache 18/3551

Pflege-TÜV hat versagt - Jetzt echte Transparenz schaffen: Pflegenoten aussetzen und Ergebnisqualität voranbringen

Vom 17. Dezember 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3551
18. Wahlperiode 17.12.2014
Antrag
der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Renate
Künast, Maria Klein-Schmeink, Dr. Harald Terpe, Dr. Franziska Brantner, Katja
Dörner, Kai Gehring, Nicole Maisch, Dr. Konstantin von Notz, Tabea Rößner,
Claudia Roth (Augsburg), Corinna Rüffer, Ulle Schauws, Doris Wagner, Beate
Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Pflege-TÜV hat versagt – Jetzt echte Transparenz schaffen:
Pflegenoten aussetzen und Ergebnisqualität voranbringen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der 2009 eingeführte so genannte „Pflege-TÜV“ (Pflege-Transparenzvereinbarung
– PTV) verfolgt die Absicht, die Qualität der ambulanten (PTVA) und stationären
(PTVS) Pflege für Verbraucherinnen und Verbraucher transparent zu machen. Die
Qualitätsprüfungen werden durch den Medizinischen Dienst der Krankenversiche-
rung (MDK) oder durch den Prüfdienst der Privaten Krankenversicherung (PKV)
mindestens einmal jährlich bei allen stationären und ambulanten Diensten durchge-
führt. Ziel war eine verständliche, übersichtliche sowie vergleichbare Veröffentli-
chung der Ergebnisse der Qualitätsprüfung. In Anlehnung an Schulnoten wird die
Qualität verschiedener Versorgungsbereiche, wie der Umgang mit Demenz, Haus-
wirtschaft, Pflege, etc. veröffentlicht. Der Gesetzgeber wollte mit diesen „Pflege-
Noten“ eine Entscheidungshilfe für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen schaffen.
Gleichzeitig sollte durch das Notensystem die Qualitätsverbesserung in den Einrich-
tungen und Diensten vorangebracht werden.

Festzustellen ist heute jedoch, dass die Pflegenoten und die damit verbundenen Qua-
litätsprüfungen nichts zum Verbraucherschutz und zur Transparenz beigetragen ha-
ben. Auch auf wissenschaftlicher Seite sind die Transparenzkriterien und die Bewer-
tungssystematik sehr umstritten. Die Validität, Zuverlässigkeit und Objektivität sind
nicht nachgewiesen, es findet keine Prüfung der Ergebnis- und Lebensqualität statt.
Somit ist das gesamte Verfahren höchst fraglich. Die Entwicklung der Pflegenoten
spiegelt ebenfalls die Fehlentwicklung wider. Bei Einführung des Pflege-TÜVs lag
die schlechteste Durchschnittsnote eines Bundeslandes bei 2,3. 2013 lag sie in kei-
nem Bundesland über 1,5 (Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN; BT.-Drs. 17/10892), die Durchschnittsnote liegt inzwischen bei
1,3. Es liegt auf der Hand, dass dies keine objektive, differenzierte Bewertung der
Versorgungsrealität sein kann. Vielmehr haben sich die Einrichtungen und Dienste
an die Dokumentationsanforderungen der PTV angepasst. Zwar haben sich 2013 die
Verbände der Pflegekassen und die der Leistungserbringer, nach der Anrufung der
Schiedsstelle und längeren Verhandlungen auf Änderungen geeinigt, eine substanti-
elle, insbesondere auch methodische Verbesserung wurde jedoch nicht erzielt.

Drucksache 18/3551 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Daher hat die Bundestagfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bereits in der 17.
Wahlperiode in einem Antrag grundlegende Veränderungen in diesem Bereich ge-
fordert (BT-Drs. 17/13760). An einer Reform geht kein Weg vorbei, um echte Trans-
parenz und eine zielorientierte Qualitätsentwicklung sowie Qualitätssicherung in der
Pflege voranzubringen. Das ist nicht durch eine plakative Vergabe von Pflegenoten
möglich, die in ihrer jetzigen Form die Verbraucherinnen und Verbraucher eher ver-
wirren als für sie wichtige Informationen zu liefern. Es ist notwendig, dass die Qua-
litätssicherung sich stetig weiterentwickelt, sich immer an den aktuellen Erkenntnis-
sen in der Pflege orientiert und vor allem die Verbraucherinnen und Verbraucher in
den Mittelpunkt stellt. Dabei ist es unumgänglich, die Betroffenen in den Prozess
der Reform mit einzubinden, denn Verbraucherschutz und die konsequente Nutzer-
perspektive sind zentral für eine gelingende Reform zur Pflegequalität.

Wir begrüßen, dass sich inzwischen auch Karl-Josef Laumann, der Pflegebevoll-
mächtigte der Bundesregierung, für eine grundlegende Reform einsetzt: „Wer sich
auf das Notensystem verlasse, werde ‚irregeführt‘. […] Und plädiert auf Abschaf-
fung.“ (DER TAGESSPIEGEL vom 17.11.2014, „Noten für Heime sind irrefüh-
rend“) und dabei vom gesundheitspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion, Jens Spahn, unterstützt wird, der den Pflege-TÜV ebenfalls scharf kritisiert
(vgl. ebd.). Zugleich hat der Pflegebevollmächtigte im November 2014 ein Positi-
onspapier unter dem Titel „Pflegenoten gescheitert – mehr Transparenz für Verbrau-
cher schaffen“ veröffentlicht.

II. Vor diesem Hintergrund fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung
auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der

1. die Veröffentlichung der „Pflege-Noten“ nach der Pflege-Transparenzver-
einbarung mit sofortiger Wirkung aussetzt,

2. die bestehenden Maßstäbe und Grundsätze zur Sicherung und Weiterent-
wicklung der Pflegequalität reformiert und ein Qualitätssicherungssystem
entwickelt, das sich an gesicherten Erkenntnissen über Indikatoren der Er-
gebnis- und Lebensqualität ausrichtet. In diesen Prozess sind die maßgebli-
chen Organisationen und Selbsthilfeverbände für die Wahrnehmung der In-
teressen pflegebedürftiger und behinderter Menschen gleichberechtigt mit
einzubeziehen. Dabei ist auf Entbürokratisierungsmaßnahmen, insbeson-
dere auf die Auswirkung auf Dokumentationsanforderungen zu achten,

3. ein unabhängiges und multidisziplinär besetztes Institut für Qualität in der
Pflege zu errichten, das zukünftig Vorschläge für die Qualitätsanforderun-
gen erarbeitet.

Berlin, den 16. Dezember 2014

Katrin Göring-Eckardt, Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Der vorliegende Antrag knüpft an eine Initiative der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus der
17. Wahlperiode an (Antrag auf Bundestags-Drucksache 17/13760 vom 05.06.2013), mit der bereits die um-
gehende Aussetzung des „Pflege-TÜV“ gefordert wurde. Der Antrag wurde seinerzeit von der Mehrheit der

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3551
damaligen schwarz-gelben Koalitionsfraktionen abgelehnt. Die aktuellen Forderungen etwa des Bevollmäch-
tigten der Bundesregierung für Pflege geben Anlass, erneut einen solchen Antrag einzubringen.

zu 1.) Die Probleme im Umgang mit der PTV (ambulant wie stationär) werden auch durch kurz-, mittel- oder
langfristige Änderungen an der bisherigen Qualitätsbeurteilung und der Darstellung in Transparenzberichten
nicht behoben werden können. Da die derzeitigen Pflegenoten nur den Anschein einer transparenten und ob-
jektiven Information erwecken, richten sie eher Schaden an, als dass sie nutzen. Sie sollten daher nicht mehr
veröffentlicht werden, was im Übrigen nicht bedeutet, dass Pflegeeinrichtungen und -dienste bis zur Umset-
zung einer grundlegenden Reform nicht mehr kontrolliert und qualitätsgeprüft würden.

Zu 2.) Die derzeitige Prüfsystematik setzt vor allem auf die Kontrolle und Darstellung der Qualität der Doku-
mentation, jedoch nicht der Ergebnisqualität. In den Mittelpunkt müssen künftig vielmehr die Prüfung und die
öffentliche Darstellung der Ergebnis- und Lebensqualität rücken. Dafür gibt es durchaus Ansatzpunkte. So
wurde bereits von 2008 bis 2010 im Auftrag der Bundesministerien für Gesundheit sowie für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend das Projekt „Entwicklung und Erprobung von Instrumenten zur Beurteilung der Ergebnis-
qualität in der stationären Altenhilfe“ durchgeführt. Das hierin entwickelte indikatorengestützte Verfahren zur
vergleichenden Messung und Darstellung von Ergebnisqualität im stationären Bereich wurde zwar 2012 im
Pflege-Neuausrichtungsgesetz berücksichtigt (PNG, § 113 Abs. 1 Satz 4 Nr. 4 SGB XI). Doch seitdem gibt es
keine Weiterentwicklung seitens des Gesetzgebers. Daran anknüpfend gibt es weitere Praxiserprobungen, etwa
seit 2012 das Kooperationsprojekt „EQisA“ (Ergebnisqualität in der stationären Altenhilfe) des Diözesan-Cari-
tasverbandes Köln und des Instituts für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld. Dabei wird in über
140 stationären Einrichtungen bundesweit der indikatorengestützte Ansatz zur Ergebnisqualität umgesetzt. Die
Erfahrungen werden überwiegend positiv eingeschätzt. Grundsätzlich gibt es also sicherlich noch keine abge-
schlossenen, aber entwicklungsfähige Möglichkeiten zur wahrheitsgemäßen und transparenten Darstellung von
Ergebnisqualität in der Pflege. Insgesamt wird auch auf ein ausgewogenes Verhältnis interner und externer
Qualitätssicherung zu achten sein, das heißt, es müssen auch künftig in angemessener Weise externe Kontroll-
mechanismen vorgesehen werden.

Wie heute auch sollen es auch weiterhin die Organe der Selbstverwaltung in der Pflege sein, die letztendlich
die Kriterien für Qualität und Qualitätssicherung sowie das Qualitätsmanagement festlegen. Allerdings sind
dabei zwei zentrale Veränderungen notwendig: Zum einen sind die Akteure dabei künftig an die Vorschläge
des neuzugründenden, unabhängigen Instituts für Qualität in der Pflege gebunden (s. u. 3.).

Zum anderen muss gesichert sein, dass die maßgeblichen Organisationen und Selbsthilfeverbände für die
Wahrnehmung der Interessen pflegebedürftiger und behinderter Menschen gleichberechtigt, das heißt auch
stimmberechtigt, in die Weiterentwicklung der Prüf- und Qualitätssicherungssystematik einbezogen werden.
Dies ist bei der PTV nicht der Fall gewesen. Gute Pflege orientiert sich an der Förderung eines selbstbestimm-
ten Lebens und den Bedürfnissen der Personen, die Unterstützung und Hilfe erhalten. Sie müssen also einbe-
zogen werden. Um eine bessere Pflegequalität zu erreichen, ist grundsätzlich bei allen Reformbemühungen ein
höheres Maß an Nutzerorientierung notwendig.

Zu 3.) Langfristig bedarf es zur Stärkung der Qualität in der Pflege einer unabhängigen Ebene. Geeignet dafür
wäre ein unabhängiges Institut für Qualität in der Pflege, das zur Qualitätsentwicklung einen entscheidenden
Beitrag liefern kann. Ein besonderes Augenmerk muss dabei auf die multiprofessionelle Ausrichtung gelegt
werden, da die Qualität in der Pflege neben pflegefachlichen ebenso soziale und teilhabeorientierte Aspekte
berücksichtigen muss. Die Reform der Qualitätssicherung sowie der Qualitätsprüfung und -berichterstattung
benötigt die fachliche Begleitung von Expertinnen und Experten. Die Qualitätssicherung muss ein lernendes
System sein, das aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse in der Pflege und Betreuung berücksichtigt. Deshalb
sollten auch die Fragen gelöst werden, wie groß die Flexibilität der Qualitätssicherung sein kann und muss und
wie Überarbeitungen flächendeckend in die Qualitätssicherung einfließen und umgesetzt werden können.
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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