BT-Drucksache 18/35

Reisetätigkeit von Djihadisten aus Deutschland nach Syrien

Vom 6. November 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 18/35
18. Wahlperiode 06.11.2013
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Annette Groth, Niema Movassat,
Dr. Alexander S. Neu, Frank Tempel, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Reisetätigkeit von Djihadisten aus Deutschland nach Syrien

Laut einem als geheim eingestuften Lagebericht des Bundesamtes für Ver-
fassungsschutz sind derzeit rund 200 Djihadisten aus Deutschland in Syrien oder
auf dem Weg dorthin. Syrien sei für kampfwillige Islamisten derzeit „der mit
Abstand ,attraktivste‘ Dschihad-Schauplatz“, zitiert das Nachrichtenmagazin
„DER SPIEGEL“ aus dem Papier. Im Norden Syriens sei für deutschsprachige
Djihadisten ein „German Camp“ als Sammelstelle und möglicherweise als Aus-
bildungslager aufgebaut worden. Die meisten Djihadisten aus Deutschland
stammen aus Nordrhein-Westfalen, der Rest vor allem aus Hessen, Berlin,
Bayern und Hamburg. Mehr als die Hälfte von ihnen soll die deutsche Staats-
bürgerschaft besitzen. Nach einer aktuellen Statistik deutscher Behörden sollen
bislang acht der aus Deutschland angereisten Djihadisten in Syrien gefallen sein
(www.spiegel.de).
In einigen Fällen wurden die djihadistischen Kämpfer offenbar von ihren Ehe-
frauen oder Familien begleitet (http://blog.zeit.de).
Der Verfassungsschutz hat laut Bericht des Nachrichtenmagazins „DER
SPIEGEL“ Hinweise, wonach deutschstämmige Islamisten in Syrien mehrere
„Medienstellen“ aufbauen wollen, um von dort für den bewaffneten Kampf zu
werben. Projekte, wie das bereits seit Juli 2013 online gegangene „Shamcenter“,
das nach eigenen Angaben „verstärkt Social Dschihad“ in deutscher Sprache be-
treiben will, könnten laut dem Lagebericht „in Deutschland eine erhebliche Wir-
kung als Radikalisierungskatalysator entfalten“. Eine „besondere Gefährdung“
sieht der Verfassungsschutz von kampferprobten Heimkehrern ausgehen
(www.spiegel.de).
In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage zu „Reisebewegungen und Radikalisie-
rungen syrischer Kämpfer“ hatte die Bundesregierung im Juli 2013 noch erklärt,
keine Aussagen darüber, ob sich einzelne Kämpfer aus Deutschland an Ver-
stößen gegen das humanitäre Völkerrecht beteiligt haben, treffen zu können.
(Bundestagsdrucksache 17/14391). Wie das Magazin „FOCUS“ meldete, sollen
aus Deutschland stammende Djihadisten am 6. August 2013 an der Vertreibung
und Ermordung von Bewohnerinnen und Bewohnern eines christlichen Dorfes
an der syrisch-türkischen Grenze beteiligt gewesen sein. Ein Vertreter des Bun-
deskriminalamtes (BKA) nannte „die Mittäterschaft von Deutschen an Ausrot-
tungen und ethnischen Säuberungen in Syrien“ einen „schier unerträglichen Zu-
stand“. Die Bundesanwaltschaft prüft demnach im Zusammenhang mit Syrien,
ob Deutsche Mitglied in einer ausländischen terroristischen Vereinigung seien
(www.focus.de).

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Das Bundeskriminalamt warnt seit dem 18. Oktober 2013 mit einem Plakat vor
dem aus Berlin stammenden früheren Rapper Deso Dogg. Der mit bürgerlichem
Namen Denis Mamadou Gerhard Cuspert heißende Djihadist, der sich jetzt
Abu Talha al-Almani nennt, hat sich der zum Al-Qaida-Netzwerk gehörenden
Al-Nusra-Front in Syrien angeschlossen. „Die abgebildete Person ist verdäch-
tig, terroristische Anschläge gegen westliche Einrichtungen und Interessen zu
planen.“ Es gebe aber keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass Denis Cuspert
Aktionen in Deutschland oder Europa vorbereite, erklärte ein Sprecher der Bun-
desanwaltschaft gegenüber „SPIEGEL ONLINE“ (www.spiegel.de).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Trifft eine Meldung des Nachrichtenmagazins „DER SPIEGEL“ zu, wonach

das Bundesamt für Verfassungsschutz in einem Lagebericht Syrien als den
„mit Abstand ,attraktivsten‘ Dschihad-Schauplatz“ für kampfwillige Islamis-
ten bezeichnet hat, und wenn ja, woraus speist sich diese Einschätzung?

2. Wie viele aus Deutschland stammende Djihadisten haben sich nach Kenntnis
der Bundesregierung seit dem Jahr 2011 am bewaffneten Kampf in Syrien
beteiligt oder sind derzeit auf dem Weg dorthin (bitte nach Bundesländern
aufschlüsseln)?
a) Wie viele von ihnen haben die deutsche Staatsbürgerschaft?
b) Wie viele von ihnen wurden wann und bei welchen Auseinandersetzungen

verwundet?
c) Wie viele von ihnen wurden wann und bei welchen Auseinandersetzungen

getötet?
d) Wie viele von ihnen sind wieder nach Deutschland zurückgekehrt?
e) In wie vielen Fällen wurden Djihadisten aus Deutschland nach Syrien von

ihren Ehefrauen oder Familien begleitet?
3. Wie viele der aus Deutschland stammenden Djihadisten haben sich nach

Kenntnis der Bundesregierung jeweils den folgenden in Syrien kämpfenden
Gruppierungen angeschlossen
a) Al-Nusra-Front,
b) Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIS),
c) Freie Syrische Armee,
d) Sonstige (bitte benennen)?

4. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Existenz eines „Ger-
man Camp“ im Norden Syriens, das als Sammel- und wohl auch Ausbil-
dungsstätte deutschsprachiger Djihadisten dienen soll?
a) Wo genau befindet sich das „German Camp“?
b) Seit wann besteht es?
c) Von welcher Gruppierung oder welchen Gruppierungen wird es betrie-

ben?
d) Welchem genauen Zweck dient das Camp?
e) Wie viele Djihadisten aus Deutschland sind in diesem Camp stationiert?

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5. Sind der Bundesregierung Aufrufe in Moscheen, Kultur- und Hilfsverei-
nigungen, über Internet und soziale Netzwerke zur Teilnahme am bewaffne-
ten Kampf in Syrien, die sich explizit an in der Bundesrepublik Deutschland
lebende Personen richten, bekannt?
Wenn ja, durch wen oder welche Institution erfolgten wann und wo diese
Aufrufe?

6. Welche Anlauf- und Treffpunkte für Djihadisten, die sich am bewaffneten
Kampf in Syrien beteiligen wollen, existieren nach Kenntnis der Bundes-
regierung in der Bundesrepublik Deutschland (bitte Ort und Art des Anlauf-
punktes – z. B. Moschee, Kulturverein, Hilfsorganisation, Privatwohnung –
angeben)?

7. Welche Reisewege und Verkehrsmittel haben die aus Deutschland stam-
menden Djihadisten nach Kenntnis der Bundesregierung für ihre Reise nach
Syrien genommen?

8. Welche Organisationen in Deutschland und in den Durchreiseländern leis-
ten nach Kenntnis der Bundesregierung logistische Unterstützung für die
Reisetätigkeit von Djihadisten aus Deutschland nach Syrien?

9. Inwieweit ist die Reisetätigkeit von Djihadisten aus der Bundesrepublik
Deutschland nach Syrien bislang Thema von Gesprächen der Bundesregie-
rung mit den möglichen Transitstaaten (insbesondere der Türkei, dem Liba-
non, dem Irak und Jordanien) gewesen?

10. Welche rechtlichen Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Ausreise
von Djihadisten, die sich am bewaffneten Kampf in Syrien beteiligen wol-
len, aus der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern?
a) In wie vielen Fällen wurden derartige Maßnahmen seit dem Jahr 2011 er-

griffen?
b) Inwieweit gedenkt die Bundesregierung zukünftig, derartige Maßnah-

men zu ergreifen?
c) Welche anderen Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, ausreise-

willige Djihadisten von ihren Plänen abzubringen und zu überzeugen,
nicht auszureisen, und in welchem Umfang haben Behörden des Bundes
und nach Kenntnis der Bundesregierung der Länder erfolgreich Ge-
brauch von solchen Maßnahmen gemacht?

11. Welche Ausbildung erhalten die aus Deutschland stammenden Djihadisten
vor einem Kampfeinsatz in Syrien nach Kenntnis der Bundesregierung
(bitte nach Möglichkeit Ausbildungsort angeben)?

12. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Beteiligung von
Djihadisten aus Deutschland an Übergriffen auf Zivilistinnen und Zivilisten
in Syrien (bitte einzeln aufzählen und angeben, inwieweit es sich um deut-
sche Staatsbürger handelt)?

13. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Beteiligung von
Djihadisten aus Deutschland an Kriegsverbrechen in Syrien (bitte einzeln
aufzählen und angeben, inwieweit es sich um deutsche Staatsbürger han-
delt)?

14. Inwieweit kann eine Beteiligung von Djihadisten aus der Bundesrepublik
Deutschland am bewaffneten Kampf in Syrien in der Bundesrepublik
Deutschland strafrechtlich verfolgt werden?
a) Wie viele Straf- und Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in (aus-

ländischen) terroristischen Vereinigungen nach § 129a und § 129b des
Strafgesetzbuches (StGB) im Zusammenhang mit der Beteiligung und

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Unterstützung bewaffneter Gruppierungen in Syrien sind nach Kenntnis
der Bundesregierung seit dem Jahr 2011 eingeleitet worden, und mit wel-
chem Ergebnis?

b) Wie viele Straf- und Ermittlungsverfahren nach § 89a StGB wegen „Vor-
bereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat“ sind nach Kennt-
nis der Bundesregierung seit dem Jahr 2011 im Zusammenhang mit
Syrien eingeleitet worden, und mit welchem Ergebnis?

c) Wie viele Straf- und Ermittlungsverfahren nach § 89b StGB wegen
„Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staats-
gefährdenden Straftat“ sind nach Kenntnis der Bundesregierung seit dem
Jahr 2011 im Zusammenhang mit Syrien eingeleitet worden, und mit
welchem Ergebnis?

d) Wie viele Straf- und Ermittlungsverfahren nach § 91 StGB wegen „An-
leitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Straftat“ sind
nach Kenntnis der Bundesregierung seit dem Jahr 2011 im Zusammen-
hang mit Syrien eingeleitet worden, und mit welchem Ergebnis?

15. Inwieweit treffen nach Erkenntnissen der Bundesregierung Informationen
des Magazins „FOCUS“ zu, wonach Djihadisten aus Deutschland am 6. Au-
gust 2013 an der Ermordung und Vertreibung der christlichen Bewohnerin-
nen und Bewohner eines Dorfes in Nordsyrien beteiligt gewesen sein
sollen?
a) Um welches Dorf hat es sich nach Kenntnis der Bundesregierung gehan-

delt, und wie viele Einwohnerinnen und Einwohner wurden vertrieben
oder ermordet?

b) Wie verlief der Überfall auf das Dorf nach Erkenntnissen der Bundes-
regierung?

c) Welche Milizen waren nach Erkenntnissen der Bundesregierung an dem
Angriff auf das Dorf beteiligt (bitte angeben, ob diese Milizen zur Freien
Syrischen Armee, der Al-Nusra-Front, der Gruppierung Islamischer
Staat im Irak und Syrien ISIS oder einem anderen größeren Zusammen-
hang angehören)?

d) Wie viele und welche aus Deutschland stammenden Djihadisten haben
sich Kenntnis der Bundesregierung an dem Überfall auf das Dorf be-
teiligt (bitte angeben, wie viele davon die deutsche Staatsbürgerschaft
besitzen)?

e) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine Beteiligung des
Berliner Djihadisten Denis Cuspert an dem Überfall auf das Dorf?

16. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine Beteiligung von
Denis Cuspert an Gewalttaten, Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung oder
Kriegsverbrechen in Syrien?
a) Wo genau in Syrien hält sich Denis Cuspert nach Kenntnis der Bundes-

regierung derzeit auf?
b) Trifft nach Erkenntnissen der Bundesregierung eine Meldung des Maga-

zins „FOCUS“ zu, wonach Denis Cuspert Mitglied der zum Al-Qaida-
Netzwerk gehörenden Al-Nusra-Front geworden ist?

c) Welche Informationen hat die Bundesregierung über Verwundungen
oder sogar den Tod von Denis Cuspert in Syrien?

d) Welche konkreten Hinweise hat die Bundesregierung auf durch Denis
Cuspert geplante „terroristische Anschläge gegen westliche Einrichtun-
gen und Interessen“ (BKA-Plakat)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/35
e) Was versteht die Bundesregierung in diesem Zusammenhang unter
„westlichen Interessen“?

f) Inwieweit hält die Bundesregierung eine mögliche Beteiligung Denis
Cusperts an der Ermordung und Vertreibung von christlichen Dorf-
bewohnerinnen und Dorfbewohnern in Nordsyrien für eine Beeinträchti-
gung „westlicher Interessen“?

g) Inwieweit trifft eine Meldung von „SPIEGEL ONLINE“ zu, wonach es
keine konkreten Anhaltspunkte für von Denis Cuspert in Deutschland
und Europa vorbereitete Aktionen gibt?

h) An welchen Stellen im In- und Ausland soll das BKA-Plakat mit der
Terrorismuswarnung vor Denis Cuspert aufgehängt werden?

i) Besteht ein internationaler Haftbefehl gegen Denis Cuspert, und wenn ja,
aufgrund welcher Vorwürfe?

17. Bei welchen der in Syrien aktiven bewaffneten Gruppierungen handelt es
sich nach Kenntnis der Bundesregierung um ausländische terroristische
Vereinigungen im Sinne des Paragraphen 129b StGB (bitte auch Prüf- bzw.
Verdachtsfälle benennen)?

18. Welche der in Syrien aktiven Organisationen, Gruppen oder Personen
werden durch Sanktionslisten der Europäischen Union erfasst, und wie viele
und welche Verstöße gegen derartige Embargovorschriften nach § 34 des
Außenwirtschaftsgesetzes sind der Bundesregierung im Zusammenhang
mit Syrien seit dem Jahr 2011 bekannt geworden (bitte einzeln benennen)?

19. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur Zahl aus den Staaten der
Europäischen Union jeweils und insgesamt ausgereisten Personen, die sich
am „Dschihad“ in Syrien beteiligen wollen?

20. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung von den Maßnahmen, die in an-
deren Staaten der Europäischen Union ergriffen werden, um die Ausreise
von Djihadisten nach Syrien zu verhindern?

21. Wie sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Erfahrungen der anderen
Mitgliedstaaten bei der Zusammenarbeit mit der Türkei in Fragen der terro-
ristischen Reisebewegungen, und wie sind die Erfahrungen der Bundes-
regierung selbst?

22. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über schon bestehende oder
geplante „Medienstellen“ deutscher Islamisten auf syrischem Boden?

23. Welche und wie viele deutschsprachigen Internetseiten einschließlich so-
zialer Netzwerke und Blogs, die für eine Teilnahme am bewaffneten Kampf
in Syrien werben, sind der Bundesregierung bekannt?
a) Welche Verbreitung haben diese Internetauftritte nach Kenntnis der Bun-

desregierung?
b) Inwieweit spielen solche Internetauftritte nach Kenntnis der Bundes-

regierung eine Rolle bei der Rekrutierung für den bewaffneten Kampf in
Syrien?

c) Von wo werden diese Internetseiten nach Kenntnis der Bundesregierung
betrieben, bzw. wo befinden sich die Autorinnen und Autoren?

d) Inwieweit wurde auf diesen Internetseiten zu Straftaten aufgerufen?
24. Trifft eine Meldung des Nachrichtenmagazins „DER SPIEGEL“ zu, wo-

nach das Bundesamt für Verfassungsschutz von kampferprobten Rück-
kehrern aus Syrien eine „besondere Gefährdung“ sieht?
a) Wenn ja, worin besteht eine solche „besondere Gefährdung“ genau, und

woraus speist sich diese Einschätzung?

Drucksache 18/35 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
b) Wenn ja, mit welchen Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung, einer
solchen „Gefährdung“ entgegenzutreten?

c) Inwieweit sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit einer besonde-
ren psychologischen Betreuung von nach Deutschland zurückkehrenden
Teilnehmern am bewaffneten Kampf in Syrien?

Berlin, den 6. November 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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