BT-Drucksache 18/3465

Maßnahmen zum Löschen von Internetinhalten und Reaktion mit Gegenpropaganda

Vom 3. Dezember 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3465
18. Wahlperiode 03.12.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Christine Buchholz, Annette Groth, Inge Höger,
Ulla Jelpke, Kerstin Kassner, Stefan Liebich, Niema Movassat, Dr. Alexander S.
Neu, Martina Renner, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Maßnahmen zum Löschen von Internetinhalten und Reaktion mit
Gegenpropaganda

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) berichtete über eine Forderung des
Bundesministers des Innern, Thomas de Maizière, „der Propaganda von Islamis-
ten mit einer Aufklärungsoffensive zu begegnen“ (FAZ vom 21. November
2014). Der Bundesinnenminister hat demnach eigens die Politikredaktion der
FAZ besucht und dort beklagt, „Islamisten wie jene von der Terrormiliz“ hätten
„bei der Propaganda im Internet erheblichen Vorsprung“. Er wirbt dafür, die „öf-
fentliche Propagandahoheit dieser Szene“ durch „eine Art Gegenoffensive“ zu
kontern. Diese Aufgabe könnte demnach von der Bundeszentrale für politische
Bildung übernommen werden.
Unter Beteiligung des Bundesministeriums des Innern (BMI) diskutieren die
Regierungen mehrerer EU-Mitgliedstaaten auf unterschiedlichen Ebenen neue
Möglichkeiten, „terroristische Onlineaktivitäten“ in Zusammenarbeit mit Inter-
netdienstleistern zu stoppen und unliebsame Inhalte zu löschen. Auch auf den
regelmäßigen G6-Treffen einiger EU-Innenministerien (Deutschland, Frank-
reich, Großbritannien, Italien, Spanien, Polen) war das Thema bereits mehrmals
auf der Agenda. An dem jüngsten Treffen haben nicht nur wie üblich Innen- und
Justizminister aus den USA teilgenommen: Neben Behörden aus Kanada sei
auch die Türkei nach Presseberichten „hochrangig vertreten“ gewesen (Neues
Deutschland vom 6. November 2014). Zu vorläufigen Ergebnissen erklärte der
Bundesinnenminister demnach: „Wir haben verabredet, dass wir in einem struk-
turierten Dialog mit den großen Netzbetreibern erreichen wollen, dass sie aus
eigenem Interesse diese Quelle des digitalen Dschihad dadurch austrocknen,
dass sie solche Inhalte selbst aus dem Netz entfernen.“ Allerdings handele es
sich laut dem Bundesinnenminister bislang um einen „dringenden Appell“.
Vor ihrer Oktober-Sitzung hatten sich die Innenminister aller EU-Mitgliedstaa-
ten mit den Internetkonzernen Twitter, Google, Microsoft und Facebook zu
einem informellen Abendessen getroffen; auch die Europäische Kommission
war eingeladen. Ziel war ebenfalls, „Instrumente und Techniken“ zu entwickeln,
um „terroristischen Onlineaktivitäten“ entgegenzutreten. Es ist aber unklar, um
welche Inhalte es sich eigentlich handelt. Denn in Bezug auf Videos von Ent-
hauptungen oder anderen Gräueltaten sind die Interdienstleister längst von sich
aus bemüht, Filme möglichst schnell zu erkennen und den Zugang zu sperren.
Laut der Bundesregierung sei es bei dem Abendessen um „Internetbezogene
Sicherheitsaufgaben im Kontext der Beziehungen zu Großunternehmen der
Internet-Branche“ gegangen (Bundestagsdrucksache 18/3236). Auch „Verfah-
rensanforderungen“ seien erörtert worden. Außer „Möglichkeiten der Verhinde-

Drucksache 18/3465 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
rung der Verbreitung von Hinrichtungsbildern für Propagandazwecke“ sei auch
die Nutzung von Accounts in sozialen Netzwerken Thema gewesen. Das Treffen
habe der „Vertrauensbildung und Schaffung von Transparenz“ gedient.
Das BMI ist auch an weitergehenden Initiativen beteiligt. Hierzu gehört die Teil-
nahme an einer Arbeitsgruppe mit Innenministerien aus Österreich, der
Schweiz, Liechtenstein und Luxemburg. Im Ergebnis hieß es, dass noch im Jahr
2014 ein „Workshop zur Erarbeitung von Präventionsvideos“ in Wien veranstal-
tet werden soll. Auch Deutschland will sich ausweislich einer Mitteilung des In-
nenministeriums Österreichs (27. Oktober 2014) daran beteiligen. Allerdings
hat sich auch diese Arbeitsgruppe nicht nur mit Gegenpropaganda befasst. Denn
laut der österreichischen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sei es vor allem
darum gegangen, dass „terroristische Inhalte möglichst rasch aus dem Internet
genommen werden, um keinen Keim zu säen“. In der gleichen Pressemitteilung
ist davon die Rede, dass Johanna Mikl-Leitner hierzu das „Google Entwick-
lungszentrum Zürich“ besucht habe, das als der „größte Entwicklungsstandort
der Firma außerhalb der USA“ beschrieben wird. Die Innenministerin habe sich
dort angesehen, „an welchen Entwicklungen Google-Experten arbeiten, um ver-
hetzende Inhalte zu erkennen“.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie ist es konkret gemeint, wenn der Bundesinnenminister fordert, „der Pro-

paganda von Islamisten mit einer Aufklärungsoffensive zu begegnen“?
2. Auf welche belastbaren Erkenntnisse stützt der Bundesinnenminister seine

Aussage, „Islamisten wie jene von der Terrormiliz“ hätten „bei der Propa-
ganda im Internet erheblichen Vorsprung“?

3. Auf welche Weise soll dieser „Vorsprung“ durch „eine Art Gegenoffensive“
wettgemacht werden?

4. Auf welche Weise könnte die Bundeszentrale für politische Bildung mit die-
ser Aufgabe betraut werden?
a) Welche Gespräche mit welchem Ergebnis haben hierzu bereits stattgefun-

den?
b) Inwiefern hat sich das BMI ausbedungen, entsprechende Publikationen

der Bundeszentrale für politische Bildung vor einer Veröffentlichung frei-
zugeben?

5. Welche (auch konkurrierenden) Vorschläge kursieren innerhalb der G6 bzw.
„G6+1“ zu Möglichkeiten, „terroristische Onlineaktivitäten“ zu stoppen und
unliebsame Inhalte zu löschen?

6. Was ist damit gemeint, wenn der Bundesinnenminister erklärt, die „G6+1“
hätten „verabredet, dass wir in einem strukturierten Dialog mit den großen
Netzbetreibern erreichen wollen, dass sie aus eigenem Interesse diese Quelle
des digitalen Dschihad dadurch austrocknen“?

7. Welche Verfahren und Kriterien hält die Bundesregierung für geeignet, ent-
sprechende Inhalte zu erkennen und diese „selbst aus dem Netz [zu] entfer-
nen“?
a) Welche Gespräche haben Bundesbehörden hierzu mit welchen Firmen ge-

führt?
b) Inwiefern hat sich aus den Gesprächen mittlerweile eine Zusammenarbeit

ergeben?
8. Welche (auch konkurrierenden) Vorschläge kursieren nach Kenntnis der

Bundesregierung auf Ebene der EU-Innenminister zu Möglichkeiten, „terro-
ristische Onlineaktivitäten“ zu stoppen und unliebsame Inhalte zu löschen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3465
9. Inwiefern haben die innerhalb der „G6+1“ und auf Ebene der EU-Innen-
minister kursierenden Vorschläge nach Kenntnis der Bundesregierung ge-
genüber den Internetdienstleistern lediglich Appellcharakter, und inwiefern
sollen die Vorschläge auch in neue Regulierungen oder Gesetzesinitiativen
münden?

10. Was ist der Bundesregierung über Ziel, Zweck und Teilnehmende eines „EU
Syria Strategic Communications Advisory Teams“ (SSCAT) bekannt?

11. An welchen Maßnahmen des „Operational Action Plan 2014“ sowie „Ope-
rational Action Plan 2015“ im Rahmen des „EU Policy Cycle for organised
and serious international crime“, die eine Überwachung des Internets oder
einer Analyse von dessen Inhalten zum Ziel haben, nehmen welche Bundes-
behörden als Leader, Co-Leader bzw. Teilnehmende teil (bitte für jedes Pro-
jekt den Status der Behörden darstellen)?

12. Welches konkrete Ziel verfolgen die einzelnen Projekte?
13. Was ist der Bundesregierung über Anstrengungen der EU-Agentur Eurojust

zum Phänomen „ausländischer Kämpfer“ bekannt, welchen Inhalt und Ziel
haben entsprechende Projekte, und inwiefern nehmen Bundesbehörden da-
ran teil?

14. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, ob bzw. inwiefern andere
EU-Mitgliedstaaten, Drittstaaten oder EU-Agenturen hinsichtlich der Maß-
nahmen gegen „ausländische Kämpfer“ auch eine Überwachung und bzw.
oder Verfolgung kurdischer Gruppen (etwa der PKK) anstreben?

15. Inwiefern ist die Bundesregierung der Ansicht, dass kurdische Kämpfer in
Syrien ebenfalls als „ausländische Kämpfer“ betrachtet werden könnten,
mithin unter die in Rede stehenden Maßnahmen fallen könnten?

16. Welche Defizite sieht die Bundesregierung in der bereits existierenden Pra-
xis von Internetkonzernen, wie Twitter, Google, Microsoft und Facebook,
Inhalte, die gewaltverherrlichend sind, ohne Aufforderung durch Behörden
zu sperren und/oder zu löschen?

17. Welchem Zweck dienten nach Kenntnis der Bundesregierung ein oder meh-
rere Treffen der EU-Innenminister im November 2014 mit den Internetkon-
zernen Twitter, Google, Microsoft und Facebook sowie der Europäischen
Kommission zu einem informellen Abendessen?
a) Was ist damit gemeint, wenn die Bundesregierung zu Inhalten des

Abendessens erklärt, es habe sich um „Internetbezogene Sicherheitsauf-
gaben im Kontext der Beziehungen zu Großunternehmen der Internet-
Branche“ gehandelt (Bundestagsdrucksache 18/3236)?

b) Welche konkreten „Verfahrensanforderungen“ sind erörtert worden?
c) Welche „Möglichkeiten der Verhinderung der Verbreitung von Hinrich-

tungsbildern für Propagandazwecke“ sind erörtert worden?
d) Auf welche Weise war die Nutzung von Accounts in sozialen Netzwer-

ken Thema?
18. Welche Vorschläge haben die Beteiligten des Treffens der EU-Innenminis-

ter im November 2014 mit den Internetkonzernen Twitter, Google, Mi-
crosoft und Facebook sowie der Europäischen Kommission gemacht?
a) Welche konkreten „Instrumente und Techniken“ könnten demnach ent-

wickelt werden, um „terroristischen Onlineaktivitäten“ entgegenzutre-
ten?

b) Was ist der Bundesregierung aus den Gesprächen oder sonstigen Er-
kenntnissen darüber bekannt, in welchem Umfang die Internetanbieter

Drucksache 18/3465 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
schon jetzt Videos von Enthauptungen oder anderen Gräueltaten automa-
tisiert erkennen können?

c) Was ist der Bundesregierung aus den Gesprächen oder sonstigen Er-
kenntnissen darüber bekannt, in welchem Umfang die Internetanbieter
schon jetzt Videos von Enthauptungen oder anderen Gräueltaten sper-
ren?

19. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Gesprächen,
und welche „Instrumente und Techniken“, um „terroristischen Onlineakti-
vitäten“ entgegenzutreten, hält sie selbst für geeignet?

20. Welchen Inhalt haben Initiativen des BMJ mit Innenministerien aus Öster-
reich, der Schweiz, Liechtenstein und Luxemburg zu „terroristischen On-
lineaktivitäten“?

21. Inwiefern trifft eine Darstellung des österreichischen Innenministeriums zu,
dass es bei einem Treffen bzw. einer Arbeitsgruppe vor allem darum gegan-
gen sei bzw. gehe, dass „terroristische Inhalte möglichst rasch aus dem In-
ternet genommen werden“?

22. Welche Maßnahmen wurden hierfür verabredet?
23. Welche weiteren Teilnehmenden waren bei Treffen vertreten bzw. sollen zu

zukünftigen Treffen eingeladen werden?
24. Inwiefern haben auch Angehörige von Bundesbehörden das „Google Ent-

wicklungszentrum Zürich“ besucht bzw. wurden mit welchem Inhalt über
Ergebnisse eines Besuchs der österreichischen Innenministerin unterrich-
tet?

25. Inwiefern hält es die Bundesregierung für notwendig oder überhaupt mög-
lich, auf EU-Ebene eine Stelle zur Vereinfachung der Löschung „terroris-
tischer Internetinhalte“ einzurichten, und welche eigenen Aktivitäten ent-
faltet sie hierzu?

26. Was ist der Bundesregierung über Investitionen der Europäischen Kommis-
sion in entsprechende Anstrengungen hierzu bekannt, und welche Institu-
tionen oder Mitgliedstaaten profitieren hiervon?

27. Inwiefern werden auf EU-Ebene nach Kenntnis der Bundesregierung auch
Initiativen entwickelt, internetbasierte Beweise hinsichtlich „ausländischer
Kämpfer“ zu sammeln und bzw. oder zu verarbeiten?

28. Welche Kooperationen welcher Agenturen (etwa Europol, Eurojust) werden
nach Kenntnis der Bundesregierung mit welchen EU-Mitgliedstaaten und
bzw. oder Drittstaaten hierzu angestrebt bzw. bereits praktiziert (etwa Bal-
kanländer, Marokko, Türkei, Vereinigte Arabische Emirate, USA, andere
Schengen-Partner)?

Berlin, den 2. Dezember 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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