BT-Drucksache 18/3316

Finanzielle Anerkennung von NS-Unrecht für sowjetische Kriegsgefangene

Vom 25. November 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3316
18. Wahlperiode 25.11.2014
Antrag
der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens,

-Unrecht für sowjetische Kriegsgefangene

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die sowjetischen Kriegsgefangenen gehören zu den von der rassistisch motivierten
Vernichtungspolitik der Nazis besonders betroffenen Gruppen. Dennoch ist diese
Gruppe bis heute von jeglicher Form der materiellen Entschädigung ausgenommen
worden, eine Tatsache, die aus Sicht des Bundestages beschämend ist.
Von mehr als fünf Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, die nach dem deut-
schen Überfall im Juni 1941 in deutsche Kriegsgefangenschaft gerieten, starben zwei
Millionen bereits in den ersten Monaten in den von der Wehrmacht besetzten Gebie-
ten. Ursächlich hierfür war nicht in erster Linie die schlechte Ernährungslage, son-
dern es handelte sich um eine gezielte Politik der Naziführung, die den Krieg im
Osten generell und den Krieg gegen die Sowjetunion im Besonderen als Vernich-
tungskrieg führte und eine gezielte Dezimierung der als „rassisch minderwertig“ er-
achteten „Slawen“ herbeiführen wollte. Als „kalkulierte Morde“ beschreibt der His-
toriker Christian Gerlach den Umgang der Wehrmacht und der NS-Führung mit den
sowjetischen Kriegsgefangenen und zitiert den Generalquartiermeister der Wehr-
macht, Eduard Wagner, mit den Worten: „Nichtarbeitende Kriegsgefangene haben
zu verhungern.“ (Christian Gerlach, Kalkulierte Morde, Hamburg 1998, S. 801) Der
Raub- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion setzte alle bis dahin geltenden
zivilisatorischen Standards sowie die Haager Landkriegsordnung außer Kraft.
Mit der für die NS-Führung unerwarteten Verlängerung des Krieges wurden sowje-
tische Kriegsgefangene hunderttausendfach ins Deutsche Reich deportiert, um dort
unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit zu leisten. Millionen Zivilisten
aus der Sowjetunion wurden ebenfalls zur Zwangsarbeit nach Deutschland ver-
schleppt.
Die Zustände in den Durchgangs- und Stammlagern (Dulags, Stalags) der sowjeti-
schen Kriegsgefangenen waren furchtbar. Jeglicher rechtlicher Schutz, der den
Kriegsgefangenen nach den Genfer Konventionen zugestanden hätte, wurde den
sowjetischen Kriegsgefangenen verweigert, womit die rassistisch motivierte und
letztlich auf Vernichtung zielende Absicht der Nazis deutlich wurde. Bei geringsten
Essensrationen und schwerster körperlicher Arbeit starben weitere 1,3 Millionen
Menschen.
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Drucksache 18/3316 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Die nach der Befreiung in die Sowjetunion zurückgekehrten überlebenden sowjeti-
schen Kriegsgefangenen waren in ihrer Heimat häufig neuen Repressalien ausge-
setzt, galten viele unter Stalin doch als „Vaterlandsverräter“ und wurden teilweise
unter den Verdacht der Kollaboration mit den Nazis gestellt.
Eine Entschädigung für das erlittene NS-Unrecht hat die große Mehrzahl der sowje-
tischen Kriegsgefangenen nicht erhalten. Von der Zwangsarbeiterentschädigung, die
über die Einrichtung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ (EVZ) im
Jahr 2000 abgewickelt wurde, wurden Kriegsgefangene pauschal ausgenommen,
womit diese von der Vernichtungspolitik der Nazis mit am meisten betroffene
Gruppe ohne jede Form der finanziellen Entschädigung geblieben ist.
Die Unterbringung und Behandlung der zur Zwangsarbeit gezwungenen sowjeti-
schen Kriegsgefangenen entsprach nach allgemeiner Auffassung den Zuständen, wie
sie in Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nazis vorherrschten. Im Rahmen
der Zwangsarbeiterentschädigung über die EVZ wurde die Höhe der Entschädigung
in drei Kategorien unterteilt, die sich nach der Schwere der Bedingungen unter-
schied. Für die Unterbringung in Konzentrationslagern, Ghettos oder ähnlichen
Haftanstalten wurde eine Entschädigung von bis zu 7.670 € gewährt. Nach Auffas-
sung des Bundestages sollte es hier zu keiner Schlechterstellung der Gruppe der ehe-
maligen sowjetischen Kriegsgefangenen kommen, die bis heute auf jede Form der
Entschädigung warten musste und von der nur noch wenige Überlebende unter uns
sind.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den noch lebenden sowjetischen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs eine
einmalige individuelle Anerkennung für erlittenes Unrecht in Höhe von 7.670 €
im Rahmen einer außergesetzlichen Regelung zu verschaffen und

2. die notwendigen Mittel für diese Anerkennung von Unrecht in den Bundeshaus-
halt einzustellen und die Auszahlung dieser Mittel über die Stiftung „Erinne-
rung, Verantwortung, Zukunft“ abzuwickeln.

Berlin, den 24. November 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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