BT-Drucksache 18/3167

Position der Bundesregierung zu den Verhandlungen und Ergebnissen für eine neue EU-Energie- und Klimastrategie

Vom 5. November 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3167
18. Wahlperiode 05.11.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Annalena Baerbock, Sven-Christian Kindler, Bärbel Höhn,
Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Matthias Gastel, Sylvia Kotting-Uhl, Christian
Kühn (Tübingen), Steffi Lemke, Peter Meiwald, Claudia Roth (Augsburg) und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Position der Bundesregierung zu den Verhandlungen und Ergebnissen für eine
neue EU-Energie- und Klimastrategie

Am 23. und 24. Oktober 2014 verhandelten die europäischen Staats- und Regie-
rungschefs auf dem Europäischen Rat die energie- und klimapolitische Strategie
der Europäischen Union (EU) bis zum Jahr 2030. Die Ergebnisse sind auch das
Verhandlungsmandat für die kommenden VN-Konferenzen zu einem neuen in-
ternationalen Klimavertrag. Zentrale Inhalte der EU-Energie- und Klimastrate-
gie sind das verbindliche EU-weite Ziel der Treibhausgasreduktion um mindes-
tens 40 Prozent im Vergleich zu 1990, die in der EU selbst erfüllt werden sollen
sowie ein Ziel für den Ausbau der erneuerbaren Energien von 27 Prozent, das
nicht auf verbindliche Ziele für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf-
geteilt werden soll und ein nur unverbindliches indikatives Ziel für Energieein-
sparung ebenfalls in Höhe von 27 Prozent. Hinsichtlich der Weiterentwicklung
des europäischen Emissionshandels (ETS) haben sich die Staats- und Regie-
rungschefs konkret lediglich darauf verständigt, dass der lineare Reduktionsfak-
tor ab dem Jahr 2020 auf 2,2 Prozent gesenkt werden soll.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie will die Bundesregierung mit einem Treibhausgasreduktionsziel um 40 Pro-

zent bis zum Jahr 2030 gewährleisten, dass die EU ihrem Versprechen, bis
zum Jahr 2050 80 bis 95 Prozent CO2 einzusparen, gerecht wird?

2. Worin sieht die Bundesregierung – vor dem Hintergrund, dass bei einem
20-Prozent-Ziel bis zum Jahr 2020 zehn Jahre später der Anteil erneuerbarer
Energien nach Einschätzung der Fragesteller vermutlich automatisch höher
liegen wird – die Ambition eines Erneuerbaren-Ziels von 27 Prozent, das au-
ßerdem nicht in verbindliche Ziele für die Mitgliedstaaten der Europäischen
Union übersetzt werden soll?

3. Welche Prognosen und Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die mög-
liche Arbeitsplatzentwicklung im Bereich der Energieeffizienz unter einer in-
dikativen Zielformulierung im Vergleich zu dem im Impact Assessment der
Europäischen Kommission und weiteren Studien prognostizierten Arbeits-
platzpotenzial durch ein verbindliches Ziel für Energieeffizienz?

Drucksache 18/3167 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
4. Teilt die Bundesregierung die Besorgnis der Fragsteller, dass aufgrund der
relativ niedrigen und unverbindlichen Zielvereinbarungen für den Ausbau
der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz die europäische Import-
abhängigkeit von fossilen Energieträgern weiterhin hoch bleibt oder zuneh-
men wird, und welche Auswirkungen hat dies nach Einschätzung der Bun-
desregierung für die Staatshaushalte der Mitgliedstaaten der Europäischen
Union, insbesondere der Krisenländer und Länder mit einem unterdurch-
schnittlichen Bruttoinlandsprodukt?

5. Teilt die Bundesregierung die Besorgnis der Fragsteller, dass aufgrund der re-
lativ niedrigen und unverbindlichen Zielvereinbarungen für den Ausbau der
erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz die europäische Import-
abhängigkeit von fossilen Energieträgern nicht, wie in der Antwort der Bun-
desregierung auf die Kleine Anfrage „Situation der Erdgasversorgung vor
dem Hintergrund der Ukraine-Krise“ (Bundestagsdrucksache 18/3111) dar-
gestellt, um 2,6 Prozent reduziert wird, sondern steigen könnte, wodurch die
europäische Wettbewerbsfähigkeit geschwächt und die Importabhängigkeit
zunehmen könnte, und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus für die
europäische Zielvereinbarung und die Umsetzung der Energieeffizienzricht-
linie in Deutschland?

6. Wie passt nach Einschätzung der Bundesregierung das Ziel von 10 Prozent
Stromverbund (Interkonnektivität) bis zum Jahr 2020 zu dem Ziel einer ge-
meinsamen Energieunion, welche auf einer stärkeren Vernetzung der natio-
nalen Energiemärkte basieren müsste, und welche Schlussfolgerungen zieht
die Bundesregierung aus den Ratsschlussfolgerungen für Deutschlands
Stromverbund mit seinen Nachbarländern?

7. Welche Interessenvertreter haben im Vorfeld des Europäischen Rates beim
Bundeskanzleramt und beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
vor den negativen wirtschaftlichen Konsequenzen einer Umsetzung der ur-
sprünglichen Kommissionsvorschläge zur europäischen Energie- und Klima-
politik bis zum Jahr 2030 gewarnt und sich entsprechend für geringere Ziele
eingesetzt, und inwieweit hat die Bundesregierung ggf. einzelne Einwände
als gerechtfertigt angesehen (bitte aufgeschlüsselt darstellen und die Korres-
pondenz der verschiedenen Akteure beifügen)?

8. Teilt die Bundesregierung die Besorgnis der Fragesteller, dass die jüngsten
Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, wonach die Staats- und Regie-
rungschefs im Europäischen Rat alle Aspekte des Rahmens zur Klima- und
Energiepolitik fortdauernd prüfen und weiterhin gegebenenfalls strategische
Leitlinien vorgeben werden, insbesondere was den Konsens über vom Emis-
sionshandelssystem erfasste Sektoren, nicht unter das ETS fallende Sektoren,
den Verbund und die Energieeffizienz anbelangt, eine Abschwächung der
Integrationsdichte in diesem Politikfeld bewirken könnten, und wenn nein,
warum nicht?

9. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass durch die Schlussfolgerun-
gen des jüngsten Europäischen Rates, wonach die Staats- und Regierungs-
chefs im Europäischen Rat alle Aspekte des Rahmens zur Klima- und Ener-
giepolitik fortdauernd prüfen und weiterhin gegebenenfalls strategische
Leitlinien vorgeben werden, insbesondere was den Konsens über vom ETS
erfasste Sektoren, nicht unter das ETS fallende Sektoren, den Verbund und
die Energieeffizienz anbelangt, nicht das organisationsrechtliche Kompe-
tenzgefüge der Europäischen Union unterlaufen wird, indem sie durch zu
enge Vorgaben den Gestaltungsspielraum, der nach den europäischen Verträ-
gen dem Ministerrat zusteht, vertragswidrig beschränken?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3167
10. Schlussfolgert die Bundesregierung aus der Formulierung zum Konsens-
prinzip für alle Aspekte des Rahmens für die Klima- und Energiepolitik und
insbesondere für den ETS-Sektor, den Nicht-ETS-Sektor, den Verbund und
die Energieeffizienz in den Schlussfolgerungen des jüngsten Europäischen
Rates, dass es auf Ministerebene nicht möglich ist, in diesen Politikfeldern
zu kohärenten und verbindlichen Beschlüssen zu kommen, und wenn nein,
warum nicht?

11. Geht die Bundesregierung davon aus, dass durch die engen Vorgaben des
Europäischen Rates für die Klima- und Energiepolitik und die Festschrei-
bung des Konsensprinzips in den Ratsschlussfolgerungen die Regelungen
in den Verträgen zur qualifizierten Mehrheit faktisch unterlaufen werden
könnten?

12. Mit welchen Wünschen, Vorstellungen und Forderungen bezüglich der Re-
form des europäischen Emissionshandels und begleitender neuer Carbon-
Leakage-Regelungen haben sich im Vorfeld der Europäischen Rates Inte-
ressenvertretungen der deutschen Stahlindustrie an die Bundesregierung ge-
wandt, und welche Schlussfolgerungen zog die Bundesregierung hieraus?

13. Welche Interessenvertreter haben im Vorfeld des Europäischen Rates beim
Bundeskanzleramt und beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
vor den aus ihrer Sicht negativen wirtschaftlichen Konsequenzen gewarnt,
die durch eine strukturelle Reform des Emissionshandels entstehen würden,
und sich insbesondere für eine frühzeitige Festschreibung einer Beibehal-
tung des Systems der kostenfreien Zuteilung von Emissionszertifikaten ein-
gesetzt, und inwieweit hat die Bundesregierung ggf. einzelne Eingaben als
gerechtfertigt angesehen bzw. sieht diese als gerechtfertigt an (bitte aufge-
schlüsselt darstellen und die Korrespondenz der verschiedenen Akteure bei-
fügen)?

14. Auf welche Szenarien und Prognosen bezüglich einer vermeintlichen Pro-
duktionsverlagerung durch deutsche und europäische Klimapolitik stützt
und stützte sich die Bundesregierung während der Verhandlungen über eine
neue Carbon-Leakage-Liste und zur Reform des europäischen Emissions-
handels, und wo können die Szenarien und Prognosen eingesehen werden?

15. Unterstützt die gesamte Bundesregierung die öffentlichen Äußerungen der
Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit,
Barbara Hendricks, nach ihrem Treffen mit der Green Growth Group,
wonach eine Reform des Emissionshandels samt Marktstabilitätsreserve
weiterhin vor 2020 beschlossen werden soll (www.businessweek.com vom
28. Oktober 2014 „U. K. and Germany See Good Chances of Early EU Car-
bon Fix“), und wenn ja, welchen Zeitrahmen für die Verhandlungen und den
Beschluss sieht die Bundesregierung?

16. Plant die Bundesregierung, dem Beispiel anderer Länder zu folgen und ei-
nen Mindestpreis für CO2 einzuführen?

17. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über Vorschläge zu möglichen
europäischen Allianzen von EU-Mitgliedstaaten für die koordinierte Ein-
führung eines CO2-Mindestpreises sowie der dauerhaften Stilllegung von
Emissionszertifikaten (set-aside), und plant die Bundesregierung in diese
Richtung tätig zu werden?

18. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob eine Nichtentnahme der über-
schüssigen Emissionshandelszertifikate (Schätzungen gehen inzwischen
von 2,6 bis 4,5 Milliarden Zertifikaten aus) dazu führen kann, dass das vom
Europäischen Rat beschlossene Emissionsreduktionsziel von 40 Prozent um-
terminiert wird und eher mit einer Emissionsreduktion von nur 24 bis 31 Pro-

Drucksache 18/3167 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
zent bis zum Jahr 2030 zu rechnen ist, und wenn ja, welche Schlussfolge-
rungen zieht sie daraus?

19. Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass bei dem neu zu schaf-
fenden Fonds zur Modernisierung der Energiesysteme von EU-Mitglied-
staaten (siehe Punkt 2.7 der Ratsschlussfolgerungen) Kriterien entwickelt
werden, die den Neubau von Kohle- und Atomkraftwerken oder deren be-
nötigte Infrastruktur ausschließen, und wenn nein, warum nicht?

20. Wird nach Einschätzung der Bundesregierung die Ausweitung der NER300-
Fazilität um 100 Millionen zusätzliche Zertifikate auf NER400, durch die
auch Projekte zur CO2-Abscheidung und -Speicherung gefördert werden, zu
neuen CCS-Projektvorhaben (CCS – Carbon Dioxide Capture and Storage;
Abtrennung und Speicherung von CO2) in Deutschland führen, und wird es
nach Einschätzung der Bundesregierung diesbezüglich Bestrebungen geben,
den gesetzlichen Rahmen zur Demonstration und dauerhaften Speicherung
von CO2 in Deutschland auszuweiten?

21. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Ratsschluss-
folgerungen zur Reform des Emissionshandels ab 2021 für die Preisent-
wicklung von Emissionszertifikaten in Deutschland und daraus folgend für
die Zukunft und Ausstattung des Energie- und Klimafonds (EKF), und in
welcher Größenordnung plant die Bundesregierung, künftige mögliche Ein-
nahmeverluste des EKF weiter mit Steuergeldern auszugleichen?

22. Hält die Bundesregierung im Rahmen der weiteren europäischen Verhand-
lungen zur Reform des ETS daran fest, die aktuelle Backloading-Menge von
900 Millionen Zertifikaten direkt in ein Instrument zur Stabilisierung des
Marktes zu überführen?

23. Warum hat die Bundesregierung einer in den Ratsschlussfolgerungen ge-
nannten Absicht zur Ausweitung der Verfügbarkeit von flexiblen Instru-
menten im Nicht-ETS-Sektor zugestimmt, und betrachtet sie dies ggf. als
eine geeignete Möglichkeit, auch auf diese Weise Emissionsminderungen
im Nicht-ETS-Sektor in Deutschland zu erreichen?

24. Wie werden sich nach Einschätzung der Bundesregierung die Programm-
ausgaben der EKF-Titel durch eine verspätete Reform des Emissionshan-
dels entwickeln, und welches Ausgabenvolumen erwartet die Bundesregie-
rung vor diesem Hintergrund für den EKF für den Zeitraum bis 2021 insge-
samt?

25. Plant die Bundesregierung mögliche Einnahmeausfälle im EKF, die durch
eine weitere Absenkung des Preisniveaus bei CO2-Zertifikaten eintreten
könnten, ausschließlich und in vollem Umfang durch den mit dem Zweiten
Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens
„Energie- und Klimafonds“ (Zweites EKF-Änderungsgesetz) eingeführten
Zuschuss aus dem Bundeshaushalt zu kompensieren?
Wenn nein,
a) ist eine Obergrenze für den Zuschuss aus dem Bundeshaushalt vorgese-

hen, und wenn ja, wie hoch ist dieser angesetzt,
b) welche Maßnahmen sieht die Bundesregierung als Alternative zum Zu-

schuss aus dem Bundeshaushalt vor,
c) unter welchen Voraussetzungen würde die in § 4 Absatz 4 des Geset-

zes zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“
(EKFG) vorgesehene Option eines vollständig zurückzuzahlenden Liqui-
ditätsdarlehens zur Anwendung kommen, obwohl mit dem Zweiten EKF-
Änderungsgesetz die bislang bindende Obergrenze von 225 Mio. Euro
für eine Zuweisung aus dem Bundeshaushalt aufgehoben wurde,

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/3167
d) wird eine dauerhafte Rückverlagerung einzelner Programmtitel in den
Bundeshaushalt in Erwägung gezogen,

e) wird eine Kürzung der Programmmittel infolge der Mindereinnahmen
aus dem CO2-Zertifikatehandel seitens der Bundesregierung generell
ausgeschlossen?

Berlin, den 5. November 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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