BT-Drucksache 18/3155

Die gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Behinderung menschenrechtskonform gestalten

Vom 12. November 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3155
18. Wahlperiode 12.11.2014
Antrag
der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Corinna Rüffer, Elisabeth
Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe, Dr. Franziska Brantner,
Ekin Deligöz, Katja Dörner, Kai Gehring, Markus Kurth, Beate Müller-Gemmeke,
Tabea Rößner, Ulle Schauws, Doris Wagner, Beate Walter-Rosenheimer und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Behinderung
menschenrechtskonform gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In Deutschland leben immer mehr Menschen mit Behinderung. Der demografische
Wandel wird diesen Trend noch verstärken, denn mit zunehmendem Alter sind im-
mer mehr Menschen in ihrer Teilhabe beeinträchtigt, erkranken chronisch oder es
entsteht Pflegebedarf. Unabhängig vom Alter steigt auch die Zahl der Menschen mit
psychischen Erkrankungen. Diese Personengruppen sind genau wie Menschen, die
mit einer Beeinträchtigung auf die Welt kommen oder diese früher im Leben erwer-
ben, häufiger auf Leistungen des Gesundheitssystems angewiesen als andere Men-
schen. Zudem benötigen sie häufig eine intensivere und spezifische Behandlung und
verschiedene Formen der Unterstützung, um Leistungen des Gesundheitswesens in
Anspruch nehmen zu können. Wer anders als die Mehrheit der Patientinnen und Pa-
tienten kommuniziert – zum Beispiel in Gebärdensprache oder Leichter Sprache –
oder sich anders als die große Mehrheit der Patientinnen und Patienten verhält, kann
oftmals nicht damit rechnen, entsprechend gut versorgt zu werden. Wechselwirkun-
gen zwischen akuten und chronischen Erkrankungen oder in Kombination auftre-
tende Beeinträchtigungen machen eine gute gesundheitliche Versorgung besonders
anspruchsvoll.
Artikel 25 der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK),
von Deutschland im Jahr 2009 ratifiziert, verpflichtet die Vertragsstaaten, das Recht
behinderter Menschen auf gleichen und diskriminierungsfreien Zugang zu allen all-
gemeinen Diensten des Gesundheitssystems zu sichern. Darüber hinaus sind speziell
auf die jeweiligen Beeinträchtigungen beziehungsweise Erkrankungen ausgerichtete
Angebote zu garantieren. Diese Dienstleistungen müssen unentgeltlich bzw. zu er-
schwinglichen Konditionen angeboten werden. Artikel 26 UN-BRK schreibt das
Recht auf Habilitation (Erwerb von Fähigkeiten) und Rehabilitation fest.
Das Erste, Fünfte und Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB I, SGB V, SGB IX)
enthalten bereits einige Vorgaben zur Erbringung von Leistungen der Gesundheits-
versorgung für Menschen mit Behinderung. In der Praxis vor Ort fällt jedoch immer
wieder auf, dass die Umsetzung dieser Regelungen Probleme bereitet oder gar nicht

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erst stattfindet. Eine wesentliche Ursache dafür ist die Ausrichtung der gesundheit-
lichen Versorgung und der Finanzierung des Gesundheitssystems an Einzelleistun-
gen und an der kurzfristigen Behandlung von Krankheitssymptomen. Dies verhin-
dert die Betrachtung der langfristigen Entwicklung der Situation des bzw. der Be-
troffenen und die Ausrichtung auf ein möglichst gutes Leben mit der Beeinträchti-
gung. Eine weitere maßgebliche Ursache ist die Konzentration auf einzelne Diszip-
linen und Sektoren. Gesetzliche Regelungen laufen auch deshalb oft ins Leere, weil
sich die Krankenkassen, andere Rehabilitationsträger und Leistungserbringer unei-
nig sind, wer eine bestimmte Leistung finanziert und durchführt. Unter anderem las-
sen sich folgende Bereiche identifizieren, in denen erheblicher Verbesserungsbedarf
besteht:
a) Nur ein kleiner Teil der Praxen niedergelassener Ärztinnen und Ärzte bzw. The-

rapeutinnen und Therapeuten ist baulich und technisch barrierefrei. Die weitaus
größere Zahl der Praxen ist für die meisten Menschen mit Mobilitätseinschrän-
kungen nicht problemlos zugänglich. Die Sicherstellung der ambulanten medi-
zinischen Versorgung, zu der die kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen gesetz-
lich verpflichtet sind, wird damit für eine relevante und wachsende Personen-
gruppe nicht erfüllt.

b) In nur wenigen Praxen bzw. Krankenhäusern findet sich Personal, das über
Kompetenzen in der Kommunikation mit Menschen mit einer kommunikativen
Behinderung verfügt.

c) Barrierefreie Informationen zu Gesundheitsleistungen einschließlich Maßnah-
men der Prävention und Gesundheitsförderung liegen nicht in hinreichender
Qualität vor.

d) In Studium bzw. Aus-, Fort- und Weiterbildung der meisten Gesundheitsberufe
werden keine hinreichenden Fachkenntnisse zur Behandlung von behinderten
Menschen vermittelt, etwa in Bezug auf geistige Behinderung, schwere motori-
sche Einschränkungen, Mehrfachbehinderungen oder auch Pflegebedürftigkeit.

e) Für erwachsene Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung und mit
komplexen Bedarfslagen existieren keine adäquaten, spezialisierten Versor-
gungsangebote.

f) Es fehlen Angebote der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention, die gezielt an
den Bedarfen von Menschen mit Behinderung ausgerichtet sind.

g) Nach wie vor gibt es zahlreiche Schnittstellenprobleme und Fehlanreize in der
Umsetzung des Prinzips Rehabilitation vor Pflege.

h) Zur Vermeidung von behinderungsbedingten Folge- und Begleiterkrankungen
benötigen Menschen mit Behinderung in vielen Fällen Medikamente, deren
Kosten nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übernommen
werden.

i) Die Heilmittelversorgung gestaltet sich in manchen Regionen sehr restriktiv, da
zu viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte schlecht über die Ausnahmen bei
Richtgrößen zur Heilmittelverordnung informiert sind.

j) Die Hilfsmittelversorgung von Menschen mit Behinderung erfolgt mitunter we-
der zeitnah noch transparent. Die Unterscheidung von unmittelbarem und mit-
telbarem Behinderungsausgleich steht im Widerspruch zu dem in der UN-Be-
hindertenrechtskonvention formulierten Recht auf volle und wirksame Teilhabe.

k) Gesetzesänderungen, die Barrieren abbauen oder die medizinische Versorgung
von Menschen mit Behinderung verbessern, werden häufig nur sehr schleppend
umgesetzt. Eine Ursache ist nach Aussage der Beteiligten, dass den Gremien der
gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzteschaft, Krankenhäusern und Kranken-
kassen zumeist klare Fristen des Gesetzgebers hierzu fehlten.

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l) Viele der beschriebenen Defizite können nach Meinung von Expertinnen und

Experten ohne eine Ausweitung des Leistungskatalogs der GKV beseitigt wer-
den, teilweise genügen Änderungen in Verfahrensweisen. Die Umsetzung der
gesetzlichen Vorgaben käme dabei nicht nur Menschen mit Behinderung zu
Gute: Auch ältere Menschen, Familien oder Schwangere profitieren von baulich
und technisch barrierefreien Praxen. Höhere Kompetenzen des medizinischen
Personals, sich in einfacher Sprache auszudrücken, führen zu einer verbesserten
Kommunikation mit Menschen mit geringen Deutschkenntnissen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die Gesundheitsversorgung im Sinne der Artikel 25 und 26 UN-BRK umzugestalten.
Insbesondere ist es hierzu erforderlich,
1. alle Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften, die Leistungsansprü-

che und die Organisation der Gesundheitsversorgung regeln, auf noch beste-
hende Widersprüche zum SGB IX und zur UN-BRK zu überprüfen und identi-
fizierte Widersprüche im Sinne der Menschen mit Behinderung zu beseitigen;

2. bei den Ländern auf eine Stärkung der Barrierefreiheit als Qualitätskriterium in
der Krankenhausplanung hinzuwirken, bei der Selbstverwaltung darauf hinzu-
wirken, dass in die Vorschriften zur vertragsärztlichen Bedarfsplanung konkrete
und nachhaltbare Zielvorgaben zum künftigen Anteil barrierefreier vertragsärzt-
licher Leistungserbringer aufgenommen werden und die Barrierefreiheit als ver-
bindliches Kriterium bei der Neuzulassung von vertragsärztlichen Leistungser-
bringern und Heilmittelerbringern sowie bei der Präqualifizierung von Hilfsmit-
telerbringern eingestuft wird;

3. einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den den Krankenkassen im Fünften
Buch Sozialgesetzbuch die Möglichkeit eröffnet wird, ihren Versicherten ver-
tragsärztliche Leistungserbringer zu empfehlen, die in baulicher und fachlicher
Hinsicht für eine barrierefreie gesundheitliche Versorgung von Menschen mit
Behinderung geeignet sind;

4. darauf hinzuwirken, dass die für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesbe-
hörden sowie andere Anbieter barrierefrei erreichbare Informationen zu Ge-
sundheitsleistungen einschließlich Präventionsangeboten nach dem Zwei-
Sinne-Prinzip und in Leichter Sprache bereitstellen;

5. ein ausreichendes Angebot von Maßnahmen der Primär-, Sekundär- und Terti-
ärprävention, das sich an den besonderen Bedarfen von Menschen mit Behinde-
rung orientiert, sicherzustellen;

6. die besonderen Behandlungs-, Unterstützungs- und Betreuungsbedarfe von
Menschen mit Behinderung (stärker) in den Ausbildungscurricula aller Gesund-
heitsberufe zu verankern und entsprechende Fortbildungsangebote zu schaffen.
In den Verträgen nach § 73b SGB V (Hausarztzentrierte Versorgung) ist hierzu
die Verpflichtung zur ärztlichen Fortbildung zum fachlichen Umgang mit be-
hinderten Menschen vorzusehen;

7. darauf hinzuwirken, für besondere medizinische und psychologische bzw. psy-
chotherapeutische Versorgungsbedarfe von erwachsenen Menschen mit geisti-
ger und/oder mehrfacher Behinderung regionale medizinische Zentren zu schaf-
fen, die im entsprechend qualifizierten multiprofessionellen Team die erforder-
lichen Maßnahmen abstimmen und koordinieren und in einem gestuften Versor-
gungsmodell die normale haus- und fachärztliche Versorgung der Betroffenen
ergänzen. Bei der Entwicklung der Angebote ist insbesondere darauf zu achten,
bereits bestehende Versorgungsstrukturen zu nutzen bzw. auf diesen aufzu-
bauen;

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8. die medizinische Versorgung von Menschen mit Behinderung, so auch Pflege-

bedürftigen, wirksam zu verbessern, insbesondere durch die Stärkung und För-
derung integrierter Versorgungsmodelle und der Kooperation von Einrichtun-
gen mit ambulant tätigen Leistungserbringern in interdisziplinärer Arbeitstei-
lung;

9. in allen in Frage kommenden Sozialgesetzbüchern klarzustellen, dass auch die
Versorgung mit Hilfsmitteln zum mittelbaren Behinderungsausgleich dem Teil-
habeanspruch nach der UN-Behindertenrechtskonvention hinreichend Rech-
nung tragen muss und sich nicht auf die Bewältigung der für die Deckung des
physischen Existenzminimums notwendigen Aktivitäten beschränken darf;

10. auf verbindliche erweiterte Qualitätsstandards für Ausschreibungen in der Hilfs-
mittelversorgung hinzuwirken und zu diesem Zweck die Krankenkassen zu ver-
pflichten, Patientenbefragungen und Assessmentverfahren zur Hilfsmittelver-
sorgung durchzuführen;

11. gemeinsam mit den Ländern im Rahmen der Aufsicht über die Krankenkassen
darauf hinzuwirken, dass bei Hilfsmittelverträgen nach § 127 Absatz 1 und Ab-
satz 2 SGB V die gesetzlichen Vorgaben insbesondere zur notwendigen Bera-
tung der Versicherten sowie zur wohnortnahen Versorgung umgesetzt werden;

12. zu prüfen, ob die langfristige Genehmigung von Heilmitteln (nach dem GKV-
Versorgungsstrukturgesetz) durch die 2011 getroffene Vereinbarung nun unbü-
rokratisch und bedarfsgerecht umgesetzt wird, ansonsten Regelungen zur Ab-
hilfe zu treffen und bei der Selbstverwaltung auf eine Änderung der Heilmittel-
richtlinie hinzuwirken, die eine flexiblere Geltungsdauer von Verordnungen er-
möglicht;

13. beim Gemeinsamen Bundesausschuss darauf hinzuwirken, dass die Ausnahme-
liste der OTC-Medikamente (OTC = over the counter), die in bestimmten Fällen
die Verordnung von im Regelfall nicht zu Lasten der GKV verordnungsfähigen
Arzneimitteln regelt, auf mögliche Ergänzungen um Präparate zur Behandlung
von Folge- und Begleiterscheinungen von Behinderungen überprüft wird;

14. dem Bundestag einen Vorschlag für eine gesetzliche Regelung für eine präven-
tive zahnmedizinische Leistung gezielt für kognitiv und motorisch einge-
schränkte Menschen vorzulegen, mit deren konkreter Ausgestaltung auf dem
aktuellen evidenzbasierten Stand der zahnmedizinischen Wissenschaft der Ge-
meinsame Bundesausschuss zu beauftragen ist;

15. bei Krankenhäusern und Kostenträgern darauf zu dringen, dass das Entlassma-
nagement nach § 39 SGB V flächendeckend zu einem funktionierenden Fallma-
nagement beim Übergang vom Krankenhaus in die ambulante Versorgung aus-
gebaut wird, damit frühzeitig die notwendigen Leistungsanträge formuliert wer-
den und keine Versorgungslücken beim Übergang vom Krankenhaus in die am-
bulante Versorgung entstehen;

16. einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem der Haushaltsbegriff zur Gewährung
häuslicher Krankenpflege nach § 37 SGB V so geändert wird, dass die Kranken-
pflege auch in betreuten Wohngemeinschaften, neuen betreuten Wohnformen
und stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe erbracht werden kann;

17. einen Gesetzentwurf zur Änderung von § 43a SGB XI vorzulegen, um klarzu-
stellen, dass der Wohnort im rechtlichen Kontext der Behindertenhilfe (stationär
oder ambulant betreutes Wohnen) immer als eigene Häuslichkeit anzuerkennen
ist. Dadurch wird die Schlechterstellung von Menschen mit Behinderungen auf-
gehoben und den Betroffenen regelhafte Leistungen nach dem SGB XI (Soziale
Pflegeversicherung) für die häusliche Pflege zuerkannt;

18. die Regelungen des Assistenzpflegebedarfsgesetzes, die Menschen mit Behin-
derung berechtigen, sich durch eigene Assistenzpflegekräfte in Krankenhäusern

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und stationären Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen unterstützen zu las-
sen, über den Personenkreis hinaus auszuweiten, der Assistenzpflegekräfte nach
dem Arbeitgebermodell beschäftigt;

19. Regelungen zur wirkungsvollen Umsetzung des Prinzips „Rehabilitation vor
Pflege“ zu treffen;

20. Haushaltsmittel bereitzustellen, um die Versorgungsforschung über die medizi-
nische/gesundheitliche und pflegerische Versorgung speziell von Menschen mit
Behinderung zu fördern;

21. im Rahmen der Einführung einer Bürgerversicherung mittelfristig die Zuzah-
lungen nach § 61 SGB V abzuschaffen.

Berlin, den 11. November 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Zu Nummer 1

Der Gesetzgeber hat bereits zahlreiche Regelungen getroffen, um eine gute Versorgung behinderter und chro-
nisch kranker Menschen zu sichern: Mit dem Inkrafttreten des Neunten Buches Sozialgesetzbuch im Jahr 2001
wurde ein umfassender und ganzheitlicher Anspruch behinderter Menschen auf Leistungen zur Rehabilitation
und Teilhabe geschaffen. Entscheidende Elemente hierbei sind die Zusammenarbeit der verschiedenen Reha-
bilitationsträger sowie das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen. Im Fünften Buch Sozialgesetzbuch ver-
langt § 2a, dass „[d]en besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen […] Rechnung zu
tragen“ ist.

Im Ersten Buch Sozialgesetzbuch wurde die Pflicht der Leistungsträger verankert, Sozialleistungen in barrie-
refreien Gebäuden und Anlagen zu erbringen und auszuführen. Darüber hinaus besteht ein Anspruch auf den
Einsatz von Gebärdensprachdolmetscherinnen bzw. -dolmetschern, Schriftmittlerinnen bzw. -mittlern oder an-
deren Kommunikationshilfen.

Dennoch machen Betroffene immer wieder die Erfahrung, dass gesetzliche oder untergesetzliche Vorgaben,
die einem ganz anderen Zweck dienen, der angemessenen Versorgung von Menschen mit Behinderung im
Wege stehen.

Zu Nummer 2

In die Bedarfsplanungs-Richtlinie sollen Vorgaben zur Erhöhung des Anteils barrierefreier Leistungserbringer
anteilig für die jeweiligen Arztgruppen aufgenommen werden. Zudem muss das Kriterium der Barrierefreiheit
in § 26 Absatz 4 Nummer 3 der Richtlinie bei der (Neu-)Zulassung vertragsärztlicher Leistungserbringer ver-
bindlicher ausgestaltet werden. Auch in der Krankenhausplanung der Länder muss den Kriterien sowohl der
technisch-baulichen als auch kommunikativen Barrierefreiheit eine größere Bedeutung zukommen.

Zu Nummer 3

Mit der Vorschrift soll Krankenkassen die Möglichkeit eingeräumt werden, ihren Versicherten Leistungser-
bringer zu empfehlen, die sowohl in technisch-baulicher als auch kommunikativer Hinsicht barrierefrei sind
und daher für die gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Behinderung besonders geeignet sind. Dies
erleichtert es behinderten Menschen, fachlich qualifizierte Leistungserbringer in barrierefreien Räumlichkeiten
aufzusuchen und stärkt den Druck auf die Leistungserbringer, sich in diesem Sinne auf Menschen mit Behin-
derung als Patientinnen und Patienten auszurichten.

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Zu Nummer 4

Es ist noch immer nicht selbstverständlich, dass Informationen über Angebote der Gesundheitsversorgung nach
dem Zwei-Sinne-Prinzip und in Leichter Sprache bereitgestellt werden. Auch Informationen über die barriere-
freie Erreichbarkeit und Zugänglichkeit der Angebote sind im Regelfall nicht erhältlich. Diese müssen von den
Institutionen, die für die allgemeine Bereitstellung der jeweiligen Gesundheitsinformationen verantwortlich
sind, angeboten werden.

Zu Nummer 5

Die existierenden Angebote zur Prävention berücksichtigen kaum Belange von Menschen mit Behinderung.
Für diese sind Maßnahmen, die einer Verstärkung der Beeinträchtigung oder dem Auftreten weiterer Erkran-
kungen oder Beeinträchtigungen entgegenwirken, aber essenziell.

Zu Nummer 6

Eine Verständigung zwischen Patientinnen bzw. Patienten und Angehörigen der Gesundheitsberufe scheitert
noch zu oft an mangelnden Kenntnissen über die Einschränkung und Bedürfnisse der Betroffenen. Insbeson-
dere in der Ärzteschaft stoßen existierende Fortbildungsangebote bisher auf wenig Interesse. An Universitäten
gibt es bisher kaum Angebote, medizinisches Wissen über Wechselwirkungen zwischen Beeinträchtigungen
und akuten Erkrankungen im Rahmen des Studiums zu erwerben. Auch Angebote zur Kommunikation mit
Patientinnen und Patienten, die in Leichter Sprache oder Gebärdensprache kommunizieren, fehlen in der Aus-
bildung weitgehend.

Zu Nummer 7

Die normalen haus- und fachärztlichen Versorgungsstrukturen sind häufig nicht geeignet, den komplexen Ver-
sorgungsanforderungen von Menschen mit mehrfacher oder geistiger Behinderung gerecht zu werden. Wäh-
rend für behinderte Kinder und Jugendliche mit den Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) ein flächendeckendes
Angebot spezialisierter Einrichtungen existiert, fehlen entsprechende Anlaufstellen für erwachsene Menschen
mit Behinderung – eine regelmäßige Unter- und Fehlversorgung der Betroffenen ist die Konsequenz. Aufgabe
dieser medizinischen Zentren wird es sein, den betroffenen erwachsenen Menschen mit Behinderung neben
Information und Beratung ein Fallmanagement zur Verfügung zu stellen, das Sorge trägt für eine zweckmäßige
Inanspruchnahme der bereits in den vorgelagerten Versorgungsebenen vorhandenen Strukturen und Angebo-
ten. Darüber hinaus werden in den Zentren selbst passgenaue Lösungen für spezielle medizinische und/oder
psychotherapeutische Erfordernisse zur Verfügung gestellt. Schwerpunkte und Zielgruppen sind insbesondere
Menschen mit neuromuskulären Störungen, neurologischen Erkrankungen, geistiger Behinderung, psychi-
schen Erkrankungen und/oder Sinnes- und Mehrfachbehinderungen.

Zu Nummer 8

Auch aus der Perspektive von Menschen mit Behinderung ist die Überwindung der sektoralen Trennung der
Gesundheitsversorgung von erheblicher Bedeutung. Darum ist der Ausbau neuer, integrierter Versorgungsfor-
men eine wesentliche Maßnahme zur Erreichung dieses Zieles. Die bisherigen Erfahrungen, beispielsweise aus
dem „Berliner Pflegeheimprojekt“, müssen bundesweit verbindlich Anwendung finden. Es bedarf beispiels-
weise der Anwendung konkreter Behandlungspfade zur Versorgung von Menschen mit Behinderung, so auch
pflegebedürftiger Menschen, einer abgestimmten Pharmakotherapie und einer gesicherten Überleitung zwi-
schen den Versorgungssektoren, ohne dass es zu Behandlungsabbrüchen oder Versorgungsdefiziten kommt.
Die Lücken in der fach- ärztlichen Versorgung pflegebedürftiger Menschen sind dabei erheblicher als die in
der allgemeinärztlichen Versorgung, die noch als ausreichend wahrgenommen werden kann (vgl. GEK-Pfle-
gereport 2008; „Qualität und Gesundheit in der stationären Altenhilfe“, Studie der Universität Bielefeld im
Auftrag des ZQP, 2012). Die im Rahmen des Pflegeweiterentwicklungsgesetzes getroffene Regelung zum
§ 119b SGB V, dass stationäre Pflegeeinrichtungen Kooperationsverträge mit Ärzten eingehen oder gar eine
Heimärztin/einen Heimarzt einstellen können, hat sich aus unterschiedlichen Gründen (beispielsweise Desin-
teresse aufgrund zu hoher Verbindlichkeit) als nicht zielführend herausgestellt.

Zu Nummer 9

Die Rechtspraxis unterscheidet zwischen Hilfsmitteln, die wie Prothesen fehlende Körperteile oder -funktionen
unmittelbar ersetzen bzw. ausgleichen, und solchen, die wie Rollstühle Körperfunktionen nur mittelbar aus-

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gleichen. Während im ersten Fall ein Anspruch auf eine Versorgung durch die GKV besteht, mit der der Ver-
sicherte ein Leben führen kann, wie er es bei Vorhandensein des Körperteils oder der fehlenden Körperfunktion
führen könnte, soll die Versorgung mit Hilfsmitteln zum mittelbaren Behinderungsausgleich nur die Erledigung
der medizinisch bzw. zum physischen Überleben notwendigen Verrichtungen ermöglichen. So können Versi-
cherte, denen beide Beine amputiert werden mussten, Prothesen beanspruchen, mit denen auch sportliche Ak-
tivitäten möglich sind. Sind die Beine dagegen vorhanden, aber gelähmt, werden bei der Versorgung mit Geh-
hilfen oder Rollstühlen durch die GKV wesentlich restriktivere Maßstäbe zu Grunde gelegt. Die Teilhabe am
Leben in der Gesellschaft einschließlich des Kontakts zur Familie spielt dann bei der Beurteilung der Ange-
messenheit der Versorgung ebenso wenig eine Rolle wie das Bedürfnis, sich auch außerhalb des unmittelbaren
Wohnumfeldes bewegen zu können. Es gibt allerdings auch keinen anderen Leistungsträger als die GKV, der
ergänzende Leistungen erbringt. Auch die Regelungen der Eingliederungshilfe nach den §§ 53 ff. des Zwölften
Buches Sozialgesetzbuch, die für die Erbringung von Leistungen der sozialen Teilhabe zuständig ist, schließen
eine Ergänzung von Leistungen der GKV aus. Dies entspricht nicht dem durch die UN-BRK formulierten Recht
auf umfassende Teilhabe und muss entsprechend angeglichen werden. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen,
ob die Festbetragsregelungen, insbesondere jene für Hörgeräte, eine dem Teilhabeaspekt gerecht werdende
Versorgung auch von Menschen mit schwereren Beeinträchtigungen sicherstellen oder ein differenzierteres
System notwendig ist. Die Erfahrungen, die Menschen mit Hörbeeinträchtigungen schildern, legen Letzteres
nahe.

Langfristig soll die Versorgung mit Hilfsmitteln zum Ausgleich von Behinderungen in ein umfassendes Teil-
habeleistungsgesetz überführt werden. Dazu bedarf es allerdings eines finanziellen Ausgleichs zwischen den
bisherigen Trägern der Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe und dem dann alleine zuständigen Träger.

Zu Nummer 10

Nicht immer sind die in den Präqualifizierungsverfahren getroffenen Qualitätskriterien ausreichend für eine
qualitätsgesicherte Versorgung. Eine fehlende fachliche Qualifikation vieler Ärztinnen und Ärzte führt dazu,
dass sie ihre Kontrollfunktion in der Hilfsmittelversorgung nicht wahrnehmen können. Eine flächendeckende
Evaluation von Hilfsmitteln, die auf Patientenbefragungen zurückgeht, gibt es bislang nicht, auch wenn ein-
zelne Krankenkassen dies bereits initiiert haben. Das einzuführende Assessmentverfahren hat eine exakte, fach-
lich interdisziplinär ausgestaltete Bedarfserhebung und einen rechtzeitigen Versorgungsprozess unter aktiver
Beteiligung der Betroffenen zu garantieren sowie eine fachliche Fortbildung der Ärztinnen und Ärzte sowie
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hilfsmittelanbieter für eine qualitätsgesicherte Abgabe vorzusehen.

Zu Nummer 11

Aus einer nennenswerten Zahl von Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern sowie Selbsthilfeverbänden geht
hervor, dass die Krankenkassen beim Abschluss von Verträgen zu Hilfsmitteln nach § 127 Absatz 1 und Absatz
2 SGB V nicht immer die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zur notwendigen Beratung und zur wohnort-
nahen Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln sicherstellen. Daher ist im Rahmen der Aufsicht durch das
Bundesversicherungsamt bzw. bei landesunmittelbaren Krankenkassen durch die Länder darauf hinzuwirken,
dass diese Vorgaben umgesetzt werden.

Zu Nummer 12

Für eine langfristige Heilmittelbehandlung müssen die Versicherten bei Kassen mit individuellem Genehmi-
gungsverfahren und bei nicht gelisteten Diagnosen auch nach der Vereinbarung 2011 zwischen dem GKV-
Spitzenverband und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung weiterhin einen Antrag stellen. Dieser erforder-
liche Antrag stellte bisher eine zu große Hürde für die Betroffenen dar; entscheidend sollte die medizinische
Notwendigkeit sein. Es ist deshalb zu prüfen, ob der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschuss vom 12.
November 2012, der auf eine Vereinfachung der Genehmigungsverfahren für die langfristige Heilmittelbe-
handlung zielt, insgesamt zu einer besseren Versorgung geführt hat oder wie weiterhin vorhandene Blockaden
abgebaut werden können.

Neben der Notwendigkeit, die Behandlung mit Heilmitteln durch die Krankenkasse genehmigen zu lassen,
kann auch die Begrenzung der Gültigkeit einer Verordnung auf zwölf Wochen bei Versicherten zu Belastungen
führen. Diese Vorgabe soll einen regelmäßigen Arzt-Patienten-Kontakt und eine regelmäßige Überprüfung der
Behandlungserfolge gewährleisten, was grundsätzlich sinnvoll ist. Bei vielen Menschen mit Behinderungen
dient die Heilmittelbehandlung allerdings nicht der Heilung, sondern dem Erhalt bzw. der Vermeidung einer

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Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Da in diesen Fällen nur selten innerhalb von zwölf Wochen Ver-
änderungen zu erwarten sind, wird die in der Heilmittelrichtlinie geforderte Untersuchung in der Realität häufig
auf eine Begrüßung durch den Arzt oder die Ärztin oder die bloße Übergabe der neuen Verordnung durch das
(nichtärztliche) Praxispersonal reduziert. Die behinderten Versicherten müssen dafür – auch wegen der gerin-
gen Zahl barrierefreier Praxen – jedoch oft weite Wege in Kauf nehmen. Daher soll es den Ärztinnen und
Ärzten ermöglicht werden, die Zahl der verordneten Heilmittelanwendungen nach Ermessen so festzulegen,
dass auch längere Behandlungszeiträume als zwölf Wochen möglich sind. Zu prüfen ist dabei, ob den Heilmit-
telerbringerinnen und – erbringern Zwischenabrechnungen ermöglicht werden können.

Zu Nummer 13

Im Zusammenhang mit schweren Erkrankungen benennt die Ausnahmeliste des Gemeinsamen Bundesaus-
schusses zum gesetzlichen Verordnungsausschluss frei verkäuflicher Arzneimittel nach § 34 Absatz 1 Satz 2
SGB V, unter welchen Voraussetzungen welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel zu Lasten der
GKV verordnungsfähig sind. Diese Liste ist auf die Berücksichtigung von Medikamenten zur Behandlung von
Folge- und Begleiterscheinungen von schweren Behinderungen zu überprüfen. Bei schweren Erkrankungen
wie Mukoviszidose oder Tumorleiden sind bestimmte OTC-Medikamente als Standardtherapie bereits in der
Ausnahmeliste enthalten. Ähnliche Bedarfe bestehen beispielsweise bei (inkompletten) Querschnittlähmungen
(Abführmittel) oder Muskelerkrankungen, die das Abhusten verhindern (schleimlösende Mittel).

Zu Nummer 14

Menschen mit einer schweren geistigen oder körperlichen Behinderung haben oftmals Schwierigkeiten bei der
selbstständigen und ausreichenden Durchführung der Mundhygiene, was das Risiko für Karies und für Erkran-
kungen des Zahnfleisches sowie Folgeerkrankungen erhöht. Mit der Regelung soll für die betroffenen Versi-
cherten ein gesetzlicher Anspruch auf eine dem aktuellen evidenzbasierten Stand der medizinischen Wissen-
schaft entsprechende präventive Versorgung geschaffen werden.

Zu Nummer 15

Auch nach der gesetzlichen Einführung des Entlassmanagements funktioniert der Übergang vom Krankenhaus
in die ambulante Versorgung und die Hilfsmittelversorgung in vielen Fällen nicht. Hier sollte durch ein Fall-
management frühzeitig im Krankenhaus ein entsprechender Antrag bei der Krankenkasse gestellt werden.

Zu Nummer 16

Einige gesetzliche Krankenkassen lehnen nach wie vor die Gewährung von häuslicher Krankenpflege für Men-
schen, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe leben, pauschal mit der Begründung ab, die Einrichtungen
seien nicht als Häuslichkeit im Sinne des § 37 SGB V einzustufen. Für die Bewohnerinnen und Bewohner von
Einrichtungen hat dies zur Folge, dass sie nach einem Krankenhausaufenthalt und einer anschließenden kom-
plexen medizinischen Versorgungsnotwendigkeit nicht in die Einrichtung zurückkehren können, da die erfor-
derlichen Leistungen nicht finanziert und damit nicht erbracht werden können. Im Ergebnis führt dies immer
wieder dazu, dass diese Menschen nicht mehr in ihre Einrichtung zurückkehren können und damit ihren Le-
bensmittelpunkt verlieren.

Zu Nummer 17

Die seit Beginn der Regelung bestehenden rechtlichen Zweifel, inwieweit ein Pauschalbetrag (ab
01.01.2015 266 Euro) abhängig vom Wohnort der pflegebedürftigen Menschen zulässig ist, wurden durch die
UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen noch verstärkt. Leben pflegebedürftige Menschen in
vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe, übernimmt die soziale Pflegeversicherung nach § 43a SGB
XI 10 Prozent des Heimentgelts, maximal jedoch 256 Euro im Monat. Der weitaus größere Betrag wird vom
Sozialhilfeträger gezahlt. Bei stationärer Unterbringung in einer reinen Pflegeeinrichtung mit Versorgungsver-
trag zahlt die Pflegekasse hingegen je nach Pflegestufe bis zu 1 918 Euro im Monat. Sofern Menschen mit
Behinderungen außerhalb eines nach dem SGB XI anerkannten Pflegeheimes Pflege benötigen, sind ihnen
zumindest die Leistungen zur Verfügung zu stellen, die bei der Pflege in der eigenen Häuslichkeit bewilligt
würden.

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Zu Nummer 18

Für pflegebedürftige behinderte Menschen, die eine Assistenzpflegekraft im Arbeitgebermodell beschäftigen,
gibt es seit 2009 durch das Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus (Bundestags-
drucksache 16/12855) die Möglichkeit, die nach § 66 Absatz 4 Satz 2 SGB XII beschäftigte besondere Pflege-
kraft als Begleitperson ins Krankenhaus mit aufzunehmen. Mit der Erweiterung zur Regelung des Assistenz-
pflegebedarfs in 2012 (Bundestagsdrucksache 17/10747) wurde für den betroffenen leistungsberechtigten Per-
sonenkreis diese Möglichkeit auf den Vorsorge- und Rehabilitationsbereich, bei einer stationären Behandlung,
ausgeweitet. Damit soll die Kontinuität der Assistenzpflege und die Finanzierung des Beschäftigungsverhält-
nisses sichergestellt werden. Das ist begrüßenswert, stärkt es doch den Assistenz- und Teilhabegedanken in der
Versorgung von behinderten Menschen mit einem Pflegebedarf. Jedoch wird damit die Personengruppe diskri-
miniert, die ihre Assistenz außerhalb des Arbeitgebermodells, beispielsweise durch einen ambulanten Dienst,
sicherstellt. Es ist nicht sachgerecht und nicht nachvollziehbar, dass sich der Anspruch aus der Art und Weise
des Anstellungs- und Beschäftigungsverhältnisses der besonderen Pflegekraft ergibt und nicht nach dem Bedarf
des pflegebedürftigen Menschen mit Behinderung. Deshalb muss dieser Rechtsanspruch ausgeweitet werden.

Zu Nummer 19

Träger der pflegevermeidenden Rehabilitation ist gegenwärtig die Krankenversicherung. Diese erfüllt – trotz
des in § 11 Absatz 2 SGB V verankerten Rechtsanspruchs auf Rehabilitation zur Vermeidung von Pflegebe-
dürftigkeit – diesen Anspruch kaum. Ursächlich dafür sind systematische Fehlanreize, da für die medizinische
Rehabilitation nicht derjenige Träger zuständig ist, der das Risiko des Scheiterns trägt. Weiterhin erschwert die
mangelhafte Umsetzung des § 40 Absatz 3 SGB V, wonach die Krankenversicherung bei unterlassener Reha-
bilitationsleistung Strafzahlungen an die Pflegeversicherung leisten muss, die pflegevermeidende Rehabilita-
tion. Die Pflegeversicherung selbst kann nur bei den anderen Rehabilitationsträgern darauf hinwirken, dass
frühzeitig alle geeigneten Leistungen der Prävention und Rehabilitation eingeleitet werden.

Die bestehende gesetzliche Regelung führt in der Praxis zu Schwierigkeiten bei der Verwirklichung der selbst-
bestimmten Teilhabe von Menschen mit Behinderung und bei der Gewährung von rehabilitativen Leistungen
für von Pflegebedürftigkeit betroffene Menschen. Weil die Pflegeversicherung keine Rehabilitationsleistungen
verantwortet, lehnt beispielsweise ein Teil der Kranken- und Pflegekassen Anträge auf Hilfsmittel mit dem
Verweis auf die Zuständigkeit des jeweils anderen Trägers ab. Eine Zusammenarbeit im Sinne einer guten
Versorgung des Versicherten wird dadurch verzögert oder gar verhindert.

Zur wirksamen Umsetzung des Prinzips Rehabilitation vor Pflege sind verschiedene Wege denkbar. Dabei ist
zu prüfen, wie die Schnittstellenproblematiken verringert oder gelöst werden können. Zum einen könnte die
Pflegeversicherung in den Kreis der Rehabilitationsträger aufgenommen werden. Als Rehabilitationsträger ent-
wickelt sie somit ein eigenes Interesse an medizinischer Rehabilitation zur Vermeidung von Pflegebedürftig-
keit und kann dies besser durchsetzen. Als weitere Option wird auch die Möglichkeit von Ausgleichszahlungen
der sozialen Pflegeversicherung an die gesetzliche Krankenversicherung diskutiert. So könnten die Anreize für
die Krankenkassen, ihrer Aufgabe der pflegerischen Rehabilitation nachzukommen, deutlich erhöht werden.

Schließlich sind auch die Leistungen zur Teilhabe trotz Pflegebedarfs im normativen Verhältnis zwischen SGB
IX und SGB XI in den Blick zu nehmen. Diese werden von Krankenkassen und Sozialhilfeträgern vielfach
nicht erbracht.

Zu Nummer 20

Die besonderen Bedarfslagen von Menschen mit Behinderung bei der Inanspruchnahme medizinischer Leis-
tungen sowie zu den Wechselwirkungen, die zwischen Behinderung und chronischen Erkrankungen einerseits
und akuten Krankheiten und Verletzungen andererseits auftreten können, sind bisher kaum Gegenstand der
Forschung. Daher ist es erforderlich, einen entsprechenden Schwerpunkt in bestehende Programme des Bundes
zur Versorgungsforschung aufzunehmen oder bisher für andere Programme vorgesehene Mittel zugunsten ei-
nes neuen Programms umzuschichten.

Zu Nummer 21

Die gegenwärtigen Zuzahlungen tragen nachweislich nicht zu einer rationalen Inanspruchnahme von Leistun-
gen bei. Im Gegenteil – einkommensschwache Gruppen nehmen die Leistungen nur verzögert bis gar nicht in
Anspruch.

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