BT-Drucksache 18/3136

No-Spy-Garantie bei IT-Auftragsvergaben

Vom 6. November 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3136
18. Wahlperiode 06.11.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Katrin Kunert, Petra Pau, Harald Petzold
(Havelland), Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Frank Tempel,
Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

No-Spy-Garantie bei IT-Auftragsvergaben

Laut „Frontal21“ (Sendung vom 21. Oktober 2014) wurden über 110 US-Fir-
men in den Jahren 2011 und 2012 durch das Auswärtige Amt in sogenannten
Verbalnoten rechtlich mit den US-Streitkräften gleichgestellt und es ihnen
dadurch gestattet, für die US-Armee im Bereich „analytische Dienstleistungen“
tätig zu werden. Dahinter verberge sich die nachrichtendienstliche Auswertung
von Datennetzen. Unter den Firmen sei mit Booz Allen Hamilton auch der frü-
here Arbeitgeber des Whistleblowers Edward Snowden gewesen. Aktuell sollen
noch 44 Verträge mit Spionagedienstleistern in Deutschland bestehen. Gegen-
über „Frontal21“ erklärte jedoch der Präsident des Bundesamtes für Verfas-
sungsschutz, Hans-Georg Maaßen, er habe „keine Erkenntnisse, dass die Firmen
in Deutschland gegen deutsche Interessen tätig sind.“
Aus der NSA-Abhörpraxis haben allerdings die Bundesregierung und die weit
überwiegende Mehrzahl der Bundesländer nach Medienberichten zumindest bei
der Vergabe von Neuverträgen mit IT-Unternehmen eine erste Konsequenz
gezogen. So hat das Bundesministerium des Innern (BMI) nach der öffentlichen
Diskussion um den „US-Spionagedienstleister CSC“ (vgl. www.tagesschau.de
vom 15. Mai 2014) am 30. April 2014 die entsprechenden Vergaberichtlinien
bei Aufträgen an Telekommunikations- und IT-Firmen um eine No-Spy-Klausel
(Erklärung im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung) erweitert (vgl. hierzu u. a.
www.tagesschau.de vom 15. Mai 2014). Derzeit seien alle Bundesländer bis auf
Hessen dabei, ihre Vergaberichtlinien nach dem Vorbild des BMI zu verändern.
Danach sollen Telekommunikationsunternehmen nur noch dann Aufträge erhal-
ten, wenn sie eine sogenannte No-Spy-Garantie abgeben, mit der sie versichern,
dass sie rechtlich nicht verpflichtet sind, vertrauliche Daten an ausländische Ge-
heimdienste und Sicherheitsbehörden weiterzugeben. Zudem müssten sie sich
verpflichten, den Auftraggebern nachträgliche Änderungen an dieser Situation
unverzüglich mitzuteilen. Insbesondere US-amerikanische IT-Firmen und ihre
Töchter unterliegen nach Ansicht von Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter
von Schleswig-Holstein, US-Recht, mit der Folge, „dass nach dem Foreign
Intelligence Surveillance Act eben personenbezogene Daten, auch sonstige
Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse abgezogen werden und dann an die Dienste
in den USA weitergegeben werden müssen“ (ebd.).
Am 24. Juni 2014 kam die Vergabekammer des Bundes allerdings in ihrer Ent-
scheidung (VK 2 – 39/14) zu dem Urteil, dass die Kriterien für die Eignung eines
Bieters nicht „durch den Auftraggeber beliebig erweitert werden“ können,
sondern dass der „in den Europäischen Richtlinien vorgegebene Katalog der
zulässigen Eignungsanforderungen bzw. der Ausschlussgründe [an den Bieter]

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abschließend“ ist. Die Vergabekammer des Bundes hält demnach die Abfrage ei-
ner Eigenerklärung, wonach ein Bewerber hinsichtlich vertraulicher Informati-
onen keinen gesetzlichen Offenlegungspflichten gegenüber ausländischen Si-
cherheitsbehörden unterliegt, für unzulässig.
Nach Ansicht der Bundesregierung stellt die Vertragsklausel jedoch „aus verga-
berechtlicher Sicht kein Element dar, das im Rahmen der Prüfung der Eignung
des Bieters oder Bewerbers zu berücksichtigen ist. Die Vertragsklausel ist eine
sogenannte Ausführungsbedingung nach § 97 Absatz 4 Satz 2 des Gesetzes
gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die im Rahmen der Auftragsausführung
zwingend vom Auftragnehmer zu berücksichtigen ist. Die diesbezüglich
verlangte Eigenerklärung ist die ausdrückliche, schriftliche Bestätigung des
Bieters/Bewerbers, diese Ausführungsbedingung später auch einzuhalten.“
(Antwort der Bundesregierung auf die Mündliche Frage 13 des Abgeordneten
Andrej Hunko auf Bundestagsdrucksache 18/2567).
Da ein solches Kriterium nicht im abschließend definierten Katalog der Zuver-
lässigkeitsanforderungen enthalten ist, sieht das Vergaberecht somit nach Auf-
fassung der Fragesteller und Vergabekammer des Bundes derzeit keine rechts-
konforme Möglichkeit vor, bereits in der Phase der Eignungsprüfung vom Bieter
eine „No-Spy-Erklärung“ zu verlangen. Daher können Bieter, die eine solche
Erklärung nicht abgeben, auch nicht rechtswirksam als „unzuverlässig“ von der
Auftragsvergabe ausgeschlossen werden. Allenfalls bleibt in der späteren Phase
der Vertragsverhandlung die Möglichkeit, vom vorgesehenen Auftragnehmer
eine entsprechende Vertragsklausel zu verlangen. Dies wirft jedoch die Frage
auf, wie die Einhaltung der Nicht-Weitergabe-Verpflichtung (nach deutschem
Vertragsrecht) überprüft werden soll und wie ein Verstoß der Auftragnehmer
sanktioniert werden kann.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass US-Unternehmen durch

Gesetze, wie den „Patriot Act“ oder den „Protect America Act“, entsprechen-
den Verpflichtungen zur Informationsweitergabe an US-Dienste unterliegen,
und wenn ja, in welcher Form, und gibt es weitere US-Regelungen, die solche
Verpflichtungen enthalten?

2. Wann und aufgrund welcher Ereignisse oder Informationen hat die Bundes-
regierung erstmals von solchen Verpflichtungen erfahren?

3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Fälle, in denen Unterneh-
men, die in Deutschland öffentliche Aufträge erhalten haben, aufgrund von
Gesetzen, wie dem „Patriot Act“ oder dem „Protect America Act“, zur Infor-
mationsweitergabe an US-Dienste verpflichtet waren?

4. Trifft es zu, dass in den Jahren 2011 und 2012 110 US-Firmen durch das Aus-
wärtige Amt in sogenannten Verbalnoten rechtlich mit den US-Streitkräften
gleichgestellt wurden und es ihnen dadurch möglich wurde, für die US-Ar-
mee im Bereich „analytische Dienstleistungen“ tätig zu werden?

5. Kann die Bundesregierung die Angaben von „Frontal21“, wonach es noch
44 laufende Verträge mit US-Spionagedienstleistern in Deutschland gibt, be-
stätigen, und wenn ja, um welche Verträge welcher Unternehmen handelt es
sich?

6. Mit welchen der 110 US-Firmen, die als Spionagedienstleister für das US-
Militär in Deutschland tätig waren oder noch tätig sind, wurden durch deut-
sche Bundesministerien und Bundesbehörden Aufträge abgeschlossen, und
um welche handelte es sich dabei im Detail (bitte nach Jahr, Auftragnehmer,
Auftraggeber, Auftragsart, Dauer und Kosten des Auftrags aufschlüsseln)?

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7. Wie will die Bundesregierung verhindern, dass Daten aus den bestehenden
deutschen Aufträgen mit US-Firmen an US-Dienste gelangen?

8. Welche Garantien hat die Bevölkerung auf deutschem Boden, dass ihre
Daten von den beauftragten Unternehmen nicht an ausländische Dienste
weitergegeben werden?

9. Wie lautet die No-Spy-Klausel des BMI genau?
10. Gibt es Ausnahmeregelungen oder Einschränkungen der No-Spy-Klausel,

und wenn ja, welche?
11. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass alle Bundesländer mit

Ausnahme des Bundeslandes Hessen ihre Vergaberichtlinien nach dem Vor-
bild des BMI um eine No-Spy-Klausel ergänzen, welchen Stand haben die
Anpassungsbemühungen der Bundesländer jeweils, und mit welcher Be-
gründung geht Hessen hier einen Sonderweg?

12. Inwieweit unterscheiden sich nach Kenntnis der Bundesregierung ggf. die
entsprechenden Vergaberichtlinien bei Aufträgen an Telekommunikations-
und IT-Firmen auf Landesebene von denjenigen des Bundes?

13. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung bereits Klagen von Unterneh-
men gegen die geänderten Vergaberichtlinien, z. B. wegen Wettbewerbs-
beschränkungen, und wenn ja, um welche Firmen handelt es sich dabei, und
welche Ausschreibungen sind betroffen?

14. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass Bieter, die eine solche
Erklärung nicht abgeben, nicht rechtswirksam von der Auftragsvergabe aus-
geschlossen werden können und daher die No-Spy-Klausel faktisch unan-
wendbar ist, und welche Konsequenzen hat das für die Vergabepraxis der
Bundesregierung (bitte begründen)?

15. Welche Unternehmen haben bislang bei welchen Projekten die No-Spy-Ga-
rantie unterzeichnet?

16. In wie vielen Fällen haben Auftraggeber des Bundes auf den Einsatz der No-
Spy-Klausel verzichtet?

17. In wie vielen Fällen haben Bieter die Forderung der No-Spy-Erklärung ge-
rügt, und in welchen Vergabeverfahren des Bundes rechnet die Bundesre-
gierung mit Klagen von Bietern (bitte jeweils nach Auftraggeber, Auftrag
und Bieter aufschlüsseln)?

18. Inwieweit erwägt die Bundesregierung, aufgrund der rechtlichen Probleme
mit der No-Spy-Klausel, die Vergabeverordnung zu ändern, und in welcher
Form wäre eine solche Regelung auch entgegen den europäischen Vorgaben
möglich?

19. Warum sieht die No-Spy-Klausel nur eine Garantie bezüglich einer Daten-
weitergabe an „ausländische Nachrichtendienste“ vor?

20. In welchem Umfang bekommen Tarnfirmen und Tarneinrichtungen der
deutschen Sicherheitsbehörden öffentliche Aufträge, und unterliegen diese
dann auch der No-Spy-Klausel?

21. Werden nach Kenntnis der Bundesregierung Kunden von den Unternehmen
darüber informiert, dass die Dienste und auch die Polizeibehörden auf ihre
Daten in der Bundesrepublik Deutschland umfassenden Zugriff haben?

22. Wie und von wem wird die Einhaltung der „Erklärung im Rahmen der Zu-
verlässigkeitsprüfung“ konkret überprüft?

23. Welche Konsequenzen hätte ein Verstoß gegen die No-Spy-Garantie?
24. Welche Unternehmen sind nach Kenntnis der Bundesregierung betroffen?

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25. Welche Geräte welcher Unternehmen kennt die Bundesregierung, in die
backdoors eingebaut wurden, die ausländischen Nachrichtendiensten einen
unkontrollierten Zugriff erlauben?

26. Welche Software von welcher Firma ist der Bundesregierung bekannt, die
ausländischen Nachrichtendiensten einen unkontrollierten Zugriff erlaubt?

27. Hat die Bundesregierung, die im europäischen und Drittausland agierenden
Töchter deutscher IT-Unternehmen aufgefordert, eine solche No-Spy-Klau-
sel in ihre jeweiligen Geschäftsbedingungen mit aufzunehmen?

Berlin, den 5. November 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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