BT-Drucksache 18/3099

Blindgänger-Gefahr in Afghanistan auf verlassenen Trainingsgeländen der Bundeswehr

Vom 3. November 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3099
18. Wahlperiode 03.11.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Heike Hänsel, Dr. Alexander S. Neu, Jan van Aken,
Sevim Dağdelen, Andrej Hunko, Inge Höger, Niema Movassat, Kathrin Vogler
und der Fraktion DIE LINKE.

Blindgänger-Gefahr in Afghanistan auf verlassenen Trainingsgeländen
der Bundeswehr

Laut Angaben des Auswärtigen Amts setzt sich Deutschland aktiv für huma-
nitäre Minen- und Kampfmittelräumung ein und zählt seit Jahren zu den
wichtigsten internationalen Mittelgebern in diesem Bereich. Im Rahmen der
Partnerschaft mit den erfahrenen Durchführungsorganisationen unterstützt die
Bundesregierung Projekte zur Räumung der Gelände von explosiven Hinterlas-
senschaften bewaffneter Konflikte. Trotz des Wissens über schwerwiegende
humanitäre Auswirkungen auf die Bevölkerung hinterlässt die Bundeswehr nun
aber ihre eigenen Trainingsgelände in Afghanistan oberflächlich geräumt und
frei zugänglich für Zivilisten, berichtete „Panorama“ am 23. September 2014.
Das kann zu weiteren Opfern und Verletzten unter der Bevölkerung führen, die
unbewusst die ehemaligen Schießbahnen betritt. Laut United Nations (UN) sind
seit dem Jahr 2010 mindestens 32 Menschen durch Blindgänger getötet und
mehr als 80 verletzt worden (www.ndr.de vom 25. September 2014 „NATO-
Blindgänger gefährden afghanische Bevölkerung“). Die Frage nach der tief-
gründigen Räumung der schon verlassenen Bundeswehr-Trainingsgelände
bleibt offen. Die gegenseitigen Ansprüche von den an ISAF (ISAF – Internatio-
nal Security Assistance Force) beteiligten Staaten führten zur Unterschreibung
des CCW-Abkommens (CCW – Convention on Certain Conventional Wea-
pons), das die Verantwortung für die Räumung der Gelände auf das truppenstel-
lende Land überträgt. Die Gefahr besteht auch schon bei den an die afghanische
Armee übergebenen Trainingsgeländen, die wegen ihrer Größe nur zum Teil
belegt werden können. Die unbenutzten Teile müssten laut UNO-Mission
UNAMA (UNAMA – United Nations Assistance Mission in Afghanistan)
gründlich geräumt werden. Ein Beispiel für belassene Blindgänger ist die
Schießbahn „Wadi“ bei Kundus, wie im „Panorama“-Bericht des „Norddeut-
schen Rundfunks“ (NDR) am 23. September 2014 erläutert wurde. Nach der
oberflächlichen Überprüfung der Gelände wurden mehr als 100 weitere Blind-
gänger gefunden. Außerdem stellten die Gutachter fest, dass die weitere Prüfung
des Untergrunds dringend erforderlich ist. Eine andere Herausforderung stellt
die Räumung von Blindgängern auf Gefechtsfeldern dar. Hier besteht Bedarf zur
Klärung der rechtlichen Zuständigkeit.
Am 30. September 2014 hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-
Walter Steinmeier, erläutert, dass die Unterzeichnung des bilateralen Sicherheits-
abkommens zwischen den USA und Afghanistan eine Fortsetzung des Engage-
ments der NATO in Afghanistan im Jahr 2015 ermöglicht (www.auswaertiges-
amt.de/DE/Infoservice/Presse/Meldungen/2014/140930-BM_BSA.html). Das

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Sicherheitsabkommen soll nach dem Willen der Bundesregierung zur Basis
eines weiteren Einsatzes der Bundeswehr im Rahmen der Ausbildungs- und Be-
ratungsmission „Resolute Support“ werden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Personen (afghanische Zivilisten, afghanische Sicherheitskräfte,

NATO-Personal) sind – nach Kenntnis der Bundesregierung – in den Jahren
des ISAF-Mandats durch nicht geräumte Munition in Afghanistan ums Leben
gekommen oder verletzt worden?

2. Konnte bei solchen Unfällen die Herkunft der Munition festgestellt werden?
In wie vielen Fällen kann davon ausgegangen werden, dass es sich um nicht
geräumte Munition der NATO-Mitgliedsarmeen gehandelt hat?

3. Inwieweit sieht die Bundesregierung grundsätzlich eine Verpflichtung zur
Beräumung von deutscher Munition auf Übungsgeländen und an Schau-
plätzen von Kampfhandlungen im Bereich des ehemaligen RC North (RC – Re-
gional Command) gemäß des CCW-Abkommens?

4. Welche versicherungsrechtlichen Verbindlichkeiten ergeben sich aus der Prä-
senz von Blindgängern aus Sicht der Bundesregierung?
Ist die Bundesregierung bereits mit Versicherungsforderungen von afghani-
schen Opfern konfrontiert?

5. Wurde vonseiten der ISAF eine grundsätzliche Gesamtbestandsaufnahme al-
ler gefährdeten Lokalitäten nach Artikel 3 Absatz 3 des Protokolls V des
CCW-Abkommens aufgenommen?

6. Was wird die Bundeswehr über die bisher nicht erfolgte Räumung im Unter-
grund der 13 schon verlassenen oder übergebenen Schießbahnen hinaus un-
ternehmen, so dass die Räumungen den afghanischen „Mine Action Stan-
dards“ und den Selbstverpflichtungen entsprechen, die sich ISAF in Reaktion
auf die Befunde des UNAMA des Halbjahresberichts 2013 auferlegt hat
(ISAF Statement vom 30. Juli 2013)?
a) Wird die Bundeswehr bzw. das Bundesministerium der Verteidigung

(BMVg) den Auftrag zur Räumung an Unternehmen aus der freien Wirt-
schaft geben, und wird es in diesem Fall ein öffentliches Ausschreibungs-
verfahren geben?

b) Wann wird mit dem Räumungsbeginn gerechnet?
c) Welche Kosten sind damit verbunden?

7. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundeswehr daraus, dass bei der
Überprüfung der erfolgten Räumung der ehemaligen Schießbahn „Wadi“ von
den 20 Suchern und fünf Kampfmittelbeseitigern innerhalb von zwei Tagen
100 Blindgänger gefunden wurden?

8. Ist es geplant, die anderen geräumten ehemaligen Gelände der Bundeswehr
noch einmal nach möglichen Blindgängern zu überprüfen?
Wenn nein, weshalb nicht?

9. Plant die Bundeswehr, Daten über Gefechtsfelder weiterzugeben, d. h. Orte,
an denen sie in Feuergefechte verwickelt wurde oder Luftunterstützung ange-
fordert hat?
a) Wenn ja, warum ist das gegebenenfalls bisher nicht geschehen, und bis

wann werden die Daten übergeben sein?
b) Wenn nein, weshalb nicht?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/3099
c) Wird die Bundeswehr in diesem Kontext auch Daten über die an entspre-
chenden Orten zum Einsatz gekommenen Munitionen bzw. Explosiv-
mittel weitergeben?

10. Bedeutet die Beendigung der jetzigen ISAF-Mission die Schließung der
noch betriebenen Schießbahnen bis zum Ende des Jahres 2014?
a) Wird die Bundeswehr dann für ihre Räumung die komplette Verantwor-

tung übernehmen?
b) Wird die Bundeswehr rechtzeitig vor ihrem Abzug selbst für die Räu-

mung sorgen oder Dritte mit der Räumung beauftragen?
c) Wie hoch werden die möglichen Kosten für die Räumung geschätzt?
d) Wie hoch ist die Differenz der Kosten für die Finanzierung einer ober-

flächlichen und einer tiefgründigen Räumung?
11. Ist schon bekannt, welche Aufgabengebiete seitens der Bundeswehr für die

NATO-Mission „Resolute Support“ geplant sind?
Wenn ja, welche?

12. Hat die Bundesregierung die festgelegten Regeln des internationalen
Abkommens für die Sicherung der Zivilbevölkerung vor Blindgängern in
Afghanistan befolgt?

13. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundeswehr aus dem Problem mit
Blindgängern aus Gefechten und Übungen in Afghanistan für andere Ein-
sätze?

14. Inwieweit nimmt die Bundeswehr Einfluss auf andere NATO-Länder be-
züglich der Räumung der von diesen NATO-Ländern in Afghanistan betrie-
benen Trainingsgelände und bezüglich der Übermittlung der Daten über
ihre Gefechtsorte an MACCA (MACCA – Mine Action Coordination Cen-
tre of Afghanistan), und vor allem auf solche Länder im Kommandobereich
der Bundeswehr, dem RC North bzw. Nordafghanistan?

15. Ist die Bundesregierung beim Aufbau des MACCA-Budgets speziell in
Afghanistan und im Allgemeinen beteiligt?
a) Wenn ja, welche Mittel sind für das nächste Jahr geplant?
b) Wenn nein, warum nicht?

16. Wird die Bundesregierung eine Entschädigungszahlung im Zusammen-
hang des am 25. Juli 2011 durch einen Blindgänger auf der ehemaligen
Schießbahn „Wadi“ getöteten Jungen und eines anderen dabei Schwerver-
letzten vornehmen?
a) Falls ja, in welcher Höhe?
b) Falls nicht, aus welchen Gründen nicht?

Berlin, den 3. November 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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