BT-Drucksache 18/3049

Unabhängige Historikerkommission zur Geschichte des Bundeskanzleramtes einsetzen

Vom 5. November 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/3049
18. Wahlperiode 05.11.2014
Antrag
der Abgeordneten Jan Korte, Dr. André Hahn, Sigrid Hupach, Ulla Jelpke, Katrin
Kunert, Cornelia Möhring, Petra Pau, Martina Renner, Frank Tempel, Katrin
Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Unabhängige Historikerkommission zur Geschichte des Bundeskanzleramtes
einsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die immer weiter voranschreitende Aufarbeitung der NS-Geschichte und der kriti-
sche Blick auf ihre Nachwirkungen in der frühen Bundesrepublik Deutschland ge-
hören zu den in langen Jahren hart erkämpften Erfolgen einer kritischen öffentlichen
Geschichtsdebatte in Westdeutschland, die inzwischen auch von der Bundesregie-
rung anerkannt und für sich selbst in Anspruch genommen wird. Nachdem die 50er-
Jahre durch ein „kollektives Beschweigen“ (Hermann Lübbe) der NS-Vergangenheit
und die teilweise Rückkehr der Funktionseliten in Staat, Justiz und Wirtschaft ge-
kennzeichnet waren, kam es in den 60er-Jahren zu einer verstärkten und von heftigen
Kontroversen begleiteten Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit. Zumeist
waren es Anstöße und Forderungen von Opferverbänden und ehemaligen Verfolgten
des NS-Regimes, von unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern,
Gedenkstätten, Geschichtsinitiativen, Journalistinnen und Journalisten, kritischen
Juristinnen und Juristen, wie dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, sowie
zahllosen Menschen, die eine tiefergehende öffentliche Auseinandersetzung mit der
Dimension der Verbrechen des NS-Regimes und den daraus zu ziehenden Folgerun-
gen einforderten.
Mit dem Auschwitz-Prozess begann eine intensive Beschäftigung mit den Mensch-
heitsverbrechen der Nazis und diese schmerzhafte Auseinandersetzung über Dimen-
sion, Kenntnis und Beteiligung an diesen Verbrechen zog sich bis zum Ende des 20.
Jahrhunderts in immer neuen Kontroversen und wissenschaftlichen Fortschritten.
Die symbolische und teils auch materielle Anerkennung dieser erlittenen Verbrechen
zeigte sich beispielhaft in der Errichtung des Holocaustmahnmals in Berlin und der
Zwangsarbeiterentschädigung.
Erst relativ spät kamen die staatlichen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland
selbst in den Blick, die ja zum Teil eine Vorgeschichte in der NS-Zeit hatten. Klar
wurde über diese Beschäftigung, dass es keinen generellen und unumkehrbaren
Bruch im Jahr 1945 bzw. 1949 gegeben hatte, sondern, dass es um die Frage nach
personellen und möglichweise auch inhaltlichen Kontinuitäten gehen muss. Die His-
torikerkommission zur Geschichte des Auswärtigen Amts war gewissermaßen der
Durchbruch bei der Aufarbeitung staatlicher Institutionen, die daraufhin an vielen
Stellen vorangetrieben wurde. Neben diversen Ministerien haben auch Institutionen
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des Bundes wie das Bundeskriminalamt (BKA), der Bundesnachrichtendienst
(BND), das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Forschungsvorhaben ausge-
schrieben bzw. Historikerkommissionen eingesetzt und teilweise auch schon Ergeb-
nisse vorgelegt.
Bei der Beschäftigung mit diesen Institutionen des Bundes wird immer wieder klar,
dass das Bundeskanzleramt, als exekutive Schaltzentrale der Bundesrepublik
Deutschland, eine bedeutende Rolle beim Umgang mit dieser Vergangenheit spielt.
Die Bewertung personeller Kontinuitäten in einzelnen Ministerien oder Institutio-
nen, das Wissen um die Einbindung von Personen, die an NS-Verbrechen beteiligt
waren, bei BND, BKA oder Verfassungsschutz, der Umgang mit der Suche nach
NS-Verbrechern – all das spiegelt sich nicht zuletzt in den Akten des Bundeskanz-
leramtes wider.
Aus Sicht des Bundestages ist eine wissenschaftliche Aufarbeitung zu den NS-Be-
lastungen der frühen Bundesrepublik Deutschland ohne eine systematische Untersu-
chung der Rolle des Bundeskanzleramtes nicht möglich. Eine solche umfassende
Untersuchung liegt bis heute nicht vor.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

eine Historikerkommission zur Untersuchung der Rolle des Bundeskanzleram-
tes im Zusammenhang mit NS-Belastungen der frühen Bundesrepublik
Deutschland und der Rolle von NS-belasteten Personen in Ministerien und In-
stitutionen des Bundes zwischen 1949 und 1984 einzusetzen,

einen Untersuchungsauftrag zu formulieren, der die Frage der personellen und
inhaltlichen NS-Bezüge in der Bundesrepublik Deutschland und die Kenntnis
und Stellung des Bundeskanzleramtes hierzu ins Zentrum stellt,

der einzurichtenden Historikerkommission den freien Zugang zu allen für den
Auftrag notwendigen Akten zu garantieren,

eine ausreichende Finanzierung einer solchen Historikerkommission aus den
Mitteln des Bundeskanzleramtes sicherzustellen.

Berlin, den 5. November 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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