BT-Drucksache 18/2883

Nationales Konversionsprogramm entwickeln - Umwandlung der Militärwirtschaft in eine Friedenswirtschaft ermöglichen

Vom 15. Oktober 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2883
18. Wahlperiode 15.10.2014
Antrag
der Abgeordneten Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine

Michael Leutert, Stefan Liebich, Niema Movassat,
Dr. Alexander S. Neu, Alexander Ulrich, Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann
(Zwickau)
n eine Friedenswirtschaft lichen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Volumen der weltweiten Rüstungsgeschäfte ist laut dem Stockholm Internatio-
nal Peace Research Institut (SIPRI) im Zeitraum von 2007 bis 2011 um 25 Prozent
gestiegen. Die Bundesrepublik Deutschland steigerte ihre Rüstungsexporte im sel-
ben Zeitraum um 37 Prozent. Rüstungsexporte sind zwar stets auch Ausdruck einer
geostrategisch orientierten Außenpolitik. Zugleich werden aus Gründen des Ge-
winnstrebens der Rüstungsindustrie ständig neue Aufträge akquiriert und neue Ab-
satzmärkte für militärische Güter erschlossen. Damit nimmt der selbstgeschaffene
Druck zu, die militärischen Güter ins Ausland zu exportieren.
Deutschland ist aktuellen Angaben zufolge im Zeitraum von 2009 bis 2013 nach den
USA (29 Prozent) und Russland (27 Prozent) mit 7 Prozent Weltmarktanteil der
drittgrößte Exporteur von Waffen und Rüstungsgütern (vgl. Siemon T.
Wezeman/Pieter D. Wezeman, Trends in international Arms Transfers, 2013, SIPRI
Factsheet, March 2014). Die meisten Einzelgenehmigungen für Exporte betreffen
Klein- und Handfeuerwaffen, die weltweit für die meisten Todesopfer in Konflikten
verantwortlich sind und deren Weiterverbreitung in den jeweiligen Empfängerlän-
dern nicht kontrollierbar ist. Das wahre Ausmaß von Waffen- und Rüstungsexporten
wird zunehmend verschleiert durch Komponentenaufspaltung der Aufträge und Lie-
ferungen sowie durch transnationale Kooperationen der staatlich gestützten Rüs-
tungskonzerne. In einigen Ländern sind durch direkte Staatsbeteiligungen politische
und wirtschaftliche Interessen faktisch zu militärisch-industriellen Komplexen ver-
flochten. Die Militär- und Sicherheitsapparate von Staaten oder von Staatenbündnis-
sen wie der NATO und EU fungieren als Auftraggeber, während die Rüstungsin-
dustrie als einziger Auftragnehmer das verfügbare Angebot monopolisieren und ihre
Machtposition durch Kapitalkonzentration, Exportorientierung und Transnationali-
sierung ausbauen kann. In Deutschland haben die fünf größten Rüstungskonzerne
(European Aeronautic Defence and Space Company/EADS, Rheinmetall, Kraus-
Maffei Wegmann, Thyssen-Krupp und Diehl Defence) den Markt weitgehend unter
sich aufgeteilt. Hinzu kommen staatlich mitfinanzierte Projekte für militärische
Zwecke im Rahmen der „Wehrtechnischen Forschung“.

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Trotz der massiv gestiegenen Exporte der letzten Jahre hat die Rüstungsindustrie der
Bundesrepublik Deutschland nur eine geringe volkswirtschaftliche Bedeutung. Die
Rüstungsproduktion trägt gerade mal 0,6 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei, wo-
von 70 Prozent auf den Export entfallen. Es handelt sich um einen mit Steuermitteln
am laufen gehaltenen kleinen Industriezweig, der in erheblichem Ausmaß Frieden
und Stabilität im internationalen Staatensystem gefährdet. Auch die weitläufig ver-
breitete Ansicht, wonach die Rüstungsproduktion besonders arbeitsplatzintensiv sei,
trifft nicht zu. 2012 belegte eine Studie des eng mit der TU Berlin und der TU Darm-
stadt kooperierenden, unabhängigen Wirtschaftsforschungsinstituts WifOR, dass im
eigentlichen Kernbereich der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (KSV), d. h.
für die Herstellung von mobilen und stationären Waffensystemen, Waffen und Mu-
nition, lediglich noch ca. 17 000 Erwerbstätige beschäftigt sind. Im Erweiterten Be-
reich der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (ESV), d. h. für die Güterproduk-
tion zu militärischen Aufklärungszwecken, für IT, Einsatzmanagement und zum
Schutz von kritischen Infrastrukturen, arbeiten ca. 80 000 Erwerbstätige. Insgesamt
sind dies weit weniger als 0,3 Prozent aller abhängig Beschäftigten. Von einem „Job-
Motor“ Rüstungsindustrie kann folglich keine Rede sein.
Die Konversion dieser militärindustriellen Arbeitsplätze in zivilwirtschaftliche Ar-
beitsplätze ist anzustreben und zu bewältigen. Sie muss nachhaltig und endgültig
sein und auf eine klare Abspaltung ziviler Produktion von wehrtechnischer Produk-
tion abzielen. Es muss ausgeschlossen sein, dass Unternehmen öffentliche Unter-
stützung für die Umschulung oder für den Aufbau neuer ziviler Produktlinien erhal-
ten und gleichzeitig ihre wehrtechnische Produktion weiter ausbauen und durchläs-
sig bleiben. Damit würden öffentliche Konversionsprogramme Gefahr laufen, nur
eine Brückenfunktion einzunehmen, um vorübergehende Konjunkturdellen im glo-
balen Rüstungsgeschäft abzufedern.
Die Gewinne der Rüstungsunternehmen sollen herangezogen werden, um Rücklagen
zu bilden, die für die sozial verträgliche und schrittweise Gestaltung von Konversi-
onsprozessen, etwa für die Entwicklung und den Umbau von Produktionslinien, für
Umschulungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einzusetzen sind. Eine
Beteiligung der Rüstungsindustrie an den Kosten für Konversionsprozesse stellt an-
gesichts der jahrzehntelangen friedensgefährdenden und konfliktverschärfenden
Wirkung von Rüstungsexporten einen angemessenen Beitrag dar, um zu gewährleis-
ten, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgeht und auch keine Kriege in
anderen Ländern und Regionen durch deutsche Rüstungs- und Waffenexporte unter-
stützt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. ein nationales Programm zur schrittweisen Konversion der Rüstungsindustrie in
zivile Wirtschaftsbereiche unter enger Einbeziehung friedenspolitischer, ge-
werkschaftlicher, wissenschaftlicher, kirchlicher und zivilgesellschaftlicher Or-
ganisationen sowie der Beschäftigten in den Unternehmen zu erarbeiten und
noch in der 18. Wahlperiode dem Bundestag vorzulegen;

2. in Kooperation mit den Bundesländern ein Forschungsprogramm „Konversion“
aufzulegen und keine neuen öffentlichen Finanzmittel für Forschungsvorhaben
der wehrtechnischen Forschung mehr zu bewilligen sowie bereits bestehende
Forschungsprojekte mit finanzieller Beteiligung der öffentlichen Hand auslau-
fen zu lassen;

3. einen eigenen Konversionsfonds einzurichten, der aus Bundesmitteln finanziert
wird, zu diesem Zweck einen neuen Haushaltstitel „Konversion“ im Einzelplan
14 des Bundeshaushalts aufzunehmen, der für das nächste Haushaltsjahr 2015
mit 2 500 000 000 Euro Startkapital ausgestattet wird. Die Finanzierung erfolgt
durch den Anteil des Bundes am Reingewinn der Bundesbank;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2883
4. unbewegliche Sachen (militärische Liegenschaften der Bundeswehr, die nicht

mehr genutzt werden), die durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben ver-
waltet werden, sind vorrangig den Kommunen bzw. Bundesländern, in denen
sie liegen, sowie regionalen zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren
kostengünstig zur zivilen Nachnutzung anzubieten, um den nötigen Struktur-
wandel zu unterstützen. Etwaige Einnahmen aus der Veräußerung der Liegen-
schaften fließen vollständig in den Konversionsfonds;

5. den Konversionsprozess dadurch unumkehrbar zu machen, dass öffentliche För-
dermittel zur Vervielfältigung und Überführung von wehrtechnischen Produkti-
onslinien in zivile Produktionslinien strikt mit der Verkleinerung des Rüstungs-
bereichs verbunden sein müssen, um diesen durch zivile Produktionsgüter zu
ersetzen und perspektivisch zu beseitigen;

6. die Rüstungsunternehmen dazu zu verpflichten, aus ihren Gewinnanteilen Rück-
lagen zu bilden, die als Kostenbeteiligung für die Umstellung auf zivile Produk-
tionslinien und für Qualifizierungsmaßnahmen der Beschäftigten für zivile Be-
rufstätigkeiten einzusetzen sind;

7. die Forderung der IG Metall nach einem Branchenrat „Wehr- und Sicherheits-
technik“ für den industriepolitischen Dialog zu unterstützen mit dem Ziel, dass
die Gewerkschaften und Betriebsräte die notwendigen unternehmensinternen
Strukturmaßnahmen aktiv mitgestalten können, um zum Beispiel konversions-
relevante Pilotprojekte für die Bereiche Verkehr, Elektrotechnik, Chemische In-
dustrie, Maschinenanlagenbau und -zubehör, Umweltschutz, Raumfahrtindus-
trie, Nautik, Meerestechnik und Tiefseeforschung zu entwickeln;

8. zur nachhaltigen Absicherung des Konversionsprozesses die Außen- und Si-
cherheitspolitik Deutschlands auf zivile Krisenprävention und zivile Konflikt-
bearbeitung, humanitäre Hilfe und internationale Entwicklungszusammenarbeit
neu auszurichten sowie einen Gesetzentwurf für ein Verbot von Waffen- und
Rüstungsexporten vorzulegen.

Berlin, den 15. Oktober 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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