BT-Drucksache 18/286

Für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeitsrecht

Vom 15. Januar 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/286
18. Wahlperiode 15.01.2014

Antrag
der A geordneten e i Da delen an orte atthias W. Birk ald
Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, Katrin Kunert, Petra Pau, Martina Renner,
Kersten Steinke, Frank Tempel, Halina Wawzyniak, Harald Weinberg
und der Fraktion DIE LINKE.

Für ein fortschrittliches Staatsangehörigkeitsrecht

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Einbürgerungsquote in Deutschland lag nach EU-Angaben im Jahr 2011
mit 1,5 Prozent deutlich unter dem Durchschnittswert aller EU-Länder mit
2,3 Prozent. Um langjährig hier lebenden Migrantinnen und Migranten glei-
che Rechte und Aufenthaltssicherheit zu verschaffen, bedarf es deshalb
deutlicher Einbürgerungserleichterungen. Stattdessen wurde im Jahr 2007
das Staatsangehörigkeitsgesetz durch die damalige Große Koalition noch
einmal verschärft. Ein Tiefststand im Jahr 2008 mit unter 95 000 Einbürge-
rungen war die Folge. Auch 2012 lag die Einbürgerungszahl mit 112 000
immer noch niedriger als zuletzt im Rahmen des antiquierten Reichs- und
Staatsangehörigkeitsgesetzes (1999: 143 000).

2. Untersuchungen belegen, dass der Zwang, die bisherige Staatsangehörigkeit
bei der Einbürgerung aufzugeben, ein wesentliches Hindernis für den Er-
werb der deutschen Staatsangehörigkeit ist. Hinzu kommen weitere rechtli-
che Hürden wie zum Beispiel hohe Gebühren, Sprach- und Einkommensan-
forderungen. Ohne Einbürgerungserleichterungen, so auch das Bundesver-
fassungsgericht in seinem Urteil vom 31. Oktober 1990 zum kommunalen
Ausländerwahlrecht (BVerfG, Urteil vom 31. Oktober 1990, Az. 2 BvF 2/89
und 6/89, juris Rn. 56), lässt sich ein schwerwiegendes Demokratiedefizit in
Deutschland nicht beheben: Millionen dauerhafte Bewohnerinnen und Be-
wohner des Landes ohne deutsche Staatsangehörigkeit sind vom Wahlrecht
als dem Kernelement politischer Mitbestimmung in einer parlamentarischen
Demokratie ausgeschlossen, ihnen werden gleiche Rechte vorenthalten. Ihre
Zahl hat sich seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von
5,5 Millionen auf über 7 Millionen noch vergrößert, die durchschnittliche
Aufenthaltsdauer stieg auf 19 Jahre.

3. Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Koalitionsvereinbarung, den Opti-
onszwang im Staatsangehörigkeitsrecht für in Deutschland geborene und
aufgewachsene Kinder aufzuheben, ansonsten aber alles beim Alten zu be-
lassen, ein völlig unzureichender Schritt. Statt ein modernes und offenes
Staatsangehörigkeitsrecht zu schaffen, wird lediglich eine einzelne Regelung
zurückgenommen, die aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken und we-
gen ihres spätestens ab 2018 enormen bürokratischen Aufwands ohnehin
kaum haltbar war. Diese Koalitionsvereinbarung ist eine herbe Enttäuschung
für viele Migrantinnen und Migranten, die sich von der Bundestagswahl

Drucksache 18/286 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

zumindest eine generelle Akzeptanz der Mehrstaatigkeit, auch als Zeichen
ihrer Anerkennung und der Öffnung der Gesellschaft, erhofft hatten. Es war
ein zentrales Versprechen der SPD, einem Koalitionsvertrag ohne doppelte
Staatsangehörigkeit nicht zuzustimmen. Durchsetzen konnten sich jedoch
die Parteien CDU und CSU mit ihrer weiterhin auf ideologische und rechtli-
che Ausgrenzung setzenden Haltung.

4. Die geplante Rücknahme lediglich der Optionspflicht wird neue Ungerech-
tigkeiten schaffen: Die jahrzehntelang hier lebende erste Einwanderungsge-
neration und neue Einwanderinnen und Einwanderer und ihre Kinder wer-
den benachteiligt, weil es für sie beim Grundsatz der Vermeidung der Mehr-
staatigkeit bleibt. Es bleibt zudem bei der faktischen Diskriminierung insbe-
sondere türkischer Staatsangehöriger: Während bei ihnen die Mehrstaatig-
keit bei Einbürgerungen im Jahr 2012 nur zu 22,3 Prozent akzeptiert wurde,
in Bayern in der Vergangenheit sogar nur zu unter 4 Prozent, lag dieser An-
teil bei nicht türkischen Staatsangehörigen aufgrund von Sonderregelungen
bundesweit bei 61,5 Prozent. Auch die sehr unterschiedliche Einbürge-
rungspraxis einzelner Bundesländer ist nicht hinnehmbar, schließlich geht es
um den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit. Bayern und Baden-
Württemberg liegen im Vergleich der westdeutschen Bundesländer bei den
Einbürgerungsquoten seit Jahren deutlich zurück, als Erklärung kommt ins-
besondere der besonders strenge Umgang mit Mehrstaatigkeit in Betracht.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, um das Staatsangehörigkeitsrecht grundlegend
zu modernisieren und Einbürgerungen umfassend zu erleichtern. Hierzu gehört
insbesondere:

a) Die Mehrstaatigkeit wird bei Einbürgerungen und beim Erwerb der deut-
schen Staatsangehörigkeit durch Geburt in Deutschland generell akzeptiert.

b) Ein Einbürgerungsanspruch besteht im Grundsatz nach fünfjährigem Auf-
enthalt, beim Erwerb der Staatsangehörigkeit durch Geburt genügt es, wenn
ein Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat.

c) Ehemalige Deutsche, die ihre deutsche Staatsangehörigkeit infolge der Op-
tionspflicht (§ 29 StAG) oder auch infolge der 1999 beschlossenen Neurege-
lung zu ihrem Verlust bei Erwerb einer weiteren Staatsangehörigkeit
(§ 25 StAG) verloren haben, erhalten auf Antrag ohne weitere Anforderun-
gen oder Gebühren die deutsche Staatsangehörigkeit zurück, ohne die bishe-
rige aufgeben zu müssen.

d) Einbürgerungen erfolgen unabhängig vom Einkommen oder dem sozialen
Status der Betroffenen, eine Prüfung der „inneren Gesinnung“ oder der
„Verfassungstreue“ findet nicht statt.

e) Staatsbürgerschaftskurse werden als freiwillige, kostenlose und alltagsnahe
Hilfsangebote ausgestaltet, die Fähigkeit zur einfachen mündlichen Verstän-
digung in deutscher Sprache ist für eine Einbürgerung ausreichend.

f) Einbürgerungen erfolgen unter Erhebung geringer Gebühren und bei sozia-
ler Bedürftigkeit auch kostenfrei.

g) Bei strafrechtlichen Verurteilungen gelten die bis 2007 bestehenden Rege-
lungen, darüber hinaus ist eine Einbürgerung strafrechtlich Verurteilter nach
einer Gesamtwürdigung aller Umstände im Einzelfall möglich.

Berlin, den 14. Januar 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/286

Begründung

Neben dem Grundsatz der Vermeidung der Mehrstaatigkeit gibt es weitere Regelungen im Staatsangehörig-
keitsgesetz, die Einbürgerungen erschweren und die zudem immer weiter verschärft wurden, z. B. auch
durch die Gesetzesreform der Koalition von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Jahr 1999 in Bezug
auf Gebühren und nachzuweisende Deutschkenntnisse. Ab dem Jahr 2000 war es insbesondere türkischen
Staatsangehörigen mit Aufhebung der so genannten „Inlandsklausel“ nicht mehr möglich, eine doppelte
Staatsangehörigkeit zu erwerben. Zehntausende Deutsche mit türkischen Wurzeln verloren daraufhin ihre
deutsche Staatsangehörigkeit, häufig ohne ihr Wissen. Schon 2002 lag die Zahl der Einbürgerungen wieder
unterhalb des Werts von 1999.
In der Einbürgerungspraxis ist die Mehrstaatigkeit längst der Regelfall und problemlos gelebte Realität von
Millionen von Menschen. Das Festhalten am Dogma der Vermeidung der Mehrstaatigkeit, die Unterstel-
lung von Illoyalität oder staatsbürgerlicher Unzuverlässigkeit (man könne nicht zwei Herren gleichzeitig
dienen), entspringt einer überkommenen Ideologie, die auf Ausgrenzung und pauschale Verdächtigungen
gegenüber Migrantinnen und Migranten setzt.
Wie Spielräume im geltenden Recht positiv genutzt werden könnten, hat die Fraktion DIE LINKE. auf
Bundestagsdrucksache 17/12185 im Detail dargelegt.

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