BT-Drucksache 18/285

Gesetzliche Karenzzeit für ausgeschiedene Regierungsmitglieder einführen

Vom 15. Januar 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/285
18. Wahlperiode 15.01.2014

Antrag
der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak, Matthias
W. Birkwald, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, Katrin Kunert, Petra Pau, Martina
Renner, Kersten Steinke, Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Gesetzliche Karenzzeit für ausgeschiedene Regierungsmitglieder einführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Verflechtung von Politik und Wirtschaft ist seit langem ein Thema
breiter gesellschaftlicher Debatten. Die Verquickung wirtschaftlicher
und politischer Interessen untergräbt das Vertrauen in Politik. Besondere
Aufmerksamkeit gewinnt das Thema, wenn ausgeschiedene Regie-
rungsmitglieder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit ihrem
Ausscheiden aus der Regierung in eine Führungsposition bei einem „in
privat-rechtlicher Form“ geführten „Wirtschaftsunternehmen“ (Arti-
kel 87e Absatz 3 des Grundgesetzes) wechseln.

2. Um Vertrauen in die Politik wiederherzustellen sind sogenannte Karenz-
zeitenregelungen für ausscheidende Regierungsmitglieder dringend er-
forderlich. Die Bundesregierung sollte deshalb unverzüglich mit allen im
Bundestag vertretenen Parteien in einen politischen Dialog dazu eintre-
ten, wie eine „angemessene Regelung für ausscheidende Kabinettsmit-
glieder, Parlamentarische Staatssekretärinnen und Staatssekretäre und
politische Beamtinnen und Beamte“ (Koalitionsvertrag, S. 152) aussehen
sollte.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

zeitnah einen Gesetzentwurf einzubringen, der für ausgeschiedene Regierungs-
mitglieder Transparenz und eine gesetzliche Karenzzeitregelung vorsieht, die sich
orientiert an der Dauer des Regierungsamtes, dem sich daraus ergebenden zeitli-
chen Anspruch auf Übergangsgeld und der ressortmäßigen Zuständigkeit.

Berlin, den 14. Januar 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Drucksache 18/285 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Begründung

Die Erwartung der Bevölkerung, dass Regierungsmitglieder ihr Handeln ihrer rechtlichen Stellung und
Funktion im Verfassungsgefüge entsprechend am Gemeinwohl ausrichten, ist unabdingbare Voraussetzung
für die Akzeptanz und Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie. Der nahtlose Wechsel eines
ehemaligen Regierungsmitgliedes zu in privat-rechtlicher Form geführten Wirtschaftsunternehmen muss
den Eindruck erwecken, ehemalige Regierungsmitglieder nutzten das in ihrer Amtszeit erlangte Insiderwis-
sen gegen entsprechende Bezahlung zu ihrem persönlichen Vorteil, indem sie dieses in den Dienst privater
Partikularinteressen stellen.
TRANSPARENCY INTERNATIONAL Deutschland e. V. fordert deshalb seit Langem für Regierungsmit-
glieder eine Karenzzeit nach dem Ausscheiden aus dem Amt, sofern ein sachlicher oder personeller Zu-
sammenhang zwischen dem bisherigen Regierungsamt und der nach dem Ausscheiden beabsichtigten Tä-
tigkeit erkennbar ist (vgl. TRANSPARENCY INTERNATIONAL Deutschland e. V. – Koalition gegen
Korruption, Positionspapier zu Karenzzeiten für Politiker und Beamte). Namhafte Wissenschaftler haben
diese Forderung bereits vor langer Zeit aufgegriffen (vgl. Ulrich von Alemann/Florian Eckert, Lobbyismus
als Schattenpolitik, APuZ 2006, Nr. 15-16/2006, S. 3, 10).
Die Bundesregierung hat die potentielle Gefahr, die der Akzeptanz und damit der Funktionsfähigkeit der
parlamentarischen Demokratie droht, wenn das Vertrauen in die Integrität ihrer politischen Entscheidungs-
prozesse durch Interessenverquickung und Intransparenz nachhaltig erschüttert ist, inzwischen erkannt:
„Um den Anschein von Interessenkonflikten zu vermeiden“, strebt sie laut Koalitionsvertrag (S. 152) „für
ausscheidende Kabinettsmitglieder, Parlamentarische Staatssekretärinnen und Staatssekretäre und politische
Beamtinnen und Beamte eine angemessene Regelung an.“
Eine solche Regelung ist in der Tat dringend erforderlich. Die besondere Vertrauensstellung von Kabi-
nettsmitgliedern und Parlamentarischen Staatssekretärinnen und Staatssekretären endet nicht etwa unmittel-
bar mit ihrem Ausscheiden aus dem Amt oder mit der Aufgabe des Mandates, sondern wirkt zeitlich nach.
Mit der Vertrauensstellung einher geht eine besondere Pflichtenstellung. Auch diese Pflichtenstellung endet
nicht etwa mit dem Tage des Ausscheidens aus der Bundesregierung, sondern geht zeitlich darüber hinaus:
Unvereinbarkeiten mit der Ausübung eines Regierungsamtes bestehen deshalb nicht ausschließlich während
der Amtszeit, sondern wirken – mit abnehmender Intensität – auch nach deren Ausscheiden aus diesem Amt
noch eine Zeit lang fort. Diese mit dem besonderen Vertrauen als Regierungsmitglied einhergehende, über
die Amtszeit hinaus nachwirkende Pflichtenstellung verletzen ehemalige Kabinettsmitglieder und Parla-
mentarische Staatssekretärinnen und Staatssekretäre, wenn sie in ihrer Amtszeit erworbene Kenntnisse und
Kontakte in zeitlicher Nähe nach ihrem Ausscheiden oder der Aufgabe ihres Amtes in eine Erwerbstätigkeit
als leitender Angestellter oder Berater bei einem privatrechtlich organisierten, auf Gewinnerzielung ausge-
richteten Wirtschaftsunternehmen einbringen.
Außer den legitimen Zweck zu verfolgen, die Integrität politischer Entscheidungsprozesse und die Funkti-
onsfähigkeit des parlamentarisch-repräsentativen Regierungssystems zu schützen, darf eine gesetzliche
Karenzzeitregelung im Hinblick auf den darin liegenden Eingriff in die Berufsfreiheit ausscheidender Re-
gierungsmitglieder nicht stärker als zu Erreichung dieses Zweckes erforderlich in Artikel 12 des Grundge-
setzes eingreifen und nicht außer Verhältnis zur Förderung dieses Zwecks stehen. Um dies zu gewährleis-
ten, muss die Länge einer gesetzlich zu regelnden Karenzzeit in Abhängigkeit von Dauer der Regierungs-
mitgliedschaft bemessen sein und bei der Maximaldauer ferner berücksichtigen, dass ehemalige Regie-
rungsmitglieder während ihrer Karenzzeit nur eingeschränkt erwerbstätig sein können. Eine gesetzliche
Regelung ist dementsprechend angemessen, wenn sie sowohl die Dauer der Amtszeit als auch die Art der
beabsichtigten Tätigkeit, den bisherigen Tätigkeitsbereich und die Versorgungsansprüche ausgeschiedener
Regierungsmitglieder aus ihrem bisherigen Amt gleichermaßen berücksichtigt. Konkret sollte die Karenz-
zeitregelung zeitlich auf den Zeitraum abgestimmt sein, für den der Bund dem jeweiligen Regierungsmit-
glied gemäß § 14 des Bundesministergesetzes (Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Bun-
desregierung) ein Übergangsgeld zahlt. Dieser Zeitraum richtet sich nach der Dauer des Regierungsamtes.
In sachlicher Hinsicht kann sich die Karenzzeit nur auf den Zuständigkeitsbereich des ausscheidenden Re-
gierungsmitgliedes beziehen. Denn nur insoweit droht eine eigennützige Weiterverwertung im Rahmen der
dem Gemeinwohl verpflichteten Ausübung des öffentlichen Amtes erlangter Kenntnisse und erworbener
Erfahrungen, die im Hinblick auf die Integrität der politischen Entscheidungsprozesse und die Funktionsfä-
higkeit des parlamentarisch-repräsentativen Regierungssystems illegitim ist.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/285

Bei einer gesetzlichen Karenzzeitregelung für ausgeschiedene Regierungsmitglieder ist daran zu denken,
dass in der Wirtschaft bei bestimmten Arbeitsverhältnissen ebenfalls Karenzzeitregelungen vorgesehen sind
und eingehalten werden müssen.

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