BT-Drucksache 18/2745

Sofort besser fördern - BAföG-Reform überarbeiten und vorziehen

Vom 8. Oktober 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2745
18. Wahlperiode 08.10.2014
Antrag
der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Katja Dörner, Özcan Mutlu, Beate
Walter-Rosenheimer, Dr. Franziska Brantner, Maria Klein-Schmeink, Dr. Tobias
Lindner, Tabea Rößner, Elisabeth Scharfenberg, Ulle Schauws, Kordula
Schulz-Asche, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Harald Terpe, Doris Wagner,
Dr. Julia Verlinden und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sofort besser fördern – BAföG-Reform überarbeiten und vorziehen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Vier Jahre ohne BAföG-Reform haben die Ausbildungsfinanzierung für Schülerin-
nen, Schüler und Studierende geschwächt. Nun hat auch die Bundesregierung er-
kannt, dass dieser Stillstand beendet werden muss. Mit der am 24. August 2014 vor-
gelegten 25. BAföG-Novelle widmet sich die Bundesregierung zahlreichen Reform-
bedarfen, geht diese allerdings nur halbherzig an. Hinzu kommt, dass die Verbesse-
rungen erst zum Wintersemester 2016/17 greifen sollen. Es ist weder generationen-
noch chancengerecht, das BAföG erst in zwei weiteren Jahren zu verbessern. Diese
zusätzlichen Warteschleifen blockieren nicht nur die dringend notwendige soziale
Öffnung des Bildungssystems, sie sind in Zeiten des Fachkräftemangels auch öko-
nomisch absurd. Laut Novelle ist ab 1. Januar 2015 der Bund alleine für das BAföG
zuständig. Es gibt also keinen Grund, Schülerinnen, Schülern und Studierenden wei-
tere Nullrunden zu verordnen. Statt eines kleinen Wurfs 2016 brauchen sie sofort ein
besseres und höheres BAföG.

Das BAföG soll zum Leben reichen und Studieren finanzieren. Es soll vor allem
diejenigen zum Studium ermuntern, deren Eltern wenig verdienen, eine Einwande-
rungsgeschichte oder eine nichtakademische Biografie haben. Dafür ist eine deutlich
höhere, weniger bürokratische, bolognagerechtere und familienfreundlichere Studi-
enfinanzierung notwendig. Für eine substanzielle Verbesserung des BAföG ist es
notwendig, dass der Förderbetrag für Schülerinnen, Schüler und Studierende deut-
lich steigt, der Empfängerkreis deutlich wächst und die Förderleistungen und
-bestimmungen mit der vielfältiger werdenden Lebensrealität der jungen Generation
in Einklang gebracht werden. Durch eine spürbare Erhöhung der Freibeträge muss
zudem gewährleistet werden, dass das „Mittelschichtsloch“ im BAföG nicht weiter
wächst, sondern endlich wieder die Zahl der Berechtigten.

Im Kabinettsentwurf der 25. Bafög-Novelle finden sich zu diesen zentralen Aspek-
ten begrüßenswerte Schritte wie die Anhebung und Vereinheitlichung des Kinder-
betreuungszuschlags. Andererseits bleibt die Bundesregierung hinter dem Notwen-
digen zurück, wie bei der Erhöhung der Freibeträge und Bedarfssätze um 7 Prozent.

Drucksache 18/2745 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Sie berücksichtigt den Anstieg der Nettoeinkommen nur unvollständig. Weiterge-
hende wichtige Verbesserungen fehlen, darunter die dynamische, regelmäßige und
automatische Anpassung der Bedarfssätze an die Preisentwicklung sowie der Frei-
beträge an die Einkommensentwicklung. Als alleiniger Finanzier des BAföG sollte
der Bund diese neue Gestaltungs- und Handlungsfähigkeit im Sinne der jungen Ge-
neration nutzen. Damit wird die unbefriedigende und ungerechte Situation beendet,
dass mehrere Studierenden-Generationen und viele Jahre ins Land gehen, bevor sich
beim BAföG etwas tut.

Über die Studienfinanzierung hinaus muss die Verbesserung des BAföG auch den
schulischen Bereich vor allem in den Berufen des Gesundheits-, Erziehungs- und
Sozialwesens umfassen. Hier wird der Fachkräftemangel allenthalben beklagt, es
fehlt bisher aber eine durchdachte Strategie zur Förderung sowohl der Aus- als auch
der Weiterbildung in diesen Bereichen. Auch beim Übergang von der Schule in die
Ausbildung muss überprüft werden, ob das BAföG wirkt. Denn bisher besteht die
Gefahr, dass junge Menschen an dieser Schnittstelle scheitern, weil Unterstützung
zwar theoretisch besteht, aber die Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht er-
reicht.

Daneben muss die Ausbildungsfinanzierung durch ein Weiterbildungs-BAföG für
das lebenslange Lernen geöffnet werden. Durch einen Rechtsanspruch sollte sowohl
die Finanzierung des Lebensunterhaltes während der Weiterbildungsphasen als auch
eine Übernahme der Kosten zertifizierter Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen si-
chergestellt werden. Je nach individueller Lage soll dies in einem Mix aus Zuschuss
und Darlehen gewährt werden. Dabei muss das Nachholen von Schul- und Erstaus-
bildungsabschlüssen komplett als Zuschuss erfolgen. All diese Reformen bieten die
Chance auf eine umfassendere soziale Öffnung des Bildungssystems.

An den Hochschulen hat das Deutschlandstipendium die dringende soziale Öffnung
bis heute nicht bewirkt. Auf 2,5 Millionen Studierende in Deutschland kamen 2013
knapp 20 000 Deutschlandstipendien. Damit hat die Bundesregierung erneut ihre
Zielvorgabe deutlich unterschritten. Um Stipendienmittel bei den Stiftern einzuwer-
ben, betrieb die öffentliche Hand einen unverhältnismäßig großen Verwaltungsauf-
wand. Das kritisiert auch der Bundesrechnungshof (BRH), der eine deutliche Redu-
zierung des Durchführungsaufwandes fordert. Der BRH monierte auch, dass 93 Pro-
zent der Geförderten keine Studienanfänger waren. Damit verfehle das Programm
den eigenen Anspruch, junge Menschen für die Aufnahme eines Studiums zu be-
geistern. Das Deutschlandstipendium ist ein unausgegorenes Prestigeobjekt und ein
Ladenhüter geblieben. Anstatt dafür Steuergelder zu investieren, sollte das Deutsch-
landstipendium in die Hände der Stifter überführt werden, die das Programm in Ei-
genregie und auf eigene Kosten weiterführen können.

Wer mehr Bildungsaufstieg will, muss die staatliche Ausbildungsförderung an sich
ändernde Realitäten anpassen und umfassend stärken. Perspektivisch sollte das
BAföG darum zu einer Studienfinanzierung aus zwei Säulen von Vollzuschüssen
erweitert werden. Die erste Säule bestünde dabei aus einem einheitlichen Sockelbe-
trag, der als Ersatz von Kindergeld bzw. Kinderfreibetrag gebündelt allen Studieren-
den direkt und elternunabhängig zugutekommt. Die zweite Säule garantierte eine
starke soziale Komponente und wirkt damit gezielt für Studienberechtigte aus ein-
kommensarmen Elternhäusern. Mit dieser Zwei-Säulen-Finanzierung können junge
Menschen aus bisher unterrepräsentierten Gruppen noch stärker für ein Studium ge-
wonnen und die Hochschulen sozial geöffnet werden.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2745
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. im anstehenden Gesetzgebungsverfahren die fachfremde Kopplung zwi-
schen der 25. BAföG-Novelle und der Verfassungsänderung von Artikel
91b GG zugunsten einer sachgerechten Beratung beider Reformvorhaben
aufzugeben;

2. zum 1.4.2015 die Fördersätze um 10 Prozent und die Freibeträge für das
Einkommen von Eltern, Ehepartnern und Ehepartnerinnen sowie Lebens-
partnerinnen und Lebenspartnern, sowie von Auszubildenden um 10 Pro-
zent zu erhöhen;

3. im BAföG geeignete Indexierungen für dynamische, regelmäßige und auto-
matische Erhöhungen von Fördersätzen und Freibeträgen einzuführen;

4. zur angemessenen Erstattung der tatsächlichen Wohnkosten die bisherige
Mietkostenpauschale regional gestaffelt an regionale Durchschnitte anzu-
passen;

5. den Kinderbetreuungszuschlag für BAföG-Berechtigte mit eigenen Kindern
unter 10 Jahren zum 1. April 2015 auf 130 Euro anzuheben und künftig
einheitlich für jedes Kind zu gewähren;

6. die Förderhöchstdauer für Studierende, die nahe Angehörige pflegen, gene-
rell zu erhöhen;

7. Vorschläge zu unterbreiten, wie eine Teilzeitförderung ermöglicht werden
kann für Studierende, die aufgrund von Kinderbetreuung, Pflege von Ange-
hörigen, Behinderung oder schwerer chronischer Krankheit kein Vollzeit-
studium aufnehmen können;

8. Vorschläge zu unterbreiten, wie das BAföG überarbeitet werden muss, um
angesichts des Fachkräftemangels in den Berufen des Gesundheits-, Erzie-
hungs- und Sozialwesens auch die dortigen Auszubildenden ausreichend
und in allen Ausbildungsphasen zu fördern;

9. die Schnittstellen der verschiedenen Sozialgesetzbücher zum Bundesausbil-
dungsförderungsgesetz systematisch im Sinne der gezielten Förderung jun-
ger Menschen aufzuarbeiten, besser miteinander zu verzahnen und so ein
ermutigendes und effizientes Unterstützungssystem für mehr Ausbildungs-
beteiligung zu schaffen;

10. die unausgegorenen Deutschlandstipendien einzustellen und das Programm
in die Hände der Stifter zu überführen und die staatlichen Mittel stattdessen
für den Ausbau des BAföG zu verwenden;

11. einen Gesetzentwurf zur Förderung der Aus-, Fort- und Weiterbildung
(„Weiterbildungs-BAföG“) vorzulegen, das das lebenslange Lernen gezielt
unterstützt;

12. das BAföG mittelfristig zu einem Zwei-Säulen-Modell zu erweitern.

Berlin, den 7. Oktober 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
Drucksache 18/2745 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Begründung

Die soziale Öffnung der Hochschulen ist weiterhin eine große Aufgabe. Der Anteil der StudienanfängerInnen
aus „hochschulfernen Gruppen“ ist (laut Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks) zwischen 2003 und
2012 von 12 Prozent auf 9 Prozent gesunken. Während junge Menschen aus einkommensstärkeren Akademi-
kerfamilien weiterhin zu mehr als drei Vierteln ein Studium aufnehmen, erreichen solche aus einkommens-
ärmeren Nicht-Akademikerfamilien diese Studierquote bei weitem nicht.

Eine bessere Studienfinanzierung ist daher notwendig, um Chancengerechtigkeit zu fördern, alle Bildungspo-
tenziale auszuschöpfen und dem drohenden Fachkräftemangel zu begegnen.

Nicht zuletzt der 20. BAföG-Bericht von Anfang 2014 hat den hohen Reformbedarf beim BAföG aufgezeigt:
Die Lebensrealität der Studierenden und das BAföG entwickeln sich auseinander. Während 2005 noch mehr
als 70 Prozent der Studierenden grundsätzlich BAföG-berechtigt waren, sind es 2012 nur noch 66 Prozent
gewesen. Nur knapp ein Fünftel der Studierenden bezog im Jahr 2012 tatsächlich BAföG-Leistungen.

Die letzte BAföG-Erhöhung ist 2010 in Kraft getreten. Die Einkommensentwicklung hat seitdem jedoch dazu
geführt, dass die monatlichen Förderbeträge pro Studierendem von 2011 auf 2012 und auch im Jahr 2013 ge-
sunken sind. Fast zwei Drittel der Studierenden jobben schon jetzt während ihres Studiums.

Die Bundesregierung verspricht in ihrer Novelle, dass die Erhöhung der Freibeträge im Herbst 2016 mehr als
100 000 zusätzliche Förderberechtigte bewirken werde. Dies ist aber nur eine scheinbar gute Nachricht. Auf
Nachfrage muss die Bundesregierung zugeben, dass die Nicht-Erhöhung aufgrund der Einkommensentwick-
lung allein in den Jahren 2015 und 2016 mindestens rund 60 000 junge Menschen ihren eigentlich bestehenden
Förderanspruch kosten wird (Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Kosten von BAföG-
Reformschritten“ Drucksachennummer 18/2532). Auch in den Jahren 2014, 2013 und 2012 werden Zehntau-
sende aus dem Berechtigtenkreis herausgefallen sein.

All das sind Belege dafür, wie dringlich die BAföG-Leistung angepasst werden muss. Sie ist ein Rechtsan-
spruch und kein Almosen. Ihr Versprechen, Bildungsaufstieg fair zu finanzieren, darf nicht ausgehöhlt werden.

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