BT-Drucksache 18/2700

zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013

Vom 29. September 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2700
18. Wahlperiode 29.09.2014

Vierte Beschlussempfehlung
des Wahlprüfungsausschusses

zu Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag
am 22. September 2013

A. Problem
Gemäß Artikel 41 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) ist die Wahlprüfung
Sache des Deutschen Bundestages. Dieser hat nach den Bestimmungen des Wahl-
prüfungsgesetzes (WPrüfG) auf der Grundlage von Beschlussempfehlungen des
Wahlprüfungsausschusses über die Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl zum
18. Deutschen Bundestag zu entscheiden. Insgesamt sind 224 Wahleinsprüche ein-
gegangen. Die jetzt zur Beschlussfassung vorgelegten Entscheidungen betreffen die
letzten neun Wahlprüfungsverfahren.

B. Lösung
Zurückweisung eines Wahleinspruchs wegen Unzulässigkeit,
Zurückweisung von acht Wahleinsprüchen wegen Unbegründetheit.

Über mögliche Prüfbitten an die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Prü-
fung der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag entscheidet der Ausschuss im Rahmen
der Prüfung der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bun-
desrepublik Deutschland am 25. Mai 2014.

C. Alternativen
Keine.

D. Kosten
Keine.

Drucksache 18/2700 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
die aus den Anlagen ersichtlichen Beschlussempfehlungen zu Wahleinsprüchen an-
zunehmen.

Berlin, den 25. September 2014

Der Wahlprüfungsausschuss

Dr. Johann Wadephul
Vorsitzender und Berichterstatter

Dr. Hans-Peter Uhl
Berichterstatter

Volker Beck (Köln)
Berichterstatter

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2700

Inhaltsverzeichnis zum Anlagenteil:

Beschlussempfehlungen zu den einzelnen Wahleinsprüchen

Aktenzeichen Gegenstand Berichterstatter Anlage Seite

WP 76/13 Wahlrechtsausschluss (§ 13 BWG)
Abg. Volker Beck (Köln)/

Abg. Dr. Hans-Peter Uhl
1 5

WP 77/13 Wahlrechtsausschluss (§ 13 BWG)
Abg. Volker Beck (Köln)/

Abg. Dr. Hans-Peter Uhl
2 11

WP 88/13 Wahlrechtsausschluss (§ 13 BWG)
Abg. Volker Beck (Köln)/

Abg. Dr. Hans-Peter Uhl
3 17

WP 160/13 Wahlrechtsausschluss (§ 13 BWG)
Abg. Volker Beck (Köln)/

Abg. Dr. Hans-Peter Uhl
4 23

WP 163/13 Wahlrechtsausschluss (§ 13 BWG)
Abg. Volker Beck (Köln)/

Abg. Dr. Hans-Peter Uhl
5 29

WP 187/13
Ausgleichsverfahren, Stimmen-
splitting, Verständlichkeit des

Wahlgesetzes
Abg. Dr. Hans-Peter Uhl 6 35

WP 202/13 Wahlrechtsausschluss (§ 13 BWG)
Abg. Volker Beck (Köln)/

Abg. Dr. Hans-Peter Uhl
7 43

WP 222/13
Ausgleichsverfahren, Stimmen-
splitting, Verständlichkeit des

Wahlgesetzes
Abg. Dr. Hans-Peter Uhl 8 51

WP 224/13 Verfristung Abg. Dr. Johann Wadephul 9 59

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/2700

Anlage 1

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch

1. des Herrn D. K., 49088 Osnabrück,
2. des Herrn P. M., ebenda,
3. des Herrn D. H., ebenda,

– Az.: WP 76/13 –

gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag
am 22. September 2013

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2014 beschlossen,
dem Deutschen Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Einspruchsführer haben mit einem Schreiben vom 14. Oktober 2013 Einspruch gegen die Gültigkeit der
Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013 eingelegt.

Sie tragen vor, die Benachrichtigung zur Briefwahl sei teilweise nicht erfolgt und die Auszählung dieser feh-
lerhaft verlaufen. Denn sie hätten nicht die Gelegenheit gehabt, an den in Osnabrück und Hannover stattfin-
denden Stichwahlen teilnehmen zu können.

Außerdem zählten zwar laut der im Jahr 2009 ratifizierten UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit
Behinderungen zahlreiche psychische Erkrankungen zu den Behinderungen; gleichwohl seien nach den §§ 20,
21, 63, 64 des Strafgesetzbuches (StGB) in einer psychiatrischen Klinik befindliche und unter Betreuung ste-
hende schwerbehinderte Menschen gemäß § 13 des Bundeswahlgesetzes (BWG) von der Wahlteilnahme oft
ausgeschlossen worden.

Das Bundesministerium des Innern hat zu dem Vorbringen – nach Einbeziehung des Bundesministeriums
für Justiz und Verbraucherschutz und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales – hinsichtlich der Frage
der Verfassungsmäßigkeit der Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 Nr. 2 und Nr. 3 BWG am 9. September 2014
wie folgt Stellung genommen:

1. Das Wahlrecht stehe im Staat des Grundgesetzes allen Bürgern zu. Die Abgeordneten des Deutschen Bun-
destages würden nach Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) in allgemeiner, unmittelbarer, freier,
gleicher und geheimer Wahl gewählt. Damit stehe das aktive und passive Wahlrecht in der Bundesrepublik
Deutschland selbstverständlich auch Bürgern mit einer Behinderung zu, sofern sie die gesetzlichen Vorausset-
zungen erfüllten (Volljährigkeit, Wohnsitz im Bundesgebiet oder Eintragung in das Wählerregister auf Antrag;
keine Wahlrechtsausschlüsse). Das deutsche Wahlrecht sei darauf ausgelegt, auch Menschen mit Behinderung
die Wahrnehmung ihres Wahlrechts umfassend – wo nötig mit der notwendigen Unterstützung – zu ermögli-
chen. So sollten Wahlräume nach § 46 der Bundeswahlordnung (BWO) so ausgewählt und eingerichtet werden,
dass allen Wahlberechtigten, insbesondere Menschen mit Behinderungen und anderen Menschen mit Mobili-
tätsbeeinträchtigungen, die Teilnahme an der Wahl ermöglicht werde. Die Gemeindebehörden teilten frühzeitig
in geeigneter Weise mit, welche Wahlräume barrierefrei seien. Seit der letzten Bundestagswahl werde zudem
jedem Wähler bereits mit der Wahlbenachrichtigung mitgeteilt, ob sein Wahlraum barrierefrei sei und wo er
von der Gemeinde erfahren könne, welcher Wahlraum in seinem Wahlkreis barrierefrei sei (§ 19 Absatz 1 Satz
2 Nr. 2 und 7 BWO). Bei Stimmzetteln und Briefwahlunterlagen sollten nach § 45 Absatz 5 BWO Schriftart,
Schriftgröße und Kontrast so gewählt werden, dass die Lesbarkeit erleichtert werde. Nach § 57 BWO könnten
sich Wähler mit Behinderung bei der Stimmabgabe der Hilfe einer von ihnen bestimmten Hilfsperson oder
eines Mitglieds des Wahlvorstands bedienen. Blinde und sehbehinderte Wähler könnten zur Kennzeichnung
des Stimmzettels eine Wahlschablone nutzen, für die der Bund den Behindertenvereinen nach § 50 Absatz 4

Drucksache 18/2700 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

BWG die Kosten erstatte. Wo Menschen mit Behinderung die Teilnahme an der Wahl im Wahllokal nicht
möglich sei, stehe ihnen nach § 36 BWG als Alternative die Möglichkeit der Briefwahl zur Verfügung, wobei
sie sich ebenfalls der Assistenz einer Hilfsperson bedienen könnten.

2. Ausgeschlossen vom Wahlrecht sei nach § 13 BWG, wer infolge Richterspruchs in einem der gesetzlich
vorgesehenen Fälle das Wahlrecht nicht besitze (Nr. 1), derjenige, für den nach § 1896 des Bürgerlichen Ge-
setzbuches (BGB) zur Besorgung aller Angelegenheiten durch das Betreuungsgericht, und zwar nicht nur durch
einstweilige Anordnung, ein Betreuer bestellt sei (Nr. 2), und wer sich auf Grund einer richterlichen Anordnung
nach § 63 in Verbindung mit § 20 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus befinde, weil er im Zustand der
Schuldunfähigkeit eine rechtswidrige Tat begangen habe und von ihm infolge seines Zustands erhebliche
rechtswidrige Taten zu erwarten seien und der deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei (Nr. 3).

Der Wahlrechtsausschluss nach § 13 BWG knüpfe in den Fällen des § 13 Nr. 2 BWG also an die Anordnung
der Betreuung in allen Angelegenheiten (die nicht nur, wie in akuten und vorübergehenden Fällen, durch einst-
weilige Anordnung erfolgt sei) an. Er werde nicht etwa am Merkmal einer Behinderung festgemacht. Während
grundsätzlich eine Betreuung nach § 1896 Absatz 1 BGB angeordnet werden könne, wenn ein Volljähriger in
Folge einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine An-
gelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr besorgen könne und andere Hilfen nicht zur Verfügung stünden
(§ 1896 Absatz 2 BGB), könne eine zum Wahlrechtsausschluss führende Betreuung in allen Angelegenheiten
nach § 1896 BGB nur angeordnet werden, wenn der Betroffene aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung
keine seiner Angelegenheiten mehr selbst besorgen könne, wenn also feststehe, dass er alle Lebenssituationen
seines Alltags nicht mehr, auch nicht mehr teilweise eigenverantwortlich gestalten könne. Wenn dagegen der
Betroffene in einzelnen Lebensbereichen seine Angelegenheiten noch selbst besorgen könne, kämen eine Voll-
betreuung und der damit verknüpfte Wahlrechtsausschluss nicht in Betracht.

3. Der Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 2 BWG verletze nicht Artikel 38 Absatz 1 GG. Auch wenn der
Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in Artikel 38 Absatz 1 GG als Spezialfall des allgemeinen Gleichheits-
satzes des Artikels 3 GG und daher im Sinne einer streng formalen Gleichheit zu verstehen sei, seien Differen-
zierungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht gänzlich ausgeschlossen (vgl. Schrei-
ber, in: Friauf/ Höfling, Berliner Kommentar zum GG, 41. Ergänzungslieferung 7/13, Art. 38 Rn. 85 f.). Sie
bedürften allerdings eines besonderen, sachlich legitimierten Grundes (BVerfGE 28, 220 [225]; 69, 92 [106];
95, 408 [418 f.]; 132, 39 [47 f.]). Liege ein solcher vor, sei es Aufgabe des Gesetzgebers, die mit der Differen-
zierung verfolgten Ziele und den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in einen sachgerechten Ausgleich zu
bringen, wobei der Gesetzgeber Vereinfachungen und Typisierungen vornehmen dürfe (BVerfGE 132, 39 [48
f.]).

Zwar streite der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG für die Teilnahme
aller Deutschen an den Wahlen zum Bundestag. Er stehe jedoch in einem Spannungsverhältnis zu der so ge-
nannten Kommunikationsfunktion der Wahl. Danach sei die Möglichkeit, eine reflektierte Wahlentscheidung
zu treffen, für die Wahlteilnahme unabdingbar (vgl. BVerfGE 132, 39 [53 f.]). Vor diesem Hintergrund könne
nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht verfassungs-
rechtlich gerechtfertigt sein, wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen sei, dass die Mög-
lichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem
Maße bestehe (BVerfGE 132, 39 [51]).

In diesem Sinne bestimme die gesetzliche Regelung des § 13 Nr. 2 BWG, dass bei einer Person, von der auf-
grund einer Entscheidung des Betreuungsgerichts feststehe, dass sie keine ihrer Angelegenheiten mehr selbst
besorgen könne und dass sie alle Lebenssituationen des Alltags nicht mehr, auch nicht mehr teilweise eigen-
verantwortlich gestalten könne, die Voraussetzung für eine Wahlteilnahme fehle. Damit werde nicht die an-
spruchsvolle Voraussetzung gemacht, dass die Ausübung des Wahlrechts eine weitsichtige, vernunftbasierte
individuelle Entscheidung voraussetze, in der Verständnis für die Funktionsweise und das Wesen der Demo-
kratie zum Ausdruck komme. Vielmehr knüpfe das Bundeswahlgesetz den Wahlrechtsausschluss an die Tat-
sache, dass eine Person nach richterlicher Feststellung keine ihrer Angelegenheit mehr selbst besorgen könne,
und gründe darauf die gesetzliche Vermutung, dass damit die Voraussetzung zur Teilnahme am demokratischen
Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen fehle.

Darum habe sich der Gesetzgeber nach der Begründung zum Betreuungsgesetz vom 12. September 1990 zu
einer Streichung des Wahlrechtsausschlusses nach § 13 Nr. 2 BWG nicht in der Lage gesehen, weil das der
Bedeutung der Vorschrift für die Funktion des Wahlrechts im demokratischen Regierungssystem (BVerfGE

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/2700

67, 146 [148]; 36, 139 [141]) nicht gerecht würde. Aus verfassungsrechtlichen Gründen sei es geboten gewe-
sen, an die Stelle der früheren Anknüpfung, die wegen des Wegfalls der Entmündigung und der Gebrechlich-
keitspflegschaft gegenstandslos geworden sei, eine andere Anknüpfung zu finden (Bundestagsdrucksache
11/4528, S. 188 f.).

4. Dass der Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 2 BWG Fälle erfasse, in denen zwar eine Betreuung in allen
Angelegenheiten richterlich angeordnet worden sei, der oder die Betreute aber zur Teilnahme am demokrati-
schen Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen und einer reflektierten Wahlentscheidung in
der Lage sei, habe der Gesetzgeber des Betreuungsgesetzes 1992 offenbar in Hinblick auf den das neue Be-
treuungsrecht beherrschenden Erforderlichkeitsgrundsatz in § 1896 Absatz 2 BGB geglaubt ausschließen zu
können. Hiernach dürfe eine Betreuung nur für die Aufgabenkreise angeordnet werden, für die dies erforderlich
sei, also insoweit die Angelegenheiten des Betreuten nicht durch andere Hilfen (ohne Vertretungsbefugnis)
besorgt werden könnten. Wenn unter dieser Bedingung eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet
werden müsse (mit der gesetzlichen Folge des Wahlrechtsausschlusses), könne aus Sicht des Gesetzgebers von
der Unmöglichkeit einer eigenverantwortlichen Wahlteilnahme ausgegangen werden.

Daten über die Zahl der Betreuten, bei denen die Betreuung in allen Angelegenheiten (und nicht nur durch
einstweilige Anordnung) habe angeordnet werden müssen, und über die diesen Fällen zugrunde liegenden Um-
stände und Krankheitsbilder, die eine Überprüfung dieser gesetzlichen Vermutung böten, lägen derzeit nicht
vor, da die Fälle der Betreuung in allen Angelegenheiten und die diesen zugrunde liegenden Krankheitsbilder
nicht gesondert statistisch erfasst würden. Die Bundesregierung habe darum im Nationalen Aktionsplan zur
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention beschlossen, eine Studie in Auftrag zu geben, in der die tat-
sächliche Situation behinderter Menschen bei der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts untersucht
und Handlungsempfehlungen für eine verbesserte Partizipation von Menschen mit Behinderungen entwickelt
würden. Die Ergebnisse der Studie, die im Dezember 2013 an ein interdisziplinäres Forscher-Team aus den
Bereichen Verfassungs-/Wahlrecht, empirische Sozialwissenschaften/Politikwissenschaft, klinische Psycholo-
gie, (Behinderten-)Pädagogik sowie Völker- und Europarecht vergeben wurde, würden Ende 2015 vorliegen
und eine valide Grundlage für weitere Überlegungen und Entscheidungen des Gesetzgebers in Wahrnehmung
seiner verfassungsrechtlichen Beobachtungspflicht zu den Gesetzen zugrundeliegenden Annahmen und Prog-
nosen bieten.

5. Nach Artikel 29 des von der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2009 ratifizierten Übereinkommens der
Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK)
garantierten die Vertragsstaaten Menschen mit Behinderungen unter anderem die politischen Rechte und die
Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen beanspruchen zu können. In der der Ratifikation durch
Deutschland zugrunde liegenden Denkschrift der Bundesregierung zum Vertragsgesetz vom 8. November 2008
(Bundestagsdrucksache 16/10808, S. 63) wurde festgestellt, dass nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz
der Allgemeinheit der Wahl in Deutschland behinderten Menschen das aktive und passive Wahlrecht bei Bun-
destags-, Landtags- und Kommunalwahlen zustehe.

In Hinblick auf die bei der Ratifikation der UN-BRK bestehenden Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 BWG habe
die Denkschrift der Bundesregierung festgestellt: „An diesen gesetzlich festgeschriebenen und dem Sinne nach
auch in Rechtsordnungen anderer Staaten vorgesehenen Ausnahmefällen wird festgehalten, weil das Wahlrecht
als höchstpersönliches Recht nur Personen zustehen soll, die rechtlich in vollem Umfang selbständig hand-
lungs- und entscheidungsfähig sind. Dies steht im Einklang mit den Vorgaben des Artikels 29 Buchstabe a,
weil diese Bestimmungen nur die in Artikel 25 Zivilpakt schon festgeschriebenen staatlichen Verpflichtungen
wiedergibt, aber keine weitergehenden politischen Rechte für Menschen mit Behinderungen begründet. Für
das in Artikel 25 Buchstabe b des Zivilpaktes verankerte Recht, bei echten, wiederkehrenden, allgemeinen,
gleichen und geheimen Wahlen zu wählen und gewählt zu werden, ist aber allgemein anerkannt, dass ein Aus-
schluss vom Wahlrecht auf gesetzlich niedergelegten Gründen beruhen darf, die objektiv angemessen sind. Das
wird etwa für den Fall der Unzurechnungsfähigkeit oder einer strafgerichtlichen Verurteilung in Ansehung von
Straftat und Strafmaß angenommen.“ (Bundestagsdrucksache 16/10808, S. 64.) Ähnlich habe sich auch die
Denkschrift zum Pakt vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) verhal-
ten (vgl. Bundestagsdrucksache 7/660, S. 39).

Ob und inwieweit die zur Interpretation der UN-BRK und des UN-Zivilpakts berufenen Vertragsorgane zu
einer dynamisch-rechtsfortbildenden Interpretation dieser völkerrechtlichen Instrumente befugt seien sowie ob
und inwieweit hieraus eine Veränderung der völkerrechtlichen Lage gegenüber dem Zeitpunkt der Ratifikation

Drucksache 18/2700 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

der UN-BRK und des UN-Zivilpakts durch Deutschland eingetreten sei, werde in der oben genannten, im Auf-
trag der Bundesregierung erstellten Studie geklärt werden, so dass für weitere Überlegungen und Entscheidun-
gen des Gesetzgebers in Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlichen Beobachtungspflicht mit der Vorlage
dieser Studie eine valide rechtsgutachterliche Grundlage bestehen werde.

Verfassungsrechtlich werde der Wahlrechtsausschluss für Personen, die einer umfassenden Betreuung unter-
liegen, nicht beanstandet (Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 60. Ergänzungslieferung 10/2010, Art. 38 Rn. 93;
Schreiber, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, 41. Ergänzungslieferung 7/13, Art. 38 Rn. 87;
Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/ Hopfauf, GG, 12. Auflage 2011, Art. 38 Rn. 13, Silberkuhl, in:
Hömig, GG, 10. Auflage 2013, Art. 38 Rn. 6). Umgekehrt werde geltend gemacht, dass eine Verleihung des
Wahlrechts an Personen, die an dem Prozess demokratischer Legitimation aus einem freien Kommunikations-
prozess nicht teilnehmen können, das nach Artikel 79 Absatz 3 GG unantastbare demokratische Prinzip im
Kern verletzen würde (Klein, a.a.O., Rn. 138). Der Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 2 BWG genüge nach
der einschlägigen Kommentarliteratur den Anforderungen des Artikels 29 der UN-BRK und den Anforderun-
gen des EGMR (Strelen, in: Schreiber, BWG, 9. Auflage 2013, § 13 Rn. 10). Die UN-BRK gelte als völker-
rechtlicher Vertrag in Deutschland auf der Normstufe des einfachen Rechts, also unterhalb des Verfassungs-
rechts (vgl. Lang, ZRP 2013, S. 133). Allerdings könne die UN-BRK nach der Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts (BVerfGE 128, 282 [306]) als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reich-
weite der Grundrechte herangezogen werden.

6. Die Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 Nr. 3 BWG beträfen in Deutschland nicht – wie in dem vom Europä-
ischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 6. Oktober 2005 entschiedenen Fall Hirst v. The United
Kingdom (Nr. 74025/01) – alle verurteilten Strafgefangenen oder alle in ein psychiatrisches Krankenhaus Ein-
gewiesenen, sondern nur diejenigen Personen, deren Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus von
einem Gericht nach § 63 StGB angeordnet worden sei, weil sie im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB)
eine rechtswidrige Tat begangen hätten und die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergeben habe, dass
von ihnen infolge ihres Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und die deshalb für die
Allgemeinheit gefährlich seien.

Unter den Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 3 fielen damit nicht Personen, bei denen wegen verminderter
Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden sei,
und solche, bei denen die Schuldunfähigkeit im Zeitpunkt der Tat nur ein vorübergehender Zustand gewesen
sei. Die tatbestandsmäßig erfasste Gruppe umfasse nur solche Personen, bei denen die Schuldunfähigkeit auf
einem länger bestehenden, nicht nur vorübergehenden Zustand beruhe, der ihre Einsichts- und Entscheidungs-
fähigkeit nach gerichtlicher Feststellung dauerhaft beeinträchtige, weshalb auch ein Ausschluss vom Wahlrecht
gerechtfertigt sei (Strelen, in: Schreiber, § 13 Rn. 17 f.).

Die Zahlen der Unterbringungsanordnungen nach § 63 in Verbindung mit § 20 StGB seien zwar anders als bei
den Wahlrechtsausschlüssen nach § 13 Nr. 2 BWG bekannt. Über die diesen Fällen zugrundeliegenden Um-
stände und Krankheitsbilder, die eine Überprüfung der gesetzlichen Annahme einer typischerweise gegebenen
Unfähigkeit der Teilnahme am demokratischen Kommunikationsprozess böten, lägen allerdings derzeit (noch)
keine konkreten Kenntnisse vor, da diese in der Strafvollstreckungsstatistik nicht erfasst würden. Die entspre-
chenden Daten und Krankheitsbilder würden darum in der oben genannten, von der Bundesregierung in Auftrag
gegebenen interdisziplinären Studie erhoben und ausgewertet, um dem Gesetzgeber eine valide Grundlage für
weitere Überlegungen und Entscheidungen in Wahrnehmung seiner Beobachtungspflicht zu zugrunde liegen-
den Annahmen und Prognosen zu bieten.

Entscheidungsgründe

I.

Der Einspruch ist unzulässig, soweit er sich auf Vorkommnisse im Vorfeld und bei der Durchführung der
Stichwahlen zur Bestimmung der Oberbürgermeister in Hannover und Osnabrück bezieht. Gegenstand des
Wahlprüfungsverfahrens beim Deutschen Bundestag ist gemäß § 1 Absatz 1 des Wahlprüfungsgesetzes die
Gültigkeit der Wahlen zum Bundestag und die Verletzung von Rechten bei der Vorbereitung oder Durchfüh-
rung der Wahl, soweit sie der Wahlprüfung nach Artikel 41 GG unterliegen. Wahlen auf kommunaler Ebene
können vom Deutschen Bundestag nicht überprüft werden. Hierfür stehen landesrechtliche Rechtsbehelfe zur
Verfügung.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/2700

II.

Soweit der Einspruch zulässig ist, ist er unbegründet. Dem Vortrag der Einspruchsführer lässt sich kein Verstoß
gegen Wahlrechtsvorschriften und damit kein Wahlfehler entnehmen.

1. Es entspricht geltendem Wahlrecht, dass diejenigen, für die zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten eine
Betreuerin oder ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist, und diejenigen, die sich auf-
grund einer Anordnung nach § 63 in Verbindung mit § 20 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus befin-
den, gemäß § 13 Nr. 2 bzw. Nr. 3 BWG nicht an einer Bundestagswahl teilnehmen können. Hingegen trifft die
Annahme der Einspruchsführer nicht zu, dass auch vermindert Schuldfähige (§ 21 StGB) oder in einer Entzie-
hungsanstalt Untergebrachte (§ 64 StGB) vom Wahlrecht ausgeschlossen seien.

2. Wenngleich der Wahlprüfungsausschuss und der Deutsche Bundestag in ständiger Praxis im Rahmen eines
Wahlprüfungsverfahrens die Verfassungsmäßigkeit von Wahlrechtsvorschriften nicht überprüfen und eine der-
artige Kontrolle stets dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten worden ist (vgl. zuletzt etwa Bundestags-
drucksachen 16/1800, Anlagen 26 bis 28 mit weiteren Nachweisen; 17/1000, Anlagen 5 und 11; 17/2200, An-
lagen 1, 13 bis 15, 17 bis 20, 23 und 24; 17/3100, Anlagen 15, 19, 20, 22 bis 30, 32, 34 bis 36; 17/4600, Anlagen
10, 12, 13, 32, 38, 40 bis 43 mit weiteren Nachweisen; 17/6300, Anlage 19; 18/1160, Anlagen 1, 12, 32), ist
anzumerken, dass § 13 Nr. 2 und N. 3 BWG verfassungskonform sind.

§ 13 Nr. 2 BWG verstößt insbesondere nicht gegen Artikel 38 Absatz 1 GG, wie das Bundesministerium des
Innern in seiner Stellungnahme plausibel ausgeführt hat. Zwar ist der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl
in Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG als Spezialfall des allgemeinen Gleichheitssatzes des Artikels 3 GG und daher
im Sinne einer streng formalen Gleichheit zu verstehen. Gleichwohl sind Differenzierungen nach der Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht gänzlich ausgeschlossen (vgl. Schreiber, in: Friauf/Höfling,
Berliner Kommentar zum GG, 41. Ergänzungslieferung 7/2013, Art. 38 Rn. 85 f.), bedürfen aber eines beson-
deren, sachlich legitimierten Grundes (BVerfGE 28, 220 [225]; 69, 92 [106]; 95, 408 [418 f.]; 132, 39 [47 f.]).
Wenn ein solcher vorliegt, muss der Gesetzgeber die mit der Differenzierung verfolgten Ziele und den Grund-
satz der Allgemeinheit der Wahl in einen sachgerechten Ausgleich bringen, wobei er Vereinfachungen und
Typisierungen vornehmen darf (BVerfGE 132, 39 [48 f.]). Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl steht in
einem Spannungsverhältnis zu der sogenannten Kommunikationsfunktion der Wahl. Für die Wahlteilnahme
ist die Möglichkeit, eine reflektierte Wahlentscheidung zu treffen, unabdingbar (vgl. BVerfGE 132, 39 [53 f.]).
Ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht kann verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, wenn bei einer bestimm-
ten Personengruppe davon auszugehen ist, dass die Möglichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess
zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem Maße besteht (BVerfGE 132, 39 [51]). § 13 Nr. 2
BWG knüpft den Wahlrechtsausschluss an die Tatsache, dass eine Person nach richterlicher Feststellung keine
ihrer Angelegenheit mehr selbst besorgen kann, und gründet darauf die gesetzliche Vermutung, dass damit die
Voraussetzung zur Teilnahme am demokratischen Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen
fehlt. Diese Gesetzeshaltung bewegt sich im durch das Grundgesetz umrissenen Rahmen. Im Übrigen schließen
sich der Wahlprüfungsausschuss und der Deutsche Bundestag den überzeugenden Ausführungen des Bundes-
ministeriums des Innern an.

Auch § 13 Nr. 3 BWG ist als verfassungskonform anzusehen (vgl. Strelen, in: Schreiber, § 13 Rn. 18 mit
weiteren Nachweisen). Die Vorschrift verstößt ebenfalls nicht gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der
Wahl. Sie ist durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt: Es werden Menschen vom Wahlrecht ausgeschlos-
sen, bei denen die Schuldunfähigkeit auf einem länger bestehenden, nicht nur vorübergehenden Zustand beruht,
der ihre Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit nach gerichtlicher Feststellung dauerhaft beeinträchtigt. Auch
in diesen Fällen besteht die Möglichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staats-
organen nicht in hinreichendem Maße. § 13 Nr. 3 BWG knüpft, wie dies der Allgemeinheitsgrundsatz verlangt,
an einen formalen Tatbestand an, nämlich an die richterliche Entscheidung nach § 63 in Verbindung mit § 20
StGB; äußerliches Kriterium ist die tatsächliche Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus am
Wahltag (vgl. Strelen, in: Schreiber, a. a. O.). Im Übrigen – insbesondere zur Reichweite des Urteils des EGMR
in Sachen Hirst v. The United Kingdom – nehmen der Wahlprüfungsausschuss und der Deutsche Bundestag
auf die überzeugenden Ausführungen des Bundesministeriums des Innern Bezug.

3. Soweit die Einspruchsführer die UN-Behindertenrechtskonvention ansprechen, ist darauf hinzuweisen, dass
die konventions- und völkerrechtliche Zulässigkeit des Wahlrechtsausschlusses nach § 13 Nr. 2 und Nr. 3 BWG
– von der der Deutsche Bundestag in seiner Mehrheit und die Bundesregierung bislang ausgegangen sind (so

Drucksache 18/2700 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

auch Strelen, in: Schreiber, § 13 Rn. 10 mit weiteren Nachweisen und Rn. 18) – im Rahmen der von der Bun-
desregierung in Auftrag gegebenen, fachlich breit angelegten Studie überprüft werden wird. Möglicher (ge-
setzgeberischer) Handlungsbedarf wird zu erörtern sein, sobald die für das Jahr 2015 erwartete Untersuchung
vorliegt. Der Wahlprüfungsausschuss wird diesen Prozess aufmerksam begleiten.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/2700

Anlage 2

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch

des Herrn E. R., 71106 Magstadt,

– Az.: WP 77/13 –

gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag
am 22. September 2013

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2013 beschlossen,
dem Deutschen Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand

Der Einspruchsführer hat mit einem Schreiben vom 14. Oktober 2013 Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl
zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013 eingelegt.

Er wendet sich gegen § 13 Nr. 2 des Bundeswahlgesetzes (BWG). Sein volljähriger Sohn habe mehrere Schlag-
anfälle erlitten und sei seitdem körperlich, nicht jedoch geistig schwerstbehindert. Er, der Einspruchsführer, sei
vom Amtsgericht als Betreuer in allen Angelegenheiten seines Sohnes eingesetzt worden. Sein Sohn verfolge
mit ihm interessiert Nachrichtensendungen, lese auch Zeitung und könne seinen Willen sehr deutlich zum Aus-
druck bringen. Wegen § 13 Nr. 2 BWG sei sein Sohn von der Wahl ausgeschlossen gewesen, obwohl er geistig
wahlfähig sei. Dies sei empörend und verstoße gegen Artikel 3 des Grundgesetzes (GG).

Das Bundesministerium des Innern hat zu dem Vorbringen – nach Einbeziehung des Bundesministeriums
für Justiz und Verbraucherschutz und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales – hinsichtlich der Frage
der Verfassungsmäßigkeit der Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 Nr. 2 und Nr. 3 BWG am 9. September 2014
wie folgt Stellung genommen:

1. Das Wahlrecht stehe im Staat des Grundgesetzes allen Bürgern zu. Die Abgeordneten des Deutschen Bun-
destages würden nach Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und gehei-
mer Wahl gewählt. Damit stehe das aktive und passive Wahlrecht in der Bundesrepublik Deutschland selbst-
verständlich auch Bürgern mit einer Behinderung zu, sofern sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllten
(Volljährigkeit, Wohnsitz im Bundesgebiet oder Eintragung in das Wählerregister auf Antrag; keine Wahl-
rechtsausschlüsse). Das deutsche Wahlrecht sei darauf ausgelegt, auch Menschen mit Behinderung die Wahr-
nehmung ihres Wahlrechts umfassend – wo nötig mit der notwendigen Unterstützung – zu ermöglichen. So
sollten Wahlräume nach § 46 der Bundeswahlordnung (BWO) so ausgewählt und eingerichtet werden, dass
allen Wahlberechtigten, insbesondere Menschen mit Behinderungen und anderen Menschen mit Mobilitätsbe-
einträchtigungen, die Teilnahme an der Wahl ermöglicht werde. Die Gemeindebehörden teilten frühzeitig in
geeigneter Weise mit, welche Wahlräume barrierefrei seien. Seit der letzten Bundestagswahl werde zudem
jedem Wähler bereits mit der Wahlbenachrichtigung mitgeteilt, ob sein Wahlraum barrierefrei sei und wo er
von der Gemeinde erfahren könne, welcher Wahlraum in seinem Wahlkreis barrierefrei sei (§ 19 Absatz 1 Satz
2 Nr. 2 und 7 BWO). Bei Stimmzetteln und Briefwahlunterlagen sollten nach § 45 Absatz 5 BWO Schriftart,
Schriftgröße und Kontrast so gewählt werden, dass die Lesbarkeit erleichtert werde. Nach § 57 BWO könnten
sich Wähler mit Behinderung bei der Stimmabgabe der Hilfe einer von ihnen bestimmten Hilfsperson oder
eines Mitglieds des Wahlvorstands bedienen. Blinde und sehbehinderte Wähler könnten zur Kennzeichnung
des Stimmzettels eine Wahlschablone nutzen, für die der Bund den Behindertenvereinen nach § 50 Absatz 4
BWG die Kosten erstatte. Wo Menschen mit Behinderung die Teilnahme an der Wahl im Wahllokal nicht
möglich sei, stehe ihnen nach § 36 BWG als Alternative die Möglichkeit der Briefwahl zur Verfügung, wobei
sie sich ebenfalls der Assistenz einer Hilfsperson bedienen könnten.

Drucksache 18/2700 – 12 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

2. Ausgeschlossen vom Wahlrecht sei nach § 13 BWG, wer infolge Richterspruchs in einem der gesetzlich
vorgesehenen Fälle das Wahlrecht nicht besitze (Nr. 1), derjenige, für den nach § 1896 des Bürgerlichen Ge-
setzbuches (BGB) zur Besorgung aller Angelegenheiten durch das Betreuungsgericht, und zwar nicht nur durch
einstweilige Anordnung, ein Betreuer bestellt sei (Nr. 2), und wer sich auf Grund einer richterlichen Anordnung
nach § 63 in Verbindung mit § 20 des Strafgesetzbuches (StGB) in einem psychiatrischen Krankenhaus be-
finde, weil er im Zustand der Schuldunfähigkeit eine rechtswidrige Tat begangen habe und von ihm infolge
seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und der deshalb für die Allgemeinheit ge-
fährlich sei (Nr. 3).

Der Wahlrechtsausschluss nach § 13 BWG knüpfe in den Fällen des § 13 Nr. 2 BWG also an die Anordnung
der Betreuung in allen Angelegenheiten (die nicht nur, wie in akuten und vorübergehenden Fällen, durch einst-
weilige Anordnung erfolgt sei) an. Er werde nicht etwa am Merkmal einer Behinderung festgemacht. Während
grundsätzlich eine Betreuung nach § 1896 Absatz 1 BGB angeordnet werden könne, wenn ein Volljähriger in
Folge einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine An-
gelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr besorgen könne und andere Hilfen nicht zur Verfügung stünden
(§ 1896 Absatz 2 BGB), könne eine zum Wahlrechtsausschluss führende Betreuung in allen Angelegenheiten
nach § 1896 BGB nur angeordnet werden, wenn der Betroffene aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung
keine seiner Angelegenheiten mehr selbst besorgen könne, wenn also feststehe, dass er alle Lebenssituationen
seines Alltags nicht mehr, auch nicht mehr teilweise eigenverantwortlich gestalten könne. Wenn dagegen der
Betroffene in einzelnen Lebensbereichen seine Angelegenheiten noch selbst besorgen könne, kämen eine Voll-
betreuung und der damit verknüpfte Wahlrechtsausschluss nicht in Betracht.

3. Der Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 2 BWG verletze nicht Artikel 38 Absatz 1 GG. Auch wenn der
Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in Artikel 38 Absatz 1 GG als Spezialfall des allgemeinen Gleichheits-
satzes des Artikels 3 GG und daher im Sinne einer streng formalen Gleichheit zu verstehen sei, seien Differen-
zierungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht gänzlich ausgeschlossen (vgl. Schrei-
ber, in: Friauf/ Höfling, Berliner Kommentar zum GG, 41. Ergänzungslieferung 7/13, Art. 38 Rn. 85 f.). Sie
bedürften allerdings eines besonderen, sachlich legitimierten Grundes (BVerfGE 28, 220 [225]; 69, 92 [106];
95, 408 [418 f.]; 132, 39 [47 f.]). Liege ein solcher vor, sei es Aufgabe des Gesetzgebers, die mit der Differen-
zierung verfolgten Ziele und den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in einen sachgerechten Ausgleich zu
bringen, wobei der Gesetzgeber Vereinfachungen und Typisierungen vornehmen dürfe (BVerfGE 132, 39 [48
f.]).

Zwar streite der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG für die Teilnahme
aller Deutschen an den Wahlen zum Bundestag. Er stehe jedoch in einem Spannungsverhältnis zu der so ge-
nannten Kommunikationsfunktion der Wahl. Danach sei die Möglichkeit, eine reflektierte Wahlentscheidung
zu treffen, für die Wahlteilnahme unabdingbar (vgl. BVerfGE 132, 39 [53 f.]). Vor diesem Hintergrund könne
nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht verfassungs-
rechtlich gerechtfertigt sein, wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen sei, dass die Mög-
lichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem
Maße bestehe (BVerfGE 132, 39 [51]).

In diesem Sinne bestimme die gesetzliche Regelung des § 13 Nr. 2 BWG, dass bei einer Person, von der auf-
grund einer Entscheidung des Betreuungsgerichts feststehe, dass sie keine ihrer Angelegenheiten mehr selbst
besorgen könne und dass sie alle Lebenssituationen des Alltags nicht mehr, auch nicht mehr teilweise eigen-
verantwortlich gestalten könne, die Voraussetzung für eine Wahlteilnahme fehle. Damit werde nicht die an-
spruchsvolle Voraussetzung gemacht, dass die Ausübung des Wahlrechts eine weitsichtige, vernunftbasierte
individuelle Entscheidung voraussetze, in der Verständnis für die Funktionsweise und das Wesen der Demo-
kratie zum Ausdruck komme. Vielmehr knüpfe das Bundeswahlgesetz den Wahlrechtsausschluss an die Tat-
sache, dass eine Person nach richterlicher Feststellung keine ihrer Angelegenheit mehr selbst besorgen könne,
und gründe darauf die gesetzliche Vermutung, dass damit die Voraussetzung zur Teilnahme am demokratischen
Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen fehle.

Darum habe sich der Gesetzgeber nach der Begründung zum Betreuungsgesetz vom 12. September 1990 zu
einer Streichung des Wahlrechtsausschlusses nach § 13 Nr. 2 BWG nicht in der Lage gesehen, weil das der
Bedeutung der Vorschrift für die Funktion des Wahlrechts im demokratischen Regierungssystem (BVerfGE
67, 146 [148]; 36, 139 [141]) nicht gerecht würde. Aus verfassungsrechtlichen Gründen sei es geboten gewe-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 13 – Drucksache 18/2700

sen, an die Stelle der früheren Anknüpfung, die wegen des Wegfalls der Entmündigung und der Gebrechlich-
keitspflegschaft gegenstandslos geworden sei, eine andere Anknüpfung zu finden (Bundestagsdrucksache
11/4528, S. 188 f.).

4. Dass der Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 2 BWG Fälle erfasse, in denen zwar eine Betreuung in allen
Angelegenheiten richterlich angeordnet worden sei, der oder die Betreute aber zur Teilnahme am demokrati-
schen Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen und einer reflektierten Wahlentscheidung in
der Lage sei, habe der Gesetzgeber des Betreuungsgesetzes 1992 offenbar in Hinblick auf den das neue Be-
treuungsrecht beherrschenden Erforderlichkeitsgrundsatz in § 1896 Absatz 2 BGB geglaubt ausschließen zu
können. Hiernach dürfe eine Betreuung nur für die Aufgabenkreise angeordnet werden, für die dies erforderlich
sei, also insoweit die Angelegenheiten des Betreuten nicht durch andere Hilfen (ohne Vertretungsbefugnis)
besorgt werden könnten. Wenn unter dieser Bedingung eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet
werden müsse (mit der gesetzlichen Folge des Wahlrechtsausschlusses), könne aus Sicht des Gesetzgebers von
der Unmöglichkeit einer eigenverantwortlichen Wahlteilnahme ausgegangen werden.

Daten über die Zahl der Betreuten, bei denen die Betreuung in allen Angelegenheiten (und nicht nur durch
einstweilige Anordnung) habe angeordnet werden müssen, und über die diesen Fällen zugrunde liegenden Um-
stände und Krankheitsbilder, die eine Überprüfung dieser gesetzlichen Vermutung böten, lägen derzeit nicht
vor, da die Fälle der Betreuung in allen Angelegenheiten und die diesen zugrunde liegenden Krankheitsbilder
nicht gesondert statistisch erfasst würden. Die Bundesregierung habe darum im Nationalen Aktionsplan zur
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention beschlossen, eine Studie in Auftrag zu geben, in der die tat-
sächliche Situation behinderter Menschen bei der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts untersucht
und Handlungsempfehlungen für eine verbesserte Partizipation von Menschen mit Behinderungen entwickelt
würden. Die Ergebnisse der Studie, die im Dezember 2013 an ein interdisziplinäres Forscher-Team aus den
Bereichen Verfassungs-/Wahlrecht, empirische Sozialwissenschaften/Politikwissenschaft, klinische Psycholo-
gie, (Behinderten-)Pädagogik sowie Völker- und Europarecht vergeben wurde, würden Ende 2015 vorliegen
und eine valide Grundlage für weitere Überlegungen und Entscheidungen des Gesetzgebers in Wahrnehmung
seiner verfassungsrechtlichen Beobachtungspflicht zu den Gesetzen zugrundeliegenden Annahmen und Prog-
nosen bieten.

5. Nach Artikel 29 des von der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2009 ratifizierten Übereinkommens der
Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK)
garantierten die Vertragsstaaten Menschen mit Behinderungen unter anderem die politischen Rechte und die
Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen beanspruchen zu können. In der der Ratifikation durch
Deutschland zugrunde liegenden Denkschrift der Bundesregierung zum Vertragsgesetz vom 8. November 2008
(Bundestagsdrucksache 16/10808, S. 63) wurde festgestellt, dass nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz
der Allgemeinheit der Wahl in Deutschland behinderten Menschen das aktive und passive Wahlrecht bei Bun-
destags-, Landtags- und Kommunalwahlen zustehe.

In Hinblick auf die bei der Ratifikation der UN-BRK bestehenden Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 BWG habe
die Denkschrift der Bundesregierung festgestellt: „An diesen gesetzlich festgeschriebenen und dem Sinne nach
auch in Rechtsordnungen anderer Staaten vorgesehenen Ausnahmefällen wird festgehalten, weil das Wahlrecht
als höchstpersönliches Recht nur Personen zustehen soll, die rechtlich in vollem Umfang selbständig hand-
lungs- und entscheidungsfähig sind. Dies steht im Einklang mit den Vorgaben des Artikels 29 Buchstabe a,
weil diese Bestimmungen nur die in Artikel 25 Zivilpakt schon festgeschriebenen staatlichen Verpflichtungen
wiedergibt, aber keine weitergehenden politischen Rechte für Menschen mit Behinderungen begründet. Für
das in Artikel 25 Buchstabe b des Zivilpaktes verankerte Recht, bei echten, wiederkehrenden, allgemeinen,
gleichen und geheimen Wahlen zu wählen und gewählt zu werden, ist aber allgemein anerkannt, dass ein Aus-
schluss vom Wahlrecht auf gesetzlich niedergelegten Gründen beruhen darf, die objektiv angemessen sind. Das
wird etwa für den Fall der Unzurechnungsfähigkeit oder einer strafgerichtlichen Verurteilung in Ansehung von
Straftat und Strafmaß angenommen.“ (Bundestagsdrucksache 16/10808, S. 64.) Ähnlich habe sich auch die
Denkschrift zum Pakt vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) verhal-
ten (vgl. Bundestagsdrucksache 7/660, S. 39).

Ob und inwieweit die zur Interpretation der UN-BRK und des UN-Zivilpakts berufenen Vertragsorgane zu
einer dynamisch-rechtsfortbildenden Interpretation dieser völkerrechtlichen Instrumente befugt seien sowie ob
und inwieweit hieraus eine Veränderung der völkerrechtlichen Lage gegenüber dem Zeitpunkt der Ratifikation

Drucksache 18/2700 – 14 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

der UN-BRK und des UN-Zivilpakts durch Deutschland eingetreten sei, werde in der oben genannten, im Auf-
trag der Bundesregierung erstellten Studie geklärt werden, so dass für weitere Überlegungen und Entscheidun-
gen des Gesetzgebers in Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlichen Beobachtungspflicht mit der Vorlage
dieser Studie eine valide rechtsgutachterliche Grundlage bestehen werde.

Verfassungsrechtlich werde der Wahlrechtsausschluss für Personen, die einer umfassenden Betreuung unter-
liegen, nicht beanstandet (Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 60. Ergänzungslieferung 10/2010, Art. 38 Rn. 93;
Schreiber, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, 41. Ergänzungslieferung 7/2013, Art. 38 Rn. 87;
Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/ Hopfauf, GG, 12. Auflage 2011, Art. 38 Rn. 13, Silberkuhl, in:
Hömig, GG, 10. Auflage 2013, Art. 38 Rn. 6). Umgekehrt werde geltend gemacht, dass eine Verleihung des
Wahlrechts an Personen, die an dem Prozess demokratischer Legitimation aus einem freien Kommunikations-
prozess nicht teilnehmen können, das nach Artikel 79 Absatz 3 GG unantastbare demokratische Prinzip im
Kern verletzen würde (Klein, a.a.O., Rn. 138). Der Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 2 BWG genüge nach
der einschlägigen Kommentarliteratur den Anforderungen des Artikels 29 der UN-BRK und den Anforderun-
gen des EGMR (Strelen, in: Schreiber, BWG, 9. Auflage 2013, § 13 Rn. 10). Die UN-BRK gelte als völker-
rechtlicher Vertrag in Deutschland auf der Normstufe des einfachen Rechts, also unterhalb des Verfassungs-
rechts (vgl. Lang, ZRP 2013, S. 133). Allerdings könne die UN-BRK nach der Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts (BVerfGE 128, 282 [306]) als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reich-
weite der Grundrechte herangezogen werden.

6. Die Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 Nr. 3 BWG beträfen in Deutschland nicht – wie in dem vom Europä-
ischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 6. Oktober 2005 entschiedenen Fall Hirst v. The United
Kingdom (Nr. 74025/01) – alle verurteilten Strafgefangenen oder alle in ein psychiatrisches Krankenhaus Ein-
gewiesenen, sondern nur diejenigen Personen, deren Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus von
einem Gericht nach § 63 StGB angeordnet worden sei, weil sie im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB)
eine rechtswidrige Tat begangen hätten und die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergeben habe, dass
von ihnen infolge ihres Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und die deshalb für die
Allgemeinheit gefährlich seien.

Unter den Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 3 fielen damit nicht Personen, bei denen wegen verminderter
Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden sei,
und solche, bei denen die Schuldunfähigkeit im Zeitpunkt der Tat nur ein vorübergehender Zustand gewesen
sei. Die tatbestandsmäßig erfasste Gruppe umfasse nur solche Personen, bei denen die Schuldunfähigkeit auf
einem länger bestehenden, nicht nur vorübergehenden Zustand beruhe, der ihre Einsichts- und Entscheidungs-
fähigkeit nach gerichtlicher Feststellung dauerhaft beeinträchtige, weshalb auch ein Ausschluss vom Wahlrecht
gerechtfertigt sei (Strelen, in: Schreiber, § 13 Rn. 17 f.).

Die Zahlen der Unterbringungsanordnungen nach § 63 in Verbindung mit § 20 StGB seien zwar anders als bei
den Wahlrechtsausschlüssen nach § 13 Nr. 2 BWG bekannt. Über die diesen Fällen zugrundeliegenden Um-
stände und Krankheitsbilder, die eine Überprüfung der gesetzlichen Annahme einer typischerweise gegebenen
Unfähigkeit der Teilnahme am demokratischen Kommunikationsprozess böten, lägen allerdings derzeit (noch)
keine konkreten Kenntnisse vor, da diese in der Strafvollstreckungsstatistik nicht erfasst würden. Die entspre-
chenden Daten und Krankheitsbilder würden darum in der oben genannten, von der Bundesregierung in Auftrag
gegebenen interdisziplinären Studie erhoben und ausgewertet, um dem Gesetzgeber eine valide Grundlage für
weitere Überlegungen und Entscheidungen in Wahrnehmung seiner Beobachtungspflicht zu zugrunde liegen-
den Annahmen und Prognosen zu bieten.

Entscheidungsgründe

Der Einspruch ist zulässig, aber unbegründet. Dem Vortrag des Einspruchsführers lässt sich kein Verstoß gegen
Wahlrechtsvorschriften und damit kein Wahlfehler entnehmen.

1. Es entspricht geltendem Wahlrecht (§ 13 Nr. 2 BWG), dass derjenige nicht wahlberechtigt ist, für den zur
Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist; dies
gilt auch, wenn der Aufgabenkreis des Betreuers die in § 1896 Abs. 4 und § 1905 BGB bezeichneten Angele-
genheiten nicht erfasst. Den Wahlbehörden war und ist es verwehrt, von dieser Rechtslage abzuweichen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 15 – Drucksache 18/2700

2. Soweit der Einspruchsführer die Verfassungswidrigkeit des § 13 Nr. 2 BWG rügt, ist zu beachten, dass der
Wahlprüfungsausschuss und der Deutsche Bundestag in ständiger Praxis im Rahmen eines Wahlprüfungsver-
fahrens die Verfassungsmäßigkeit von Wahlrechtsvorschriften nicht überprüfen. Eine derartige Kontrolle ist
stets dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten worden (vgl. zuletzt etwa Bundestagsdrucksachen 16/1800,
Anlagen 26 bis 28 mit weiteren Nachweisen; 17/1000, Anlagen 5 und 11; 17/2200, Anlagen 1, 13 bis 15, 17
bis 20, 23 und 24; 17/3100, Anlagen 15, 19, 20, 22 bis 30, 32, 34 bis 36; 17/4600, Anlagen 10, 12, 13, 32, 38,
40 bis 43 mit weiteren Nachweisen; 17/6300, Anlage 19; 18/1160, Anlagen 1, 12, 32). Abgesehen davon sind
die verfassungsrechtlichen Bedenken des Einspruchsführers unbegründet. § 13 Nr. 2 BWG verstößt insbeson-
dere nicht gegen Artikel 38 Absatz 1 GG, wie das Bundesministerium des Innern in seiner Stellungnahme
plausibel ausgeführt hat. Zwar ist der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG
als Spezialfall des allgemeinen Gleichheitssatzes des Artikels 3 GG und daher im Sinne einer streng formalen
Gleichheit zu verstehen. Gleichwohl sind Differenzierungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichts nicht gänzlich ausgeschlossen (vgl. Schreiber, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, 41.
Ergänzungslieferung 7/2013, Art. 38 Rn. 85 f.), bedürfen aber eines besonderen, sachlich legitimierten Grundes
(BVerfGE 28, 220 [225]; 69, 92 [106]; 95, 408 [418 f.]; 132, 39 [47 f.]). Wenn ein solcher vorliegt, muss der
Gesetzgeber die mit der Differenzierung verfolgten Ziele und den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in
einen sachgerechten Ausgleich bringen, wobei er Vereinfachungen und Typisierungen vornehmen darf (BVer-
fGE 132, 39 [48 f.]). Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl steht in einem Spannungsverhältnis zu der
sogenannten Kommunikationsfunktion der Wahl. Für die Wahlteilnahme ist die Möglichkeit, eine reflektierte
Wahlentscheidung zu treffen, unabdingbar (vgl. BVerfGE 132, 39 [53 f.]). Ein Ausschluss vom aktiven Wahl-
recht kann verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszu-
gehen ist, dass die Möglichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen
nicht in hinreichendem Maße besteht (BVerfGE 132, 39 [51]). § 13 Nr. 2 BWG knüpft den Wahlrechtsaus-
schluss an die Tatsache, dass eine Person nach richterlicher Feststellung keine ihrer Angelegenheit mehr selbst
besorgen kann, und gründet darauf die gesetzliche Vermutung, dass damit die Voraussetzung zur Teilnahme
am demokratischen Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen fehlt. Diese Gesetzeshaltung
bewegt sich im durch das Grundgesetz umrissenen Rahmen. Im Übrigen schließen sich der Wahlprüfungsaus-
schuss und der Deutsche Bundestag den überzeugenden Ausführungen des Bundesministeriums des Innern an.

3. Die konventions- und völkerrechtliche Zulässigkeit des Wahlrechtsausschlusses nach § 13 Nr. 2 BWG – von
der der Deutsche Bundestag in seiner Mehrheit und die Bundesregierung bislang ausgegangen sind (so auch
Strelen, in: Schreiber, § 13 Rn. 10 mit weiteren Nachweisen) – wird im Rahmen der von der Bundesregierung
in Auftrag gegebenen, fachlich breit angelegten Studie überprüft werden. Möglicher (gesetzgeberischer) Hand-
lungsbedarf – gerade auch in Fällen wie dem des Sohnes des Einspruchsführers – wird zu erörtern sein, sobald
die für das Jahr 2015 erwartete Untersuchung vorliegt. Der Wahlprüfungsausschuss wird diesen Prozess auf-
merksam begleiten.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 17 – Drucksache 18/2700

Anlage 3

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch

des Herrn M. B., 35394 Gießen,

– Az.: WP 88/13 –

gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag
am 22. September 2013

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2014 beschlossen,
dem Deutschen Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand

Der Einspruchsführer hat einem Schreiben vom 23. September 2013 Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl
zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013 eingelegt. Er hat seinen Vortrag mit einem Schreiben
vom 26. Oktober und einer E-Mail vom 20. November 2013 erweitert.

Der Einspruchsführer, der sich ausweislich der Anschrift stationär in einer psychiatrischen Klinik befindet bzw.
dort zum Zeitpunkt der Wahl und seines Einspruchs befunden hat, wendet sich gegen § 13 des Bundeswahlge-
setzes (BWG). Man habe es ihm verwehrt, seine Stimme(n) bei der Bundestags- und der Landtagswahl abzu-
geben, indem man ihn „interniert“ habe.

Wegen der Einzelheiten des Vortrages des Einspruchsführers wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Das Bundesministerium des Innern hat zu dem Vorbringen – nach Einbeziehung des Bundesministeriums
für Justiz und Verbraucherschutz und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales – hinsichtlich der Frage
der Verfassungsmäßigkeit der Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 Nr. 2 und Nr. 3 BWG am 9. September 2014
wie folgt Stellung genommen:

1. Das Wahlrecht stehe im Staat des Grundgesetzes allen Bürgern zu. Die Abgeordneten des Deutschen Bun-
destages würden nach Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) in allgemeiner, unmittelbarer, freier,
gleicher und geheimer Wahl gewählt. Damit stehe das aktive und passive Wahlrecht in der Bundesrepublik
Deutschland selbstverständlich auch Bürgern mit einer Behinderung zu, sofern sie die gesetzlichen Vorausset-
zungen erfüllten (Volljährigkeit, Wohnsitz im Bundesgebiet oder Eintragung in das Wählerregister auf Antrag;
keine Wahlrechtsausschlüsse). Das deutsche Wahlrecht sei darauf ausgelegt, auch Menschen mit Behinderung
die Wahrnehmung ihres Wahlrechts umfassend – wo nötig mit der notwendigen Unterstützung – zu ermögli-
chen. So sollten Wahlräume nach § 46 der Bundeswahlordnung (BWO) so ausgewählt und eingerichtet werden,
dass allen Wahlberechtigten, insbesondere Menschen mit Behinderungen und anderen Menschen mit Mobili-
tätsbeeinträchtigungen, die Teilnahme an der Wahl ermöglicht werde. Die Gemeindebehörden teilten frühzeitig
in geeigneter Weise mit, welche Wahlräume barrierefrei seien. Seit der letzten Bundestagswahl werde zudem
jedem Wähler bereits mit der Wahlbenachrichtigung mitgeteilt, ob sein Wahlraum barrierefrei sei und wo er
von der Gemeinde erfahren könne, welcher Wahlraum in seinem Wahlkreis barrierefrei sei (§ 19 Absatz 1 Satz
2 Nr. 2 und 7 BWO). Bei Stimmzetteln und Briefwahlunterlagen sollten nach § 45 Absatz 5 BWO Schriftart,
Schriftgröße und Kontrast so gewählt werden, dass die Lesbarkeit erleichtert werde. Nach § 57 BWO könnten
sich Wähler mit Behinderung bei der Stimmabgabe der Hilfe einer von ihnen bestimmten Hilfsperson oder
eines Mitglieds des Wahlvorstands bedienen. Blinde und sehbehinderte Wähler könnten zur Kennzeichnung
des Stimmzettels eine Wahlschablone nutzen, für die der Bund den Behindertenvereinen nach § 50 Absatz 4
BWG die Kosten erstatte. Wo Menschen mit Behinderung die Teilnahme an der Wahl im Wahllokal nicht
möglich sei, stehe ihnen nach § 36 BWG als Alternative die Möglichkeit der Briefwahl zur Verfügung, wobei
sie sich ebenfalls der Assistenz einer Hilfsperson bedienen könnten.

Drucksache 18/2700 – 18 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

2. Ausgeschlossen vom Wahlrecht sei nach § 13 BWG, wer infolge Richterspruchs in einem der gesetzlich
vorgesehenen Fälle das Wahlrecht nicht besitze (Nr. 1), derjenige, für den nach § 1896 des Bürgerlichen Ge-
setzbuches (BGB) zur Besorgung aller Angelegenheiten durch das Betreuungsgericht, und zwar nicht nur durch
einstweilige Anordnung, ein Betreuer bestellt sei (Nr. 2), und wer sich auf Grund einer richterlichen Anordnung
nach § 63 in Verbindung mit § 20 des Strafgesetzbuches (StGB) in einem psychiatrischen Krankenhaus be-
finde, weil er im Zustand der Schuldunfähigkeit eine rechtswidrige Tat begangen habe und von ihm infolge
seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und der deshalb für die Allgemeinheit ge-
fährlich sei (Nr. 3).

Der Wahlrechtsausschluss nach § 13 BWG knüpfe in den Fällen des § 13 Nr. 2 BWG also an die Anordnung
der Betreuung in allen Angelegenheiten (die nicht nur, wie in akuten und vorübergehenden Fällen, durch einst-
weilige Anordnung erfolgt sei) an. Er werde nicht etwa am Merkmal einer Behinderung festgemacht. Während
grundsätzlich eine Betreuung nach § 1896 Absatz 1 BGB angeordnet werden könne, wenn ein Volljähriger in
Folge einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine An-
gelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr besorgen könne und andere Hilfen nicht zur Verfügung stünden
(§ 1896 Absatz 2 BGB), könne eine zum Wahlrechtsausschluss führende Betreuung in allen Angelegenheiten
nach § 1896 BGB nur angeordnet werden, wenn der Betroffene aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung
keine seiner Angelegenheiten mehr selbst besorgen könne, wenn also feststehe, dass er alle Lebenssituationen
seines Alltags nicht mehr, auch nicht mehr teilweise eigenverantwortlich gestalten könne. Wenn dagegen der
Betroffene in einzelnen Lebensbereichen seine Angelegenheiten noch selbst besorgen könne, kämen eine Voll-
betreuung und der damit verknüpfte Wahlrechtsausschluss nicht in Betracht.

3. Der Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 2 BWG verletze nicht Artikel 38 Absatz 1 GG. Auch wenn der
Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in Artikel 38 Absatz 1 GG als Spezialfall des allgemeinen Gleichheits-
satzes des Artikels 3 GG und daher im Sinne einer streng formalen Gleichheit zu verstehen sei, seien Differen-
zierungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht gänzlich ausgeschlossen (vgl. Schrei-
ber, in: Friauf/ Höfling, Berliner Kommentar zum GG, 41. Ergänzungslieferung 7/2013, Art. 38 Rn. 85 f.). Sie
bedürften allerdings eines besonderen, sachlich legitimierten Grundes (BVerfGE 28, 220 [225]; 69, 92 [106];
95, 408 [418 f.]; 132, 39 [47 f.]). Liege ein solcher vor, sei es Aufgabe des Gesetzgebers, die mit der Differen-
zierung verfolgten Ziele und den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in einen sachgerechten Ausgleich zu
bringen, wobei der Gesetzgeber Vereinfachungen und Typisierungen vornehmen dürfe (BVerfGE 132, 39 [48
f.]).

Zwar streite der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG für die Teilnahme
aller Deutschen an den Wahlen zum Bundestag. Er stehe jedoch in einem Spannungsverhältnis zu der so ge-
nannten Kommunikationsfunktion der Wahl. Danach sei die Möglichkeit, eine reflektierte Wahlentscheidung
zu treffen, für die Wahlteilnahme unabdingbar (vgl. BVerfGE 132, 39 [53 f.]). Vor diesem Hintergrund könne
nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht verfassungs-
rechtlich gerechtfertigt sein, wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen sei, dass die Mög-
lichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem
Maße bestehe (BVerfGE 132, 39 [51]).

In diesem Sinne bestimme die gesetzliche Regelung des § 13 Nr. 2 BWG, dass bei einer Person, von der auf-
grund einer Entscheidung des Betreuungsgerichts feststehe, dass sie keine ihrer Angelegenheiten mehr selbst
besorgen könne und dass sie alle Lebenssituationen des Alltags nicht mehr, auch nicht mehr teilweise eigen-
verantwortlich gestalten könne, die Voraussetzung für eine Wahlteilnahme fehle. Damit werde nicht die an-
spruchsvolle Voraussetzung gemacht, dass die Ausübung des Wahlrechts eine weitsichtige, vernunftbasierte
individuelle Entscheidung voraussetze, in der Verständnis für die Funktionsweise und das Wesen der Demo-
kratie zum Ausdruck komme. Vielmehr knüpfe das Bundeswahlgesetz den Wahlrechtsausschluss an die Tat-
sache, dass eine Person nach richterlicher Feststellung keine ihrer Angelegenheit mehr selbst besorgen könne,
und gründe darauf die gesetzliche Vermutung, dass damit die Voraussetzung zur Teilnahme am demokratischen
Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen fehle.

Darum habe sich der Gesetzgeber nach der Begründung zum Betreuungsgesetz vom 12. September 1990 zu
einer Streichung des Wahlrechtsausschlusses nach § 13 Nr. 2 BWG nicht in der Lage gesehen, weil das der
Bedeutung der Vorschrift für die Funktion des Wahlrechts im demokratischen Regierungssystem (BVerfGE
67, 146 [148]; 36, 139 [141]) nicht gerecht würde. Aus verfassungsrechtlichen Gründen sei es geboten gewe-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 19 – Drucksache 18/2700

sen, an die Stelle der früheren Anknüpfung, die wegen des Wegfalls der Entmündigung und der Gebrechlich-
keitspflegschaft gegenstandslos geworden sei, eine andere Anknüpfung zu finden (Bundestagsdrucksache
11/4528, S. 188 f.).

4. Dass der Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 2 BWG Fälle erfasse, in denen zwar eine Betreuung in allen
Angelegenheiten richterlich angeordnet worden sei, der oder die Betreute aber zur Teilnahme am demokrati-
schen Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen und einer reflektierten Wahlentscheidung in
der Lage sei, habe der Gesetzgeber des Betreuungsgesetzes 1992 offenbar in Hinblick auf den das neue Be-
treuungsrecht beherrschenden Erforderlichkeitsgrundsatz in § 1896 Absatz 2 BGB geglaubt ausschließen zu
können. Hiernach dürfe eine Betreuung nur für die Aufgabenkreise angeordnet werden, für die dies erforderlich
sei, also insoweit die Angelegenheiten des Betreuten nicht durch andere Hilfen (ohne Vertretungsbefugnis)
besorgt werden könnten. Wenn unter dieser Bedingung eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet
werden müsse (mit der gesetzlichen Folge des Wahlrechtsausschlusses), könne aus Sicht des Gesetzgebers von
der Unmöglichkeit einer eigenverantwortlichen Wahlteilnahme ausgegangen werden.

Daten über die Zahl der Betreuten, bei denen die Betreuung in allen Angelegenheiten (und nicht nur durch
einstweilige Anordnung) habe angeordnet werden müssen, und über die diesen Fällen zugrunde liegenden Um-
stände und Krankheitsbilder, die eine Überprüfung dieser gesetzlichen Vermutung böten, lägen derzeit nicht
vor, da die Fälle der Betreuung in allen Angelegenheiten und die diesen zugrunde liegenden Krankheitsbilder
nicht gesondert statistisch erfasst würden. Die Bundesregierung habe darum im Nationalen Aktionsplan zur
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention beschlossen, eine Studie in Auftrag zu geben, in der die tat-
sächliche Situation behinderter Menschen bei der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts untersucht
und Handlungsempfehlungen für eine verbesserte Partizipation von Menschen mit Behinderungen entwickelt
würden. Die Ergebnisse der Studie, die im Dezember 2013 an ein interdisziplinäres Forscher-Team aus den
Bereichen Verfassungs-/Wahlrecht, empirische Sozialwissenschaften/Politikwissenschaft, klinische Psycholo-
gie, (Behinderten-)Pädagogik sowie Völker- und Europarecht vergeben wurde, würden Ende 2015 vorliegen
und eine valide Grundlage für weitere Überlegungen und Entscheidungen des Gesetzgebers in Wahrnehmung
seiner verfassungsrechtlichen Beobachtungspflicht zu den Gesetzen zugrundeliegenden Annahmen und Prog-
nosen bieten.

5. Nach Artikel 29 des von der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2009 ratifizierten Übereinkommens der
Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK)
garantierten die Vertragsstaaten Menschen mit Behinderungen unter anderem die politischen Rechte und die
Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen beanspruchen zu können. In der der Ratifikation durch
Deutschland zugrunde liegenden Denkschrift der Bundesregierung zum Vertragsgesetz vom 8. November 2008
(Bundestagsdrucksache 16/10808, S. 63) wurde festgestellt, dass nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz
der Allgemeinheit der Wahl in Deutschland behinderten Menschen das aktive und passive Wahlrecht bei Bun-
destags-, Landtags- und Kommunalwahlen zustehe.

In Hinblick auf die bei der Ratifikation der UN-BRK bestehenden Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 BWG habe
die Denkschrift der Bundesregierung festgestellt: „An diesen gesetzlich festgeschriebenen und dem Sinne nach
auch in Rechtsordnungen anderer Staaten vorgesehenen Ausnahmefällen wird festgehalten, weil das Wahlrecht
als höchstpersönliches Recht nur Personen zustehen soll, die rechtlich in vollem Umfang selbständig hand-
lungs- und entscheidungsfähig sind. Dies steht im Einklang mit den Vorgaben des Artikels 29 Buchstabe a,
weil diese Bestimmungen nur die in Artikel 25 Zivilpakt schon festgeschriebenen staatlichen Verpflichtungen
wiedergibt, aber keine weitergehenden politischen Rechte für Menschen mit Behinderungen begründet. Für
das in Artikel 25 Buchstabe b des Zivilpaktes verankerte Recht, bei echten, wiederkehrenden, allgemeinen,
gleichen und geheimen Wahlen zu wählen und gewählt zu werden, ist aber allgemein anerkannt, dass ein Aus-
schluss vom Wahlrecht auf gesetzlich niedergelegten Gründen beruhen darf, die objektiv angemessen sind. Das
wird etwa für den Fall der Unzurechnungsfähigkeit oder einer strafgerichtlichen Verurteilung in Ansehung von
Straftat und Strafmaß angenommen.“ (Bundestagsdrucksache 16/10808, S. 64.) Ähnlich habe sich auch die
Denkschrift zum Pakt vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) verhal-
ten (vgl. Bundestagsdrucksache 7/660, S. 39).

Ob und inwieweit die zur Interpretation der UN-BRK und des UN-Zivilpakts berufenen Vertragsorgane zu
einer dynamisch-rechtsfortbildenden Interpretation dieser völkerrechtlichen Instrumente befugt seien sowie ob
und inwieweit hieraus eine Veränderung der völkerrechtlichen Lage gegenüber dem Zeitpunkt der Ratifikation

Drucksache 18/2700 – 20 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

der UN-BRK und des UN-Zivilpakts durch Deutschland eingetreten sei, werde in der oben genannten, im Auf-
trag der Bundesregierung erstellten Studie geklärt werden, so dass für weitere Überlegungen und Entscheidun-
gen des Gesetzgebers in Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlichen Beobachtungspflicht mit der Vorlage
dieser Studie eine valide rechtsgutachterliche Grundlage bestehen werde.

Verfassungsrechtlich werde der Wahlrechtsausschluss für Personen, die einer umfassenden Betreuung unter-
liegen, nicht beanstandet (Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 60. Ergänzungslieferung 10/2010, Art. 38 Rn. 93;
Schreiber, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, 41. Ergänzungslieferung 7/2013, Art. 38 Rn. 87;
Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/ Hopfauf, GG, 12. Auflage 2011, Art. 38 Rn. 13, Silberkuhl, in:
Hömig, GG, 10. Auflage 2013, Art. 38 Rn. 6). Umgekehrt werde geltend gemacht, dass eine Verleihung des
Wahlrechts an Personen, die an dem Prozess demokratischer Legitimation aus einem freien Kommunikations-
prozess nicht teilnehmen können, das nach Artikel 79 Absatz 3 GG unantastbare demokratische Prinzip im
Kern verletzen würde (Klein, a.a.O., Rn. 138). Der Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 2 BWG genüge nach
der einschlägigen Kommentarliteratur den Anforderungen des Artikels 29 der UN-BRK und den Anforderun-
gen des EGMR (Strelen, in: Schreiber, BWG, 9. Auflage 2013, § 13 Rn. 10). Die UN-BRK gelte als völker-
rechtlicher Vertrag in Deutschland auf der Normstufe des einfachen Rechts, also unterhalb des Verfassungs-
rechts (vgl. Lang, ZRP 2013, S. 133). Allerdings könne die UN-BRK nach der Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts (BVerfGE 128, 282 [306]) als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reich-
weite der Grundrechte herangezogen werden.

6. Die Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 Nr. 3 BWG beträfen in Deutschland nicht – wie in dem vom Europä-
ischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 6. Oktober 2005 entschiedenen Fall Hirst v. The United
Kingdom (Nr. 74025/01) – alle verurteilten Strafgefangenen oder alle in ein psychiatrisches Krankenhaus Ein-
gewiesenen, sondern nur diejenigen Personen, deren Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus von
einem Gericht nach § 63 StGB angeordnet worden sei, weil sie im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB)
eine rechtswidrige Tat begangen hätten und die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergeben habe, dass
von ihnen infolge ihres Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und die deshalb für die
Allgemeinheit gefährlich seien.

Unter den Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 3 fielen damit nicht Personen, bei denen wegen verminderter
Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden sei,
und solche, bei denen die Schuldunfähigkeit im Zeitpunkt der Tat nur ein vorübergehender Zustand gewesen
sei. Die tatbestandsmäßig erfasste Gruppe umfasse nur solche Personen, bei denen die Schuldunfähigkeit auf
einem länger bestehenden, nicht nur vorübergehenden Zustand beruhe, der ihre Einsichts- und Entscheidungs-
fähigkeit nach gerichtlicher Feststellung dauerhaft beeinträchtige, weshalb auch ein Ausschluss vom Wahlrecht
gerechtfertigt sei (Strelen, in: Schreiber, § 13 Rn. 17 f.).

Die Zahlen der Unterbringungsanordnungen nach § 63 in Verbindung mit § 20 StGB seien zwar anders als bei
den Wahlrechtsausschlüssen nach § 13 Nr. 2 BWG bekannt. Über die diesen Fällen zugrundeliegenden Um-
stände und Krankheitsbilder, die eine Überprüfung der gesetzlichen Annahme einer typischerweise gegebenen
Unfähigkeit der Teilnahme am demokratischen Kommunikationsprozess böten, lägen allerdings derzeit (noch)
keine konkreten Kenntnisse vor, da diese in der Strafvollstreckungsstatistik nicht erfasst würden. Die entspre-
chenden Daten und Krankheitsbilder würden darum in der oben genannten, von der Bundesregierung in Auftrag
gegebenen interdisziplinären Studie erhoben und ausgewertet, um dem Gesetzgeber eine valide Grundlage für
weitere Überlegungen und Entscheidungen in Wahrnehmung seiner Beobachtungspflicht zu zugrunde liegen-
den Annahmen und Prognosen zu bieten.

Entscheidungsgründe

I.

Der Einspruch ist unzulässig, soweit er sich auf die hessische Landtagswahl vom 22. September 2013 bezieht.
Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens beim Deutschen Bundestag ist gemäß § 1 Absatz 1 des Wahlprü-
fungsgesetzes die Gültigkeit der Wahlen zum Bundestag und die Verletzung von Rechten bei der Vorbereitung
oder Durchführung der Wahl, soweit sie der Wahlprüfung nach Artikel 41 GG unterliegen. Wahlen auf Lan-
desebene können vom Deutschen Bundestag nicht überprüft werden. Hierfür stehen landesrechtliche Rechts-
behelfe zur Verfügung.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 21 – Drucksache 18/2700

II.

Soweit der Einspruch zulässig ist, ist er unbegründet. Dem Vortrag der Einspruchsführer lässt sich kein Verstoß
gegen Wahlrechtsvorschriften und damit kein Wahlfehler entnehmen.

1. Es entspricht geltendem Wahlrecht, dass diejenigen, die sich aufgrund einer Anordnung nach § 63 in Ver-
bindung mit § 20 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus befinden, gemäß § 13 Nr. 2 bzw. Nr. 3 BWG
nicht an einer Bundestagswahl teilnehmen können. Wer sich aus anderen Gründen in einer solchen Klinik
befindet, ist hingegen wahlberechtigt.

2. § 13 Nr. 3 BWG ist – unbeschadet der Kontrollkompetenz des Bundesverfassungsgerichts (vgl. vgl. zuletzt
etwa Bundestagsdrucksachen 16/1800, Anlagen 26 bis 28 mit weiteren Nachweisen; 17/1000, Anlagen 5 und
11; 17/2200, Anlagen 1, 13 bis 15, 17 bis 20, 23 und 24; 17/3100, Anlagen 15, 19, 20, 22 bis 30, 32, 34 bis 36;
17/4600, Anlagen 10, 12, 13, 32, 38, 40 bis 43 mit weiteren Nachweisen; 17/6300, Anlage 19; 18/1160, Anla-
gen 1, 12, 32) – als verfassungskonform anzusehen (vgl. Strelen, in: Schreiber, § 13 Rn. 18 mit weiteren Nach-
weisen). § 13 Nr. 3 BWG verstößt nicht gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl. Die Vorschrift ist
durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt. Es werden Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen, bei denen
die Schuldunfähigkeit auf einem länger bestehenden, nicht nur vorübergehenden Zustand beruht, der ihre Ein-
sichts- und Entscheidungsfähigkeit nach gerichtlicher Feststellung dauerhaft beeinträchtigt. Auch in diesen
Fällen besteht die Möglichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen
nicht in hinreichendem Maße. § 13 Nr. 3 BWG knüpft, wie dies der Allgemeinheitsgrundsatz verlangt, an einen
formalen Tatbestand an, nämlich an die richterliche Entscheidung nach § 63 in Verbindung mit § 20 StGB;
äußerliches Kriterium ist die tatsächliche Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus am Wahltag
(vgl. Strelen, in: Schreiber, a. a. O.). Im Übrigen – insbesondere zur Reichweite des Urteils des EGMR in
Sachen Hirst v. The United Kingdom – nehmen der Wahlprüfungsausschuss und der Deutsche Bundestag auf
die überzeugenden Ausführungen des Bundesministeriums des Innern Bezug.

3. Es ist darauf hinzuweisen, dass die konventions- und völkerrechtliche Zulässigkeit des Wahlrechtsausschlus-
ses nach § 13 Nr. 3 BWG – von der der Deutsche Bundestag in seiner Mehrheit und die Bundesregierung
bislang ausgegangen sind (so auch Strelen, in: Schreiber, § 13 Rn. 10 mit weiteren Nachweisen) – im Rahmen
der von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen, fachlich breit angelegten Studie überprüft werden wird.
Möglicher (gesetzgeberischer) Handlungsbedarf wird zu erörtern sein, sobald die für das Jahr 2015 erwartete
Untersuchung vorliegt. Der Wahlprüfungsausschuss wird diesen Prozess aufmerksam begleiten.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 23 – Drucksache 18/2700

Anlage 4

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch

der Vereinigung „Deutsche Volkspartei – Wir sind das Volk“,
vertreten durch Frau H. B. und Frau K. K., 22831 Norderstedt,

– Az.: WP 160/13 –

gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag
am 22. September 2013

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2014 beschlossen,
dem Deutschen Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Einspruchsführerin hat durch ihre Vertreterinnen mit einem Schreiben vom 15. November 2013 Einspruch
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013 eingelegt.

Die Einspruchsführerin trägt vor, gemäß Artikel 1 und Artikel 3 des Grundgesetzes (GG) dürfe niemand wegen
seiner Behinderung benachteiligt werden. Wegen dieser Rechtslage und wegen Artikel 25 GG in Verbindung
mit Artikel 12 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), Artikel 3 Absatz 1 der Europäischen Men-
schenrechtskonvention (EMRK) sowie Artikel 25 des UN-Paktes über politische Rechte hätten auch
„teil[weise] betreuten“ behinderten Menschen, auch solchen in bestimmten „teil[weise] betreuten“ Einrichtun-
gen, eine Wahlbenachrichtigungskarte erhalten müssen. Dies sei aber nicht der Fall gewesen. „Teil[weise] be-
treute“ behinderte Menschen hätten keine Wahlbenachrichtigungskarte erhalten. Dieser Wahlrechtsausschluss
sei ein schwerwiegender Eingriff in die Angelegenheiten „teil[weise] betreuter“ behinderter Bürger. Der Wahl-
rechtsausschluss gemäß § 13 Nr. 2 des Bundeswahlgesetzes (BWG) könne gemäß § 1896 des Bürgerlichen
Gesetzbuches (BGB) nur für „voll[ständig] betreute“ Bürger gelten.

Wegen der Einzelheiten des Vortrages der Einspruchsführerin wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Das Bundesministerium des Innern hat zu dem Vorbringen – nach Einbeziehung des Bundesministeriums
für Justiz und Verbraucherschutz und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales – hinsichtlich der Frage
der Verfassungsmäßigkeit der Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 Nr. 2 und Nr. 3 BWG am 9. September 2014
wie folgt Stellung genommen:

1. Das Wahlrecht stehe im Staat des Grundgesetzes allen Bürgern zu. Die Abgeordneten des Deutschen Bun-
destages würden nach Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und gehei-
mer Wahl gewählt. Damit stehe das aktive und passive Wahlrecht in der Bundesrepublik Deutschland selbst-
verständlich auch Bürgern mit einer Behinderung zu, sofern sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllten
(Volljährigkeit, Wohnsitz im Bundesgebiet oder Eintragung in das Wählerregister auf Antrag; keine Wahl-
rechtsausschlüsse). Das deutsche Wahlrecht sei darauf ausgelegt, auch Menschen mit Behinderung die Wahr-
nehmung ihres Wahlrechts umfassend – wo nötig mit der notwendigen Unterstützung – zu ermöglichen. So
sollten Wahlräume nach § 46 der Bundeswahlordnung (BWO) so ausgewählt und eingerichtet werden, dass
allen Wahlberechtigten, insbesondere Menschen mit Behinderungen und anderen Menschen mit Mobilitätsbe-
einträchtigungen, die Teilnahme an der Wahl ermöglicht werde. Die Gemeindebehörden teilten frühzeitig in
geeigneter Weise mit, welche Wahlräume barrierefrei seien. Seit der letzten Bundestagswahl werde zudem
jedem Wähler bereits mit der Wahlbenachrichtigung mitgeteilt, ob sein Wahlraum barrierefrei sei und wo er
von der Gemeinde erfahren könne, welcher Wahlraum in seinem Wahlkreis barrierefrei sei (§ 19 Absatz 1 Satz
2 Nr. 2 und 7 BWO). Bei Stimmzetteln und Briefwahlunterlagen sollten nach § 45 Absatz 5 BWO Schriftart,
Schriftgröße und Kontrast so gewählt werden, dass die Lesbarkeit erleichtert werde. Nach § 57 BWO könnten
sich Wähler mit Behinderung bei der Stimmabgabe der Hilfe einer von ihnen bestimmten Hilfsperson oder

Drucksache 18/2700 – 24 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

eines Mitglieds des Wahlvorstands bedienen. Blinde und sehbehinderte Wähler könnten zur Kennzeichnung
des Stimmzettels eine Wahlschablone nutzen, für die der Bund den Behindertenvereinen nach § 50 Absatz 4
BWG die Kosten erstatte. Wo Menschen mit Behinderung die Teilnahme an der Wahl im Wahllokal nicht
möglich sei, stehe ihnen nach § 36 BWG als Alternative die Möglichkeit der Briefwahl zur Verfügung, wobei
sie sich ebenfalls der Assistenz einer Hilfsperson bedienen könnten.

2. Ausgeschlossen vom Wahlrecht sei nach § 13 BWG, wer infolge Richterspruchs in einem der gesetzlich
vorgesehenen Fälle das Wahlrecht nicht besitze (Nr. 1), derjenige, für den nach § 1896 BGB zur Besorgung
aller Angelegenheiten durch das Betreuungsgericht, und zwar nicht nur durch einstweilige Anordnung, ein
Betreuer bestellt sei (Nr. 2), und wer sich auf Grund einer richterlichen Anordnung nach § 63 in Verbindung
mit § 20 des Strafgesetzbuches (StGB) in einem psychiatrischen Krankenhaus befinde, weil er im Zustand der
Schuldunfähigkeit eine rechtswidrige Tat begangen habe und von ihm infolge seines Zustands erhebliche
rechtswidrige Taten zu erwarten seien und der deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei (Nr. 3).

Der Wahlrechtsausschluss nach § 13 BWG knüpfe in den Fällen des § 13 Nr. 2 BWG also an die Anordnung
der Betreuung in allen Angelegenheiten (die nicht nur, wie in akuten und vorübergehenden Fällen, durch einst-
weilige Anordnung erfolgt sei) an. Er werde nicht etwa am Merkmal einer Behinderung festgemacht. Während
grundsätzlich eine Betreuung nach § 1896 Absatz 1 BGB angeordnet werden könne, wenn ein Volljähriger in
Folge einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine An-
gelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr besorgen könne und andere Hilfen nicht zur Verfügung stünden
(§ 1896 Absatz 2 BGB), könne eine zum Wahlrechtsausschluss führende Betreuung in allen Angelegenheiten
nach § 1896 BGB nur angeordnet werden, wenn der Betroffene aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung
keine seiner Angelegenheiten mehr selbst besorgen könne, wenn also feststehe, dass er alle Lebenssituationen
seines Alltags nicht mehr, auch nicht mehr teilweise eigenverantwortlich gestalten könne. Wenn dagegen der
Betroffene in einzelnen Lebensbereichen seine Angelegenheiten noch selbst besorgen könne, kämen eine Voll-
betreuung und der damit verknüpfte Wahlrechtsausschluss nicht in Betracht.

3. Der Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 2 BWG verletze nicht Artikel 38 Absatz 1 GG. Auch wenn der
Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in Artikel 38 Absatz 1 GG als Spezialfall des allgemeinen Gleichheits-
satzes des Artikels 3 GG und daher im Sinne einer streng formalen Gleichheit zu verstehen sei, seien Differen-
zierungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht gänzlich ausgeschlossen (vgl. Schrei-
ber, in: Friauf/ Höfling, Berliner Kommentar zum GG, 41. Ergänzungslieferung 7/2013, Art. 38 Rn. 85 f.). Sie
bedürften allerdings eines besonderen, sachlich legitimierten Grundes (BVerfGE 28, 220 [225]; 69, 92 [106];
95, 408 [418 f.]; 132, 39 [47 f.]). Liege ein solcher vor, sei es Aufgabe des Gesetzgebers, die mit der Differen-
zierung verfolgten Ziele und den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in einen sachgerechten Ausgleich zu
bringen, wobei der Gesetzgeber Vereinfachungen und Typisierungen vornehmen dürfe (BVerfGE 132, 39 [48
f.]).

Zwar streite der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG für die Teilnahme
aller Deutschen an den Wahlen zum Bundestag. Er stehe jedoch in einem Spannungsverhältnis zu der so ge-
nannten Kommunikationsfunktion der Wahl. Danach sei die Möglichkeit, eine reflektierte Wahlentscheidung
zu treffen, für die Wahlteilnahme unabdingbar (vgl. BVerfGE 132, 39 [53 f.]). Vor diesem Hintergrund könne
nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht verfassungs-
rechtlich gerechtfertigt sein, wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen sei, dass die Mög-
lichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem
Maße bestehe (BVerfGE 132, 39 [51]).

In diesem Sinne bestimme die gesetzliche Regelung des § 13 Nr. 2 BWG, dass bei einer Person, von der auf-
grund einer Entscheidung des Betreuungsgerichts feststehe, dass sie keine ihrer Angelegenheiten mehr selbst
besorgen könne und dass sie alle Lebenssituationen des Alltags nicht mehr, auch nicht mehr teilweise eigen-
verantwortlich gestalten könne, die Voraussetzung für eine Wahlteilnahme fehle. Damit werde nicht die an-
spruchsvolle Voraussetzung gemacht, dass die Ausübung des Wahlrechts eine weitsichtige, vernunftbasierte
individuelle Entscheidung voraussetze, in der Verständnis für die Funktionsweise und das Wesen der Demo-
kratie zum Ausdruck komme. Vielmehr knüpfe das Bundeswahlgesetz den Wahlrechtsausschluss an die Tat-
sache, dass eine Person nach richterlicher Feststellung keine ihrer Angelegenheit mehr selbst besorgen könne,
und gründe darauf die gesetzliche Vermutung, dass damit die Voraussetzung zur Teilnahme am demokratischen
Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen fehle.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25 – Drucksache 18/2700

Darum habe sich der Gesetzgeber nach der Begründung zum Betreuungsgesetz vom 12. September 1990 zu
einer Streichung des Wahlrechtsausschlusses nach § 13 Nr. 2 BWG nicht in der Lage gesehen, weil das der
Bedeutung der Vorschrift für die Funktion des Wahlrechts im demokratischen Regierungssystem (BVerfGE
67, 146 [148]; 36, 139 [141]) nicht gerecht würde. Aus verfassungsrechtlichen Gründen sei es geboten gewe-
sen, an die Stelle der früheren Anknüpfung, die wegen des Wegfalls der Entmündigung und der Gebrechlich-
keitspflegschaft gegenstandslos geworden sei, eine andere Anknüpfung zu finden (Bundestagsdrucksache
11/4528, S. 188 f.).

4. Dass der Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 2 BWG Fälle erfasse, in denen zwar eine Betreuung in allen
Angelegenheiten richterlich angeordnet worden sei, der oder die Betreute aber zur Teilnahme am demokrati-
schen Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen und einer reflektierten Wahlentscheidung in
der Lage sei, habe der Gesetzgeber des Betreuungsgesetzes 1992 offenbar in Hinblick auf den das neue Be-
treuungsrecht beherrschenden Erforderlichkeitsgrundsatz in § 1896 Absatz 2 BGB geglaubt ausschließen zu
können. Hiernach dürfe eine Betreuung nur für die Aufgabenkreise angeordnet werden, für die dies erforderlich
sei, also insoweit die Angelegenheiten des Betreuten nicht durch andere Hilfen (ohne Vertretungsbefugnis)
besorgt werden könnten. Wenn unter dieser Bedingung eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet
werden müsse (mit der gesetzlichen Folge des Wahlrechtsausschlusses), könne aus Sicht des Gesetzgebers von
der Unmöglichkeit einer eigenverantwortlichen Wahlteilnahme ausgegangen werden.

Daten über die Zahl der Betreuten, bei denen die Betreuung in allen Angelegenheiten (und nicht nur durch
einstweilige Anordnung) habe angeordnet werden müssen, und über die diesen Fällen zugrunde liegenden Um-
stände und Krankheitsbilder, die eine Überprüfung dieser gesetzlichen Vermutung böten, lägen derzeit nicht
vor, da die Fälle der Betreuung in allen Angelegenheiten und die diesen zugrunde liegenden Krankheitsbilder
nicht gesondert statistisch erfasst würden. Die Bundesregierung habe darum im Nationalen Aktionsplan zur
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention beschlossen, eine Studie in Auftrag zu geben, in der die tat-
sächliche Situation behinderter Menschen bei der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts untersucht
und Handlungsempfehlungen für eine verbesserte Partizipation von Menschen mit Behinderungen entwickelt
würden. Die Ergebnisse der Studie, die im Dezember 2013 an ein interdisziplinäres Forscher-Team aus den
Bereichen Verfassungs-/Wahlrecht, empirische Sozialwissenschaften/Politikwissenschaft, klinische Psycholo-
gie, (Behinderten-)Pädagogik sowie Völker- und Europarecht vergeben wurde, würden Ende 2015 vorliegen
und eine valide Grundlage für weitere Überlegungen und Entscheidungen des Gesetzgebers in Wahrnehmung
seiner verfassungsrechtlichen Beobachtungspflicht zu den Gesetzen zugrundeliegenden Annahmen und Prog-
nosen bieten.

5. Nach Artikel 29 des von der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2009 ratifizierten Übereinkommens der
Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK)
garantierten die Vertragsstaaten Menschen mit Behinderungen unter anderem die politischen Rechte und die
Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen beanspruchen zu können. In der der Ratifikation durch
Deutschland zugrunde liegenden Denkschrift der Bundesregierung zum Vertragsgesetz vom 8. November 2008
(Bundestagsdrucksache 16/10808, S. 63) wurde festgestellt, dass nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz
der Allgemeinheit der Wahl in Deutschland behinderten Menschen das aktive und passive Wahlrecht bei Bun-
destags-, Landtags- und Kommunalwahlen zustehe.

In Hinblick auf die bei der Ratifikation der UN-BRK bestehenden Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 BWG habe
die Denkschrift der Bundesregierung festgestellt: „An diesen gesetzlich festgeschriebenen und dem Sinne nach
auch in Rechtsordnungen anderer Staaten vorgesehenen Ausnahmefällen wird festgehalten, weil das Wahlrecht
als höchstpersönliches Recht nur Personen zustehen soll, die rechtlich in vollem Umfang selbständig hand-
lungs- und entscheidungsfähig sind. Dies steht im Einklang mit den Vorgaben des Artikels 29 Buchstabe a,
weil diese Bestimmungen nur die in Artikel 25 Zivilpakt schon festgeschriebenen staatlichen Verpflichtungen
wiedergibt, aber keine weitergehenden politischen Rechte für Menschen mit Behinderungen begründet. Für
das in Artikel 25 Buchstabe b des Zivilpaktes verankerte Recht, bei echten, wiederkehrenden, allgemeinen,
gleichen und geheimen Wahlen zu wählen und gewählt zu werden, ist aber allgemein anerkannt, dass ein Aus-
schluss vom Wahlrecht auf gesetzlich niedergelegten Gründen beruhen darf, die objektiv angemessen sind. Das
wird etwa für den Fall der Unzurechnungsfähigkeit oder einer strafgerichtlichen Verurteilung in Ansehung von
Straftat und Strafmaß angenommen.“ (Bundestagsdrucksache 16/10808, S. 64.) Ähnlich habe sich auch die
Denkschrift zum Pakt vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) verhal-
ten (vgl. Bundestagsdrucksache 7/660, S. 39).

Drucksache 18/2700 – 26 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Ob und inwieweit die zur Interpretation der UN-BRK und des UN-Zivilpakts berufenen Vertragsorgane zu
einer dynamisch-rechtsfortbildenden Interpretation dieser völkerrechtlichen Instrumente befugt seien sowie ob
und inwieweit hieraus eine Veränderung der völkerrechtlichen Lage gegenüber dem Zeitpunkt der Ratifikation
der UN-BRK und des UN-Zivilpakts durch Deutschland eingetreten sei, werde in der oben genannten, im Auf-
trag der Bundesregierung erstellten Studie geklärt werden, so dass für weitere Überlegungen und Entscheidun-
gen des Gesetzgebers in Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlichen Beobachtungspflicht mit der Vorlage
dieser Studie eine valide rechtsgutachterliche Grundlage bestehen werde.

Verfassungsrechtlich werde der Wahlrechtsausschluss für Personen, die einer umfassenden Betreuung unter-
liegen, nicht beanstandet (Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 60. Ergänzungslieferung 10/2010, Art. 38 Rn. 93;
Schreiber, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, 41. Ergänzungslieferung 7/2013, Art. 38 Rn. 87;
Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/ Hopfauf, GG, 12. Auflage 2011, Art. 38 Rn. 13, Silberkuhl, in:
Hömig, GG, 10. Auflage 2013, Art. 38 Rn. 6). Umgekehrt werde geltend gemacht, dass eine Verleihung des
Wahlrechts an Personen, die an dem Prozess demokratischer Legitimation aus einem freien Kommunikations-
prozess nicht teilnehmen können, das nach Artikel 79 Absatz 3 GG unantastbare demokratische Prinzip im
Kern verletzen würde (Klein, a.a.O., Rn. 138). Der Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 2 BWG genüge nach
der einschlägigen Kommentarliteratur den Anforderungen des Artikels 29 der UN-BRK und den Anforderun-
gen des EGMR (Strelen, in: Schreiber, BWG, 9. Auflage 2013, § 13 Rn. 10). Die UN-BRK gelte als völker-
rechtlicher Vertrag in Deutschland auf der Normstufe des einfachen Rechts, also unterhalb des Verfassungs-
rechts (vgl. Lang, ZRP 2013, S. 133). Allerdings könne die UN-BRK nach der Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts (BVerfGE 128, 282 [306]) als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reich-
weite der Grundrechte herangezogen werden.

6. Die Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 Nr. 3 BWG beträfen in Deutschland nicht – wie in dem vom Europä-
ischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 6. Oktober 2005 entschiedenen Fall Hirst v. The United
Kingdom (Nr. 74025/01) – alle verurteilten Strafgefangenen oder alle in ein psychiatrisches Krankenhaus Ein-
gewiesenen, sondern nur diejenigen Personen, deren Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus von
einem Gericht nach § 63 StGB angeordnet worden sei, weil sie im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB)
eine rechtswidrige Tat begangen hätten und die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergeben habe, dass
von ihnen infolge ihres Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und die deshalb für die
Allgemeinheit gefährlich seien.

Unter den Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 3 fielen damit nicht Personen, bei denen wegen verminderter
Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden sei,
und solche, bei denen die Schuldunfähigkeit im Zeitpunkt der Tat nur ein vorübergehender Zustand gewesen
sei. Die tatbestandsmäßig erfasste Gruppe umfasse nur solche Personen, bei denen die Schuldunfähigkeit auf
einem länger bestehenden, nicht nur vorübergehenden Zustand beruhe, der ihre Einsichts- und Entscheidungs-
fähigkeit nach gerichtlicher Feststellung dauerhaft beeinträchtige, weshalb auch ein Ausschluss vom Wahlrecht
gerechtfertigt sei (Strelen, in: Schreiber, § 13 Rn. 17 f.).

Die Zahlen der Unterbringungsanordnungen nach § 63 in Verbindung mit § 20 StGB seien zwar anders als bei
den Wahlrechtsausschlüssen nach § 13 Nr. 2 BWG bekannt. Über die diesen Fällen zugrundeliegenden Um-
stände und Krankheitsbilder, die eine Überprüfung der gesetzlichen Annahme einer typischerweise gegebenen
Unfähigkeit der Teilnahme am demokratischen Kommunikationsprozess böten, lägen allerdings derzeit (noch)
keine konkreten Kenntnisse vor, da diese in der Strafvollstreckungsstatistik nicht erfasst würden. Die entspre-
chenden Daten und Krankheitsbilder würden darum in der oben genannten, von der Bundesregierung in Auftrag
gegebenen interdisziplinären Studie erhoben und ausgewertet, um dem Gesetzgeber eine valide Grundlage für
weitere Überlegungen und Entscheidungen in Wahrnehmung seiner Beobachtungspflicht zu zugrunde liegen-
den Annahmen und Prognosen zu bieten.

Entscheidungsgründe

I.

Es kann dahinstehen, ob eine Vereinigung bzw. Partei des angegebenen Namens tatsächlich besteht, da der
Einspruch jedenfalls unbegründet ist.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 27 – Drucksache 18/2700

II.

Der Einspruch ist unbegründet. Dem Vortrag der Einspruchsführerin lässt sich kein Verstoß gegen Wahlrechts-
vorschriften und damit kein Wahlfehler entnehmen.

Entgegen dem Vortrag der Einspruchsführerin gilt § 13 Nr. 2 BWG nicht für Menschen, denen ein Betreuer
nicht für alle ihre Angelegenheiten, sondern nur für Teile davon bestellt worden ist. § 13 Nr. 2 BWG gilt
vielmehr für Personen, für die zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten ein Betreuer oder eine Betreuerin
nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist; dies gilt auch, wenn der Aufgabenkreis des Betreuers oder
der Betreuerin die in § 1896 Abs. 4 und § 1905 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Angelegenheiten
nicht erfasst. Die Einspruchsführerin hat keine Fälle vorgetragen, in denen § 13 Nr. 2 BWG zu weit ausgelegt
und der Wahlrechtsausschluss auf teilweise betreute Menschen ausgedehnt worden wäre.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29 – Drucksache 18/2700

Anlage 5

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch

des Herrn W.-H. S., 22832 Norderstedt,

– Az.: WP 163/13 –

gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag
am 22. September 2013

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2014 beschlossen,
dem Deutschen Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand

Der Einspruchsführer hat mit einem Schreiben vom 15. November 2013 Einspruch gegen die Gültigkeit der
Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013 eingelegt.

Er trägt vor, gemäß Artikel 1 und Artikel 3 des Grundgesetzes (GG) dürfe niemand wegen seiner Behinderung
benachteiligt werden. Gemäß Artikel 38 GG hätten alle Bürger das Recht, zu wählen und gewählt zu werden.
Jedoch hätten „teil[weise] betreute“ behinderte Menschen keine Wahlbenachrichtigungskarte erhalten. Denn
gemäß § 13 Nr. 2 des Bundeswahlgesetzes (BWG) sei derjenige vom aktiven und passiven Wahlrecht ausge-
schlossen, für den eine Betreuung in allen Angelegenheiten bestellt sei. Davon würden auch „Teil-Betreute“
erfasst. Dieser Wahlrechtsausschluss sei ein schwerwiegender Eingriff in das Recht behinderter Menschen auf
politische Beteiligung, denn nach § 1896 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) könne nur für Volljährige mit
einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ein rechtlicher
Betreuer bestellt werden. Ein Grund für diesen Ausschluss von einem der grundlegenden demokratischen
Rechte sei nicht erkennbar.

Menschen mit Behinderung seien, auch wenn für sie eine Betreuung in allen Angelegenheiten bestellt sei,
grundsätzlich geschäftsfähig. Der Wahlrechtsausschluss stelle auch eine willkürliche Diskriminierung volljäh-
riger Menschen mit einer psychischen Krankheit oder einer Behinderung dar, für die eine Betreuung in allen
Angelegenheiten angeordnet worden sei. Nur diese könnten von einem Wahlrechtsausschluss betroffen sein,
obwohl inhaltlich kein Zusammenhang zwischen einer Betreuungsanordnung und dem Wahlrechtsausschluss
bestehe. Ihre Fähigkeit zur politischen Willensbildung spiele im Betreuungsverfahren keine Rolle. Eine wie
auch immer geartete Wahlfähigkeitsprüfung wäre mit dem Grundsatz der allgemeinen Wahl ohnehin unver-
einbar. Anders als die genannten Betreuten müsse kein kranker, alter oder sonst beeinträchtigter Bürger fürch-
ten, dass seine Fähigkeit zu „vernünftigen“ Wahlentscheidungen überprüft werde. Auch wer durch eine Vor-
sorgevollmacht für den Fall einer späteren Unterstützungsbedürftigkeit einen Bevollmächtigten bestelle, sei
nicht von der Wahl ausgeschlossen. Der Wahlrechtsausschluss einer bestimmten Gruppe von Menschen mit
Behinderungen sei mit Artikel 12 und Artikel 29 der Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) sowie mit Arti-
kel 3 des 1. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und Artikel 25 des UN-
Paktes über bürgerliche und politische Rechte nicht vereinbar. Europäische Nachbarstaaten wie Österreich, die
Niederlande und Großbritannien verzichteten längst auf dem § 13 Nr. 2 BWG entsprechende Wahlrechtsaus-
schlüsse.

Wegen der Einzelheiten des Vortrages des Einspruchsführers wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Das Bundesministerium des Innern hat zu dem Vorbringen – nach Einbeziehung des Bundesministeriums
für Justiz und Verbraucherschutz und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales – hinsichtlich der Frage
der Verfassungsmäßigkeit der Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 Nr. 2 und Nr. 3 BWG am 9. September 2014
wie folgt Stellung genommen:

Drucksache 18/2700 – 30 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

1. Das Wahlrecht stehe im Staat des Grundgesetzes allen Bürgern zu. Die Abgeordneten des Deutschen Bun-
destages würden nach Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und gehei-
mer Wahl gewählt. Damit stehe das aktive und passive Wahlrecht in der Bundesrepublik Deutschland selbst-
verständlich auch Bürgern mit einer Behinderung zu, sofern sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllten
(Volljährigkeit, Wohnsitz im Bundesgebiet oder Eintragung in das Wählerregister auf Antrag; keine Wahl-
rechtsausschlüsse). Das deutsche Wahlrecht sei darauf ausgelegt, auch Menschen mit Behinderung die Wahr-
nehmung ihres Wahlrechts umfassend – wo nötig mit der notwendigen Unterstützung – zu ermöglichen. So
sollten Wahlräume nach § 46 der Bundeswahlordnung (BWO) so ausgewählt und eingerichtet werden, dass
allen Wahlberechtigten, insbesondere Menschen mit Behinderungen und anderen Menschen mit Mobilitätsbe-
einträchtigungen, die Teilnahme an der Wahl ermöglicht werde. Die Gemeindebehörden teilten frühzeitig in
geeigneter Weise mit, welche Wahlräume barrierefrei seien. Seit der letzten Bundestagswahl werde zudem
jedem Wähler bereits mit der Wahlbenachrichtigung mitgeteilt, ob sein Wahlraum barrierefrei sei und wo er
von der Gemeinde erfahren könne, welcher Wahlraum in seinem Wahlkreis barrierefrei sei (§ 19 Absatz 1 Satz
2 Nr. 2 und 7 BWO). Bei Stimmzetteln und Briefwahlunterlagen sollten nach § 45 Absatz 5 BWO Schriftart,
Schriftgröße und Kontrast so gewählt werden, dass die Lesbarkeit erleichtert werde. Nach § 57 BWO könnten
sich Wähler mit Behinderung bei der Stimmabgabe der Hilfe einer von ihnen bestimmten Hilfsperson oder
eines Mitglieds des Wahlvorstands bedienen. Blinde und sehbehinderte Wähler könnten zur Kennzeichnung
des Stimmzettels eine Wahlschablone nutzen, für die der Bund den Behindertenvereinen nach § 50 Absatz 4
BWG die Kosten erstatte. Wo Menschen mit Behinderung die Teilnahme an der Wahl im Wahllokal nicht
möglich sei, stehe ihnen nach § 36 BWG als Alternative die Möglichkeit der Briefwahl zur Verfügung, wobei
sie sich ebenfalls der Assistenz einer Hilfsperson bedienen könnten.

2. Ausgeschlossen vom Wahlrecht sei nach § 13 BWG, wer infolge Richterspruchs in einem der gesetzlich
vorgesehenen Fälle das Wahlrecht nicht besitze (Nr. 1), derjenige, für den nach § 1896 BGB zur Besorgung
aller Angelegenheiten durch das Betreuungsgericht, und zwar nicht nur durch einstweilige Anordnung, ein
Betreuer bestellt sei (Nr. 2), und wer sich auf Grund einer richterlichen Anordnung nach § 63 in Verbindung
mit § 20 des Strafgesetzbuches (StGB) in einem psychiatrischen Krankenhaus befinde, weil er im Zustand der
Schuldunfähigkeit eine rechtswidrige Tat begangen habe und von ihm infolge seines Zustands erhebliche
rechtswidrige Taten zu erwarten seien und der deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei (Nr. 3).

Der Wahlrechtsausschluss nach § 13 BWG knüpfe in den Fällen des § 13 Nr. 2 BWG also an die Anordnung
der Betreuung in allen Angelegenheiten (die nicht nur, wie in akuten und vorübergehenden Fällen, durch einst-
weilige Anordnung erfolgt sei) an. Er werde nicht etwa am Merkmal einer Behinderung festgemacht. Während
grundsätzlich eine Betreuung nach § 1896 Absatz 1 BGB angeordnet werden könne, wenn ein Volljähriger in
Folge einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine An-
gelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr besorgen könne und andere Hilfen nicht zur Verfügung stünden
(§ 1896 Absatz 2 BGB), könne eine zum Wahlrechtsausschluss führende Betreuung in allen Angelegenheiten
nach § 1896 BGB nur angeordnet werden, wenn der Betroffene aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung
keine seiner Angelegenheiten mehr selbst besorgen könne, wenn also feststehe, dass er alle Lebenssituationen
seines Alltags nicht mehr, auch nicht mehr teilweise eigenverantwortlich gestalten könne. Wenn dagegen der
Betroffene in einzelnen Lebensbereichen seine Angelegenheiten noch selbst besorgen könne, kämen eine Voll-
betreuung und der damit verknüpfte Wahlrechtsausschluss nicht in Betracht.

3. Der Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 2 BWG verletze nicht Artikel 38 Absatz 1 GG. Auch wenn der
Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in Artikel 38 Absatz 1 GG als Spezialfall des allgemeinen Gleichheits-
satzes des Artikels 3 GG und daher im Sinne einer streng formalen Gleichheit zu verstehen sei, seien Differen-
zierungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht gänzlich ausgeschlossen (vgl. Schrei-
ber, in: Friauf/ Höfling, Berliner Kommentar zum GG, 41. Ergänzungslieferung 7/2013, Art. 38 Rn. 85 f.). Sie
bedürften allerdings eines besonderen, sachlich legitimierten Grundes (BVerfGE 28, 220 [225]; 69, 92 [106];
95, 408 [418 f.]; 132, 39 [47 f.]). Liege ein solcher vor, sei es Aufgabe des Gesetzgebers, die mit der Differen-
zierung verfolgten Ziele und den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in einen sachgerechten Ausgleich zu
bringen, wobei der Gesetzgeber Vereinfachungen und Typisierungen vornehmen dürfe (BVerfGE 132, 39 [48
f.]).

Zwar streite der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG für die Teilnahme
aller Deutschen an den Wahlen zum Bundestag. Er stehe jedoch in einem Spannungsverhältnis zu der so ge-
nannten Kommunikationsfunktion der Wahl. Danach sei die Möglichkeit, eine reflektierte Wahlentscheidung
zu treffen, für die Wahlteilnahme unabdingbar (vgl. BVerfGE 132, 39 [53 f.]). Vor diesem Hintergrund könne

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 31 – Drucksache 18/2700

nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht verfassungs-
rechtlich gerechtfertigt sein, wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen sei, dass die Mög-
lichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem
Maße bestehe (BVerfGE 132, 39 [51]).

In diesem Sinne bestimme die gesetzliche Regelung des § 13 Nr. 2 BWG, dass bei einer Person, von der auf-
grund einer Entscheidung des Betreuungsgerichts feststehe, dass sie keine ihrer Angelegenheiten mehr selbst
besorgen könne und dass sie alle Lebenssituationen des Alltags nicht mehr, auch nicht mehr teilweise eigen-
verantwortlich gestalten könne, die Voraussetzung für eine Wahlteilnahme fehle. Damit werde nicht die an-
spruchsvolle Voraussetzung gemacht, dass die Ausübung des Wahlrechts eine weitsichtige, vernunftbasierte
individuelle Entscheidung voraussetze, in der Verständnis für die Funktionsweise und das Wesen der Demo-
kratie zum Ausdruck komme. Vielmehr knüpfe das Bundeswahlgesetz den Wahlrechtsausschluss an die Tat-
sache, dass eine Person nach richterlicher Feststellung keine ihrer Angelegenheit mehr selbst besorgen könne,
und gründe darauf die gesetzliche Vermutung, dass damit die Voraussetzung zur Teilnahme am demokratischen
Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen fehle.

Darum habe sich der Gesetzgeber nach der Begründung zum Betreuungsgesetz vom 12. September 1990 zu
einer Streichung des Wahlrechtsausschlusses nach § 13 Nr. 2 BWG nicht in der Lage gesehen, weil das der
Bedeutung der Vorschrift für die Funktion des Wahlrechts im demokratischen Regierungssystem (BVerfGE
67, 146 [148]; 36, 139 [141]) nicht gerecht würde. Aus verfassungsrechtlichen Gründen sei es geboten gewe-
sen, an die Stelle der früheren Anknüpfung, die wegen des Wegfalls der Entmündigung und der Gebrechlich-
keitspflegschaft gegenstandslos geworden sei, eine andere Anknüpfung zu finden (Bundestagsdrucksache
11/4528, S. 188 f.).

4. Dass der Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 2 BWG Fälle erfasse, in denen zwar eine Betreuung in allen
Angelegenheiten richterlich angeordnet worden sei, der oder die Betreute aber zur Teilnahme am demokrati-
schen Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen und einer reflektierten Wahlentscheidung in
der Lage sei, habe der Gesetzgeber des Betreuungsgesetzes 1992 offenbar in Hinblick auf den das neue Be-
treuungsrecht beherrschenden Erforderlichkeitsgrundsatz in § 1896 Absatz 2 BGB geglaubt ausschließen zu
können. Hiernach dürfe eine Betreuung nur für die Aufgabenkreise angeordnet werden, für die dies erforderlich
sei, also insoweit die Angelegenheiten des Betreuten nicht durch andere Hilfen (ohne Vertretungsbefugnis)
besorgt werden könnten. Wenn unter dieser Bedingung eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet
werden müsse (mit der gesetzlichen Folge des Wahlrechtsausschlusses), könne aus Sicht des Gesetzgebers von
der Unmöglichkeit einer eigenverantwortlichen Wahlteilnahme ausgegangen werden.

Daten über die Zahl der Betreuten, bei denen die Betreuung in allen Angelegenheiten (und nicht nur durch
einstweilige Anordnung) habe angeordnet werden müssen, und über die diesen Fällen zugrunde liegenden Um-
stände und Krankheitsbilder, die eine Überprüfung dieser gesetzlichen Vermutung böten, lägen derzeit nicht
vor, da die Fälle der Betreuung in allen Angelegenheiten und die diesen zugrunde liegenden Krankheitsbilder
nicht gesondert statistisch erfasst würden. Die Bundesregierung habe darum im Nationalen Aktionsplan zur
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention beschlossen, eine Studie in Auftrag zu geben, in der die tat-
sächliche Situation behinderter Menschen bei der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts untersucht
und Handlungsempfehlungen für eine verbesserte Partizipation von Menschen mit Behinderungen entwickelt
würden. Die Ergebnisse der Studie, die im Dezember 2013 an ein interdisziplinäres Forscher-Team aus den
Bereichen Verfassungs-/Wahlrecht, empirische Sozialwissenschaften/Politikwissenschaft, klinische Psycholo-
gie, (Behinderten-)Pädagogik sowie Völker- und Europarecht vergeben wurde, würden Ende 2015 vorliegen
und eine valide Grundlage für weitere Überlegungen und Entscheidungen des Gesetzgebers in Wahrnehmung
seiner verfassungsrechtlichen Beobachtungspflicht zu den Gesetzen zugrundeliegenden Annahmen und Prog-
nosen bieten.

5. Nach Artikel 29 des von der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2009 ratifizierten Übereinkommens der
Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK)
garantierten die Vertragsstaaten Menschen mit Behinderungen unter anderem die politischen Rechte und die
Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen beanspruchen zu können. In der der Ratifikation durch
Deutschland zugrunde liegenden Denkschrift der Bundesregierung zum Vertragsgesetz vom 8. November 2008
(Bundestagsdrucksache 16/10808, S. 63) wurde festgestellt, dass nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz
der Allgemeinheit der Wahl in Deutschland behinderten Menschen das aktive und passive Wahlrecht bei Bun-
destags-, Landtags- und Kommunalwahlen zustehe.

Drucksache 18/2700 – 32 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

In Hinblick auf die bei der Ratifikation der UN-BRK bestehenden Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 BWG habe
die Denkschrift der Bundesregierung festgestellt: „An diesen gesetzlich festgeschriebenen und dem Sinne nach
auch in Rechtsordnungen anderer Staaten vorgesehenen Ausnahmefällen wird festgehalten, weil das Wahlrecht
als höchstpersönliches Recht nur Personen zustehen soll, die rechtlich in vollem Umfang selbständig hand-
lungs- und entscheidungsfähig sind. Dies steht im Einklang mit den Vorgaben des Artikels 29 Buchstabe a,
weil diese Bestimmungen nur die in Artikel 25 Zivilpakt schon festgeschriebenen staatlichen Verpflichtungen
wiedergibt, aber keine weitergehenden politischen Rechte für Menschen mit Behinderungen begründet. Für
das in Artikel 25 Buchstabe b des Zivilpaktes verankerte Recht, bei echten, wiederkehrenden, allgemeinen,
gleichen und geheimen Wahlen zu wählen und gewählt zu werden, ist aber allgemein anerkannt, dass ein Aus-
schluss vom Wahlrecht auf gesetzlich niedergelegten Gründen beruhen darf, die objektiv angemessen sind. Das
wird etwa für den Fall der Unzurechnungsfähigkeit oder einer strafgerichtlichen Verurteilung in Ansehung von
Straftat und Strafmaß angenommen.“ (Bundestagsdrucksache 16/10808, S. 64.) Ähnlich habe sich auch die
Denkschrift zum Pakt vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) verhal-
ten (vgl. Bundestagsdrucksache 7/660, S. 39).

Ob und inwieweit die zur Interpretation der UN-BRK und des UN-Zivilpakts berufenen Vertragsorgane zu
einer dynamisch-rechtsfortbildenden Interpretation dieser völkerrechtlichen Instrumente befugt seien sowie ob
und inwieweit hieraus eine Veränderung der völkerrechtlichen Lage gegenüber dem Zeitpunkt der Ratifikation
der UN-BRK und des UN-Zivilpakts durch Deutschland eingetreten sei, werde in der oben genannten, im Auf-
trag der Bundesregierung erstellten Studie geklärt werden, so dass für weitere Überlegungen und Entscheidun-
gen des Gesetzgebers in Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlichen Beobachtungspflicht mit der Vorlage
dieser Studie eine valide rechtsgutachterliche Grundlage bestehen werde.

Verfassungsrechtlich werde der Wahlrechtsausschluss für Personen, die einer umfassenden Betreuung unter-
liegen, nicht beanstandet (Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 60. Ergänzungslieferung 10/2010, Art. 38 Rn. 93;
Schreiber, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, 41. Ergänzungslieferung 7/2013, Art. 38 Rn. 87;
Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/ Hopfauf, GG, 12. Auflage 2011, Art. 38 Rn. 13, Silberkuhl, in:
Hömig, GG, 10. Auflage 2013, Art. 38 Rn. 6). Umgekehrt werde geltend gemacht, dass eine Verleihung des
Wahlrechts an Personen, die an dem Prozess demokratischer Legitimation aus einem freien Kommunikations-
prozess nicht teilnehmen können, das nach Artikel 79 Absatz 3 GG unantastbare demokratische Prinzip im
Kern verletzen würde (Klein, a.a.O., Rn. 138). Der Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 2 BWG genüge nach
der einschlägigen Kommentarliteratur den Anforderungen des Artikels 29 der UN-BRK und den Anforderun-
gen des EGMR (Strelen, in: Schreiber, BWG, 9. Auflage 2013, § 13 Rn. 10). Die UN-BRK gelte als völker-
rechtlicher Vertrag in Deutschland auf der Normstufe des einfachen Rechts, also unterhalb des Verfassungs-
rechts (vgl. Lang, ZRP 2013, S. 133). Allerdings könne die UN-BRK nach der Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts (BVerfGE 128, 282 [306]) als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reich-
weite der Grundrechte herangezogen werden.

6. Die Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 Nr. 3 BWG beträfen in Deutschland nicht – wie in dem vom Europä-
ischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 6. Oktober 2005 entschiedenen Fall Hirst v. The United
Kingdom (Nr. 74025/01) – alle verurteilten Strafgefangenen oder alle in ein psychiatrisches Krankenhaus Ein-
gewiesenen, sondern nur diejenigen Personen, deren Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus von
einem Gericht nach § 63 StGB angeordnet worden sei, weil sie im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB)
eine rechtswidrige Tat begangen hätten und die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergeben habe, dass
von ihnen infolge ihres Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und die deshalb für die
Allgemeinheit gefährlich seien.

Unter den Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 3 fielen damit nicht Personen, bei denen wegen verminderter
Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden sei,
und solche, bei denen die Schuldunfähigkeit im Zeitpunkt der Tat nur ein vorübergehender Zustand gewesen
sei. Die tatbestandsmäßig erfasste Gruppe umfasse nur solche Personen, bei denen die Schuldunfähigkeit auf
einem länger bestehenden, nicht nur vorübergehenden Zustand beruhe, der ihre Einsichts- und Entscheidungs-
fähigkeit nach gerichtlicher Feststellung dauerhaft beeinträchtige, weshalb auch ein Ausschluss vom Wahlrecht
gerechtfertigt sei (Strelen, in: Schreiber, § 13 Rn. 17 f.).

Die Zahlen der Unterbringungsanordnungen nach § 63 in Verbindung mit § 20 StGB seien zwar anders als bei
den Wahlrechtsausschlüssen nach § 13 Nr. 2 BWG bekannt. Über die diesen Fällen zugrundeliegenden Um-
stände und Krankheitsbilder, die eine Überprüfung der gesetzlichen Annahme einer typischerweise gegebenen

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 33 – Drucksache 18/2700

Unfähigkeit der Teilnahme am demokratischen Kommunikationsprozess böten, lägen allerdings derzeit (noch)
keine konkreten Kenntnisse vor, da diese in der Strafvollstreckungsstatistik nicht erfasst würden. Die entspre-
chenden Daten und Krankheitsbilder würden darum in der oben genannten, von der Bundesregierung in Auftrag
gegebenen interdisziplinären Studie erhoben und ausgewertet, um dem Gesetzgeber eine valide Grundlage für
weitere Überlegungen und Entscheidungen in Wahrnehmung seiner Beobachtungspflicht zu zugrunde liegen-
den Annahmen und Prognosen zu bieten.

Entscheidungsgründe

Der Einspruch ist zulässig, aber unbegründet. Dem Vortrag des Einspruchsführers lässt sich kein Verstoß gegen
Wahlrechtsvorschriften und damit kein Wahlfehler entnehmen.

1. Es entspricht geltendem Wahlrecht (§ 13 Nr. 2 BWG), dass derjenige nicht wahlberechtigt ist, für den zur
Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist; dies
gilt auch, wenn der Aufgabenkreis des Betreuers die in § 1896 Abs. 4 und § 1905 BGB bezeichneten Angele-
genheiten nicht erfasst. Für Menschen, denen ein Betreuer nicht für alle ihre Angelegenheiten, sondern nur für
Teile davon bestellt worden ist, gilt § 13 Nr. 2 BWG hingegen nicht. Der Einspruchsführerin hat zwar behaup-
tet, dass § 13 Nr. 2 BWG (teilweise) zu weit ausgelegt und auf teilweise betreute Menschen ausgedehnt worden
sei. Er hat es insoweit aber bei der Behauptung belassen und keine konkreten Fälle vorgetragen.

2. Soweit der Einspruchsführer die Verfassungswidrigkeit des § 13 Nr. 2 BWG andeutet, ist zu beachten, dass
der Wahlprüfungsausschuss und der Deutsche Bundestag in ständiger Praxis im Rahmen eines Wahlprüfungs-
verfahrens die Verfassungsmäßigkeit von Wahlrechtsvorschriften nicht überprüfen. Eine derartige Kontrolle
ist stets dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten worden (vgl. zuletzt etwa Bundestagsdrucksachen
16/1800, Anlagen 26 bis 28 mit weiteren Nachweisen; 17/1000, Anlagen 5 und 11; 17/2200, Anlagen 1, 13 bis
15, 17 bis 20, 23 und 24; 17/3100, Anlagen 15, 19, 20, 22 bis 30, 32, 34 bis 36; 17/4600, Anlagen 10, 12, 13,
32, 38, 40 bis 43 mit weiteren Nachweisen; 17/6300, Anlage 19; 18/1160, Anlagen 1, 12, 32). Abgesehen davon
sind verfassungsrechtliche Bedenken unbegründet. § 13 Nr. 2 BWG verstößt insbesondere nicht gegen Artikel
38 Absatz 1 GG, wie das Bundesministerium des Innern in seiner Stellungnahme plausibel ausgeführt hat.
Zwar ist der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG als Spezialfall des allge-
meinen Gleichheitssatzes des Artikels 3 GG und daher im Sinne einer streng formalen Gleichheit zu verstehen.
Gleichwohl sind Differenzierungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht gänzlich
ausgeschlossen (vgl. Schreiber, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, 41. Ergänzungslieferung
7/2013, Art. 38 Rn. 85 f.), bedürfen aber eines besonderen, sachlich legitimierten Grundes (BVerfGE 28, 220
[225]; 69, 92 [106]; 95, 408 [418 f.]; 132, 39 [47 f.]). Wenn ein solcher vorliegt, muss der Gesetzgeber die mit
der Differenzierung verfolgten Ziele und den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in einen sachgerechten
Ausgleich bringen, wobei er Vereinfachungen und Typisierungen vornehmen darf (BVerfGE 132, 39 [48 f.]).
Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl steht in einem Spannungsverhältnis zu der sogenannten Kommu-
nikationsfunktion der Wahl. Für die Wahlteilnahme ist die Möglichkeit, eine reflektierte Wahlentscheidung zu
treffen, unabdingbar (vgl. BVerfGE 132, 39 [53 f.]). Ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht kann verfassungs-
rechtlich gerechtfertigt sein, wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen ist, dass die Mög-
lichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem
Maße besteht (BVerfGE 132, 39 [51]). § 13 Nr. 2 BWG knüpft den Wahlrechtsausschluss an die Tatsache, dass
eine Person nach richterlicher Feststellung keine ihrer Angelegenheit mehr selbst besorgen kann, und gründet
darauf die gesetzliche Vermutung, dass damit die Voraussetzung zur Teilnahme am demokratischen Kommu-
nikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen fehlt. Diese Gesetzeshaltung bewegt sich im durch das
Grundgesetz umrissenen Rahmen. Im Übrigen schließen sich der Wahlprüfungsausschuss und der Deutsche
Bundestag den überzeugenden Ausführungen des Bundesministeriums des Innern an.

3. Die konventions- und völkerrechtliche Zulässigkeit des Wahlrechtsausschlusses nach § 13 Nr. 2 BWG – von
der der Deutsche Bundestag in seiner Mehrheit und die Bundesregierung bislang ausgegangen sind (so auch
Strelen, in: Schreiber, § 13 Rn. 10 mit weiteren Nachweisen) – wird im Rahmen der von der Bundesregierung
in Auftrag gegebenen, fachlich breit angelegten Studie überprüft werden. Möglicher (gesetzgeberischer) Hand-
lungsbedarf wird zu erörtern sein, sobald die für das Jahr 2015 erwartete Untersuchung vorliegt. Der Wahlprü-
fungsausschuss wird diesen Prozess aufmerksam begleiten.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 35 – Drucksache 18/2700

Anlage 6

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch

1. des Herrn Dr. M. C. H., 80639 München,
2. der Frau U. O., ebenda,

3. des Herrn H. G., 80807 München,
4. des Herrn Dr. A. F., 81929 München,

5. des Herrn H. D., 80634 München,
6. des Herrn Dr. W. G., 80639 München,

7. der Frau K. K.-G., ebenda,

– Az.: WP 187/13 –

gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag
am 22. September 2013

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2014 beschlossen,
dem Deutschen Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Einspruchsführer haben mit einem am 19. November 2013 beim Deutschen Bundestag eingegangenen
Schreiben des Einspruchsführers zu 1. und mit Telefaxen der Einspruchsführer zu 2. bis 4. vom 22. November
2013 sowie mit am 22. November 2013 beim Deutschen Bundestag eingegangenen Schreiben der Einspruchs-
führer zu 5. bis 7. Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September
2013 eingelegt. Der Einspruchsführer zu 1. hat seinen Vortrag mit Schreiben vom 3. Dezember 2013 und 29.
Januar 2014 erweitert.

Die Einspruchsführer streben eine Wahlwiederholung mit einem neuen Wahlgesetz an. Im Einzelnen wenden
sie gegen das Bundeswahlgesetz in der Fassung vom 3. Mai 2013 Folgendes ein:

1. Durch die angegriffene Wahl seien 631 Abgeordnete in das Parlament gelangt. Das seien 33 Mandate mehr
als es im Deutschen Bundestag „Plätze“ gebe. Die „Regel(mitglieder)zahl“ des Deutschen Bundestages betrage
598 Sitze. 299 Abgeordnete seien direkt zu wählen. Bei der angegriffenen Wahl sei die Zahl der Listenplätze
in Thüringen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und dem Saarland bei der CDU hinter der Zahl der Direktmandate
jeweils um einen Platz zurück geblieben. Diese Mandatsdifferenz von insgesamt vier Sitzen sei in den betroffe-
nen Bundesländern ausgeglichen worden. Dadurch verschiebe sich die Sitzverteilung unter den Bundesländern,
die Länderquoten würden gesprengt. Durch einen weiteren Mandatsausgleich werde der Länderproporz wie-
derhergestellt (doppelter Mandatsausgleich). Der Bundeswahlleiter habe insgesamt eine Zahl von 631 Abge-
ordneten, davon 29 mit Ausgleichsmandat, ermittelt. Anders als vorgesehen gelangten die Abgeordneten des-
halb nicht mehr zur einen Hälfte über die Wahlkreise und zur anderen Hälfte über die Liste in den Deutschen
Bundestag. Bei einem Wahlergebnis wie 2009 wäre die Zahl der Abgeordneten auf 671 „emporgeschnellt“.
Das Landesverfassungsgericht Schleswig-Holstein habe die Landtagswahl des Jahres 2009 verworfen, weil die
in der Landesverfassung genannte „Regel(mitglieder)zahl“ überschritten worden sei und statt 69 95 Abgeord-
nete im Landtag gesessen hätten.

2. Die „negative Stimmenmacht, dass durch Stimmenverzicht ein Mandatszuwachs erzeugt werden“ könne, sei
wiederum nicht beseitigt worden. Dies sei aber eine unabdingbare Auflage des Bundesverfassungsgerichts in
den Entscheidungen vom 3. Juli 2008 und 25. Juli 2012 gewesen. Zwar werde diesem Effekt durch die Einfüh-
rung von Länderkontingenten der Weg zunächst versperrt. Jedoch würden die Länderquoten durch Überhang-
und Ausgleichsmandate „gesprengt“. Die vier Überhangmandate der CDU seien im Länderausgleich durch 13
aus 29 zusätzlichen Listenplätzen überproportional kompensiert worden. Die Zahl der Listenplätze steige an,

Drucksache 18/2700 – 36 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

ohne dass auch die Zahl der erforderlichen Zweistimmen angestiegen sei. Dieser demokratisch nicht legiti-
mierte Ausgleich des Wählerwillens überrage den „Überhang“ sogar um mehr als das Siebenfache. Obwohl
die CDU die alleinige Verursacherin des Mandatsausgleichs sei, erhalte sie auf Bundesebene den größten An-
teil am Länderausgleich. Je größer die Mandatsdifferenz in Thüringen und den anderen drei „Überhangländern“
sei, umso größer sei der Anteil am Länderausgleich. Die alleinige „Verursacherpartei“ sei damit zum größten
Ausgleichsprofiteur geworden. Es bestehe die Möglichkeit, mit weniger Stimmen mehr Mandate zu erhalten.
Diesen Effekt könne man gezielt ausnutzen. Die Wähler der „Überhangpartei“ könnten dieser überhaupt keine
Zweitstimme zukommen lassen, ohne dass dieser Partei im Land auch nur ein einziges Direktmandat verloren
gehe. Sie könnten diese Zweitstimmen sogar an eine andere, vorzugsweise eine erwünschte Koalitionspartei,
„verschenken“. Genau diese Manipulationsmöglichkeit habe das Bundesverfassungsgericht aber verworfen.

3. Das gesetzwidrige Stimmensplitting sei bei der Wahlauszählung akzeptiert worden. Das sei mit der Zweck-
setzung der personalisierten Verhältniswahl unvereinbar und stehe im Widerspruch zur Anordnung des § 1 des
Bundeswahlgesetzes (BWG), beide Stimmen immer der gleichen Partei zukommen zu lassen. Ohne Stimmen-
splitting könne es nicht zur „negativen Stimmenmacht“, aber immer noch zu „Mandatsdifferenzen“ kommen.
Alle Erststimmen seien für ungültig zu erklären, wenn die Wähler beide Stimmen gesetzwidrig gesplittet hät-
ten.

4. Der Mandatsausgleich in Höhe von 29 Listenplätzen sei grob verfassungswidrig. Die konkret ausgezählten
Stimmen hätten zu 602 Mandaten geführt. Für die zusätzlichen 29 Listenplätze gebe es überhaupt keine Stimm-
zettel, auf denen die Wähler eigenhändig, unmittelbar und vor allem auch frei gekennzeichnet hätten, welcher
Partei die Extramandate als Ergebnis der gemeinsamen Wahlhandlung zukommen sollten. Inhaber von Aus-
gleichsmandaten würden erst nach der Wahl von den Wahlleitern obrigkeitlich in das Sondermandat eingesetzt.
Das verstoße gegen die Volkssouveränität als Grundlage der repräsentativen Demokratie. Nicht vom Volk ge-
wählte Abgeordnete seien dem Artikel 20 des Grundgesetzes (GG) fremd. Mit den Ausgleichsmandaten werde
die Demokratie auf den Kopf gestellt, da nicht die Wahlsieger auf der Ebene der Direktwahl, sondern die
Wahlverlierer den Ausgleich erhielten. Die Überhangmandate seien hingegen zulässig, wenn auch nach den
Worten des Bundesverfassungsgerichts nur in einem bestimmten Maße. Den Ausgleich dieser Mandate habe
das Gericht nicht verlangt.

5. Dem geltenden Wahlgesetz fehle es an Normenklarheit und Verständlichkeit, die das Bundesverfassungsge-
richt in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2008 ausdrücklich verlangt habe. Dass sich der Wahlgesetzgeber schon
in § 1 BWG sehr unklar ausgedrückt habe, sodass viele Wähler das Stimmensplitting für zulässig hielten, sei
nicht zu übersehen. Außerdem sei bekannt, dass nicht nur zahlreiche Erstwähler, sondern auch ein großer Teil
aller Wähler nicht im Stande sei, den Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimmen auch nur im Ansatz zu-
treffend zu erklären, um von einem Zuteilungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers gar nicht erst zu sprechen.
Insbesondere § 6 BWG sei unverständlich. Ein Wahlrecht, das viele Wähler nicht verstünden, könne vor dem
Grundgesetz keinen Bestand haben.

Wegen der Einzelheiten des Vortrages der Einspruchsführer wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

Das Bundesministerium des Innern hat hinsichtlich der Frage der Verfassungsmäßigkeit des neuen Sitzzu-
teilungsverfahrens (§ 6 BWG) wie folgt Stellung genommen:

1. Soweit die Einspruchsführer beanstandeten, durch die Sitzzahl von 631 Sitzen wären im 18. Deutschen Bun-
destag mehr Mandate vergeben worden als es Plätze im Bundestag gebe, beruhe dies auf einer unvollständigen
Berücksichtigung der diesbezüglichen Regelungen des Bundeswahlgesetzes. § 1 Absatz 1 BWG ordne an, dass
der Deutsche Bundestag „vorbehaltlich der sich aus diesem Gesetz ergebenden Abweichungen" aus 598 Ab-
geordneten bestehe. Darum erhöhe sich die gesetzliche Gesamtzahl der Sitze jeweils aufgrund der gesetzlichen
Vorschriften. So wie sich in der Vergangenheit die Gesamtzahl der Sitze nach§ 6 Absatz 5 Satz 2 BWG (a. F.)
bei auf die jeweilige Landesliste nicht anrechenbaren Wahlkreismandaten (sog. Überhangmandate) erhöht
habe, so sehe der seit Inkrafttreten des 22. Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 3. Mai 2013
(Bundesgesetzblatt I S. 1082) geltende neue§ 6 Absatz 5 Satz 2 BWG eine Erhöhung der Gesamtzahl der Sitze
vor. Nach der Regelung des neuen § 6 Absatz 5 Satz 1 BWG sei nach den Ergebnissen der Bundestagswahl
vom 22. September 2013 eine Erhöhung der Gesamtzahl der Sitze (§ 1 Absatz 1 BWG) um 33 Sitze vorzuneh-
men gewesen. Die gesetzliche Sitzzahl des 18. Deutschen Bundestages betrage damit 631 Sitze, so dass die
Zahl der Mandate die Zahl der Sitze nicht überschreite. Auch die Aufteilung der Sitze nach § 1 Absatz 2 BWG,
nach der von der Gesamtzahl der Sitze 299 nach Kreiswahlvorschlägen in den Wahlkreise und „die übrigen",
also nicht unbedingt 299, nach Landeslisten gewählt würden, stehe von Vornherein unter dem gesetzlichen

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 37 – Drucksache 18/2700

Vorbehalt einer Erhöhung der Gesamtzahl der Sitze auf eine höhere Zahl als die in § 1 Absatz 1 Satz 1 BWG
genannte, nicht erhöhte Zahl von 598. Es widerspreche also nicht, sondern es entspreche der gesetzlichen Re-
gelung, wenn im Ergebnis der Sitzverteilung der gesetzlichen Zahl der Wahlkreismandate eine höhere Zahl
von Listenmandaten gegenüberstehe. Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landesverfassungsgerichts
vom 30. August 2010 (Az. LVerfG 1/10) beruhe auf dem (für den Wahlgesetzgeber des Bundes nicht gelten-
den) Artikel 10 Absatz 2 der Landesverfassung von Schleswig-Holstein, der – anders als das Grundgesetz für
die Bundesrepublik Deutschland – die Zahl der Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtages und
das Wahlsystem auf der Ebene des Verfassungsrechts festlege. Das für das schleswig-holsteinische Wahlrecht
geltende Urteil auf der Grundlage der schleswig-holsteinischen Landesverfassung betreffe nicht das Wahlrecht
zum Bundestag.

2. Zutreffend gingen die Einspruchsführer davon aus, dass durch die länderweise Zuordnung der Sitze nach §
6 Absatz 2 Satz 1 BWG in der ersten Stufe der Sitzverteilung der Effekt des so genannten negativen Stimmge-
wichts vermieden werde. Es treffe auch zu, dass bei der probeweisen ersten Stufe der Sitzverteilung feststell-
bare Überhangmandate, also eine die Zahl der nach dem Verhältnis der Zweitstimmen einer Landesliste zu-
stehenden Sitze übersteigende Zahl von Direktmandaten, die nach § 6 Absatz 4 Satz 2 BWG der Partei erhalten
blieben, wie in der Vergangenheit zu einer Verschiebung des föderalen Proporzes führten. Sofern die Ein-
spruchsführer davon ausgingen, in den von Überhangmandaten betroffenen Ländern fiele der Ausgleich im
Verhältnis ihrer Stimmanteile den sonstigen Parteien zu, durch die Ausgleichsmandate werde eine weitere Ver-
schiebung des föderalen Proporzes verursacht und durch einen nachträglichen Länderausgleich der Proporz
unter den Ländern wieder hergestellt, liege den Erwägungen eine unzutreffende Vorstellung über die Regelun-
gen des neuen § 6 BWG nach dem 22. Gesetz zu Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 3. Mai 2013 zu-
grunde. Durch das 22. Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes werde kein Ausgleichsmodell normiert,
bei dem in Ländern mit Überhangmandaten den anderen Landeslisten jeweils Ausgleichsmandate zugeteilt
würden (und damit die durch Überhangmandate verursachte Störung des föderalen Proporzes vertieft werde).
Vielmehr werde der Bundestag solange vergrößert, bis bei allen Parteien alle Direktmandate anrechenbar seien
und darum keine Überhangmandate entstünden. Nach dieser Erhöhung der Gesamtzahl der Sitze nach § 6 Ab-
satz 5 BWG würden nach dem neuen § 6 Absatz 6 BWG alle Sitze nach dem Verhältnis der Zweitstimmen wie
nach früherem Recht zunächst in einer Oberverteilung auf die Parteien und sodann in der Unterverteilung auf
deren jeweilige Landeslisten verteilt. Alle den Parteien zugeteilten Sitze entsprächen danach – auf erhöhtem
Niveau – dem Verhältnis der Zweitstimmen der Parteien (sog. nationaler Parteienproporz). Der föderale Pro-
porz innerhalb der Parteien zwischen deren Landeslisten werde wie bisher dadurch beeinträchtigt, dass nach §
6 Absatz 6 Satz 2 2. Halbsatz BWG allen Landeslisten mindestens die Zahl der in den Wahlkreisen des Landes
von ihren Wahlkreisbewerbern errungenen Direktmandate zugeteilt werde. Dadurch erhielten Landeslisten mit
vielen Direktmandaten – zur Verhinderung von Überhangmandaten in diesem Land – also mehr Sitze zuge-
wiesen, als es dem innerparteilichen föderalen Proporz entsprechen würde. Diese zusätzlichen Sitze zur An-
rechnung aller Direktmandate in diesem Land erhielten die Landeslisten, bei denen Überhangmandate drohten,
aber aus dem Sitzzuwachs der Partei durch die Bundestagsvergrößerung, nicht im Wege der Kompensation aus
dem Listenmandatsanspruch anderer Landeslisten der Partei. Dadurch werde die in der Vergangenheit durch
Überhangmandate verursachte Störung des föderalen Proporzes zwar nicht im Wege eines föderalen Vollaus-
gleichs beseitigt, aber auch nicht durch eine Kompensation über Listenmandate in anderen Ländern verschärft.
Dadurch, dass nach § 6 Absatz 5 BWG die Sitzzahl so lange erhöht werde, bis jede Partei bei der zweiten
Verteilung nach § 6 Absatz 6 Satz 1 BWG mindestens die für sie in der ersten Verteilung nach Sitzkontingenten
für sie ermittelte Zahl erhalte, würden zugleich Erfolgswertunterschiede ausgeglichen, die bei unterschiedlicher
Wahlbeteiligung in den Ländern aus der in der ersten Stufe wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts
vom 25. Juli 2012 (BVerfGE 131, 316 [352]) nach Bevölkerungsanteilen erfolgenden Verteilung der Sitze auf
die Länder resultierten. Wenn aufgrund geringer Wahlbeteiligung oder wegen eines hohen Stimmenanteils von
Parteien, die (wegen Verfehlens der 5%-Sperrklausel des § 6 Absatz 3 BWG) nicht an der Sitzverteilung teil-
nehmen, einer Partei in einem Land in der ersten Stufe der Sitzverteilung mit unterdurchschnittlich vielen
Stimmen überdurchschnittlich viele Sitze zugeordnet worden seien, so erhalte sie auch in der zweiten Stufe
mindestens diese Sitzzahl, zur Herstellung des bundesweiten Parteienproporzes müsse aber die Gesamtsitzzahl
solange erhöht werden, bis trotzdem der Zweitstimmenproporz zu den anderen Parteien gewahrt werden könne.
Beim Ergebnis der Bundestagswahl 2013 sei dementsprechend die Erhöhung der Gesamtsitzzahl nicht – wie
die Einspruchsführer vermuteten – durch die vier ohne Erhöhung bei Landeslisten der CDU drohenden Über-
hangmandate, sondern durch die wegen der hohen Stimmanteile der nach § 6 Absatz 3 BWG nicht an der
Sitzverteilung teilnehmenden Parteien in Bayern von den dort an der Sitzverteilung teilnehmenden Parteien in

Drucksache 18/2700 – 38 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

der ersten Stufe aus dem bayerischen Sitzkontingent mit vergleichsweise wenigen Stimmen gewonnenen Sitze
verursacht worden. Darum seien die in der bundesweiten Oberverteilung der zweiten Stufe nach § 6 Absatz 6
Satz 1 BWG der CDU gegenüber der vorläufigen Zuordnung der Sitze in der ersten Stufe zusätzlich zugefal-
lenen Sitze nicht – wie die Einspruchsführer annähmen – „der Verursacherin des Ausgleichs" zugefallen. Die
Erhöhung der Gesamtzahl der Sitze nach§ 6 Absatz 5 BWG sei nicht durch die drohenden Überhangmandate
der CDU verursacht worden. Vielmehr sei durch die Sitzzahlerhöhung der Zweitstimmenproporz aller übrigen
Parteien mit der nur in Bayern angetretenen CSU wiederhergestellt worden, die ansonsten von der überdurch-
schnittlichen Sitzzuteilung im bayerischen Sitzkontingent besonders profitiert hätte (vgl. zur Berechnung der
Bundestagsgröße Veröffentlichung des Bundeswahlleiters, Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. Sep-
tember 2013, Heft 3 „Endgültige Ergebnisse nach Wahlkreisen“, 2013, S. 312 ff. [320, 334]). Mehr Zweitstim-
men für die CDU in Ländern, in denen nach der vorläufigen Zuordnung der Sitze in der ersten Stufe der Sitz-
zuteilung Überhangmandate gedroht hätten, hätten bei der anderweitig verursachten Sitzzahlerhöhung also
nicht zu einer geringeren Bundestagsvergrößerung, also auch nicht zu weniger Mandaten für die CDU und
damit auch nicht – wie von den Einspruchsführern behauptet – zu dem Effekt des negativen Stimmgewichts
geführt. Unzutreffend sei der Einwand der Einspruchsführer, durch den Ausgleich sei die Zahl der Listenman-
date angestiegen, ohne dass auch die Zahl der erforderlichen Zweitstimmen angestiegen sei. Denn das Wahl-
system des Bundeswahlgesetzes kenne – anders als das Wahlrecht der Weimarer Republik – keine für den
Erwerb eines Mandates erforderliche Stimmenzahl. Vielmehr würden die Sitze – bei jeder gesetzlichen Ge-
samtsitzzahl des Bundestages – durch den Stimmenanteil der Parteien und Landeslisten bestimmt. Bei einer
geringeren Wahlbeteiligung oder einem höheren Anteil nicht erfolgreicher Parteien seien also weniger, bei
einer höheren Wahlbeteiligung und vielen an der Sitzverteilung teilnehmenden Parteien demgegenüber mehr
Stimmen für ein Mandat erforderlich. Dass sich die Zahl der Mandate erhöhen könne, ohne dass sich die abso-
lute Stimmenzahl erhöht habe, sei in einem System, das die Mandate nicht nach Stimmenzahl, sondern nach
dem relativen Stimmenanteil verteile, darum keine Unregelmäßigkeit, sondern systemimmanent.

3. Soweit die Einspruchsführer rügten, dass nicht die Erststimmen für ungültig erklärt worden seien, wenn die
Zweitstimme für eine andere Partei als die des Direktbewerbers abgegeben worden war (sog. Stimmensplit-
ting), lasse sich dies auf die wahlrechtlichen Bestimmungen nicht stützen. Die Möglichkeit des Stimmensplit-
tings sei der 1953 erfolgten Einführung der Zweistimmen-Regelung des § 4 BWG immanent (Strelen, in:
Schreiber, BWahlG, 9. Auflage 2013, § 4 Rn. 5) und vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtspre-
chung als zulässig vorausgesetzt worden (BVerfGE 5, 7 [82]; 7, 63 [73]; 79, 161 [167]; 95, 335 [362]). Gegen
die Regelung einer speziellen wahlrechtlichen Vorschrift lasse sich nicht eine restriktive Interpretation einer
allgemeinen wahlrechtlichen Vorschrift anführen, da die Regelungen des Bundeswahlgesetzes rechtlich auf der
gleichen Stufe stünden und die spezielle Norm den Inhalt der allgemeinen Norm konkretisier. § 69 Absatz 1
Nr. 2 der Bundeswahlordnung (BWO) setze voraus, dass Erst- und Zweitstimme gültig für Bewerber und Lan-
deslisten verschiedener Träger von Wahlvorschlägen abgegeben werden könnten. Die Erststimmen für Wahl-
bewerber einer nicht auch mit der Zweitstimme gewählten Partei nicht für ungültig zu erklären, entspreche also
den wahlrechtlichen Vorgaben für die Wahlorgane und stellt keinen Wahlfehler dar.

4. Die Ansicht der Einspruchsführer, Ausgleichsmandate seien verfassungswidrig, entspreche nicht der Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der das ausgleichslose Anfallen von Überhangmandaten nur
in begrenztem Umfang verfassungsgemäß sei und ein Ausgleich von Überhangmandaten durch die Zuteilung
von Ausgleichsmandaten nahegelegt werde (BVerfGE 131 , 316 [357, 365 f.]). Das Bundeswahlgesetz in der
Fassung des 22. Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 3. Mai 2013 realisiere kein Ausgleichs-
system, bei dem beim Anfallen von Überhangmandaten bei einer Partei den anderen Parteien Ausgleichsman-
date zugewiesen würden. Vielmehr finde eine Sitzzahlerhöhung (§ 6 Absatz 5 BWG) mit anschließender
Oberverteilung nach Zweitstimmenanteil an alle Parteien statt (§ 6 Absatz 6 BWG). Alle vergebenen Mandate
entsprächen danach den Zweitstimmenanteilen der Parteien und ließen sich auf das Votum der Wähler mit der
Zweitstimme zurückführen. Keines der in der zweiten Stufe der Sitzverteilung nach bundesweitem Zweit-
stimmenproporz zugeteilten Mandate sei danach ein Überhangmandat oder ein Ausgleichsmandat, alle Man-
date seien Listenmandate oder auf Listenmandate angerechnete Direktmandate. Für die Argumentation der
Einspruchsführer, für Ausgleichsmandate gebe es in den Wahlurnen keine Stimmzettel, fehle darum die tat-
sächliche und rechtliche Grundlage. Es lasse sich über den durch das 22. Gesetz zur Änderung des Bundes-
wahlgesetzes eingeführten Ausgleichsmechanismus auch nicht – wie in den Einsprüchen vorgetragen – sagen,
einen Ausgleich erhielten nur die Wahlverlierer der Direktwahl, denn alle Parteien, auch diejenigen, deren
Wahlkreisbewerber viele Direktmandate gewonnen hätten, erhielten nach der Erhöhung der Gesamtzahl der

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 39 – Drucksache 18/2700

Sitze nach § 6 Absatz 5 BWG alle Sitze jeweils nach ihrem Zweitstimmenanteil. Insofern entspreche das deut-
sche Wahlrecht gerade nicht dem von den Einspruchsführern angeführten italienischen Wahlrecht, das mit
nicht dem Zweitstimmenverhältnis entsprechenden „Extramandaten" für die stärkste Partei ein Gegenbeispiel
zu dem im 22. Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes realisierten Ausgleich durch Neuverteilung nach
Zweitstimmenproporz darstelle.

5. Sofern die Einspruchsführer die Normenklarheit und Verständlichkeit des Bundeswahlgesetzes beanstande-
ten, sei darauf hinzuweisen, dass das Bundeswahlgesetz in der Fassung des 22. Gesetzes zur Änderung des
Bundeswahlgesetzes vom 3. Mai 2013 weitestgehend dem bisherigen Recht entspreche und bei der Ermittlung
des Ergebnisses der Bundestagswahl am 22. September 2013 wie in der Vergangenheit von den Wahlorganen
korrekt ausgelegt und angewendet habe werden können (vgl. im Einzelnen die Berechnungen in der Veröffent-
lichung des Bundeswahlleiters, Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013, Heft 3 „Endgül-
tige Ergebnisse nach Wahlkreisen“, 2013, S. 312 bis 339).

Entscheidungsgründe

Der Einspruch ist zulässig, aber unbegründet. Dem Vortrag der Einspruchsführer lässt sich kein Verstoß gegen
Wahlrechtsvorschriften und damit kein Wahlfehler entnehmen.

Die Sitzverteilung bei der Bundestagswahl 2013 entsprach den einfachgesetzlichen Regelungen und den ver-
fassungsrechtlichen Vorgaben, wie die Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern überzeugend her-
ausarbeitet. Auf sie wird daher im Folgenden immer wieder Bezug genommen.

1. Anders als die Einspruchsführer meinen, gibt es im Deutschen Bundestag kein festes Mandatskontingent. Es
besteht auch keine Vorgabe, dass die Abgeordneten zur einen Hälfte direkt in den Wahlkreisen und zur anderen
Hälfte über Landeslisten gewählt werden müssen. Nur die Zahl der Direktmandate schreibt das Gesetz mit 299
ausdrücklich vor (§ 1 Absatz 2 BWG). Über die zulässige Zahl der über Landeslisten gewählten Abgeordneten
äußert sich das Bundeswahlgesetz nicht. Insbesondere schreibt es – anders als die Einspruchsführer glauben –
nicht vor, dass der Bundestag sich zur einen Hälfte aus direkt gewählten und zur anderen Hälfte aus über Lan-
deslisten gewählten Mitgliedern zusammensetzen muss. Die Zahl von 598 Abgeordneten, auf welche die Ein-
spruchsführer rekurrieren, gilt nur „vorbehaltlich der sich aus diesem Gesetz ergebenden Abweichungen". Die
Gesamtzahl der Sitze kann sich nach dem „neuen Wahlrecht“ – wie auch schon bei den vorangegangenen
Wahlen – mithin erhöhen. Eine solche Erhöhung sieht § 6 Abs. 5 Satz 2 BWG (n. F.) vor. Die nach dem
Bundeswahlgesetz ermittelte Zahl ist die gesetzliche Mitgliederzahl. Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Landesverfassungsgerichts, welches die Einspruchsführer anführen, betrifft allein die Zusammensetzung des
Landtages, dessen Mitgliederzahl zum damaligen Zeitpunkt in einer bestimmten Höhe in der Verfassung ver-
ankert war. Das Urteil richtete sich nach autonomem Landesverfassungsrecht und hat für die Bundestagswahl
keinerlei Bedeutung.

2. Es stimmt – wie die Einspruchsführer meinen –, dass durch die länderweise Zuordnung der Sitze nach § 6
Absatz 2 Satz 1 BWG in der ersten Stufe der Sitzverteilung der Effekt des so genannten negativen Stimmge-
wichts vermieden wird und dass eine die Zahl der nach dem Verhältnis der Zweitstimmen einer Landesliste
zustehenden Sitze übersteigende Zahl von Direktmandaten, die nach § 6 Absatz 4 Satz 2 BWG der Partei
erhalten bleiben, wie in der Vergangenheit zu einer Verschiebung des föderalen Proporzes führen. Hingegen
ist die Auffassung der Einspruchsführer unzutreffend, in den von Überhangmandaten betroffenen Ländern falle
der Ausgleich im Verhältnis ihrer Stimmanteile den sonstigen Parteien zu, durch die Ausgleichsmandate werde
eine weitere Verschiebung des föderalen Proporzes verursacht und durch einen nachträglichen Länderausgleich
der Proporz unter den Ländern wieder hergestellt. Durch das aktuelle Bundeswahlgesetz wird kein Ausgleichs-
modell normiert, bei dem in Ländern mit Überhangmandaten den anderen Landeslisten jeweils Ausgleichs-
mandate zugeteilt werden. Der Bundestag wird vielmehr solange vergrößert, bis bei allen Parteien alle Direkt-
mandate anrechenbar sind und darum (gerade) keine Überhangmandate entstehen. Nach dieser Erhöhung der
Gesamtzahl der Sitze gemäß § 6 Absatz 5 BWG werden nach § 6 Absatz 6 BWG n. F. alle Sitze nach dem
Verhältnis der Zweitstimmen – wie nach früherem Sitzzuteilungsrecht – zunächst in einer Oberverteilung auf
die Parteien und sodann in der Unterverteilung auf deren jeweilige Landeslisten verteilt. Alle den Parteien
zugeteilten Sitze entsprechen danach – auf erhöhtem Niveau – dem Verhältnis der Zweitstimmen der Parteien
(sog. nationaler Parteienproporz). Der föderale Proporz innerhalb der Parteien zwischen deren Landeslisten
wird wie bisher dadurch beeinträchtigt, dass nach § 6 Absatz 6 Satz 2 Halbsatz 2 BWG allen Landeslisten

Drucksache 18/2700 – 40 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

mindestens die Zahl der in den Wahlkreisen des Landes von ihren Wahlkreisbewerbern errungenen Direktman-
date zugeteilt wird. Dadurch erhalten Landeslisten mit vielen Direktmandaten – zur Verhinderung von Über-
hangmandaten in diesem Land – also mehr Sitze zugewiesen, als es dem innerparteilichen föderalen Proporz
entspricht. Diese zusätzlichen Sitze zur Anrechnung aller Direktmandate in diesem Land erhalten die Landes-
listen, bei denen Überhangmandate drohen. Diese Mandate entspringen aber dem Sitzzuwachs der jeweiligen
Partei, der durch die Bundestagsvergrößerung ermöglicht wird. Sie sind nicht das Ergebnis einer Kompensation
aus dem Listenmandatsanspruch anderer Landeslisten der Partei. Mithin wird die in der Vergangenheit durch
Überhangmandate verursachte Störung des föderalen Proporzes zwar nicht im Wege eines föderalen Vollaus-
gleichs beseitigt. Sie wird aber auch nicht durch eine Kompensation über Listenmandate in anderen Ländern
verschärft. Weil gemäß § 6 Absatz 5 BWG die Sitzzahl so lange erhöht wird, bis jede Partei bei der zweiten
Verteilung nach § 6 Absatz 6 Satz 1 BWG mindestens die für sie in der ersten Verteilung nach Sitzkontingenten
für sie ermittelte Zahl erhält, werden zugleich Erfolgswertunterschiede ausgeglichen, die bei unterschiedlicher
Wahlbeteiligung in den Ländern aus der in der ersten Stufe wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts
vom 25. Juli 2012 (BVerfGE 131, 316 [352]) nach Bevölkerungsanteilen erfolgenden Verteilung der Sitze auf
die Länder resultieren. Wenn aufgrund geringer Wahlbeteiligung oder wegen eines hohen Stimmenanteils von
Parteien, die (wegen Verfehlens der 5%-Sperrklausel nach § 6 Absatz 3 BWG) nicht an der Sitzverteilung
teilnehmen, einer Partei in einem Land in der ersten Stufe der Sitzverteilung mit unterdurchschnittlich vielen
Stimmen überdurchschnittlich viele Sitze zugeordnet wurden, so erhält sie auch in der zweiten Stufe mindes-
tens diese Sitzzahl. Um den bundesweiten Parteienproporz wieder herzustellen muss aber die Gesamtsitzzahl
solange erhöht werden, bis trotzdem der Zweitstimmenproporz zu den anderen Parteien gewahrt wird.

Beim Ergebnis der Bundestagswahl 2013 ist dementsprechend die Erhöhung der Gesamtsitzzahl gemäß § 6
Absatz 5 BWG nicht – wie die Einspruchsführer annehmen – durch die vier ohne Erhöhung bei Landeslisten
der CDU drohenden Überhangmandate verursacht worden. Vielmehr ist durch die Sitzzahlerhöhung der Zweit-
stimmenproporz aller übrigen Parteien mit der nur in Bayern angetretenen CSU wiederhergestellt worden, die
ansonsten von der überdurchschnittlichen Sitzzuteilung im bayerischen Sitzkontingent besonders profitiert
hätte (vgl. zur Berechnung der Bundestagsgröße Veröffentlichung des Bundeswahlleiters, Wahl zum 18. Deut-
schen Bundestag am 22. September 2013, Heft 3 „Endgültige Ergebnisse nach Wahlkreisen", Wiesbaden Okt.
2013, S. 312 ff. [320, 334]). Mehr Zweitstimmen für die CDU in Ländern, in denen nach der vorläufigen
Zuordnung der Sitze in der ersten Stufe der Sitzzuteilung Überhangmandate gedroht hätten, hätten bei der
anderweitig verursachten Sitzzahlerhöhung also nicht zu einer geringeren Bundestagsvergrößerung, also auch
nicht zu weniger Mandaten für die CDU und damit auch nicht – wie von den Einspruchsführern behauptet –
zu dem Effekt des negativen Stimmgewichts geführt. Unzutreffend ist der Einwand der Einspruchsführer, durch
den Ausgleich sei die Zahl der Listenmandate angestiegen, ohne dass auch die Zahl der erforderlichen Zweit-
stimmen angestiegen sei (siehe dazu 4.).

3. Hinsichtlich der Ausführungen der Einspruchsführer zum sog. Stimmensplitting ist kein Wahlfehler erkenn-
bar. Nach § 4 BWG stehen jedem Wähler zwei Stimmen zu. Wem er diese gibt, ist allein die Entscheidung des
Wählers. Wie auch § 69 Abs. 1 Nr. 2 BWO zeigt, ist es zulässig, mit der Erststimme den Direktkandidaten
einer Partei und mit der Zweitstimme die Landesliste einer anderen Partei zu wählen. Das sogenannte Stim-
mensplitting ist im geltenden Wahlrecht zugelassen, seine Möglichkeit dem Zweistimmenwahlsystem gleich-
sam immanent, wie der Wahlprüfungsausschuss stets festgestellt hat (vgl. Bundestagsdrucksachen 13/3928,
Anlage 22; 17/3100, Anlage 13). Das Schrifttum (vgl. Strelen, in: Schreiber, BWG, 9. Auflage 2013, § 4 Rn.
5) sowie das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 5, 7 [82]; 7, 63 [73]; 79, 161 [167]; 95, 335 [362]) sind
derselben Ansicht. Anders als die Einspruchsführer meinen, ergibt sich aus § 1 BWG nicht die Pflicht, beide
Stimmen immer der gleichen Partei zukommen zu lassen.

4. Entgegen der Auffassung der Einspruchsführer sind Ausgleichsmandate nicht verfassungswidrig. Im Gegen-
teil hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 25. Juli 2012 das ausgleichslose Anfallen
von Überhangmandaten nur in einem begrenzten Umfang für zulässig erachtet und – was die Einspruchsführer
übersehen – einen Ausgleich von Überhangmandaten durch die Zuteilung von Ausgleichsmandaten nahegelegt
(vgl BVerfGE 131, 316 [357, 365 f.]). Die Ausgleichsmandate sind auch nicht etwa Inhaber eines „Sonder-
mandats“, in das sie erst nach der Wahl obrigkeitlich eingesetzt wurden, wie die Einspruchsführer insinuieren.
Wie das Bundesministerium des Innern überzeugend ausgeführt hat, entsprechen alle vergebenen Mandate den
Zweitstimmenanteilen der Parteien und lassen sich auf das Zweitstimmenvotum der Wähler – ihre Stimmzettel
– zurückführen. Das Bundeswahlgesetz ordnet gerade nicht an, dass Überhangmandate der einen Partei zu
Ausgleichsmandaten anderer Parteien führen. Vielmehr findet eine Sitzzahlerhöhung (§ 6 Absatz 5 BWG) mit

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 41 – Drucksache 18/2700

anschließender Oberverteilung nach Zweitstimmenanteil an alle Parteien statt (§ 6 Absatz 6 BWG). Keines der
in der zweiten Stufe der Sitzverteilung nach bundesweitem Zweitstimmenproporz zugeteilten Mandate ist dem-
nach ein Überhang- oder ein Ausgleichsmandat. Alle Mandate sind Listenmandate oder (auf Listenmandate
angerechnete) Direktmandate. Wie das Wahlergebnis und die Sitzzuteilung zeigen, trifft auch die Behauptung
der Einspruchsführer nicht zu, nur die Wahlverlierer der Direktwahl hätten Ausgleichsmandate erhalten. Alle
Parteien, auch diejenigen wie zum Beispiel die CDU, deren Wahlkreisbewerber viele Direktmandate gewonnen
haben, erhielten nach der Erhöhung der Gesamtzahl der Sitze nach § 6 Absatz 5 BWG, und zwar jeweils nach
ihrem Zweitstimmenanteil. Dass sich die Zahl der Mandate erhöhen kann, ohne dass sich die absolute Stim-
menzahl erhöht hat, ist einem System, das die Mandate nicht nach Stimmenzahl, sondern nach dem relativen
Stimmenanteil verteilt, immanent.

5. Es trifft zu, dass das in § 6 BWG geregelte Sitzverteilungsverfahren nicht jedermann auf Anhieb verständlich
sein mag. Allerdings ist auch zu beachten, dass das Wahlrecht zum einen die Zielsetzung einer personalisierten
Verhältniswahl verfolgt und zum anderen strengen verfassungsrechtlichen Vorgaben folgt, wie die Urteile des
Bundesverfassungsgerichts aus den letzten Jahren zeigen. Davon abgesehen, dass das Bundeswahlgesetz in
seiner aktuellen Fassung weitestgehend dem bisherigen – ebenfalls nicht ohne Weiteres verständlichen – Recht
entspricht, konnten seine Vorgaben bei der Ermittlung des Ergebnisses der Bundestagswahl am 22. September
2013 wie in der Vergangenheit von den Wahlorganen korrekt ausgelegt und angewendet werden. Ein Wahl-
fehler ergibt sich daher aus der Gestaltung des Wahlrechts nicht.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43 – Drucksache 18/2700

Anlage 7

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch

1. des Herrn M. P. K., 44145 Dortmund,
2. des Herrn G. K., 86179 Augsburg,

3. des Herrn M. S., 59348 Lüdinghausen,
4. des Herrn K. W., 34414 Warburg,

5. der Frau M. K., ebenda,
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. A. L., 10967 Berlin,

6. der Frau M. B., 37186 Moringen,
7. des Herrn R. S., 13403 Berlin,

8. des Herrn D. O., 28217 Bremen,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. H. P, 28215 Bremen,

– Az.: WP 202/13 –

gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag
am 22. September 2013

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2014 beschlossen,
dem Deutschen Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Einspruchsführer haben mit einem Fax der Verfahrensbevollmächtigten vom 22. November 2013 Ein-
spruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013 eingelegt.

Sie wenden sich gegen die Ausschlusstatbestände in § 13 Nr. 2 und Nr. 3 des Bundeswahlgesetzes (BWG), die
sie für verfassungswidrig halten.

I.

Für den Einspruchsführer zu 1. sei wegen einer geistigen Behinderung auf eigenen Antrag am 14. Februar 2013
eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet worden. Der Einspruchsführer zu 1. sei nicht in das Wäh-
lerverzeichnis zur angegriffenen Wahl eingetragen gewesen. Er habe mit Schreiben vom 2. September 2013
Einspruch gegen das Wählerverzeichnis eingelegt und seine Eintragung beantragt. Die Stadt Dortmund habe
den Einspruch unter Verweis auf § 13 Nr. 2 BWG abgelehnt. Die gegen diese Entscheidung eingelegte Be-
schwerde vom 11. September 2013 sei am 16. September 2013 abschlägig beschieden worden. Der Einspruchs-
führer zu 1. habe an der angegriffenen Wahl nicht teilgenommen.

Der Einspruchsführer zu 2. habe seit seiner Volljährigkeit unter Pflegschaft gestanden, die nach der Betreu-
ungsrechtsreform im Jahr 1992 in eine Betreuung umgewandelt worden sei. Bei ihm sei ein „Down-Syndrom“
diagnostiziert worden. Er sei nicht in das Wählerverzeichnis eingetragen gewesen und habe an der angegriffe-
nen Wahl nicht teilgenommen.

Auch der Einspruchsführer zu 3. habe seit seiner Volljährigkeit unter Pflegschaft gestanden, die nach der Be-
treuungsrechtsreform in eine Betreuung umgewandelt worden sei. Im der Betreuung zugrunde liegenden Sach-
verständigengutachten sei eine geistige Behinderung aufgrund frühkindlicher Hirnschädigung diagnostiziert
worden. Zunächst habe die Betreuung nicht alle Angelegenheiten des Einspruchsführers zu 3. umfasst. Er habe
daher regelmäßig an Wahlen teilgenommen. Am 16. Januar 2009 sei eine Betreuung in allen Angelegenheiten
für ihn angeordnet worden. Da dem Einspruchsführer zu 3. bewusst geworden sei, dass er dadurch sein Wahl-
recht verliere, sei auf seinen Antrag hin der Betreuungsbeschluss am 26. April 2013 abgeändert worden. Der
Einspruchsführer zu 3. habe an der angegriffenen Wahl teilgenommen.

Drucksache 18/2700 – 44 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Der Einspruchsführer zu 4. sei aufgrund einer Stoffwechselerkrankung geistig behindert und stehe in allen
Angelegenheiten unter Betreuung. Er habe an der angegriffenen Wahl nicht teilgenommen.

Für die Einspruchsführerin zu 5. sei am 19. Mai 2009 eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet
worden. Sie habe vorher an Wahlen teilgenommen, nicht aber an der angegriffenen Wahl.

Die Einspruchsführerin zu 6. befinde sich seit 12 Jahren gemäß §§ 63, 20 des Strafgesetzbuches (StGB) im
psychiatrischen Maßregelvollzug, zuletzt aufgrund einer Überweisung gemäß § 67a StGB in einer Entzie-
hungsanstalt. Sie habe in all den Jahren des Maßregelvollzugs nicht gewählt. Ihr am 12. Juli 2013 gestellter
Antrag auf Eintragung ins Wählerverzeichnis sei von der Samtgemeinde Zeven mit Bescheid vom 15. August
2013 unter Berufung auf § 13 Nr. 3 BWG und der dagegen eingelegte Einspruch mit Bescheid vom 21. August
2013 zurückgewiesen worden. Die am 26. August 2013 eingereichte Beschwerde sei mit Bescheid des Kreis-
wahlleiters des Kreises Stade vom 17. September 2013 ebenfalls verworfen worden. Die Einspruchsführerin
zu 6. habe an der angegriffenen Wahl nicht teilgenommen.

Der Einspruchsführer zu 7. sei seit dem Jahr 2006 gemäß §§ 63, 20 StGB im Maßregelvollzug untergebracht.
Seit dem November 2007 sei er davon beurlaubt, aber noch nicht gemäß § 67d Abs. 2 StGB entlassen worden.
Er habe am 10. September 2013 mit seiner Betreuerin das Bürgeramt in der Teichstraße in Berlin aufgesucht,
um die Wahlunterlagen anzufordern. Ihm sei erklärt worden, er könne wegen der Unterbringung gemäß §§ 63,
20 StGB nicht an der Wahl teilnehmen. An der angegriffenen Wahl habe er (daher) nicht teilgenommen.

Der Einspruchsführer zu 8. sei vom Jahr 2002 bis zum 30. September 2013 gemäß §§ 63, 20 StGB im Maßre-
gelvollzug untergebracht gewesen. An der angegriffenen Wahl – wie bereits an den vorangegangenen Wahlen
– nicht teilnehmen können, weil er keine Wahlunterlagen erhalten habe. Er habe an der Wahl zur Bremischen
Bürgerschaft im Jahr 2011 teilnehmen dürfen, weil das Bremische Wahlgesetz (BremWG) eine dem § 13 Nr.
3 BWG entsprechende Ausschlussklausel nicht kenne, wie sich aus einem Umkehrschluss zu § 2 BremWG
ergebe.

II.

Die Allgemeinheit der Wahl sichere wie die Gleichheit der Wahl die vom Demokratieprinzip vorausgesetzte
Egalität der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Sie erfordere strenge und formale Gleichheit bei der Zulas-
sung zur Wahl. Das Wahlrecht aus Artikel 38 des Grundgesetzes (GG) sei – neben Artikel 5, 8 und 9 GG – das
demokratische Kerngrundrecht. Die demokratische Legitimation gesetzlich verankerter Grundrechtseingriffe
beruhe letztlich auf dem Wahlrecht. Der Eingriff in die Grundrechte von Menschen, denen das Wahlrecht ver-
weigert werde, bedürfe deshalb einer besonderen Legitimation. Dies gelte umso mehr, als gerade diese Men-
schen auch besonderen bzw. besonders gravierenden Grundrechtseingriffen ausgesetzt seien oder werden
könnten (insbesondere in der stationären Psychiatrie). Zwar bestehe kein absolutes Differenzierungsverbot hin-
sichtlich des aktiven oder passiven Wahlrechts. Aber für Differenzierungen sei nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (vgl. das Urteil vom 27. Juli 2012) ein besonderer, sachlich legitimierter Grund
nötig, der durch die Verfassung legitimiert und von mindestens gleichem Gewicht wie die Allgemeinheit der
Wahl sein müsse. Die Ausschlusstatbestände des § 13 Nr. 2 und Nr. 2 BWG knüpften indessen weder an zu-
lässige Gründe für die Differenzierung an, noch seien sie mit höherrangigen Rechtssätzen vereinbar. Außerdem
seien sie in ihrer konkreten typisierten Ausgestaltung nicht verfassungsgemäß.

Das Grundgesetz sehe selbst verschiedene Gründe für eine Differenzierung vor, etwa die Staatsangehörigkeit
(Artikel 20 GG) und das Alter (Artikel 38 Abs. 2 GG). Die Verfassungsrechtsprechung halte es (im Urteil vom
27. Juli 2012) für zulässig, dass der Gesetzgeber in Wahrnehmung seiner Regelungsbefugnis gemäß Artikel 38
Absatz 3 GG weitere Bestimmungen über die Zulassung zur Wahl treffe. Ein Ausschluss vom aktiven Wahl-
recht solle nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (in Gestalt des Urteils vom 27. Juli 2012)
dann verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, wenn eine bestimmte Personengruppe keine hinreichenden Mög-
lichkeiten zur Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen habe. Vor diesem
Hintergrund seien die beiden angegriffenen Ausschlussgründe zu bewerten.

Die angeblich mangelnde Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen werde
auch zur Erklärung des § 13 Nr. 2 BWG angeführt. Im Gesetzgebungsverfahren der Betreuungsrechtsreform
im Jahr 1992 habe der Gesetzgeber gemeint, dass Personen, die in allen Angelegenheiten betreut werden, keine
Einsicht in Wesen und Bedeutung von Wahlen hätten (so implizit Bundestagsdrucksache 11/4528, S. 189).
Obwohl mit der Betreuungsrechtsreform Abstand von der „Unmündigkeit“ genommen worden sei, sei der Aus-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 45 – Drucksache 18/2700

schluss von der politischen Partizipation bestehen geblieben. Die Annahme, dass Menschen mit Behinderun-
gen, die in allen Angelegenheiten betreut werden, keine Einsicht in Wesen und Bedeutung von Wahlen hätten,
sei nicht haltbar. Sie sei unvereinbar mit der heutigen Sicht auf Menschen mit Behinderungen, mit der sich
auch die Einschätzung ihrer Fähigkeiten geändert habe. Dem Rechnung tragend sähen etliche Staaten keine
Wahlausschlüsse vor. Dazu gehörten in Europa z. B. Finnland, Großbritannien, Schweden, Österreich, Italien,
Irland, die Niederlande, Spanien und Zypern. Ein Mensch mit bestimmten biologischen Behinderungen sei
nicht von vornherein „behindert“, sondern werde behindert, indem ihm der Zugang verwehrt werde. Im Mit-
telpunkt des heutigen Diskurses stehe der Grundgedanke der Selbstbestimmung als Überbegriff für verschie-
dene Aspekte. Am Leitbild der Selbstbestimmung seien auch die Sozialgesetze ausgerichtet, wie § 1 des Neun-
ten Buches des Sozialgesetzbuches zeige. Die von Deutschland im Jahr 2009 ratifizierte UN-Behinderten-
rechtskonvention (UN-BRK) erkenne in Nachfolge des UN-Paktes für bürgerliche und politische Rechte von
1966 das menschenrechtlich abgesicherte Staatsbürgerrecht an, zu wählen und gewählt zu werden. Sie konkre-
tisiere darüber hinaus das Recht für Menschen mit Behinderungen. Deutschland sei die Verpflichtung einge-
gangen, das Wahlrecht für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten. Erst durch die Beschränkung von
Teilhabe und Selbstbestimmung entstehe Behinderung.

Die Ausführungen zu § 13 Nr. 2 BWG würden entsprechend auch für den Wahlrechtsausschluss gemäß § 13
Nr. 3 BWG gelten, sowohl hinsichtlich der offiziellen Legitimation als auch bezüglich der Fragwürdigkeit in
Anbetracht historischer und sozialer Entwicklungen. Die Annahme, Schuldunfähigen fehle ein Mindestmaß an
Einsichts- und Wahlfähigkeit, sei empirisch nicht haltbar. Zudem gehe sie von Rechts wegen fehl, da § 20
StGB nicht nur auf das Fehlen der Einsichts-, sondern alternativ auf das Fehlen der Steuerungsfähigkeit ab-
stelle, was bei der Anwendung der §§ 63, 20 StGB deutlich häufiger den Ausschlag gebe. Mit der Steuerungs-
unfähigkeit habe die Fähigkeit zu wählen aber nichts zu tun. Für die „Behandlungsbedürftigkeit im Hinblick
auf die Allgemeingefährlichkeit“ gelte Entsprechendes.

Es stehe nach alledem schon infrage, ob es nach heutiger Sicht überhaupt zutreffend sei, aus der Tatsache, dass
jemand aufgrund seiner Behinderung in allen Angelegenheiten betreut werde, fehlende Einsicht in die Bedeu-
tung von Wahlen oder fehlende Teilnahme am politischen Kommunikationsprozess anzunehmen und damit
dann einen Wahlrechtsausschluss zu begründen. Für den Umstand, dass jemand wegen der Begehung einer
rechtswidrigen Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit zum Schutz der Allgemeinheit in einem psychiatri-
schen Krankenhaus untergebracht sei, gelte dies gleichermaßen. § 13 Nr. 2 und Nr. 3 BWG überschritten zudem
die zulässigen Grenzen für Differenzierungen. Beide seien Diskriminierungstatbestände, die höherrangiges
Recht verletzten. Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 GG verbiete ausdrücklich die Diskriminierung aufgrund von Be-
hinderung. Bei der Auslegung der Vorschrift seien die konkreten Vorgaben der von Deutschland ratifizierten
menschenrechtlichen Übereinkommen wie Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)
und Artikel 3 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK sowie Artikel 29 UN-BRK heranzuziehen. Art. 3 des 1. Zu-
satzprotokolls zur EMRK garantiere die Allgemeinheit der Wahl. Der zur Auslegung dieser Konvention beru-
fene Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) habe in einer Entscheidung vom 6. Oktober 2005
(Hirst v. The United Kingdom) festgestellt, dass im 21. Jahrhundert der Inklusion grundsätzlich der Vorrang
gegeben werden müsse. Zwar würden Ausnahmetatbestände für zulässig erachtet, jedoch sei der Ermessens-
spielraum der Gesetzgeber bei der Einschränkung des Wahlrechts insoweit beschränkt, dass nicht ganze Be-
völkerungsgruppen unterschiedslos ausgeschlossen werden dürften. Der Gerichtshof habe in einem Urteil vom
20. Mai 2010 (Alajos Kiss v. Ungarn) festgehalten, dass der Ermessensspielraum des Gesetzgebers besonders
beschränkt sei, wenn es um Gruppen gehe, die wie die geistig Behinderten besonders verletzlich und in der
Vergangenheit deutlicher Diskriminierung ausgesetzt gewesen seien. Artikel 29 UN-BRK verpflichte die Mit-
gliedsstaaten dazu, zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen effektiv und vollständig gleichberech-
tigt am politischen und öffentlichen Leben teilhaben könnten. Dies beinhalte auch eine Garantie des Wahl-
rechts. Dasselbe ergebe sich aus Artikel 12 Absatz 2 UN-BRK, da die dort vorgesehene Gleichberechtigung in
allen Aspekten des Lebens auch das gleiche Recht zu wählen bedeute. Aus der Konvention ergebe sich darüber
hinaus, dass der Staat aktiv darauf hinwirken müsse, dass Personen mit Behinderungen ihr Wahlrecht auch
tatsächlich ausüben könnten. Das könne z. B. bedeuten, Informationen über die Wahl in leichter Sprache zur
Verfügung zu stellen.

Die in dem Wahlrechtsausschluss liegende Diskriminierung sei auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen
gerechtfertigt. § 13 Nr. 2 und Nr. 3 BWG knüpften an Verfahren, in denen die Frage des Wahlrechts keine
Rolle spiele, die Folge des Wahlrechtsverlusts. Ein derartiger Automatismus sei in der Rechtsprechung des
EGMR in einem Urteil vom 6. Oktober 2005 und einem Urteil vom 20. Mai 2010 als unzulässig eingestuft

Drucksache 18/2700 – 46 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

worden. Bezüglich § 13 Nr. 2 BWG sei es – entgegen einer Entscheidung des Bayerischen Verfassungsge-
richtshofs vom 9. Juli 2002 – trotz der strengen rechtlichen Voraussetzungen für Betreuungsanordnungen nicht
sachlich gerechtfertigt, davon auszugehen, vollbetreute Personen besäßen das für eine Wahlentscheidung ge-
botene Mindestmaß an Einsichts- und Wahlfähigkeit nicht. Die Anordnung einer Betreuung nach § 1896 des
Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) setze voraus, dass ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit
oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise
nicht besorgen könne. Ein konkreter Bezug zu intellektuellen Fähigkeiten oder der Einsichtsfähigkeit in Wesen
und Bedeutung von Wahlen bzw. der Möglichkeit der Teilnahme am politischen Kommunikationsprozess finde
sich im Gesetzeswortlaut nicht. In der Praxis werde der gesetzliche Maßstab der Erforderlichkeit sehr unter-
schiedlich ausgelegt, zum Teil auch aus Gründen der Praktikabilität einer Betreuung. Durch die Betreuungsan-
ordnung allein verliere die betreute Person nicht ihre Rechtsfähigkeit. Auch sofern der Betreuungsanordnung
ein Gutachten vorausgehe, spiele das Wahlrecht bzw. die Wahlfähigkeit keine Rolle. Die Typisierung des
Wahlrechtsausschlusses in § 13 Nr. 2 BWG verletze den Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 GG, sie ein nicht zu recht-
fertigendes Maß an Ungleichbehandlung mit sich bringe. Es gebe eine Vielzahl von Gruppen, die sich von in
allen Angelegenheiten betreuten Personen nur darin unterschieden, dass bei ihnen lediglich aufgrund anderer
rechtlicher oder tatsächlicher Umstände keine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet werde und die
daher auch wählen dürften. Der Umstand, dass sich jemand gemäß §§ 63, 20 StGB in einem psychiatrischen
Krankenhaus befinde, stelle ebenfalls kein angemessenes Kriterium der Typisierung zum Wahlausschluss dar.
Schuldunfähigen fehle nicht ein Mindestmaß an Einsichts- und Wahlfähigkeit, wie teilweise behauptet werde.
Diese Annahme treffe weder in dieser Pauschalität noch in den meisten Einzelfällen und schon gar nicht auf
Dauer zu. § 20 StGB stelle auf die Schuldunfähigkeit zum Tatzeitpunkt, § 63 StGB auf die Gefährlichkeit des
Täters ab. Die politische Einsichtsfähigkeit spiele dabei keine Rolle. Wenn die Vollstreckung der Unterbrin-
gung gemäß § 67b Absatz 1 Satz 1 StGB ausgesetzt werde, greife der Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 3
BWG nicht ein – eine innere Logik sei dem nicht zu entnehmen. Auch das für die Unterbringung gemäß §§ 63,
20 StGB nötige Gutachten behandele Fragen des Wahlrechts nicht. Außerdem bestünden weitere Widersprüch-
lichkeiten, die den Wahlrechtsausschluss gemäß § 13 Nr. 3 BWG schon von Rechts wegen als willkürlich
erscheinen ließen: So könnten Schuldunfähige gemäß § 64 StGB zum Schutz der Allgemeinheit auch in einer
Entziehungsanstalt untergebracht werden, behielten aber anders als die gemäß § 63 StGB Untergebrachten ihr
Wahlrecht. Dasselbe gelte für vermindert Schuldfähige, die ebenfalls gemäß § 63 StGB untergebracht werden
könnten. Es sei möglich, dass jemand wegen des Grundsatzes „in dubio pro reo“ nach § 20 und nicht nach §
21 StGB behandelt werde, dann aber sein Wahlrecht verliere. Gegen den Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr.
3 BWG gebe es kein Rechtsmittel für den Betroffenen. Die von dem genannten Ausschlusstatbestand erfassten
Personen dürften nicht an Europa- und Bundestagswahlen, wohl aber in einigen Ländern an Landtagswahlen
teilnehmen.

Wegen der Einzelheiten des Vortrages der Einspruchsführer wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

III.

Das Bundesministerium des Innern hat zu dem Vorbringen – nach Einbeziehung des Bundesministeriums
für Justiz und Verbraucherschutz und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales – hinsichtlich der Frage
der Verfassungsmäßigkeit der Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 Nr. 2 und Nr. 3 BWG am 9. September 2014
wie folgt Stellung genommen:

1. Das Wahlrecht stehe im Staat des Grundgesetzes allen Bürgern zu. Die Abgeordneten des Deutschen Bun-
destages würden nach Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und gehei-
mer Wahl gewählt. Damit stehe das aktive und passive Wahlrecht in der Bundesrepublik Deutschland selbst-
verständlich auch Bürgern mit einer Behinderung zu, sofern sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllten
(Volljährigkeit, Wohnsitz im Bundesgebiet oder Eintragung in das Wählerregister auf Antrag; keine Wahl-
rechtsausschlüsse). Das deutsche Wahlrecht sei darauf ausgelegt, auch Menschen mit Behinderung die Wahr-
nehmung ihres Wahlrechts umfassend – wo nötig mit der notwendigen Unterstützung – zu ermöglichen. So
sollten Wahlräume nach § 46 der Bundeswahlordnung (BWO) so ausgewählt und eingerichtet werden, dass
allen Wahlberechtigten, insbesondere Menschen mit Behinderungen und anderen Menschen mit Mobilitätsbe-
einträchtigungen, die Teilnahme an der Wahl ermöglicht werde. Die Gemeindebehörden teilten frühzeitig in
geeigneter Weise mit, welche Wahlräume barrierefrei seien. Seit der letzten Bundestagswahl werde zudem
jedem Wähler bereits mit der Wahlbenachrichtigung mitgeteilt, ob sein Wahlraum barrierefrei sei und wo er
von der Gemeinde erfahren könne, welcher Wahlraum in seinem Wahlkreis barrierefrei sei (§ 19 Absatz 1 Satz
2 Nr. 2 und 7 BWO). Bei Stimmzetteln und Briefwahlunterlagen sollten nach § 45 Absatz 5 BWO Schriftart,

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 47 – Drucksache 18/2700

Schriftgröße und Kontrast so gewählt werden, dass die Lesbarkeit erleichtert werde. Nach § 57 BWO könnten
sich Wähler mit Behinderung bei der Stimmabgabe der Hilfe einer von ihnen bestimmten Hilfsperson oder
eines Mitglieds des Wahlvorstands bedienen. Blinde und sehbehinderte Wähler könnten zur Kennzeichnung
des Stimmzettels eine Wahlschablone nutzen, für die der Bund den Behindertenvereinen nach § 50 Absatz 4
BWG die Kosten erstatte. Wo Menschen mit Behinderung die Teilnahme an der Wahl im Wahllokal nicht
möglich sei, stehe ihnen nach § 36 BWG als Alternative die Möglichkeit der Briefwahl zur Verfügung, wobei
sie sich ebenfalls der Assistenz einer Hilfsperson bedienen könnten.

2. Ausgeschlossen vom Wahlrecht sei nach § 13 BWG, wer infolge Richterspruchs in einem der gesetzlich
vorgesehenen Fälle das Wahlrecht nicht besitze (Nr. 1), derjenige, für den nach § 1896 des Bürgerlichen Ge-
setzbuches (BGB) zur Besorgung aller Angelegenheiten durch das Betreuungsgericht, und zwar nicht nur durch
einstweilige Anordnung, ein Betreuer bestellt sei (Nr. 2), und wer sich auf Grund einer richterlichen Anordnung
nach § 63 in Verbindung mit § 20 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus befinde, weil er im Zustand der
Schuldunfähigkeit eine rechtswidrige Tat begangen habe und von ihm infolge seines Zustands erhebliche
rechtswidrige Taten zu erwarten seien und der deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei (Nr. 3).

Der Wahlrechtsausschluss nach § 13 BWG knüpfe in den Fällen des § 13 Nr. 2 BWG also an die Anordnung
der Betreuung in allen Angelegenheiten (die nicht nur, wie in akuten und vorübergehenden Fällen, durch einst-
weilige Anordnung erfolgt sei) an. Er werde nicht etwa am Merkmal einer Behinderung festgemacht. Während
grundsätzlich eine Betreuung nach § 1896 Absatz 1 BGB angeordnet werden könne, wenn ein Volljähriger in
Folge einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine An-
gelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr besorgen könne und andere Hilfen nicht zur Verfügung stünden
(§ 1896 Absatz 2 BGB), könne eine zum Wahlrechtsausschluss führende Betreuung in allen Angelegenheiten
nach § 1896 BGB nur angeordnet werden, wenn der Betroffene aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung
keine seiner Angelegenheiten mehr selbst besorgen könne, wenn also feststehe, dass er alle Lebenssituationen
seines Alltags nicht mehr, auch nicht mehr teilweise eigenverantwortlich gestalten könne. Wenn dagegen der
Betroffene in einzelnen Lebensbereichen seine Angelegenheiten noch selbst besorgen könne, kämen eine Voll-
betreuung und der damit verknüpfte Wahlrechtsausschluss nicht in Betracht.

3. Der Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 2 BWG verletze nicht Artikel 38 Absatz 1 GG. Auch wenn der
Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in Artikel 38 Absatz 1 GG als Spezialfall des allgemeinen Gleichheits-
satzes des Artikels 3 GG und daher im Sinne einer streng formalen Gleichheit zu verstehen sei, seien Differen-
zierungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht gänzlich ausgeschlossen (vgl. Schrei-
ber, in: Friauf/ Höfling, Berliner Kommentar zum GG, 41. Ergänzungslieferung 7/2013, Art. 38 Rn. 85 f.). Sie
bedürften allerdings eines besonderen, sachlich legitimierten Grundes (BVerfGE 28, 220 [225]; 69, 92 [106];
95, 408 [418 f.]; 132, 39 [47 f.]). Liege ein solcher vor, sei es Aufgabe des Gesetzgebers, die mit der Differen-
zierung verfolgten Ziele und den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in einen sachgerechten Ausgleich zu
bringen, wobei der Gesetzgeber Vereinfachungen und Typisierungen vornehmen dürfe (BVerfGE 132, 39 [48
f.]).

Zwar streite der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG für die Teilnahme
aller Deutschen an den Wahlen zum Bundestag. Er stehe jedoch in einem Spannungsverhältnis zu der so ge-
nannten Kommunikationsfunktion der Wahl. Danach sei die Möglichkeit, eine reflektierte Wahlentscheidung
zu treffen, für die Wahlteilnahme unabdingbar (vgl. BVerfGE 132, 39 [53 f.]). Vor diesem Hintergrund könne
nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht verfassungs-
rechtlich gerechtfertigt sein, wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen sei, dass die Mög-
lichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem
Maße bestehe (BVerfGE 132, 39 [51]).

In diesem Sinne bestimme die gesetzliche Regelung des § 13 Nr. 2 BWG, dass bei einer Person, von der auf-
grund einer Entscheidung des Betreuungsgerichts feststehe, dass sie keine ihrer Angelegenheiten mehr selbst
besorgen könne und dass sie alle Lebenssituationen des Alltags nicht mehr, auch nicht mehr teilweise eigen-
verantwortlich gestalten könne, die Voraussetzung für eine Wahlteilnahme fehle. Damit werde nicht die an-
spruchsvolle Voraussetzung gemacht, dass die Ausübung des Wahlrechts eine weitsichtige, vernunftbasierte
individuelle Entscheidung voraussetze, in der Verständnis für die Funktionsweise und das Wesen der Demo-
kratie zum Ausdruck komme. Vielmehr knüpfe das Bundeswahlgesetz den Wahlrechtsausschluss an die Tat-
sache, dass eine Person nach richterlicher Feststellung keine ihrer Angelegenheit mehr selbst besorgen könne,

Drucksache 18/2700 – 48 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

und gründe darauf die gesetzliche Vermutung, dass damit die Voraussetzung zur Teilnahme am demokratischen
Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen fehle.

Darum habe sich der Gesetzgeber nach der Begründung zum Betreuungsgesetz vom 12. September 1990 zu
einer Streichung des Wahlrechtsausschlusses nach § 13 Nr. 2 BWG nicht in der Lage gesehen, weil das der
Bedeutung der Vorschrift für die Funktion des Wahlrechts im demokratischen Regierungssystem (BVerfGE
67, 146 [148]; 36, 139 [141]) nicht gerecht würde. Aus verfassungsrechtlichen Gründen sei es geboten gewe-
sen, an die Stelle der früheren Anknüpfung, die wegen des Wegfalls der Entmündigung und der Gebrechlich-
keitspflegschaft gegenstandslos geworden sei, eine andere Anknüpfung zu finden (Bundestagsdrucksache
11/4528, S. 188 f.).

4. Dass der Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 2 BWG Fälle erfasse, in denen zwar eine Betreuung in allen
Angelegenheiten richterlich angeordnet worden sei, der oder die Betreute aber zur Teilnahme am demokrati-
schen Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen und einer reflektierten Wahlentscheidung in
der Lage sei, habe der Gesetzgeber des Betreuungsgesetzes 1992 offenbar in Hinblick auf den das neue Be-
treuungsrecht beherrschenden Erforderlichkeitsgrundsatz in § 1896 Absatz 2 BGB geglaubt ausschließen zu
können. Hiernach dürfe eine Betreuung nur für die Aufgabenkreise angeordnet werden, für die dies erforderlich
sei, also insoweit die Angelegenheiten des Betreuten nicht durch andere Hilfen (ohne Vertretungsbefugnis)
besorgt werden könnten. Wenn unter dieser Bedingung eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet
werden müsse (mit der gesetzlichen Folge des Wahlrechtsausschlusses), könne aus Sicht des Gesetzgebers von
der Unmöglichkeit einer eigenverantwortlichen Wahlteilnahme ausgegangen werden.

Daten über die Zahl der Betreuten, bei denen die Betreuung in allen Angelegenheiten (und nicht nur durch
einstweilige Anordnung) habe angeordnet werden müssen, und über die diesen Fällen zugrunde liegenden Um-
stände und Krankheitsbilder, die eine Überprüfung dieser gesetzlichen Vermutung böten, lägen derzeit nicht
vor, da die Fälle der Betreuung in allen Angelegenheiten und die diesen zugrunde liegenden Krankheitsbilder
nicht gesondert statistisch erfasst würden. Die Bundesregierung habe darum im Nationalen Aktionsplan zur
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention beschlossen, eine Studie in Auftrag zu geben, in der die tat-
sächliche Situation behinderter Menschen bei der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts untersucht
und Handlungsempfehlungen für eine verbesserte Partizipation von Menschen mit Behinderungen entwickelt
würden. Die Ergebnisse der Studie, die im Dezember 2013 an ein interdisziplinäres Forscher-Team aus den
Bereichen Verfassungs-/Wahlrecht, empirische Sozialwissenschaften/Politikwissenschaft, klinische Psycholo-
gie, (Behinderten-)Pädagogik sowie Völker- und Europarecht vergeben wurde, würden Ende 2015 vorliegen
und eine valide Grundlage für weitere Überlegungen und Entscheidungen des Gesetzgebers in Wahrnehmung
seiner verfassungsrechtlichen Beobachtungspflicht zu den Gesetzen zugrundeliegenden Annahmen und Prog-
nosen bieten.

5. Nach Artikel 29 des von der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2009 ratifizierten Übereinkommens der
Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK)
garantierten die Vertragsstaaten Menschen mit Behinderungen unter anderem die politischen Rechte und die
Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen beanspruchen zu können. In der der Ratifikation durch
Deutschland zugrunde liegenden Denkschrift der Bundesregierung zum Vertragsgesetz vom 8. November 2008
(Bundestagsdrucksache 16/10808, S. 63) wurde festgestellt, dass nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz
der Allgemeinheit der Wahl in Deutschland behinderten Menschen das aktive und passive Wahlrecht bei Bun-
destags-, Landtags- und Kommunalwahlen zustehe.

In Hinblick auf die bei der Ratifikation der UN-BRK bestehenden Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 BWG habe
die Denkschrift der Bundesregierung festgestellt: „An diesen gesetzlich festgeschriebenen und dem Sinne nach
auch in Rechtsordnungen anderer Staaten vorgesehenen Ausnahmefällen wird festgehalten, weil das Wahlrecht
als höchstpersönliches Recht nur Personen zustehen soll, die rechtlich in vollem Umfang selbständig hand-
lungs- und entscheidungsfähig sind. Dies steht im Einklang mit den Vorgaben des Artikels 29 Buchstabe a,
weil diese Bestimmungen nur die in Artikel 25 Zivilpakt schon festgeschriebenen staatlichen Verpflichtungen
wiedergibt, aber keine weitergehenden politischen Rechte für Menschen mit Behinderungen begründet. Für
das in Artikel 25 Buchstabe b des Zivilpaktes verankerte Recht, bei echten, wiederkehrenden, allgemeinen,
gleichen und geheimen Wahlen zu wählen und gewählt zu werden, ist aber allgemein anerkannt, dass ein Aus-
schluss vom Wahlrecht auf gesetzlich niedergelegten Gründen beruhen darf, die objektiv angemessen sind. Das
wird etwa für den Fall der Unzurechnungsfähigkeit oder einer strafgerichtlichen Verurteilung in Ansehung von
Straftat und Strafmaß angenommen.“ (Bundestagsdrucksache 16/10808, S. 64.) Ähnlich habe sich auch die

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 49 – Drucksache 18/2700

Denkschrift zum Pakt vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) verhal-
ten (vgl. Bundestagsdrucksache 7/660, S. 39).

Ob und inwieweit die zur Interpretation der UN-BRK und des UN-Zivilpakts berufenen Vertragsorgane zu
einer dynamisch-rechtsfortbildenden Interpretation dieser völkerrechtlichen Instrumente befugt seien sowie ob
und inwieweit hieraus eine Veränderung der völkerrechtlichen Lage gegenüber dem Zeitpunkt der Ratifikation
der UN-BRK und des UN-Zivilpakts durch Deutschland eingetreten sei, werde in der oben genannten, im Auf-
trag der Bundesregierung erstellten Studie geklärt werden, so dass für weitere Überlegungen und Entscheidun-
gen des Gesetzgebers in Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlichen Beobachtungspflicht mit der Vorlage
dieser Studie eine valide rechtsgutachterliche Grundlage bestehen werde.

Verfassungsrechtlich werde der Wahlrechtsausschluss für Personen, die einer umfassenden Betreuung unter-
liegen, nicht beanstandet (Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 60. Ergänzungslieferung 10/2010, Art. 38 Rn. 93;
Schreiber, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, 41. Ergänzungslieferung 7/2013, Art. 38 Rn. 87;
Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/ Hopfauf, GG, 12. Auflage 2011, Art. 38 Rn. 13, Silberkuhl, in:
Hömig, GG, 10. Auflage 2013, Art. 38 Rn. 6). Umgekehrt werde geltend gemacht, dass eine Verleihung des
Wahlrechts an Personen, die an dem Prozess demokratischer Legitimation aus einem freien Kommunikations-
prozess nicht teilnehmen können, das nach Artikel 79 Absatz 3 GG unantastbare demokratische Prinzip im
Kern verletzen würde (Klein, a.a.O., Rn. 138). Der Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 2 BWG genüge nach
der einschlägigen Kommentarliteratur den Anforderungen des Artikels 29 der UN-BRK und den Anforderun-
gen des EGMR (Strelen, in: Schreiber, BWG, 9. Auflage 2013, § 13 Rn. 10). Die UN-BRK gelte als völker-
rechtlicher Vertrag in Deutschland auf der Normstufe des einfachen Rechts, also unterhalb des Verfassungs-
rechts (vgl. Lang, ZRP 2013, S. 133). Allerdings könne die UN-BRK nach der Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts (BVerfGE 128, 282 [306]) als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reich-
weite der Grundrechte herangezogen werden.

6. Die Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 Nr. 3 BWG beträfen in Deutschland nicht – wie in dem vom Europä-
ischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 6. Oktober 2005 entschiedenen Fall Hirst v. The United
Kingdom (Nr. 74025/01) – alle verurteilten Strafgefangenen oder alle in ein psychiatrisches Krankenhaus Ein-
gewiesenen, sondern nur diejenigen Personen, deren Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus von
einem Gericht nach § 63 StGB angeordnet worden sei, weil sie im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB)
eine rechtswidrige Tat begangen hätten und die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergeben habe, dass
von ihnen infolge ihres Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und die deshalb für die
Allgemeinheit gefährlich seien.

Unter den Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 3 fielen damit nicht Personen, bei denen wegen verminderter
Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden sei,
und solche, bei denen die Schuldunfähigkeit im Zeitpunkt der Tat nur ein vorübergehender Zustand gewesen
sei. Die tatbestandsmäßig erfasste Gruppe umfasse nur solche Personen, bei denen die Schuldunfähigkeit auf
einem länger bestehenden, nicht nur vorübergehenden Zustand beruhe, der ihre Einsichts- und Entscheidungs-
fähigkeit nach gerichtlicher Feststellung dauerhaft beeinträchtige, weshalb auch ein Ausschluss vom Wahlrecht
gerechtfertigt sei (Strelen, in: Schreiber, § 13 Rn. 17 f.).

Die Zahlen der Unterbringungsanordnungen nach § 63 in Verbindung mit § 20 StGB seien zwar anders als bei
den Wahlrechtsausschlüssen nach § 13 Nr. 2 BWG bekannt. Über die diesen Fällen zugrundeliegenden Um-
stände und Krankheitsbilder, die eine Überprüfung der gesetzlichen Annahme einer typischerweise gegebenen
Unfähigkeit der Teilnahme am demokratischen Kommunikationsprozess böten, lägen allerdings derzeit (noch)
keine konkreten Kenntnisse vor, da diese in der Strafvollstreckungsstatistik nicht erfasst würden. Die entspre-
chenden Daten und Krankheitsbilder würden darum in der oben genannten, von der Bundesregierung in Auftrag
gegebenen interdisziplinären Studie erhoben und ausgewertet, um dem Gesetzgeber eine valide Grundlage für
weitere Überlegungen und Entscheidungen in Wahrnehmung seiner Beobachtungspflicht zu zugrunde liegen-
den Annahmen und Prognosen zu bieten.

Entscheidungsgründe

Der Einspruch ist zulässig, aber unbegründet. Dem Vortrag der Einspruchsführer lässt sich kein Verstoß gegen
Wahlrechtsvorschriften und damit kein Wahlfehler entnehmen.

Drucksache 18/2700 – 50 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

1. Es entspricht geltendem Wahlrecht, dass diejenigen, für die zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten eine
Betreuerin oder ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist, und diejenigen, die sich auf-
grund einer Anordnung nach § 63 in Verbindung mit § 20 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus befin-
den, gemäß § 13 Nr. 2 bzw. Nr. 3 BWG nicht an einer Bundestagswahl teilnehmen können. Die Wahlbehörden
dürfen von diesen gesetzlichen Vorgaben nicht abweichen.

2. Soweit die Einspruchsführer die Verfassungswidrigkeit des § 13 Nr. 2 BWG rügen, ist zu beachten, dass der
Wahlprüfungsausschuss und der Deutsche Bundestag in ständiger Praxis im Rahmen eines Wahlprüfungsver-
fahrens die Verfassungsmäßigkeit von Wahlrechtsvorschriften nicht überprüfen. Eine derartige Kontrolle ist
stets dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten worden (vgl. zuletzt etwa Bundestagsdrucksachen 16/1800,
Anlagen 26 bis 28 mit weiteren Nachweisen; 17/1000, Anlagen 5 und 11; 17/2200, Anlagen 1, 13 bis 15, 17
bis 20, 23 und 24; 17/3100, Anlagen 15, 19, 20, 22 bis 30, 32, 34 bis 36; 17/4600, Anlagen 10, 12, 13, 32, 38,
40 bis 43 mit weiteren Nachweisen; 17/6300, Anlage 19; 18/1160, Anlagen 1, 12, 32). Abgesehen davon sind
die verfassungsrechtlichen Bedenken der Einspruchsführer unbegründet. § 13 Nr. 2 BWG verstößt insbeson-
dere nicht gegen Artikel 38 Absatz 1 GG, wie das Bundesministerium des Innern in seiner Stellungnahme
plausibel ausgeführt hat. Zwar ist der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG
als Spezialfall des allgemeinen Gleichheitssatzes des Artikels 3 GG und daher im Sinne einer streng formalen
Gleichheit zu verstehen. Gleichwohl sind Differenzierungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichts nicht gänzlich ausgeschlossen (vgl. Schreiber, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, 41.
Ergänzungslieferung 7/2013, Art. 38 Rn. 85 f.), bedürfen aber eines besonderen, sachlich legitimierten Grundes
(BVerfGE 28, 220 [225]; 69, 92 [106]; 95, 408 [418 f.]; 132, 39 [47 f.]). Wenn ein solcher vorliegt, muss der
Gesetzgeber die mit der Differenzierung verfolgten Ziele und den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl in
einen sachgerechten Ausgleich bringen, wobei er Vereinfachungen und Typisierungen vornehmen darf (BVer-
fGE 132, 39 [48 f.]). Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl steht in einem Spannungsverhältnis zu der
sogenannten Kommunikationsfunktion der Wahl. Für die Wahlteilnahme ist die Möglichkeit, eine reflektierte
Wahlentscheidung zu treffen, unabdingbar (vgl. BVerfGE 132, 39 [53 f.]). Ein Ausschluss vom aktiven Wahl-
recht kann verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszu-
gehen ist, dass die Möglichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen
nicht in hinreichendem Maße besteht (BVerfGE 132, 39 [51]). § 13 Nr. 2 BWG knüpft den Wahlrechtsaus-
schluss an die Tatsache, dass eine Person nach richterlicher Feststellung keine ihrer Angelegenheit mehr selbst
besorgen kann, und gründet darauf die gesetzliche Vermutung, dass damit die Voraussetzung zur Teilnahme
am demokratischen Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen fehlt. Diese Gesetzeshaltung
bewegt sich im durch das Grundgesetz umrissenen Rahmen. Im Übrigen schließen sich der Wahlprüfungsaus-
schuss und der Deutsche Bundestag den überzeugenden Ausführungen des Bundesministeriums des Innern an.

3. Auch der von den Einspruchsführern für verfassungswidrig gehaltene § 13 Nr. 3 BWG ist – unbeschadet der
Kontrollkompetenz des Bundesverfassungsgerichts – als verfassungskonform anzusehen (vgl. Strelen, in:
Schreiber, § 13 Rn. 18 mit weiteren Nachweisen). Auch § 13 Nr. 3 BWG verstößt nicht gegen den Grundsatz
der Allgemeinheit der Wahl. Die Vorschrift ist durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt: Es werden Men-
schen vom Wahlrecht ausgeschlossen, bei denen die Schuldunfähigkeit auf einem länger bestehenden, nicht
nur vorübergehenden Zustand beruht, der ihre Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit nach gerichtlicher Fest-
stellung dauerhaft beeinträchtigt. Auch in diesen Fällen besteht die Möglichkeit der Teilnahme am Kommuni-
kationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem Maße. § 13 Nr. 3 BWG knüpft, wie
dies der Allgemeinheitsgrundsatz verlangt, an einen formalen Tatbestand an, nämlich an die richterliche Ent-
scheidung nach § 63 in Verbindung mit § 20 StGB; äußerliches Kriterium ist die tatsächliche Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus am Wahltag (vgl. Strelen, in: Schreiber, a. a. O.). Im Übrigen – insbe-
sondere zur Reichweite des Urteils des EGMR in Sachen Hirst v. The United Kingdom – nehmen der Wahl-
prüfungsausschuss und der Deutsche Bundestag auf die überzeugenden Ausführungen des Bundesministeriums
des Innern Bezug.

4. Die konventions- und völkerrechtliche Zulässigkeit des Wahlrechtsausschlusses nach § 13 Nr. 2 und Nr. 3
BWG – von welcher der Deutsche Bundestag in seiner Mehrheit und die Bundesregierung bislang ausgegangen
sind (so auch Strelen, in: Schreiber, § 13 Rn. 10 mit weiteren Nachweisen und Rn. 18) – wird im Rahmen der
von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen, fachlich breit angelegten Studie überprüft werden. Möglicher
(gesetzgeberischer) Handlungsbedarf – gerade auch in Fällen wie dem des Sohnes des Einspruchsführers –
wird zu erörtern sein, sobald die für das Jahr 2015 erwartete Untersuchung vorliegt. Der Wahlprüfungsaus-
schuss wird diesen Prozess aufmerksam begleiten.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 51 – Drucksache 18/2700

Anlage 8

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch

1. des Herrn Dr. R. M., 80637 München,
2. des Herrn M. M., 80638 München,
3. der Frau M. M., 80637 München,

4. des Herrn H. K., ebenda,
5. des Herrn J. K., ebenda,

6. des Herrn F. W. P., 90408 Nürnberg,

– Az.: WP 222/13 –

gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag
am 22. September 2013

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2014 beschlossen,
dem Deutschen Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Einspruchsführer haben mit einem am 22. November 2013 beim Deutschen Bundestag eingegangenen
Schreiben Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013
eingelegt.

Sie streben eine Wahlwiederholung mit einem neuen Wahlgesetz an. Im Einzelnen wenden sie gegen das Bun-
deswahlgesetz in der Fassung vom 3. Mai 2013 Folgendes ein:

1. Durch die angegriffene Wahl seien 631 Abgeordnete in das Parlament gelangt. Das seien 33 Mandate mehr
als es im Deutschen Bundestag „Plätze“ gebe. Die „Regel(mitglieder)zahl“ des Deutschen Bundestages betrage
598 Sitze. 299 Abgeordnete seien direkt zu wählen. Bei der angegriffenen Wahl sei die Zahl der Listenplätze
der CDU in Thüringen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und dem Saarland hinter der Zahl der Direktmandate
jeweils um einen Platz zurück geblieben. Diese Mandatsdifferenz von insgesamt vier Sitzen sei in den betroffe-
nen Bundesländern ausgeglichen worden. Dadurch verschiebe sich die Sitzverteilung unter den Bundesländern,
die Länderquoten würden gesprengt. Durch einen weiteren Mandatsausgleich werde der Länderproporz wie-
derhergestellt (doppelter Mandatsausgleich). Der Bundeswahlleiter habe insgesamt eine Zahl von 631 Abge-
ordneten, davon 29 mit Ausgleichsmandat, ermittelt. Anders als vorgesehen gelangten die Abgeordneten des-
halb nicht mehr zur einen Hälfte über die Wahlkreise und zur anderen Hälfte über die Liste in den Deutschen
Bundestag. Bei einem Wahlergebnis wie 2009 wäre die Zahl der Abgeordneten auf 671 „emporgeschnellt“.
Das Landesverfassungsgericht Schleswig-Holstein habe die Landtagswahl des Jahres 2009 verworfen, weil die
in der Landesverfassung genannte „Regel(mitglieder)zahl“ überschritten worden sei und statt 69 95 Abgeord-
nete im Landtag gesessen hätten.

2. Die „negative Stimmenmacht, dass durch Stimmenverzicht ein Mandatszuwachs erzeugt werden“ könne, sei
wiederum nicht beseitigt worden. Dies sei aber eine unabdingbare Auflage des Bundesverfassungsgerichts in
den Entscheidungen vom 3. Juli 2008 und 25. Juli 2012 gewesen. Zwar werde diesem Effekt durch die Einfüh-
rung von Länderkontingenten der Weg zunächst versperrt. Jedoch würden die Länderquoten durch Überhang-
und Ausgleichsmandate gesprengt. Die vier Überhangmandate der CDU seien im Länderausgleich durch 13
aus 29 zusätzlichen Listenplätzen überproportional kompensiert worden. Die Zahl der Listenplätze steige an,
ohne dass auch die Zahl der erforderlichen Zweistimmen angestiegen sei. Dieser demokratisch nicht legiti-
mierte Ausgleich des Wählerwillens überrage den „Überhang“ sogar um mehr als das Siebenfache. Obwohl

Drucksache 18/2700 – 52 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

die CDU die alleinige Verursacherin des Mandatsausgleichs sei, erhalte sie auf Bundesebene den größten An-
teil am Länderausgleich. Je größer die Mandatsdifferenz in Thüringen und den anderen drei „Überhanglän-
dern“, umso größer sei der Anteil am Länderausgleich. Die alleinige „Verursacherpartei“ sei damit zum größten
Ausgleichsprofiteur geworden. Es bestehe die Möglichkeit, mit weniger Stimmen mehr Mandate zu erhalten.
Diesen Effekt könne man gezielt ausnutzen. Die Wähler der „Überhangpartei“ könnten dieser überhaupt keine
Zweitstimme zukommen lassen, ohne dass dieser Partei im Land auch nur ein einziges Direktmandat verloren
gehe. Sie könnten diese Zweitstimmen sogar an eine andere, vorzugsweise eine erwünschte Koalitionspartei,
„verschenken“. Genau diese Manipulationsmöglichkeit habe das Bundesverfassungsgericht aber verworfen.

3. Das gesetzwidrige Stimmensplitting sei bei der Wahlauszählung akzeptiert worden. Das sei mit der Zweck-
setzung der personalisierten Verhältniswahl unvereinbar und stehe im Widerspruch zur Anordnung des § 1 des
Bundeswahlgesetzes (BWG), beide Stimmen immer der gleichen Partei zukommen zu lassen. Ohne Stimmen-
splitting könne es nicht zur „negativen Stimmenmacht“, aber immer noch zu „Mandatsdifferenzen“ kommen.
Alle Erststimmen seien für ungültig zu erklären, wenn die Wähler beide Stimmen gesetzwidrig gesplittet hät-
ten.

4. Der Mandatsausgleich in Höhe von 29 Listenplätzen sei grob verfassungswidrig. Die konkret ausgezählten
Stimmen hätten zu 602 Mandaten geführt. Für die zusätzlichen 29 Listenplätze gebe es überhaupt keine Stimm-
zettel, auf denen die Wähler eigenhändig, unmittelbar und vor allem auch frei gekennzeichnet hätten, welcher
Partei die Extramandate als Ergebnis der gemeinsamen Wahlhandlung zukommen sollten. Inhaber von Aus-
gleichsmandaten würden erst nach der Wahl von den Wahlleitern obrigkeitlich in das Sondermandat eingesetzt.
Das verstoße gegen die Volkssouveränität als Grundlage der repräsentativen Demokratie. Nicht vom Volk ge-
wählte Abgeordnete seien dem Artikel 20 des Grundgesetzes (GG) fremd. Mit den Ausgleichsmandaten werde
die Demokratie auf den Kopf gestellt, da nicht die Wahlsieger auf der Ebene der Direktwahl, sondern die
Wahlverlierer den Ausgleich erhielten. Die Überhangmandate seien hingegen zulässig, wenn auch nach den
Worten des Bundesverfassungsgerichts nur in einem bestimmten Maße. Den Ausgleich dieser Mandate habe
das Gericht nicht verlangt.

5. Dem geltenden Wahlgesetz fehle es an Normenklarheit und Verständlichkeit, die das Bundesverfassungsge-
richt in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2008 ausdrücklich verlangt habe. Dass sich der Wahlgesetzgeber schon
in § 1 BWG sehr unklar ausgedrückt habe, so dass viele Wähler das Stimmensplitting für zulässig hielten, sei
nicht zu übersehen. Außerdem sei bekannt, dass nicht nur zahlreiche Erstwähler, sondern auch ein großer Teil
aller Wähler nicht im Stande sei, den Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimmen auch nur im Ansatz zu-
treffend zu erklären, um von einem Zuteilungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers gar nicht erst zu sprechen.
Insbesondere § 6 BWG sei unverständlich. Ein Wahlrecht, das viele Wähler nicht verstünden, könne vor dem
Grundgesetz keinen Bestand haben.

Wegen der Einzelheiten des Vortrages der Einspruchsführer wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Das Bundesministerium des Innern hat hinsichtlich der Frage der Verfassungsmäßigkeit des neuen Sitzzu-
teilungsverfahrens (§ 6 BWG) wie folgt Stellung genommen:

1. Soweit die Einspruchsführer beanstandeten, durch die Sitzzahl von 631 Sitzen wären im 18. Deutschen Bun-
destag mehr Mandate vergeben worden als es Plätze im Bundestag gebe, beruhe dies auf einer unvollständigen
Berücksichtigung der diesbezüglichen Regelungen des Bundeswahlgesetzes. § 1 Absatz 1 BWG ordne an, dass
der Deutsche Bundestag „vorbehaltlich der sich aus diesem Gesetz ergebenden Abweichungen" aus 598 Ab-
geordneten bestehe. Darum erhöhe sich die gesetzliche Gesamtzahl der Sitze jeweils aufgrund der gesetzlichen
Vorschriften. So wie sich in der Vergangenheit die Gesamtzahl der Sitze nach§ 6 Absatz 5 Satz 2 BWG (a. F.)
bei auf die jeweilige Landesliste nicht anrechenbaren Wahlkreismandaten (sog. Überhangmandate) erhöht
habe, so sehe der seit Inkrafttreten des 22. Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 3. Mai 2013
(Bundesgesetzblatt I S. 1082) geltende neue§ 6 Absatz 5 Satz 2 BWG eine Erhöhung der Gesamtzahl der Sitze
vor. Nach der Regelung des neuen § 6 Absatz 5 Satz 1 BWG sei nach den Ergebnissen der Bundestagswahl
vom 22. September 2013 eine Erhöhung der Gesamtzahl der Sitze (§ 1 Absatz 1 BWG) um 33 Sitze vorzuneh-
men gewesen. Die gesetzliche Sitzzahl des 18. Deutschen Bundestages betrage damit 631 Sitze, so dass die
Zahl der Mandate die Zahl der Sitze nicht überschreite. Auch die Aufteilung der Sitze nach § 1 Absatz 2 BWG,
nach der von der Gesamtzahl der Sitze 299 nach Kreiswahlvorschlägen in den Wahlkreise und „die übrigen",
also nicht unbedingt 299, nach Landeslisten gewählt würden, stehe von Vornherein unter dem gesetzlichen
Vorbehalt einer Erhöhung der Gesamtzahl der Sitze auf eine höhere Zahl als die in § 1 Absatz 1 Satz 1 BWG

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 53 – Drucksache 18/2700

genannte, nicht erhöhte Zahl von 598. Es widerspreche also nicht, sondern es entspreche der gesetzlichen Re-
gelung, wenn im Ergebnis der Sitzverteilung der gesetzlichen Zahl der Wahlkreismandate eine höhere Zahl
von Listenmandaten gegenüberstehe. Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landesverfassungsgerichts
vom 30. August 2010 (Az. LVerfG 1/10) beruhe auf dem (für den Wahlgesetzgeber des Bundes nicht gelten-
den) Artikel 10 Absatz 2 der Landesverfassung von Schleswig-Holstein, der – anders als das Grundgesetz für
die Bundesrepublik Deutschland – die Zahl der Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtages und
das Wahlsystem auf der Ebene des Verfassungsrechts festlege. Das für das schleswig-holsteinische Wahlrecht
geltende Urteil auf der Grundlage der schleswig-holsteinischen Landesverfassung betreffe nicht das Wahlrecht
zum Bundestag.

2. Zutreffend gingen die Einspruchsführer davon aus, dass durch die länderweise Zuordnung der Sitze nach §
6 Absatz 2 Satz 1 BWG in der ersten Stufe der Sitzverteilung der Effekt des so genannten negativen Stimmge-
wichts vermieden werde. Es treffe auch zu, dass bei der probeweisen ersten Stufe der Sitzverteilung feststell-
bare Überhangmandate, also eine die Zahl der nach dem Verhältnis der Zweitstimmen einer Landesliste zu-
stehenden Sitze übersteigende Zahl von Direktmandaten, die nach § 6 Absatz 4 Satz 2 BWG der Partei erhalten
blieben, wie in der Vergangenheit zu einer Verschiebung des föderalen Proporzes führten. Sofern die Ein-
spruchsführer davon ausgingen, in den von Überhangmandaten betroffenen Ländern fiele der Ausgleich im
Verhältnis ihrer Stimmanteile den sonstigen Parteien zu, durch die Ausgleichsmandate werde eine weitere Ver-
schiebung des föderalen Proporzes verursacht und durch einen nachträglichen Länderausgleich der Proporz
unter den Ländern wieder hergestellt, liege den Erwägungen eine unzutreffende Vorstellung über die Regelun-
gen des neuen § 6 BWG nach dem 22. Gesetz zu Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 3. Mai 2013 zu-
grunde. Durch das 22. Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes werde kein Ausgleichsmodell normiert,
bei dem in Ländern mit Überhangmandaten den anderen Landeslisten jeweils Ausgleichsmandate zugeteilt
würden (und damit die durch Überhangmandate verursachte Störung des föderalen Proporzes vertieft werde).
Vielmehr werde der Bundestag solange vergrößert, bis bei allen Parteien alle Direktmandate anrechenbar seien
und darum keine Überhangmandate entstünden. Nach dieser Erhöhung der Gesamtzahl der Sitze nach § 6 Ab-
satz 5 BWG würden nach dem neuen § 6 Absatz 6 BWG alle Sitze nach dem Verhältnis der Zweitstimmen wie
nach früherem Recht zunächst in einer Oberverteilung auf die Parteien und sodann in der Unterverteilung auf
deren jeweilige Landeslisten verteilt. Alle den Parteien zugeteilten Sitze entsprächen danach – auf erhöhtem
Niveau – dem Verhältnis der Zweitstimmen der Parteien (sog. nationaler Parteienproporz). Der föderale Pro-
porz innerhalb der Parteien zwischen deren Landeslisten werde wie bisher dadurch beeinträchtigt, dass nach §
6 Absatz 6 Satz 2 2. Halbsatz BWG allen Landeslisten mindestens die Zahl der in den Wahlkreisen des Landes
von ihren Wahlkreisbewerbern errungenen Direktmandate zugeteilt werde. Dadurch erhielten Landeslisten mit
vielen Direktmandaten – zur Verhinderung von Überhangmandaten in diesem Land – also mehr Sitze zuge-
wiesen, als es dem innerparteilichen föderalen Proporz entsprechen würde. Diese zusätzlichen Sitze zur An-
rechnung aller Direktmandate in diesem Land erhielten die Landeslisten, bei denen Überhangmandate drohten,
aber aus dem Sitzzuwachs der Partei durch die Bundestagsvergrößerung, nicht im Wege der Kompensation aus
dem Listenmandatsanspruch anderer Landeslisten der Partei. Dadurch werde die in der Vergangenheit durch
Überhangmandate verursachte Störung des föderalen Proporzes zwar nicht im Wege eines föderalen Vollaus-
gleichs beseitigt, aber auch nicht durch eine Kompensation über Listenmandate in anderen Ländern verschärft.
Dadurch, dass nach § 6 Absatz 5 BWG die Sitzzahl so lange erhöht werde, bis jede Partei bei der zweiten
Verteilung nach § 6 Absatz 6 Satz 1 BWG mindestens die für sie in der ersten Verteilung nach Sitzkontingenten
für sie ermittelte Zahl erhalte, würden zugleich Erfolgswertunterschiede ausgeglichen, die bei unterschiedlicher
Wahlbeteiligung in den Ländern aus der in der ersten Stufe wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts
vom 25. Juli 2012 (BVerfGE 131, 316 [352]) nach Bevölkerungsanteilen erfolgenden Verteilung der Sitze auf
die Länder resultierten. Wenn aufgrund geringer Wahlbeteiligung oder wegen eines hohen Stimmenanteils von
Parteien, die (wegen Verfehlens der 5%-Sperrklausel des § 6 Absatz 3 BWG) nicht an der Sitzverteilung teil-
nehmen, einer Partei in einem Land in der ersten Stufe der Sitzverteilung mit unterdurchschnittlich vielen
Stimmen überdurchschnittlich viele Sitze zugeordnet worden seien, so erhalte sie auch in der zweiten Stufe
mindestens diese Sitzzahl, zur Herstellung des bundesweiten Parteienproporzes müsse aber die Gesamtsitzzahl
solange erhöht werden, bis trotzdem der Zweitstimmenproporz zu den anderen Parteien gewahrt werden könne.
Beim Ergebnis der Bundestagswahl 2013 sei dementsprechend die Erhöhung der Gesamtsitzzahl nicht – wie
die Einspruchsführer vermuteten – durch die vier ohne Erhöhung bei Landeslisten der CDU drohenden Über-
hangmandate, sondern durch die wegen der hohen Stimmanteile der nach § 6 Absatz 3 BWG nicht an der
Sitzverteilung teilnehmenden Parteien in Bayern von den dort an der Sitzverteilung teilnehmenden Parteien in
der ersten Stufe aus dem bayerischen Sitzkontingent mit vergleichsweise wenigen Stimmen gewonnenen Sitze

Drucksache 18/2700 – 54 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

verursacht worden. Darum seien die in der bundesweiten Oberverteilung der zweiten Stufe nach § 6 Absatz 6
Satz 1 BWG der CDU gegenüber der vorläufigen Zuordnung der Sitze in der ersten Stufe zusätzlich zugefal-
lenen Sitze nicht – wie die Einspruchsführer annähmen – „der Verursacherin des Ausgleichs" zugefallen. Die
Erhöhung der Gesamtzahl der Sitze nach§ 6 Absatz 5 BWG sei nicht durch die drohenden Überhangmandate
der CDU verursacht worden. Vielmehr sei durch die Sitzzahlerhöhung der Zweitstimmenproporz aller übrigen
Parteien mit der nur in Bayern angetretenen CSU wiederhergestellt worden, die ansonsten von der überdurch-
schnittlichen Sitzzuteilung im bayerischen Sitzkontingent besonders profitiert hätte (vgl. zur Berechnung der
Bundestagsgröße Veröffentlichung des Bundeswahlleiters, Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. Sep-
tember 2013, Heft 3 „Endgültige Ergebnisse nach Wahlkreisen“, 2013, S. 312 ff. [320, 334]). Mehr Zweitstim-
men für die CDU in Ländern, in denen nach der vorläufigen Zuordnung der Sitze in der ersten Stufe der Sitz-
zuteilung Überhangmandate gedroht hätten, hätten bei der anderweitig verursachten Sitzzahlerhöhung also
nicht zu einer geringeren Bundestagsvergrößerung, also auch nicht zu weniger Mandaten für die CDU und
damit auch nicht – wie von den Einspruchsführern behauptet – zu dem Effekt des negativen Stimmgewichts
geführt. Unzutreffend sei der Einwand der Einspruchsführer, durch den Ausgleich sei die Zahl der Listenman-
date angestiegen, ohne dass auch die Zahl der erforderlichen Zweitstimmen angestiegen sei. Denn das Wahl-
system des Bundeswahlgesetzes kenne – anders als das Wahlrecht der Weimarer Republik – keine für den
Erwerb eines Mandates erforderliche Stimmenzahl. Vielmehr würden die Sitze – bei jeder gesetzlichen Ge-
samtsitzzahl des Bundestages – durch den Stimmenanteil der Parteien und Landeslisten bestimmt. Bei einer
geringeren Wahlbeteiligung oder einem höheren Anteil nicht erfolgreicher Parteien seien also weniger, bei
einer höheren Wahlbeteiligung und vielen an der Sitzverteilung teilnehmenden Parteien demgegenüber mehr
Stimmen für ein Mandat erforderlich. Dass sich die Zahl der Mandate erhöhen könne, ohne dass sich die abso-
lute Stimmenzahl erhöht habe, sei in einem System, das die Mandate nicht nach Stimmenzahl, sondern nach
dem relativen Stimmenanteil verteile, darum keine Unregelmäßigkeit, sondern systemimmanent.

3. Soweit die Einspruchsführer rügten, dass nicht die Erststimmen für ungültig erklärt worden seien, wenn die
Zweitstimme für eine andere Partei als die des Direktbewerbers abgegeben worden war (sog. Stimmensplit-
ting), lasse sich dies auf die wahlrechtlichen Bestimmungen nicht stützen. Die Möglichkeit des Stimmensplit-
tings sei der 1953 erfolgten Einführung der Zweistimmen-Regelung des § 4 BWG immanent (Strelen, in:
Schreiber, BWahlG, 9. Auflage 2013, § 4 Rn. 5) und vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtspre-
chung als zulässig vorausgesetzt worden (BVerfGE 5, 7 [82]; 7, 63 [73]; 79, 161 [167]; 95, 335 [362]). Gegen
die Regelung einer speziellen wahlrechtlichen Vorschrift lasse sich nicht eine restriktive Interpretation einer
allgemeinen wahlrechtlichen Vorschrift anführen, da die Regelungen des Bundeswahlgesetzes rechtlich auf der
gleichen Stufe stünden und die spezielle Norm den Inhalt der allgemeinen Norm konkretisier. § 69 Absatz 1
Nr. 2 der Bundeswahlordnung (BWO) setze voraus, dass Erst- und Zweitstimme gültig für Bewerber und Lan-
deslisten verschiedener Träger von Wahlvorschlägen abgegeben werden könnten. Die Erststimmen für Wahl-
bewerber einer nicht auch mit der Zweitstimme gewählten Partei nicht für ungültig zu erklären, entspreche also
den wahlrechtlichen Vorgaben für die Wahlorgane und stellt keinen Wahlfehler dar.

4. Die Ansicht der Einspruchsführer, Ausgleichsmandate seien verfassungswidrig, entspreche nicht der Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der das ausgleichslose Anfallen von Überhangmandaten nur
in begrenztem Umfang verfassungsgemäß sei und ein Ausgleich von Überhangmandaten durch die Zuteilung
von Ausgleichsmandaten nahegelegt werde (BVerfGE 131 , 316 [357, 365 f.]). Das Bundeswahlgesetz in der
Fassung des 22. Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 3. Mai 2013 realisiere kein Ausgleichs-
system, bei dem beim Anfallen von Überhangmandaten bei einer Partei den anderen Parteien Ausgleichsman-
date zugewiesen würden. Vielmehr finde eine Sitzzahlerhöhung (§ 6 Absatz 5 BWG) mit anschließender
Oberverteilung nach Zweitstimmenanteil an alle Parteien statt (§ 6 Absatz 6 BWG). Alle vergebenen Mandate
entsprächen danach den Zweitstimmenanteilen der Parteien und ließen sich auf das Votum der Wähler mit der
Zweitstimme zurückführen. Keines der in der zweiten Stufe der Sitzverteilung nach bundesweitem Zweit-
stimmenproporz zugeteilten Mandate sei danach ein Überhangmandat oder ein Ausgleichsmandat, alle Man-
date seien Listenmandate oder auf Listenmandate angerechnete Direktmandate. Für die Argumentation der
Einspruchsführer, für Ausgleichsmandate gebe es in den Wahlurnen keine Stimmzettel, fehle darum die tat-
sächliche und rechtliche Grundlage. Es lasse sich über den durch das 22. Gesetz zur Änderung des Bundes-
wahlgesetzes eingeführten Ausgleichsmechanismus auch nicht – wie in den Einsprüchen vorgetragen – sagen,
einen Ausgleich erhielten nur die Wahlverlierer der Direktwahl, denn alle Parteien, auch diejenigen, deren
Wahlkreisbewerber viele Direktmandate gewonnen hätten, erhielten nach der Erhöhung der Gesamtzahl der
Sitze nach § 6 Absatz 5 BWG alle Sitze jeweils nach ihrem Zweitstimmenanteil. Insofern entspreche das deut-
sche Wahlrecht gerade nicht dem von den Einspruchsführern angeführten italienischen Wahlrecht, das mit

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 55 – Drucksache 18/2700

nicht dem Zweitstimmenverhältnis entsprechenden „Extramandaten“ für die stärkste Partei ein Gegenbeispiel
zu dem im 22. Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes realisierten Ausgleich durch Neuverteilung nach
Zweitstimmenproporz darstelle.

5. Sofern die Einspruchsführer die Normenklarheit und Verständlichkeit des Bundeswahlgesetzes beanstande-
ten, sei darauf hinzuweisen, dass das Bundeswahlgesetz in der Fassung des 22. Gesetzes zur Änderung des
Bundeswahlgesetzes vom 3. Mai 2013 weitestgehend dem bisherigen Recht entspreche und bei der Ermittlung
des Ergebnisses der Bundestagswahl am 22. September 2013 wie in der Vergangenheit von den Wahlorganen
korrekt ausgelegt und angewendet habe werden können (vgl. im Einzelnen die Berechnungen in der Veröffent-
lichung des Bundeswahlleiters, Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013, Heft 3 „Endgül-
tige Ergebnisse nach Wahlkreisen“, 2013, S. 312 bis 339).

Entscheidungsgründe

Der Einspruch ist zulässig, aber unbegründet. Dem Vortrag der Einspruchsführer lässt sich kein Verstoß gegen
Wahlrechtsvorschriften und damit kein Wahlfehler entnehmen.

Die Sitzverteilung bei der Bundestagswahl 2013 entsprach den einfachgesetzlichen Regelungen und den ver-
fassungsrechtlichen Vorgaben, wie die Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern überzeugend her-
ausarbeitet. Auf sie wird daher im Folgenden immer wieder Bezug genommen.

1. Anders als die Einspruchsführer meinen, gibt es im Deutschen Bundestag kein festes Mandatskontingent. Es
besteht auch keine Vorgabe, dass die Abgeordneten zur einen Hälfte direkt in den Wahlkreisen und zur anderen
Hälfte über Landeslisten gewählt werden müssen. Nur die Zahl der Direktmandate schreibt das Gesetz mit 299
ausdrücklich vor (§ 1 Absatz 2 BWG). Über die zulässige Zahl der über Landeslisten gewählten Abgeordneten
äußert sich das Bundeswahlgesetz nicht. Insbesondere schreibt es – anders als die Einspruchsführer glauben –
nicht vor, dass der Bundestag sich zur einen Hälfte aus direkt gewählten und zur anderen Hälfte aus über Lan-
deslisten gewählten Mitgliedern zusammensetzen muss. Die Zahl von 598 Abgeordneten, auf welche die Ein-
spruchsführer rekurrieren, gilt nur „vorbehaltlich der sich aus diesem Gesetz ergebenden Abweichungen". Die
Gesamtzahl der Sitze kann sich nach dem „neuen Wahlrecht“ – wie auch schon bei den vorangegangenen
Wahlen – mithin erhöhen. Eine solche Erhöhung sieht § 6 Abs. 5 Satz 2 BWG (n. F.) vor. Die nach dem
Bundeswahlgesetz ermittelte Zahl ist die gesetzliche Mitgliederzahl. Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Landesverfassungsgerichts, welches die Einspruchsführer anführen, betrifft allein die Zusammensetzung des
Landtages, dessen Mitgliederzahl zum damaligen Zeitpunkt in einer bestimmten Höhe in der Verfassung ver-
ankert war. Das Urteil richtete sich nach autonomem Landesverfassungsrecht und hat für die Bundestagswahl
keinerlei Bedeutung.

2. Es stimmt – wie die Einspruchsführer meinen –, dass durch die länderweise Zuordnung der Sitze nach § 6
Absatz 2 Satz 1 BWG in der ersten Stufe der Sitzverteilung der Effekt des so genannten negativen Stimmge-
wichts vermieden wird und dass eine die Zahl der nach dem Verhältnis der Zweitstimmen einer Landesliste
zustehenden Sitze übersteigende Zahl von Direktmandaten, die nach § 6 Absatz 4 Satz 2 BWG der Partei
erhalten bleiben, wie in der Vergangenheit zu einer Verschiebung des föderalen Proporzes führen. Hingegen
ist die Auffassung der Einspruchsführer unzutreffend, in den von Überhangmandaten betroffenen Ländern falle
der Ausgleich im Verhältnis ihrer Stimmanteile den sonstigen Parteien zu, durch die Ausgleichsmandate werde
eine weitere Verschiebung des föderalen Proporzes verursacht und durch einen nachträglichen Länderausgleich
der Proporz unter den Ländern wieder hergestellt. Durch das aktuelle Bundeswahlgesetz wird kein Ausgleichs-
modell normiert, bei dem in Ländern mit Überhangmandaten den anderen Landeslisten jeweils Ausgleichs-
mandate zugeteilt werden. Der Bundestag wird vielmehr solange vergrößert, bis bei allen Parteien alle Direkt-
mandate anrechenbar sind und darum (gerade) keine Überhangmandate entstehen. Nach dieser Erhöhung der
Gesamtzahl der Sitze gemäß § 6 Absatz 5 BWG werden nach § 6 Absatz 6 BWG n. F. alle Sitze nach dem
Verhältnis der Zweitstimmen – wie nach früherem Sitzzuteilungsrecht – zunächst in einer Oberverteilung auf
die Parteien und sodann in der Unterverteilung auf deren jeweilige Landeslisten verteilt. Alle den Parteien
zugeteilten Sitze entsprechen danach – auf erhöhtem Niveau – dem Verhältnis der Zweitstimmen der Parteien
(sog. nationaler Parteienproporz). Der föderale Proporz innerhalb der Parteien zwischen deren Landeslisten
wird wie bisher dadurch beeinträchtigt, dass nach § 6 Absatz 6 Satz 2 Halbsatz 2 BWG allen Landeslisten
mindestens die Zahl der in den Wahlkreisen des Landes von ihren Wahlkreisbewerbern errungenen Direktman-

Drucksache 18/2700 – 56 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

date zugeteilt wird. Dadurch erhalten Landeslisten mit vielen Direktmandaten – zur Verhinderung von Über-
hangmandaten in diesem Land – also mehr Sitze zugewiesen, als es dem innerparteilichen föderalen Proporz
entspricht. Diese zusätzlichen Sitze zur Anrechnung aller Direktmandate in diesem Land erhalten die Landes-
listen, bei denen Überhangmandate drohen. Diese Mandate entspringen aber dem Sitzzuwachs der jeweiligen
Partei, der durch die Bundestagsvergrößerung ermöglicht wird. Sie sind nicht das Ergebnis einer Kompensation
aus dem Listenmandatsanspruch anderer Landeslisten der Partei. Mithin wird die in der Vergangenheit durch
Überhangmandate verursachte Störung des föderalen Proporzes zwar nicht im Wege eines föderalen Vollaus-
gleichs beseitigt. Sie wird aber auch nicht durch eine Kompensation über Listenmandate in anderen Ländern
verschärft. Weil gemäß § 6 Absatz 5 BWG die Sitzzahl so lange erhöht wird, bis jede Partei bei der zweiten
Verteilung nach § 6 Absatz 6 Satz 1 BWG mindestens die für sie in der ersten Verteilung nach Sitzkontingenten
für sie ermittelte Zahl erhält, werden zugleich Erfolgswertunterschiede ausgeglichen, die bei unterschiedlicher
Wahlbeteiligung in den Ländern aus der in der ersten Stufe wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts
vom 25. Juli 2012 (BVerfGE 131, 316 [352]) nach Bevölkerungsanteilen erfolgenden Verteilung der Sitze auf
die Länder resultieren. Wenn aufgrund geringer Wahlbeteiligung oder wegen eines hohen Stimmenanteils von
Parteien, die (wegen Verfehlens der 5%-Sperrklausel nach § 6 Absatz 3 BWG) nicht an der Sitzverteilung
teilnehmen, einer Partei in einem Land in der ersten Stufe der Sitzverteilung mit unterdurchschnittlich vielen
Stimmen überdurchschnittlich viele Sitze zugeordnet wurden, so erhält sie auch in der zweiten Stufe mindes-
tens diese Sitzzahl. Um den bundesweiten Parteienproporz wieder herzustellen muss aber die Gesamtsitzzahl
solange erhöht werden, bis trotzdem der Zweitstimmenproporz zu den anderen Parteien gewahrt wird.

Beim Ergebnis der Bundestagswahl 2013 ist dementsprechend die Erhöhung der Gesamtsitzzahl gemäß § 6
Absatz 5 BWG nicht – wie die Einspruchsführer annehmen – durch die vier ohne Erhöhung bei Landeslisten
der CDU drohenden Überhangmandate verursacht worden. Vielmehr ist durch die Sitzzahlerhöhung der Zweit-
stimmenproporz aller übrigen Parteien mit der nur in Bayern angetretenen CSU wiederhergestellt worden, die
ansonsten von der überdurchschnittlichen Sitzzuteilung im bayerischen Sitzkontingent besonders profitiert
hätte (vgl. zur Berechnung der Bundestagsgröße Veröffentlichung des Bundeswahlleiters, Wahl zum 18. Deut-
schen Bundestag am 22. September 2013, Heft 3 „Endgültige Ergebnisse nach Wahlkreisen", Wiesbaden Okt.
2013, S. 312 ff. [320, 334]). Mehr Zweitstimmen für die CDU in Ländern, in denen nach der vorläufigen
Zuordnung der Sitze in der ersten Stufe der Sitzzuteilung Überhangmandate gedroht hätten, hätten bei der
anderweitig verursachten Sitzzahlerhöhung also nicht zu einer geringeren Bundestagsvergrößerung, also auch
nicht zu weniger Mandaten für die CDU und damit auch nicht – wie von den Einspruchsführern behauptet –
zu dem Effekt des negativen Stimmgewichts geführt. Unzutreffend ist der Einwand der Einspruchsführer, durch
den Ausgleich sei die Zahl der Listenmandate angestiegen, ohne dass auch die Zahl der erforderlichen Zweit-
stimmen angestiegen sei (siehe dazu 4.).

3. Hinsichtlich der Ausführungen der Einspruchsführer zum sog. Stimmensplitting ist kein Wahlfehler erkenn-
bar. Nach § 4 BWG stehen jedem Wähler zwei Stimmen zu. Wem er diese gibt, ist allein die Entscheidung des
Wählers. Wie auch § 69 Abs. 1 Nr. 2 BWO zeigt, ist es zulässig, mit der Erststimme den Direktkandidaten
einer Partei und mit der Zweitstimme die Landesliste einer anderen Partei zu wählen. Das sogenannte Stim-
mensplitting ist im geltenden Wahlrecht zugelassen, seine Möglichkeit dem Zweistimmenwahlsystem gleich-
sam immanent, wie der Wahlprüfungsausschuss stets festgestellt hat (vgl. Bundestagsdrucksachen 13/3928,
Anlage 22; 17/3100, Anlage 13). Das Schrifttum (vgl. Strelen, in: Schreiber, BWG, 9. Auflage 2013, § 4 Rn.
5) sowie das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 5, 7 [82]; 7, 63 [73]; 79, 161 [167]; 95, 335 [362]) sind
derselben Ansicht. Anders als die Einspruchsführer meinen, ergibt sich aus § 1 BWG nicht die Pflicht, beide
Stimmen immer der gleichen Partei zukommen zu lassen.

4. Entgegen der Auffassung der Einspruchsführer sind Ausgleichsmandate nicht verfassungswidrig. Im Gegen-
teil hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 25. Juli 2012 das ausgleichslose Anfallen
von Überhangmandaten nur in einem begrenzten Umfang für zulässig erachtet und – was die Einspruchsführer
übersehen – einen Ausgleich von Überhangmandaten durch die Zuteilung von Ausgleichsmandaten nahegelegt
(vgl BVerfGE 131, 316 [357, 365 f.]). Die Ausgleichsmandate sind auch nicht etwa Inhaber eines „Sonder-
mandats“, in das sie erst nach der Wahl obrigkeitlich eingesetzt wurden, wie die Einspruchsführer insinuieren.
Wie das Bundesministerium des Innern überzeugend ausgeführt hat, entsprechen alle vergebenen Mandate den
Zweitstimmenanteilen der Parteien und lassen sich auf das Zweitstimmenvotum der Wähler – ihre Stimmzettel
– zurückführen. Das Bundeswahlgesetz ordnet gerade nicht an, dass Überhangmandate der einen Partei zu
Ausgleichsmandaten anderer Parteien führen. Vielmehr findet eine Sitzzahlerhöhung (§ 6 Absatz 5 BWG) mit
anschließender Oberverteilung nach Zweitstimmenanteil an alle Parteien statt (§ 6 Absatz 6 BWG). Keines der

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 57 – Drucksache 18/2700

in der zweiten Stufe der Sitzverteilung nach bundesweitem Zweitstimmenproporz zugeteilten Mandate ist dem-
nach ein Überhang- oder ein Ausgleichsmandat. Alle Mandate sind Listenmandate oder (auf Listenmandate
angerechnete) Direktmandate. Wie das Wahlergebnis und die Sitzzuteilung zeigen, trifft auch die Behauptung
der Einspruchsführer nicht zu, nur die Wahlverlierer der Direktwahl hätten Ausgleichsmandate erhalten. Alle
Parteien, auch diejenigen wie zum Beispiel die CDU, deren Wahlkreisbewerber viele Direktmandate gewonnen
haben, erhielten nach der Erhöhung der Gesamtzahl der Sitze nach § 6 Absatz 5 BWG, und zwar jeweils nach
ihrem Zweitstimmenanteil. Dass sich die Zahl der Mandate erhöhen kann, ohne dass sich die absolute Stim-
menzahl erhöht hat, ist einem System, das die Mandate nicht nach Stimmenzahl, sondern nach dem relativen
Stimmenanteil verteilt, immanent.

5. Es trifft zu, dass das in § 6 BWG geregelte Sitzverteilungsverfahren nicht jedermann auf Anhieb verständlich
sein mag. Allerdings ist auch zu beachten, dass das Wahlrecht zum einen die Zielsetzung einer personalisierten
Verhältniswahl verfolgt und zum anderen strengen verfassungsrechtlichen Vorgaben folgt, wie die Urteile des
Bundesverfassungsgerichts aus den letzten Jahren zeigen. Davon abgesehen, dass das Bundeswahlgesetz in
seiner aktuellen Fassung weitestgehend dem bisherigen – ebenfalls nicht ohne Weiteres verständlichen – Recht
entspricht, konnten seine Vorgaben bei der Ermittlung des Ergebnisses der Bundestagswahl am 22. September
2013 wie in der Vergangenheit von den Wahlorganen korrekt ausgelegt und angewendet werden. Ein Wahl-
fehler ergibt sich daher aus der Gestaltung des Wahlrechts nicht.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 59 – Drucksache 18/2700

Anlage 9

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch

des Herrn D. M., 33609 Bielefeld,

– Az.: WP 224/13 –

gegen die Gültigkeit der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag
am 22. September 2013

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2014 beschlossen,
dem Deutschen Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird als unzulässig zurückgewiesen.

Tatbestand

Der Einspruchsführer hat mit einem Schreiben vom 7. September 2014 Einspruch gegen die Gültigkeit der
Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013 eingelegt.

Der Einspruchsführer meint, die Bundestagswahl habe wegen der ausschließlichen Verwendung von deutsch-
sprachigen Stimmzetteln und der Nichtverwendung von Stimmzetteln in „Sassenplatt“ gegen das Grundgesetz,
insbesondere gegen Artikel 3 und 5 verstoßen.

Wegen der Einzelheiten des Vortrages des Einspruchsführers wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Einspruch ist unzulässig, da er nicht fristgemäß eingelegt wurde. Gemäß § 2 Absatz 4 Satz 1 des Wahlprü-
fungsgesetzes müssen Wahleinsprüche binnen einer Frist von zwei Monaten nach dem Wahltag beim Deut-
schen Bundestag eingehen. Für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag lief diese Frist am 22. November 2013
um 24 Uhr ab. Der Einspruch wurde erst am 7. September 2014 November 2013 abgesandt und ist am 10.
September 2014 beim Deutschen Bundestag eingegangen. Da die Einspruchsfrist eine Ausschlussfrist ist, kann
sie vom Wahlprüfungsausschuss auch nicht verlängert werden.

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