BT-Drucksache 18/2679

Einstellung des Aussteigerprogramms HATIF durch den Verfassungsschutz

Vom 25. September 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2679
18. Wahlperiode 25.09.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Andrej Hunko,
Inge Höger, Stefan Liebich, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Petra Pau,
Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Einstellung des Aussteigerprogramms HATIF durch den Verfassungsschutz

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat Anfang September 2014 sein
Aussteigerprogramm „HATIF“, das sich an gewaltbereite Islamisten richtete, ein-
gestellt. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. Hans-Georg
Maaßen, begründete diesen Schritt im „Deutschlandradio“ (10. September
2014) damit, „als Nachrichtendienst sind wir eigentlich nicht der richtige
Ansprechpartner für diese Aussteigerprogramme“. Es seien auch nur „relativ
wenige Personen“ erreicht worden. Der Präsident verwies des Weiteren auf die
seit Januar 2012 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) be-
stehende „Beratungsstelle Radikalisierung“.
Die Fragesteller begrüßen die Einsicht des BfV, dass er nicht der richtige An-
sprechpartner für Aussteigerprogramme sei.
Da der Präsident des BfV den Plural verwendete, erwarten die Fragesteller, dass
der Verfassungsschutz nun auch seine Aussteigerprogramme für Neonazis sowie
sogenannte Linksextremisten einstellt. Es erschließt sich nicht, wieso der In-
landsgeheimdienst in diesen Bereichen eine höhere Kompetenz haben sollte.
Zudem ist auch dort die Resonanz sehr gering: Seit 2010 hat das BfV im Phäno-
menbereich Rechtsextremismus ganze 14 (erfolgreiche) Aussteiger betreut, im
Phänomenbereich Linksextremismus gab es seit dessen Einrichtung im Jahr
2012 einen einzigen Aussteiger (vgl. Bundestagsdrucksache 18/572 und die
Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage 36 der Abgeordneten
Ulla Jelpke auf Bundestagsdrucksache 18/815). Zivilgesellschaftliche Organisa-
tionen waren bei rechtsextremen Aussteigern wesentlich erfolgreicher, allein
beim Programm von EXIT Deutschland wurden zwischen den Jahren 2000 und
2012 insgesamt 434 Aussteiger registriert. Aussteiger aus linken politischen Zu-
sammenhängen sind nach Kenntnis der Fragesteller ohnehin nicht auf behörd-
liche Unterstützungen angewiesen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele, als ernsthaft eingestufte, Kontaktaufnahmen wurden im Rahmen

des HATIF-Programms registriert (bitte pro Jahr aufschlüsseln)?
a) Wie viele ausstiegswillige Personen haben dabei selbst angerufen?
b) Wie viele Angehörige von (mutmaßlich) radikalisierten Personen haben

angerufen?

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2. Wie viele Personen sind letztlich mit Hilfe des Verfassungsschutzes erfolg-
reich aus dem islamistischen Spektrum ausgestiegen (bitte ggf. angeben,
welchen Organisationen diese angehörten)?

3. Aufgrund welcher Annahmen war das BfV bei Einrichtung des Programms
davon ausgegangen, er sei in dieser Angelegenheit der richtige Ansprech-
partner?

4. Welche Erfahrungen, Überlegungen oder andere Informationen haben dazu
geführt, dass das BfV sich (jetzt) nicht mehr als richtiger Ansprechpartner
betrachtet?

5. Beabsichtigt das BfV, auch die Aussteigerprogamme für Neonazis und so-
genannte Linksextremisten einzustellen?
Wenn ja, inwiefern ist beabsichtigt, die Programme ganz oder teilweise an
andere Bundesbehörden oder Nichtregierungsorganisationen (welche) zu
übertragen?
Wenn nein, wie begründet die Bundesregierung, dass der Inlandsgeheim-
dienst diesbezüglich der richtige Ansprechpartner sei?

6. Wie wird, angesichts der Tatsache, dass etwa unter denjenigen Djihadisten,
die aus Deutschland zwecks Teilnahme an Kämpfen in den Nahen Osten
reisen, zahlreiche deutsche Staatsbürger sind, begründet, dass ausgerechnet
das BAMF eine Beratungsstelle für diesen Personenkreis bzw. dessen An-
gehörige unterhält?
a) Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind beim BAMF in dieser

Beratungsstelle eingebunden, und über welche einschlägigen Qualifika-
tionen verfügen diese?

b) Wie viele als ernsthaft eingestufte Kontaktaufnahmen hat die Beratungs-
stelle seit Beginn im Januar 2012 verzeichnet?

c) Wie viele ausstiegswillige Personen haben dabei selbst angerufen?
d) Wie viele Angehörige von (mutmaßlich) radikalisierten Personen haben

angerufen?
e) Wie viele erfolgreiche Aussteiger aus welchen Organisationen sind letzt-

lich registriert worden (bitte sämtliche Angaben nach Jahren untertei-
len)?

7. Wie genau war die bisherige Arbeit von HATIF konzipiert, welche kon-
kreten Beratungs- und Unterstützungsangebote wurden gemacht, und in
welchem Umfang sind diese wahrgenommen worden?

8. Wie ist die Arbeit der Beratungsstelle beim BAMF konzipiert, welche kon-
kreten Beratungs- und Unterstützungsangebote werden dort gemacht, und
in welchem Umfang sind diese bislang wahrgenommen worden?

9. Welche Kosten sind in der Vergangenheit (jährlich) durch HATIF entstan-
den und welche Kosten durch die Beratungsstelle beim BAMF?

10. Mit welchen nichtstaatlichen Beratungsstellen für radikalisierte Djihadisten
oder besorgte Angehörige arbeitet die Beratungsstelle beim BAMF zusam-
men?
a) Wer ist jeweils Träger dieser Stellen?
b) Inwiefern liegen der Bundesregierung konkrete Zahlen darüber vor, wie

viele erfolgreiche Aussteiger bei diesen nichtstaatlichen Stellen in den
letzten fünf Jahren jeweils registriert werden konnten?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2679
11. Welche Landesbehörden für Verfassungsschutz unterhalten nach Kenntnis
der Bundesregierung mit HATIF vergleichbare Programme, und welche
konkreten Erfahrungen machen diese (bitte soweit möglich Angaben zur
bisherigen Zahl erfolgreicher Aussteiger machen)?

12. Inwiefern und in welcher Höhe werden solche nichtstaatlichen Stellen vom
BAMF, anderen Bundesbehörden bzw. nach Kenntnis der Bundesregierung
von den Ländern gefördert?

13. Inwiefern werden bei den bereits bestehenden oder den geplanten Bera-
tungseinrichtungen muslimische Gemeinden oder deren Vertreter konzep-
tionell und praktisch eingebunden?
a) Welche Projekte werden gemeinsam mit muslimischen Gemeinden

durchgeführt oder geplant?
b) Welche Finanzmittel stehen hierfür zur Verfügung?
c) Wie bewertet die Bundesregierung die bisherige Resonanz (wenn mög-

lich, bitte konkrete Zahlen mitteilen)?
d) Welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

14. Inwiefern beabsichtigt die Bundesregierung, die Förderung solcher Bera-
tungsstellen auszuweiten?

15. Welche weiteren Maßnahmen will die Bundesregierung unternehmen bzw.
fördern, um durch Überzeugungsarbeit die Rekrutierung von Sympathisan-
ten oder Mitgliedern für Organisationen, wie den „Islamischen Staat“, zu er-
schweren und Ausstiegswillige sowie besorgte Angehörige zu unterstützen?

16. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den besonderen Unter-
stützungsbedarf für Personen, die aus djihadistischen Organisationen aus-
steigen wollen?
Welche Erkenntnisse hat sie über etwaige Gefährdungen solcher Personen
seitens ihrer (ehemaligen) Gesinnungsgenossen?

17. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den soziostrukturellen
Hintergrund jener aus Deutschland stammenden Djihadisten, die sich bis-
lang terroristischen Gruppierungen im Nahen Osten angeschlossen haben
(bitte soweit möglich Angaben zu Einkommensverhältnissen, Lebensalter,
schulische und berufliche Qualifikationen, Berufsbiografien und anderen
relevanten Faktoren machen), und welche Schlussfolgerungen zieht sie
daraus?

18. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über Aussteiger- und Deradika-
lisierungs- oder Präventionsprogramme in anderen EU-Staaten (bitte soweit
möglich nach den jeweiligen EU-Ländern aufgliedern)?
a) Welche ggf. unterschiedlichen Konzeptionen werden dort jeweils ver-

folgt?
b) Inwiefern sind bei den Programmen staatliche Behörden oder Nicht-

regierungsorganisationen federführend?
c) Welche Erfolge wurden damit bislang jeweils erreicht, welcher Optimie-

rungsbedarf wird gesehen, und auf welche allfälligen Bedenken hin-
sichtlich einer Beeinträchtigung von Grundrechten stoßen diese Pro-
gramme?

Drucksache 18/2679 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
d) Welche gemeinsamen Anstrengungen gibt es in der Europäischen Kom-
mission hinsichtlich solcher Programme, und welchen Stand der Um-
setzung haben diese?

Berlin, den 24. September 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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