BT-Drucksache 18/2651

Untersuchungsbericht zu den Zugentgleisungen im Stuttgarter Hauptbahnhof im Jahr 2012

Vom 24. September 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2651
18. Wahlperiode 24.09.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Matthias Gastel, Cem Özdemir, Christian Kühn (Tübingen),
Harald Ebner, Sylvia Kotting-Uhl, Beate Müller-Gemmeke, Stephan Kühn (Dresden),
Tabea Rößner, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Untersuchungsbericht zu den Zugentgleisungen im Stuttgarter Hauptbahnhof
im Jahr 2012

Am 24. Juli 2012 sowie am 29. September 2012 kam es bei der Ausfahrt aus
Gleis 10 des Stuttgarter Hauptbahnhofs zu Zugentgleisungen. Betroffen war an
beiden Tagen der aus elf Reisezugwagen bestehende Intercity 2312. Bei der
ersten Entgleisung wurden keine Personen verletzt, es entstand jedoch ein Sach-
schaden in Höhe von 370 000 Euro. Bei der zweiten Entgleisung wurden acht
Personen leicht verletzt und es entstand ein Sachschaden von rund 1,7 Mio.
Euro.
Die beiden Entgleisungen wurden von der Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle
des Bundes (EUB) untersucht. Zur Aufklärung der Unfallursache wurde am
9. Oktober 2012 eine Versuchsfahrt durchgeführt, die ebenfalls eine Entgleisung
zur Folge hatte.
Im Untersuchungsbericht der EUB (Aktenzeichen 60-60uu2012-09/00205) vom
8. April 2014 werden die Entgleisungen auf ein Versagen von Puffern an den
Reisezugwagen zurückgeführt, wobei jedoch angemerkt wird, dass „infrastruk-
turseitige Einflüsse der ausgereizten örtlichen Trassierung begünstigend wirk-
ten“ (EUB 2014, S. 9). Im Bericht heißt es weiter: „Das Projekt ,Stuttgart 21‘
bedingt zahlreiche Bauzwischenzustände, in denen Gleise umgebaut und Wei-
chen geändert werden müssen. In diesem Zusammenhang wurde auch die Aus-
fahrzugstraße aus Gleis 10 gebaut“ (EUB 2014, S.18). Um den während des
Bahnhofsumbaus gegebenen Beschränkungen zu genügen, wurde bei der Tras-
sierung dieser Ausfahrzugstraße „in diversen Punkten [z. B. Gleisbogenradius,
Längsneigung, Länge von Zwischengeraden] von den Regelwerten/Soll-Vor-
gaben abgewichen“ (EUB 2014, S. 24), zudem konzentrieren sich die ausgereiz-
ten Trassierungselemente „in einem örtlich eng begrenzten Raum“ (EUB 2014,
S. 48). „Diese Abweichungen sind durch das interne Regelwerk grundsätzlich
legitimiert und offenbar insbesondere wirtschaftlichen Erwägungen geschuldet“
(EUB 2014, S. 48).
Entgegen der Verpflichtung nach § 2 Absatz 4 der Eisenbahn-Unfallunter-
suchungsverordnung wurden bei der Unfalluntersuchung in mehreren Fällen
durch das EUB eingeforderte Unterlagen von der DB Netz AG und der DB Fern-
verkehr AG nicht eingereicht. So teilte zum Beispiel die DB Fernverkehr AG der
EUB nach acht Monaten mit, dass Puffer der an der Entgleisung vom 29. Sep-
tember 2012 beteiligten Wagen nicht mehr auffindbar seien. Eine weitere Nach-
forschung durch das EUB wurde nicht angestellt. Die Fachzeitschrift „Bahn-
Report“ hat in der Ausgabe Juli/August 2014 (vgl. Bahn-Report 4/2014, S. 11)

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über diesen von den Medien bisher kaum beachteten Aspekt berichtet. Weiterhin
ist der Untersuchungsbericht der EUB an mehreren Stellen unpräzise und enthält
am Ende keine konkreten Sicherheitsempfehlungen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie konnte festgestellt werden, dass die Zugentgleisung am 29. September

2012 „primärursächlich auf ein Versagen von Puffern an den im Zugverband
laufenden WRmz-Wagen und/oder von unmittelbar benachbarten Wagen
zurückzuführen ist“ (EUB 2014, S. 9), wenn die entsprechenden Puffer laut
DB Fernverkehr AG nicht mehr auffindbar waren und daher auch nicht zur
Untersuchung herangezogen werden konnten?

2. Warum hat die EUB, trotz der zurückliegenden zwei Entgleisungen, annä-
hernd acht Monate auf eine Antwort der DB Fernverkehr AG zum Verbleib
der relevanten Puffer der verunfallten Fahrzeuge vom 29. September 2012
gewartet, obwohl die EUB selbst in seinem Untersuchungsbericht betont,
dass „die verbauten Puffer […] bei der Untersuchung der Entgleisungen […]
von besonderer Bedeutung“ (EUB 2014, S. 34) sind?

3. Warum wurden die Hintergründe des Verschwindens der relevanten Puffer
der verunfallten Fahrzeuge vom 29. September 2012 durch die EUB nicht
weiter aufgeklärt?

4. Warum wurde durch die EUB nicht untersucht, warum die vier noch vorhan-
denen Puffer der Entgleisung vom 29. September 2012 „entgegen der Festle-
gung der DB Fernverkehr AG nicht zur Untersuchung nach Eberswalde über-
führt“ (EUB 2014, S. 41) wurden, sondern stattdessen noch in Stuttgart abge-
baut und zur AXTONE GmbH verbracht wurden?

5. Wird aktuell noch nach den verschwundenen Puffern gesucht?
Wenn ja, durch welche Stelle(n), und wenn nicht, warum nicht?

6. Sollten die verschwundenen Puffer noch aufgefunden werden, wird dann eine
erneute Untersuchung der Unfallursachen durchgeführt?

7. Warum wurde vonseiten der EUB gegenüber der DB Netz AG nicht auf eine
Aushändigung der im Zuge der gleisgeometrischen Überprüfung der Aus-
fahrzugstraße erteilten Auflagen bestanden, wenngleich die EUB feststellte,
dass „infrastrukturseitige Einflüsse, der ausgereizten örtlichen Trassierung,
begünstigend [für die Entgleisungen] wirkten“ (EUB 2014, S. 9) und diese
Auflagen folglich ggf. relevant für die Unfalluntersuchung gewesen wären?

8. Warum wurde vonseiten der EUB gegenüber der DB Netz AG nicht auf eine
Aushändigung der zu den Weichen-Übersichtsschreiben zugehörigen Über-
schreitungsprotokolle bestanden, obwohl sich am 24. Juli 2012 Mitarbeiter
der DB Netz AG vermutlich wegen eines Weichenfehlers im Bereich der
Ausfahrzugstraße von Gleis 10 aufhielten und diese Unterlagen folglich ggf.
relevant für die Unfalluntersuchung gewesen wären?

9. Warum wurde vonseiten der EUB gegenüber der DB Fernverkehr AG nicht
auf eine Aushändigung von Fachgutachten bestanden, die den Angaben der
Deutschen Bahn AG (DB AG) zum Verhalten der Puffer zugrunde liegen,
obwohl die EUB vermutet, dass „bei den Simulationen ideale Bedingungen
unterstellt wurden […] [sowie verschiedene Annahmen] nicht wirklichkeits-
nah in die Betrachtung eingegangen sind“ (EUB 2014, S. 52 f) und diese
Unterlagen folglich ggf. relevant für die Unfalluntersuchung gewesen wären?

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10. Sind Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) und Eisenbahninfrastruktur-
unternehmen (EIU) rechtlich verpflichtet, von der EUB eingeforderte und
für die Aufklärung von Unfallursachen relevante Unterlagen oder sonstige
Gegenstände auszuhändigen, und wenn ja, welche rechtlichen Mittel stehen
der EUB hier bei unkooperativen Verhalten der EIU oder EVU zur Verfü-
gung?

11. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, die rechtlichen Kompeten-
zen der EUB zu stärken, um künftig das Aushändigen von Unterlagen von
EIU und EVU erzwingen zu können und so Ursachen von verheerenden
Ereignissen schneller und präziser aufklären zu können?

12. Warum wurde von der EUB abschließend nicht näher konkretisiert, wie
„Trassierungen außerhalb von Regelwerten und Sollvorgaben stärker zu re-
glementieren“ (EUB 2014, S. 53) sind?

13. Mit welchen konkreten Änderungen wird oder wurde nach Kenntnis der
Bundesregierung der Empfehlung der EUB gefolgt, „Trassierungen außer-
halb von Regelwerten und Sollvorgaben stärker zu reglementieren“ (EUB
2014, S. 53)?

14. Welche konkreten Maßnahmen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung
ergriffen, um künftige Entgleisungen bei der Ausfahrt aus Gleis 10 aus dem
Hauptbahnhof Stuttgart zu vermeiden?

15. Warum wurde am 24. Juli 2012 nach der Entgleisung keine ereignisbedingte
Erdung der Oberleitung durchgeführt (vgl. EUB 2014, S. 17), und wie
schätzt die Bundesregierung die hieraus resultierenden Gefährdungen für
Fahrgäste und Rettungskräfte ein?

16. Hält die Bundesregierung angesichts der bei Ausfahrt aus Gleis 10 auftre-
tenden minimalen Puffertellerüberdeckung von 20 Millimetern (vgl. auch
Abb. 15 in EUB 2014, S. 47 f) eine strengere Reglementierung der Trassie-
rungsvorschriften insbesondere hinsichtlich der örtlichen Überlagerung von
Regel- und Sollwertabweichungen für notwendig?

17. Warum wurde die Rolle der Trassierung der Ausfahrzugstraße aus Gleis 10
für die Zugentgleisungen seitens der EUB im Bericht nicht konkret bewer-
tet, sondern stattdessen nur festgestellt, dass „in diversen Punkten von Re-
gelwerten/Soll-Vorgaben abgewichen wurde“ (EUB 2014, S. 26), sich
„durch eine konsequentere Trassierung mit Regelwerten und Sollvorgabe
[…] die Eisenbahnsicherheit erhöhen“ (EUB 2014, S. 49) ließe und die aus-
gereizte Trassierung begünstigend wirkte?

18. Welche explizite bauliche Besonderheit der Trassierung an der Unfallstelle
wirkte für die Entgleisung „begünstigend“ (EUB 2014, S. 9), und wo im
deutschen Schienennetz tritt nach Kenntnis der Bundesregierung eine sol-
che oder eine vergleichbar örtlich eng begrenzte Abfolge von Trassierungs-
elementen auf, die ähnliche Regel- und Sollwertabweichungen aufweist
(bitte einzeln und tabellarisch ausweisen)?

Berlin, den 23. September 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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