BT-Drucksache 18/2572

Reaktionen der Bundesregierung auf die Ebola-Epidemie in Westafrika

Vom 18. September 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2572
18. Wahlperiode 18.09.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Niema Movassat, Heike Hänsel, Jan van Aken, Christine
Buchholz, Annette Groth, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Kathrin
Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Reaktionen der Bundesregierung auf die Ebola-Epidemie in Westafrika

Die derzeitige Ebola-Epidemie in Westafrika ist die schwerste seit der Entde-
ckung des Virus im Jahr 1976 und droht auf weitere Länder überzugreifen. Die
Zahl der Infizierten steigt mittlerweile exponentiell und ist ebenso wie die Zahl
der Todesopfer mit einer hohen Dunkelziffer verbunden. Schätzungen sprechen
heute von rund 4 800 Infizierten und 2 400 Toten. Die Weltgesundheitsorganisa-
tion (WHO) richtet bereits seit Wochen dramatische Appelle an die internatio-
nale Gemeinschaft und fordert eine angemessene Reaktion auf die historische
Krise. Laut WHO könnte der jetzige Ebola-Ausbruch Auswirkungen wie der
Tsunami im Jahr 2004 oder das Erdbeben auf Haiti im Jahr 2010 erreichen.
Damals starben rund 230 000 beziehungsweise 316 000 Menschen.
Guinea, Sierra Leone und Liberia zählen zu den am wenigsten entwickelten
Staaten der Welt und sind am stärksten von der Epidemie betroffenen. Ihre Ge-
sundheitssysteme stehen unmittelbar vor dem totalen Kollaps. Das medizinische
Personal arbeitet unter Einsatz des eigenen Lebens unter schwierigsten Bedin-
gungen gegen das hochansteckende Virus. Mindestens 256 Ärztinnen und Ärzte
und Krankenschwestern und Pfleger haben sich offiziell bisher infiziert, 134
sind gestorben. Es fehlt an technischen Mitteln und Erfahrung, um Isolations-
maßnahmen auch in abgelegen Regionen und großer Hitze umfassend zu ge-
währleisten.
Vielerorts mangelt es außerdem an rudimentärer Aufklärung. Für die örtliche
Bevölkerung schürt das gleichzeitige Auftreten der ersten Toten mit den Ärzte-
teams in Schutzanzügen und mobilen Isolationsstationen unter Umständen gro-
ßes Misstrauen. Infizierte Verwandte versterben kurz nach der Aufnahme in die
Isolationsstationen, wegen des großen Infektionsrisikos dürfen sie nicht einmal
traditionsgemäß beerdigt werden. Aus Angst und Misstrauen verstecken sich
Menschen bei Fiebersymptomen, entziehen sich einer medizinischen Behand-
lung und verstärken so das Ansteckungsrisiko. In der liberianischen Hauptstadt
Monrovia bleiben hochansteckende Leichname in den Straßen liegen, weil es zu
wenige Kapazitäten gibt, sie unter Wahrung von Quarantänevorschriften einzu-
sammeln.
Maßnahmen, wie die geplante viertägige landesweite Ausgangssperre in Sierra
Leone, um in jedem Haus nach Infizierten zu suchen, können sich sehr schnell
als kontraproduktiv herausstellen, weil sie das Vertrauen der Bevölkerung weiter
erschüttern. Das Gleiche gilt für die von US-Präsident Barack Obama angekün-
digte Entsendung von bis zu 3 000 US-Soldaten zum Aufbau von Quarantäne-
stationen und Schutz internationaler Helfer.

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Wie auch bei anderen Krankheiten, von denen nur arme Länder betroffen sind,
hat die Pharmaindustrie in der Vergangenheit viel zu wenig in die Erforschung
von Medikamenten und Impfstoffen gegen Ebola investiert. So existieren zwar
schon Mittel gegen das Virus, sind aber bisher nicht klinisch an Menschen ge-
testet und deshalb nicht flächendeckend einsatzbereit. In Einzelfällen sind sie
zwar bereits zur Rettung von infiziertem Pflegepersonal eingesetzt worden. Der
Einsatz ungetesteter Mittel und die extrem selektive Auswahl der Empfängerin-
nen und Empfänger sind höchst umstritten.
Hilfsorganisationen, die Personal von Deutschland aus in die betroffenen
Gebiete schicken, fordern von der Bundesregierung eine Garantie, dass ihr Per-
sonal im Fall einer Infektion die bestmögliche medizinische Betreuung bekommt
und unbürokratisch zur Behandlung nach Deutschland ausgeflogen wird. Ohne
diese Garantie ist es erheblich schwieriger, medizinisches Personal für die
Ebola-Bekämpfung in Westafrika zu mobilisieren.
Durch das grassierende Virus ist die Wirtschaft in Teilen der betroffenen Länder
bereits weitgehend zusammengebrochen, ausländische Firmen haben die Arbeit
eingestellt. Immer mehr Fluglinien fliegen die betroffenen Länder gar nicht
mehr an. Die Nahrungsmittelproduktion ist bereits auf nur noch rund 40 Prozent
des Vorjahresniveaus gesunken, weil anstehende Ernten nicht eingeholt werden.
Hilfsorganisationen rechnen ab März 2015 mit einer massiven Hungersnot, die
Lebensmittelpreise sind bereits massiv gestiegen. Zusätzlich zur medizinischen
humanitären Hilfe brauchen die Menschen deshalb dringend Nahrungsmittel
und die betroffenen Staaten Finanzhilfen.
Als der Weltsicherheitsrat sich im Jahr 2000 das erste und bisher einzige Mal mit
einer internationalen Gesundheitskrise beschäftigte, ging es um die Verbreitung
von AIDS. Am 18. September 2014 hat der Rat über Ebola als Gefahr für die
internationale Sicherheit beraten. Einige betroffene Staaten haben bereits davor
gewarnt, ihre staatliche Existenz sei durch die Verbreitung des Virus gefährdet.
Die Bundesregierung hat bisher lediglich etwa 12 Mio. Euro zur Bekämpfung
der Epidemie zur Verfügung gestellt. Alleine die private Bill & Melinda Gates
Stiftung hat angekündigt, mit 50 Mio. US-Dollar rund das Vierfache des Bei-
trags der Bundesregierung zu leisten. Die von der Generaldirektorin der WHO
Margaret Chan Fung Fu-chun vorgelegte Roadmap sieht einen Finanzbedarf von
mindestens 490 Mio. US-Dollar, um alleine die Ausbreitung des Virus in den
Griff zu bekommen. Neben finanziellen Hilfen müsste Deutschland insbeson-
dere in den Bereichen Schulung von Pflegepersonal im Umgang mit medizini-
schen Isolationsmaßnahmen, Entsendung von Fachkräften und Behandlung von
Infizierten in Deutschland, Bereitstellung von Desinfektions- und Quarantäne-
mitteln sowie Nahrungsmittelhilfen seine Unterstützung deutlich ausbauen. Die
Bundesrepublik Deutschland als viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt muss
endlich eine ihrer Wirtschaftskraft angemessenen Beitrag gegen die historische
Gesundheitskrise leisten.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung den aktuellen Ebola-Aus-

brüchen in Afrika bei?
2. Welche Bedeutung hat der Infektionsschutz in der Entwicklungspolitik der

Bundesregierung?
3. Welche finanziellen und nichtmonetären Beiträge leistet die Bundesregie-

rung derzeit konkret, um eine weitere Ausbreitung des Ebola-Virus in Afrika
zu verhindern, und was ist bereits in Planung (bitte nach Art, Umfang und
Ländern aufschlüsseln)?

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4. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der WHO, dass zu einer erfolg-
reichen Eindämmung der Ausbreitung des Virus in Westafrika mindestens
490 Mio. US-Dollar Finanzmittel nötig wären?

5. In welcher Höhe und wann wird die Bundesregierung die finanziellen Mit-
tel zur Bekämpfung der Ebola-Epidemie aufstocken, damit die von der
WHO in der Roadmap veranschlagten 490 Mio. US-Dollar schnellstmög-
lich zur Verfügung stehen?

6. Welche Rolle gedenkt die Bundesregierung insgesamt in der Operationali-
sierung der Roadmap der WHO zu spielen?

7. Welche zusätzlichen nichtmonetären Beiträge gegen die Verbreitung des
Virus plant die Bundesregierung in den einzelnen von der Epidemie betrof-
fenen Ländern und leistet sie schon heute?

8. Plant die Bundesregierung die Entsendung des Technischen Hilfswerks
oder anderer Katastrophenschutzteams zur Verbesserung der Infrastruktur,
zum Betrieb von Quarantänestationen und anderer medizinischer Einrich-
tungen sowie zur Versorgung internationaler Hilfsteams?

9. Welchen Beitrag leistet die Bundesregierung heute zur Vorbeugung der be-
fürchteten Hungersnot, wird sie die Mittel dafür aufstocken, und wie sollen
sie genau eingesetzt werden (bitte nach Ländern aufschlüsseln)?

10. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen um klinische Test-
reihen an Menschen mit bereits entwickelten Wirkstoffen und Impfstoffen
gegen das Ebola-Virus zu beschleunigen, und welche Maßnahmen plant sie
diesbezüglich für die Zukunft?

11. Wie viel der von der Bundesregierung geleisteten Förderung des Heinrich-
Pette-Instituts für experimentelle Virologie in Höhe von jährlich 5,9 Mio.
Euro fließt konkret in die Ebola-Forschung?

12. Wie viel der von der Bundesregierung geleisteten Förderung des Bernhard-
Nocht-Instituts für Tropenmedizin in Höhe von jährlich 7,6 Mio. Euro fließt
konkret in die Ebola-Forschung?

13. Wie hoch ist der jährliche Beitrag der Bundesregierung für den Forschungs-
bereich „Neuauftretende Infektionskrankheiten“ am Deutschen Zentrum
für Infektionsforschung, und wie viel davon fließt konkret in die Ebola-For-
schung?

14. Welche Beiträge leistet die Bundesregierung bisher in den Bereichen Sen-
sibilisierung- und Hygienekampagnen in den westafrikanischen Staaten,
und wie will sie diese Bemühungen im Gesundheits- und Bildungsbereich
im Kampf gegen Ebola zukünftig intensivieren?

15. Nachdem bereits 16 deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler,
unter anderem des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr, seit Beginn
des Ebola-Ausbruchs nach Guinea entsandt wurden, was sind die Ergeb-
nisse ihrer bisherigen Arbeit, und wie viele weitere Wissenschaftler welcher
Institute plant die Bundesregierung mit welchem Auftrag in welche Länder
zu entsenden?

16. Wird die Bundesregierung bei einer Entsendung von US-Soldaten in die
betroffenen Länder mit dem US-Militär zusammenarbeiten oder gegebe-
nenfalls deutsches Pflegepersonal und andere sich im Einsatz befindende
Bundesbürger von den US-Truppen schützen lassen?

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17. Welche Einheiten der Bundeswehr sollen nach Überlegungen der Bundes-
regierung mit welchen Aufgaben in welchen Ländern eingesetzt werden?

18. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Vertrauensbildung bei der
Bevölkerung eine wichtige Voraussetzung für die effektive Bekämpfung
der Ebola-Epidemie ist?

19. Kann nach Auffassung der Bundesregierung der Einsatz von bewaffneten
Soldaten in Uniform das ohnehin labile Vertrauen der örtlichen Bevölkerun-
gen in die Zusammenarbeit mit den internationalen Helferinnen und Hel-
fern zusätzlich erschüttern?

20. Welche anderen Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, schnell qualifi-
ziertes und entsprechend ausgestattetes medizinisches Personal in die von
Ebola betroffene Region zu entsenden?

21. Warum ist das vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) unterstützte
Trainingsprogramm zur Schulung von medizinischem Personal in West-
afrika zum Umgang mit hochansteckenden Krankheiten unter Führung des
Robert Koch-Instituts noch nicht angelaufen (Antwort der Bundesregierung
auf die Schriftliche Frage 9/24 des Abgeordneten Niema Movassat), wann
wird es anlaufen, und warum fördert das BMG das wichtige Programm nur
mit 315 000 Euro?

22. Warum stellt die Bundesregierung das in Togo von der Gesellschaft für In-
ternationale Zusammenarbeit bereitgestellte Informationsmaterial auf
WHO-Standard zur Prävention einer weiteren Ebola-Ausweitung nur in
diesem bisher nicht von der Epidemie betroffenen Land zur Verfügung
(Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage 20 des Abgeord-
neten Niema Movassat auf Bundestagsdrucksache 18/2529), und wie hoch
sind die für dieses Programm eingesetzten finanziellen Mittel?

23. Welche Initiativen gedenkt die Bundesregierung im Rahmen der Europä-
ischen Union, der Vereinten Nationen sowie der G7 (Group of Seven) zu
ergreifen, um dem historischen Ausmaß der aktuellen Ebola-Epidemie ge-
recht zu werden und eine weitere Verbreitung zu stoppen?

24. Wie verfahren nach Kenntnis der Bundesregierung die Bundesländer derzeit
bei Abschiebefällen aus Deutschland in die von Ebola betroffenen Staaten,
und müssten solche Abschiebungen nach Auffassung der Bundesregierung
nicht umgehend aus humanitären Gründen ausgesetzt werden?

25. Welche Bedrohung geht nach Ansicht der Bundesregierung von der aktuel-
len Ebola-Epidemie für Deutschland aus?

26. Inwieweit sind deutsche Kliniken auf Ebola-Fälle in Deutschland vorberei-
tet, und wie viele geeignete spezielle Quarantänestationen mit wie vielen
Betten gibt es deutschlandweit (bitte detailliert auflisten)?

27. Ist nach Kenntnis der Bundesregierung geplant, die Anzahl der Quarantäne-
stationen hierzulande zu erhöhen und zusätzlich Ärztinnen, Ärzte und
Pflegepersonal speziell auf die Behandlung von Ebola-Fällen vorzubereiten?

28. Mit welchen Folgen rechnet die Bundesregierung für die afrikanischen
Staaten, sowohl was die direkte Weiterverbreitung des Virus angeht als auch
die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen?

29. Welche Kapazitäten stehen für die medizinische Evakuierung von infizier-
tem Gesundheitspersonal heute zur Verfügung, und welche Maßnahmen
plant die Bundesregierung zu ergreifen, um Transport, Einreise und Be-
handlung von infiziertem internationalen Gesundheitspersonal auch nach
und in Deutschland unbürokratisch und schnell zu gewährleisten?

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30. Wie viele von der aktuellen Ebola-Epidemie Betroffene werden heute schon
in Deutschland behandelt, nach welchen Kriterien erfolgt die Auswahl, und
ist eine Ausweitung dieser Behandlungsmöglichkeit auf einen größeren
Personenkreis geplant?

Berlin, den 18. September 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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