BT-Drucksache 18/251

Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr

Vom 6. Januar 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/251
18. Wahlperiode 06.01.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katrin Kunert, Diana Golze, Christine Buchholz,
Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Inge Höger, Ulla Jelpke, Michael Leutert,
Dr. Alexander S. Neu, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr

Die Bundesrepublik Deutschland hat das Fakultativprotokoll zur UN-Kinder-
rechtskonvention (UN = United Nations) betreffend die Beteiligung von Kindern
in bewaffneten Konflikten mit erarbeitet und am 13. Dezember 2004 ratifiziert.
Als nichtständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates hat sie zudem im Jahr 2011
den Vorsitz in der entsprechenden UN-Arbeitsgruppe übernommen mit dem
Ziel, die Rekrutierung und Verwendung von Minderjährigen für militärische
Zwecke, insbesondere als Kindersoldaten, wirksam zu bekämpfen. Im Sinne der
UN-Kinderrechtskonvention ist hierbei die Volljährigkeitsgrenze von 18 Jahren
zu beachten. Nach Ansicht und Anwendungspraxis einer deutlichen Ratifizie-
rungsmehrheit des Zusatzprotokolls soll dies nicht nur für die Zwangsrekru-
tierung von Kindersoldaten durch paramilitärische Gruppen gelten, sondern
auch für den obligatorischen oder freiwilligen Militärdienst in einer staatlichen
Armee.
Deutschland gehört zu den wenigen Vertragsstaaten, die im eigenen Land von
der Ausnahmeregelung des Fakultativprotokolls Gebrauch machen und minder-
jährige Freiwillige anwerben. In der Praxis betrifft dies freiwillig Wehrdienst-
leistende und Soldatinnen und Soldaten auf Zeit, die als 17-Jährige bei der Bun-
deswehr eine militärische Ausbildung beginnen. Wenngleich unter 18-jährige
Bundeswehrangehörige nicht Kindersoldaten in bewaffneten Konflikten gleich-
zustellen sind und auch nicht an Auslandseinsätzen teilnehmen, werden sie im
Widerspruch zum Anliegen des UN-Fakultativprotokolls im Rahmen ihrer mili-
tärischen Ausbildung als Minderjährige an Waffen geschult und grundsätzlich
für dieselben Aufgaben wie Volljährige eingesetzt. Nach Angaben der Bundes-
regierung wurden 2012 insgesamt 1 216 freiwillig Wehrdienstleistende und
Soldatinnen und Soldaten auf Zeit unter 18 Jahren eingestellt (vgl. Bundestags-
drucksache 17/14082), obwohl der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes die
Bundesregierung bereits 2008 aufgefordert hatte, das Mindestrekrutierungsalter
auf 18 Jahre anzuheben:
„Der Ausschuss stellt fest, dass die große Mehrheit der Vertragsstaaten des Pro-
tokolls die freiwillige Einberufung von Kindern nicht erlaubt. Der Ausschuss er-
muntert daher den Vertragsstaat, das Mindestalter für den Wehrdienst auf 18 Jahre
zu erhöhen, um den Schutz des Kindes durch insgesamt höhere gesetzliche Stan-
dards zu fördern.“ (www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/360834/
publicationFile/3631/, S. 3, abgerufen am 11. Dezember 2013).
Zur Nachwuchsrekrutierung werden Minderjährige von der Bundeswehr gezielt
angeschrieben. Hinzu kommt, dass extra kreierte Veranstaltungskonzepte wie

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„Bw-Musix“ oder „Bw-Beachen“ aufgrund ihres Eventcharakters vor allem Ju-
gendliche ansprechen. Die Meldebehörden sind laut § 58c des Soldatengesetzes
dazu verpflichtet, bis zum 31. März eines laufenden Jahres die personenbezoge-
nen Daten von Minderjährigen, die im darauf folgenden Jahr volljährig werden,
an das Bundesamt für Personalmanagement der Bundeswehr zu übermitteln.
Damit soll die Übersendung von „Informationsmaterial“ ermöglicht werden.
Gegen die Datenweitergabe können die Betroffenen zwar Einspruch einlegen,
über diese Möglichkeit wird Medienberichten zufolge aber nur unzureichend in-
formiert (vgl. www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Demonstranten-
besetzen-Dach-des-Buergeramts, abgerufen am 3. Dezember 2013). Bei dem
„Informationsmaterial“ handelt es sich um einseitige Werbebroschüren für den
Dienst in der Bundeswehr.
Das Deutsche Bündnis Kindersoldaten, dem die Aktion Weißes Friedensband
e. V., Amnesty International, Deutsches Jugendrotkreuz, Deutsches National-
komitee des Lutherischen Weltbundes, Kindernothilfe e. V., terre des hommes
Deutschland e. V., UNICEF Deutschland, Plan International Deutschland e. V.
und World Vision Deutschland e. V. u. a. angehören, kritisiert diese Praxis der
Bundesregierung regelmäßig in seinem jährlichen „Schattenbericht Kinder-
soldaten“. Auch andere zivilgesellschaftliche Organisationen wie das Forum
Menschenrechte, der Arbeitskreis Darmstädter Signal und die Gewerkschaft Er-
ziehung und Wissenschaft appellierten zusammen mit dem Deutschen Bündnis
Kindersoldaten erst kürzlich in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin
Dr. Angela Merkel, die Anwerbung von minderjährigen Freiwilligen für die
Bundeswehr zu beenden (vgl. www.kindersoldaten.info/kindersoldaten_mm/
downloads/Lobbyarbeit/Offener_Brief_Merkel_final_ohneUnterschr.pdf, abge-
rufen am 4. Dezember 2013).
In diesem Zusammenhang ist es eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit,
dass Deutschland mit gutem Beispiel vorangeht und auf die Anwerbung von
minderjährigen Freiwilligen für die Bundeswehr verzichtet, um auf internatio-
naler Ebene wirksamer zum Schutz von Kindern vor der Rekrutierung für be-
waffnete Konflikte beizutragen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einschätzungen im aktuellen „Schat-

tenbericht Kindersoldaten“, und welche konkreten Konsequenzen zieht die
Bundesregierung aus den Forderungen des Schattenberichts?

2. Welche anderen Vertragsstaaten nutzen nach Kenntnis der Bundesregierung
derzeit noch die Ausnahmemöglichkeiten des Fakultativprotokolls zur UN-
Kinderrechtskonvention, um unter 18-jährige Freiwillige für ihre staatlichen
Streitkräfte zu rekrutieren?

3. Welche Gründe sprechen aus Sicht der Bundesregierung dagegen, der mehr-
fachen Aufforderung des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes bislang
nicht nachzukommen, auf die menschenrechtlich und jugendschutzrechtlich
kritikwürdige Praxis der Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundes-
wehr zu verzichten?

4. Wie positioniert sich die Bundesregierung zur aktuellen Forderung von
Nichtregierungs- und Menschenrechtsorganisationen, wie z. B. von terre des
hommes Deutschland e. V., wonach Deutschland für die Rekrutierung von
Bundeswehrpersonal endlich die Volljährigkeitsgrenze anerkennen und ein-
halten müsse (vgl. www.tdh.de/was-wir-tun/themen-a-z/bundeswehr-an-
schulen/forderungen-und-ziele.html, abgerufen am 11. Dezember 2013)?

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5. Wie viele freiwillig Wehrdienstleistende und Soldatinnen und Soldaten auf
Zeit, die als Minderjährige angeworben und eine militärische Ausbildung
erhalten haben, wurden anschließend nach Vollendung ihres 18. Lebensjah-
res in Auslandseinsätze der Bundeswehr geschickt (bitte nach Jahren, Zahl
der eingesetzten Soldatinnen und Soldaten und dem jeweiligen Auslands-
einsatz aufschlüsseln)?

6. Ist bei dieser Personenkohorte nach Kenntnis der Bundesregierung ein
überdurchschnittliches Auftreten von posttraumatischen Belastungsstörun-
gen festzustellen, und falls ja, um wie viel höher fällt der Anteil an erkrank-
ten Betroffenen aus?

7. Existiert nach Kenntnis der Bundesregierung bei Auslandseinsätzen dieser
Personenkohorte ein Zusammenhang zwischen dem konkreten Tätigkeits-
feld und dem möglichen Auftreten einer posttraumatischen Belastungsstö-
rung, und falls ja, in welchen Bereichen ist ein höheres Gefährdungsrisiko
für das Auftreten dieser Erkrankung vorhanden?

8. Wie sehen die konkreten Bestimmungen zum Schutz von Minderjährigen
nach dem Fakultativprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention, dem Ju-
gendschutz und dem Jugendarbeitsschutz innerhalb der Bundeswehr aus,
und wie ist deren Einhaltung in der täglichen Praxis gewährleistet?

9. Wie viele mutmaßlichen Verstöße gegen das Fakultativprotokoll, das Ju-
gendschutzgesetz und das Jugendarbeitsschutzgesetz sind der Bundesregie-
rung seit Einführung des Freiwilligen Wehrdienstes (FWD) innerhalb der
Bundeswehr bekannt geworden (bitte nach Jahren und Art des Verstoßes
aufschlüsseln)?

10. Welche disziplinarstrafrechtlichen Möglichkeiten sind derzeit vorhanden,
um etwaige mutmaßliche Verstöße infolge eines mangelhaften Minderjäh-
rigenschutzes durch Ausbilder und Vorgesetzte innerhalb der Bundeswehr
zu ahnden?

11. In wie vielen Fällen wurden seit Einführung des FWD bekannt gewordene,
mutmaßliche Verstöße infolge eines mangelhaften Minderjährigenschutzes
darüber hinaus auch zur Strafanzeige gebracht, und in wie vielen Fällen
kam es ggf. zu einer Verurteilung (bitte möglichst nach Jahren, Art des
Strafdelikts und Strafmaß aufschlüsseln)?

12. Inwieweit berücksichtigt die gegenwärtige Wehrbeschwerdeordnung die
besondere Schutzbedürftigkeit von Minderjährigen unter 18 Jahren nach
der UN-Kinderrechtskonvention, und in welchen Bereichen erkennt die
Bundesregierung ggf. Korrektur- oder Ergänzungsbedarf?

13. Welchen Stellenwert besitzen die Grundsätze des Beutelsbacher Konsenses
für die politische Bildung in der Bundeswehr im Rahmen des Konzepts
Innere Führung?

14. Inwieweit müssten nach Ansicht der Bundesregierung auch die Informa-
tionsmaterialien der Bundeswehr zur Nachwuchsgewinnung die Grund-
prinzipien des Beutelsbacher Konsenses berücksichtigen, und welche gene-
rellen Evaluierungsmöglichkeiten sind diesbezüglich vorhanden?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die Informationsmaterialien der Bundes-
wehr zur Nachwuchsgewinnung im Hinblick auf die besondere Schutz-
bedürftigkeit von Minderjährigen nach der UN-Kinderrechtskonvention
und eine angemessene Aufklärung über vorhandene berufsspezifische Risi-
ken wie z. B. bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr?

Drucksache 18/251 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
16. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einschätzung von terre des hommes
Deutschland e. V., wonach kontroverse Diskussionen mit Soldaten an Schu-
len nur dann mit den Kinderrechten zu vereinbaren sind, wenn strenge Auf-
lagen eingehalten werden, die eine manipulative, einseitige Werbung aus-
schließen sowie weitere, kritische Expertinnen und Experten dazu ver-
pflichtend eingeladen werden (vgl. www.tdh.de/was-wir-tun/themen-a-z/
bundeswehr-an-schulen/forderungen-und-ziele.html, abgerufen am 11. De-
zember 2013)?

Berlin, den 6. Januar 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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