BT-Drucksache 18/227

Novellierung des Düngerechts zur Reduzierung von Nährstoffüberschüssen

Vom 19. Dezember 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 18/227
18. Wahlperiode 19.12.2013
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Caren Lay, Karin Binder,
Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, Cornelia Möhring, Hubertus Zdebel
und der Fraktion DIE LINKE.

Novellierung des Düngerechts zur Reduzierung von Nährstoffüberschüssen

Obwohl es in den vergangenen Jahrzehnten beachtliche Fortschritte gegeben
hat, sind die Überdüngung landwirtschaftlicher Flächen und die damit verbun-
dene Nährstoffauswaschung noch immer problematisch. Die negativen Auswir-
kungen betreffen besonders Oberflächen- und Grundwasser, die terrestrische
und aquatische Biodiversität und das Klima.
Phosphat und Nitrat tragen zur Eutrophierung der Gewässer bei. Dadurch wer-
den europäische Schutzziele, beispielsweise ein guter Umweltzustand der Ost-
see bis zum Jahr 2020, gefährdet. Gerade die Belastung der Küstengewässer ist
laut dem Nitratbericht 2012 Deutschlands deutlich gestiegen. Von den im Jahr
2008 gemäß der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) bewerteten 44 deutschen
Küstenwasserkörpern der Ostsee verfehlen alle bis auf einen aufgrund von Eu-
trophierungseffekten den guten ökologischen Zustand (Bundesministerium für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – BMU – und Bundesministerium
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – BMELV, 2012). Die
Landwirtschaft stellt hierbei zwar nicht den einzigen, aber den bedeutendsten
Eintragspfad für Stickstoff dar.
Sauerstoffarme „Todeszonen“ sind in der Ostsee keine Seltenheit mehr. Sie wer-
den durch Nährstoffeintragungen verursacht und durch steigende Wassertempe-
raturen begünstigt. Die Überdüngung fördert das Wachstum von Algen. In den
tiefen Wasserschichten werden deren Reste unter Sauerstoffverbrauch zersetzt.
So entstehen sauerstoffarme, lebensfeindliche Bereiche. Eine Bewertung des
ökologischen Zustands der gesamten Ostsee hat gezeigt, dass die Eutrophierung
eines der größten ökologischen Probleme auch der deutschen Ostsee ist. Die
Folgen sind Algenmassenentwicklungen, Sauerstoffmangel, Fischsterben,
Rückgang von Seegraswiesen und Beeinträchtigung bodenlebender Tiere.
Darüber hinaus führt eine überhöhte Düngemittelzufuhr zu einem Ungleichge-
wicht im Nähstoffhaushalt des Bodens. Folgen davon sind veränderte Zusam-
mensetzungen bzw. Verschiebungen der Artengemeinschaften und ein Verlust
an Biodiversität. Die Erreichung der Ziele der nationalen Biodiversitätsstrategie
wird durch Nährstoffeinträge gefährdet.
Insbesondere in viehdichten Regionen stellt die Überdüngung ein großes Prob-
lem dar. Die Kapazitätsgrenze der Bodennährstoffspeicherung ist in einigen Re-
gionen bereits erreicht. Zu hohe Viehbestände zählen zu den Hauptverursachern
der Umweltbelastungen. Im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie formulierte
die Bundesregierung das Ziel, den Stickstoffüberschuss der Gesamtbilanz für
Deutschland auf 80 kg N/ha zu reduzieren. Im Dreijahresdurchschnitt der Jahre

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2009 bis 2011 konnte zwar eine Reduktion gegenüber den Jahren 1990 bis 1992
(130 kg N/ha) erreicht werden, trotzdem liegt der Überschuss noch immer bei
97 kg N/ha und damit deutlich über dem von der Bundesregierung angestrebten
Nachhaltigkeitsziel. Die Reduktion der Salden ist auch auf die Abnahme der
Tierbestände Ostdeutschlands zurückzuführen. Besonders hohe Stickstoffsalden
sind in den Tierhaltungszentren Nordwestdeutschlands zu beobachten.
Im Sommer 2013 veröffentlichten die Wissenschaftlichen Beiräte für Agrar-
politik und für Düngungsfragen beim BMELV sowie der Sachverständigenrat
für Umweltfragen (SRU) eine gemeinsame Kurzstellungnahme zum Thema. Sie
stellten in ihrem Papier „Novellierung der Düngeverordnung: Nährstoffüber-
schüsse wirksam begrenzen“ im August 2013 fest, dass das Düngerecht geän-
dert, Regelungen zu Nährstoffvergleichen verbessert, Änderungen im Düngungs-
management vorgenommen und düngerechtliche Vorschriften besser durch-
gesetzt bzw. kontrolliert werden müssen. Die Beiräte betonten: „Mit der Um-
setzung der vorgeschlagenen Maßnahmen“ könne „wesentlich zur Erreichung
der von der Bundesregierung gesetzten Umweltziele im Agrarbereich“ beigetra-
gen werden. Das zentrale Steuerungsinstrument zur Sicherstellung der guten
fachlichen Praxis und zur Reduktion von Nährstoffüberschüssen sei die Dünge-
verordnung (DüV – Verordnung über die Anwendung von Düngemitteln,
Bodenhilfsstoffen, Kultursubstraten und Pflanzenhilfsmitteln nach den Grund-
sätzen der guten fachlichen Praxis beim Düngen). Die DüV wurde im Jahr 2012
durch eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe (BLAG) überprüft. Dabei wurde ein er-
heblicher Änderungsbedarf festgestellt. Auch die Europäische Union mahnte
Änderungsbedarf an und formulierte über die der Bund-Länder-Arbeitsgruppe
hinausgehende Forderungen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung insgesamt aus der genannten

Kurzstellungnahme der drei Beiräte?
2. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass das Düngerecht (Dünge-

gesetz und Düngeverordnung) auf Bundesebene geändert werden muss (bitte
begründen)?

3. Wird die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Novellierung des Dünge-
rechts in den Deutschen Bundestag einbringen, und wenn ja, mit welchem
Ziel und wann?
Wenn nein, warum nicht?

4. Wird die Bundesregierung eine Stickstoffüberschussabgabe einführen, und
falls ja, wie soll diese ausgestaltet sein (bitte begründen)?
Wenn nein, warum nicht?

5. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag des SRU, auch den Handel
mit Wasserqualitätsrechten zur Stärkung einer integrativen Nährstoffpolitik
zu erwägen (Umweltgutachten 2008, SRU)?
Welche Nachteile könnten dadurch für Verbraucherinnen und Verbraucher
entstehen?

6. Wie bewertet die Bundesregierung den in der genannten Kurzstellungnahme
formulierten Vorschlag, eine Rechtsgrundlage zu schaffen, um alle relevan-
ten Nährstoffströme in einer Hoftorbilanz erfassen zu können?

7. Wie sollte nach Meinung der Bundesregierung eine technisch-administrative
Umsetzung der Hoftorbilanzierung erfolgen, und welche finanziellen Unter-
stützungsmöglichkeiten wären dazu geeignet?

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8. Wie bewertet die Bundesregierung den Änderungsbedarf im Düngungs-
management zur Reduktion von Nährstoffverlusten aus der Anwendung or-
ganischer Düngemittel?

9. Besteht nach Ansicht der Bundesregierung Änderungsbedarf zu Kontroll-
und Sanktionierungsvorschriften in der Düngeverordnung (bitte begründen)?

10. Wo liegen nach Ansicht der Bundesregierung Hemmnisse bei der Umset-
zung der Düngeverordnung auf der institutionellen, rechtlichen und Akteurs-
ebene?
Besteht eventuell ein Mangel im Vollzug?

11. Wie bewertet die Bundesregierung den konkreten Beitrag der Düngeverord-
nung zur Erreichung der Ziele der EU-Wasserrahmenrichtlinie, der EU-
Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie und der Nitratrichtlinie?

12. Hält die Bundesregierung weiterhin die Erstellung eines Gesamtbilanzüber-
schusses für sinnvoll, obwohl in der genannten Kurzstellungnahme darauf
verwiesen wird, dass dadurch die regionale Verteilung der Nährstoffbelas-
tung und die starken regionalen Unterschiede nivelliert werden (bitte be-
gründen)?

13. Unterstützt die Bundesregierung die Forderung der Fraktion der SPD in
ihrem Antrag „Düngeverordnung novellieren“ (Bundestagsdrucksache 17/
10115), die Stickstoffüberschüsse auf 50 kg/ha und Jahr zu begrenzen (bitte
begründen)?
Hält die Bundesregierung diese Zahl für angemessen, bzw. welches andere
Reduktionsziel strebt sie für welchen Zeitraum an?

14. Sollte nach Meinung der Bundesregierung die im Düngegesetz geregelte
Definition der Düngung nach guter fachlicher Praxis so erweitert werden,
dass alle in § 1 genannten Ziele erreicht werden können, also auch die Vor-
beugung vor oder Abwendung von Gefahren für den Naturhaushalt (bitte
begründen)?

15. Besteht nach Meinung der Bundesregierung die Notwendigkeit, die Dünge-
bedarfsermittlung zu ändern (bitte begründen)?

16. Gibt es nach Einschätzung der Bundesregierung einen Bedarf, die Ab-
standsregelungen zu Gewässern zu überarbeiten, um Nährstoffeinträge in
die Gewässer wirksam zu reduzieren (bitte begründen)?
Wie können festgelegte Abstände wirksam kontrolliert werden?
Sieht die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass § 38 (Gewässerrand-
streifen) des Wasserhaushaltgesetzes Düngung aus dem Anwendungsverbot
herausnimmt, die Möglichkeit, Düngung entweder ganz oder in besonderen
Gebieten generell in das Anwendungsverbot aufzunehmen?

17. Sollten nach Meinung der Bundesregierung Änderungen der Sperrfristen
zur Ausbringung von organischem Dünger und der Mindestlagerkapazitäten
erfolgen?

18. Welchen Änderungs- und/oder Forschungsbedarf sieht die Bundesregierung
in den Bereichen Ausbringungstechnik und Einarbeitung von organischen
Düngemitteln?

19. Sollte sich nach Meinung der Bundesregierung die Obergrenze für die Aus-
bringung von Wirtschaftsdüngern nur auf solche aus tierischer Herkunft be-
schränken oder sollten alle organischen Dünger, also auch Gärreste pflanz-
licher Herkunft aus Biogasanlagen und Bioabfälle, einbezogen werden
(bitte begründen)?

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20. Sollte es nach Ansicht der Bundesregierung Erleichterungen bei Kontrollen
und Sanktionen geben, um die Wirksamkeit der Düngeverordnung zu ver-
bessern (bitte begründen)?
Wie steht die Bundesregierung in diesem Zusammenhang zu kostenpflich-
tigen Beratungen und behördlichen Anordnungen nach wiederholten und
hohen Überschreitungen?
Sollte die Einhaltung der Vorschriften unabhängig von Cross-Compliance-
Kontrollen überprüft werden?

21. Plant die Bundesregierung einen Ausstieg aus der Klärschlammausbringung
zu Düngezwecken?
Falls ja, wie wird dieser ausgestaltet, und mit welchen Folgen rechnet die
Bundesregierung?

22. Wie wird sie in diesem Zusammenhang die Rückgewinnung von Phosphor
und anderen Nährstoffen befördern?
Welche Phosphorrückgewinnungstechniken sind der Bundesregierung be-
kannt, welche sind praktikabel, um bioverfügbaren Phosphor auf die Äcker
zu bringen, und welche werden durch Forschungsmittel des Bundes (mit)
entwickelt?

23. Ist der Bundesregierung ein grundsätzlicher Unterschied zwischen ökologi-
scher und konventioneller Landwirtschaft im Bereich der Nährstoffüber-
schüsse und der Gewässereutrophierung bekannt, und worin besteht dieser?

24. Wie wird die Bundesregierung dafür sorgen, dass ökologisch wirtschaf-
tende Agrarbetriebe Planungssicherheit bekommen, wenn im Zuge der Um-
setzung der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) Kürzungen für
die Ökolandbauförderung absehbar sind, obschon der Ökolandbau zuverläs-
siges Instrument zur Senkung des Stickstoffüberschusses bzw. zur Errei-
chung der Ziele der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie ist?

25. Wie wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, dass die Fördermittel für
den Ökolandbau steigen oder zumindest gleich hoch bleiben?

26. Sind der Bundesregierung Folgen der Überdüngung für die Biodiversität im
und auf dem Boden sowie die Entwicklung von Treibhausgasen bekannt,
und wenn ja, welche sind das?

27. Welche Forschungsvorhaben unterstützt die Bundesregierung hinsichtlich
der Optimierung der Anwendung von Düngemitteln bzw. der ökologischen
und betriebswirtschaftlichen Folgen von Überdüngung?

28. Wie bewertet die Bundesregierung den in der Kurzstellungnahme geäußer-
ten Vorschlag, in die Agrarinvestitionsförderung der Gemeinschaftsaufgabe
zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes Programme zur
Reduzierung der Umweltbelastung durch Düngemittel aufzunehmen?

29. Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang den in der
Kurzstellungnahme formulierten Vorschlag zur Ausschöpfung der Möglich-
keit, Mittel aus der ersten in die zweite Säule der GAP umzuschichten?

30. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Abschluss-
bericht der BLAG zur Evaluierung der Düngeverordnung vom November
2012 hinsichtlich notwendiger rechtlicher Änderungen, insbesondere vor
dem Hintergrund des Hinweises der BLAG, dass „diese Vorschläge nicht als
einzelne, für sich stehende Änderungsoptionen angesehen werden dürfen.
In vielen Fällen hängt die Wirkung der einzelnen Änderungsoptionen auf-
grund von Wechselwirkungen von der gleichzeitigen Umsetzung anderer
Änderungen ab.“?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/227
31. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der hohen Anzahl neu geplanter, sehr großer Stallanlagen zur Geflügel-
und Schweinehaltung vor allem in Ostdeutschland im Kontext der Vieh-
bestandsentwicklung im Hinblick auf das Ziel der Reduktion der Stickstoff-
überschüsse (Nachhaltigkeitsstrategie) und im Bezug auf eutrophierende
Emissionen sowie Treibhausgase aus der Landwirtschaft?

32. Wie viel Effizienz bei der Verwendung von mineralischem und Wirtschafts-
dünger kann nach Meinung der Bundesregierung im Landwirtschaftsbe-
reich erreicht werden?
Welche technischen Minderungsmaßnahmen gibt es dazu?

33. Inwieweit kann mineralischer Dünger nach Meinung der Bundesregierung
durch Wirtschaftsdünger ersetzt/substituiert werden?

Berlin, den 18. Dezember 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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