BT-Drucksache 18/2031

Straf- und Gewalttaten unter Bezugnahme auf den "Nationalsozialistischen Untergrund" seit dem 4. November 2011

Vom 2. Juli 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/2031
18. Wahlperiode 02.07.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Martina Renner, Petra Pau, Sevim Dağdelen, Ulla Jelpke,
Kerstin Kassner, Harald Petzold (Havelland), Frank Tempel, Halina Wawzyniak,
Birgit Wöllert und der Fraktion DIE LINKE.

Straf- und Gewalttaten unter Bezugnahme auf den „Nationalsozialistischen
Untergrund“ seit dem 4. November 2011

In Teilen der neonazistischen Szene werden die rassistisch motivierte Mord- und
Bombenanschlagsserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) verherr-
licht und die Angeklagten im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht Mün-
chen als Neonazi-Bewegungs-Idole gefeiert. Immer wieder beziehen sich rechte
und rassistische Straf- und Gewalttäter auch explizit auf die Mordserie des NSU
an neun migrantischen Kleinunternehmern oder auf den „Nationalsozialisti-
schen Untergrund“ als neonazistische Terrororganisation. So wurde beispiels-
weise am 25. Februar 2012 in Mücheln (Sachsen-Anhalt) der Betreiber eines
türkischen Imbisses laut Anklage der Staatsanwaltschaft Halle mutmaßlich von
mehreren Männern im Alter von 21 bis 56 Jahren angegriffen. Die Männer sol-
len nach Ansicht der Staatsanwaltschaft aus „fremdenfeindlichen Motiven“ ge-
handelt und den Imbissbetreiber mit Hinweis auf die NSU-Mordserie bedroht,
geschlagen und getreten haben (vgl. MDR Info „Mücheln Urteil: Staatsanwalt-
schaft legt Berufung ein“ vom 2. Dezember 2013, www.mdr.de/nachrichten/
rechtsmittel-gegen-urteil-eingelegt100_zc-e9a9d57e_zs-6c4417e7.html). Wört-
lich soll einer der Angreifer dem Imbissbetreiber damit gedroht haben, wenn er
den Laden nicht bis „zu Führers Geburtstag“ geschlossen habe, werde er bren-
nen und der Elfte sein, der in der Zeitung stehe (vgl. Informationen der Mobilen
Opferberatung Nr. 44/2013, „Freisprüche nach Überfall auf Imbissbetreiber in
Mücheln“, www.mobile-opferberatung.de/doc/news/informationen_44.pdf). In
erster Instanz hatte das Amtsgericht Merseburg drei Angeklagte aus Mangel an
Beweisen freigesprochen. Nachdem die Staatsanwaltschaft Halle Rechtsmittel
gegen die Freisprüche eingelegt hat, beginnt am 9. September 2014 am Landge-
richt Halle (Saale) der Berufungsprozess.
Andernorts zeigen Neonazis ihre Sympathie für den NSU, indem sie Gedenk-
steine schänden oder Gedenkveranstaltungen für die Opfer der rassistischen
Mordserie angreifen. Wie beispielsweise in Rostock: Während einer Gedenk-
veranstaltung für den im Februar 2004 in Rostock (Mecklenburg-Vorpommern)
vom NSU ermordeten Mehmet Turgut versuchten am 26. Februar 2012 zwei bis
drei Dutzend vermummte und bewaffnete Neonazis und NPD-Aktivisten die
Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Gedenkens anzugreifen. Dabei verletzten
die Angreifer u. a. einen Polizisten mit einer Eisenstange (vgl. Hamburger
Abendblatt, „Rechte Attacke auf Polizei bei Gedenken an NSU-Opfer“ vom
26. Februar 2012, www.abendblatt.de/hamburg/polizeimeldungen/article2197953/
Rechte-Attacke-auf-Polizei-bei-Gedenken-an-NSU-Opfer.html). Auch Rechts-
Rock-Bands wie die thüringische Neonaziband „SKD“ (Sonderkommando Dir-

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lewanger), agieren offensiv. So heißt es u. a. in dem Lied „Nationale Solidarität“
von „SKD“ auf dem Sampler „Solidarität IV“, die von dem neonazistischen PC
Records produziert wurde: „Freiheit für Wolle fordern wir. Egal wohin der Weg
auch geht. Drinnen und draußen eine Front – Solidarität.“ (vgl. www.youtube.
com/watch?v=2XB0XKlMO5c). Mit „Wolle“ bezeichnen Neonazis den am
Oberlandesgericht (OLG) München wegen Unterstützung einer terroristischen
Vereinigung Angeklagten Ralf Wohlleben.
Und nicht zuletzt kommt es bei Regionalliga-Spielen durch extrem rechte Zu-
schauer immer wieder zu öffentlichen „NSU“-Solidaritätsbekundungen. Wie
beispielsweise einem Auswärtsfußballspiel von 1. FC Lokomotive Leipzig ge-
gen den SV Babelsberg am 3. August 2013 in Potsdam-Babelsberg. Dort fielen
Anhänger des 1. FC Lokomotive Leipzig unter anderem durch „NSU, NSU“-
Rufe sowie „Beate Zschäpe, werd meine Braut“ auf (vgl. „Raus aus der Sonne
– ihr seid braun genug“, gamma – antifaschistischer Newsflyer für Leipzig und
Umgebung vom 8. August 2013, http://gamma.noblogs.org/).
Hinzu kommen Sachbeschädigungen oder Propagandadelikte an Immobilien,
die Migrantinnen und Migranten zugeordnet werden. So wurde beispielsweise
in der Nacht zum 18. Mai 2013 der Eingang der Islamischen Gemeinde in Düren
mit folgenden Worten beschmiert: „NSU lebt weiter und ihr werdet die nächsten
Opfer sein!!!“ (www.ditib-nord.de/content/unfassbare-moschee-
%C3%BCbergriffe-%E2%80%9Ensu-lebt-weiter-und-ihr-werdet-die-
n%C3%A4chsten-opfer-sein%E2%80%9C). Aber auch die Frage von mög-
lichen Nachahmungstätern steht im Raum. So fanden Polizeibeamte am 3. Juni
2014 – eine knappe Woche vor dem zehnten Jahrestag des NSU-Bomben-
anschlags in der Kölner Keupstraße – in der Wohnung eines durch ein-
schlägige rechtsextreme Straftaten bekannten 33-jährigen Mannes aus Gerol-
stein (Rheinland-Pfalz) eine hochgefährliche Nagelbombe (vgl. „Nagelbombe
in Gerolstein entdeckt“, Rheinische Post vom 18. Juni 2014 www.rp-online.de/
panorama/deutschland/nagelbombe-in-gerolstein-entdeckt-aid-1.4324756).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Straftaten sind dem Bundeskriminalamt (BKA) und/oder dem „Ge-

meinsamen Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus/Rechtsterrorismus“
(GAR)/„Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum“
(GETZ) seit dem 4. November 2011, und damit dem breiten öffentlichen
Bekanntwerden der Existenz des NSU, bekannt geworden, bei denen die
mutmaßlichen Täter und Täterinnen auf den NSU und/oder auf die rassis-
tische Mordserie an neun migrantischen Kleinunternehmern Bezug nehmen
(bitte nach Tatort, Tatdatum, Bundesland, Delikt aufschlüsseln)?

2. In wie vielen der dem BKA und/oder dem GAR/GETZ bekannt gewordenen
Straftaten, bei denen die mutmaßlichen Täter und Täterinnen auf den NSU
und/oder auf die rassistische Mordserie an neun migrantischen Kleinunter-
nehmern Bezug nehmen, handelt es sich um Gewalttaten (bitte nach Tatort,
Tatdatum, Bundesland, Delikt aufschlüsseln)?

3. In wie vielen der dem BKA und/oder dem GAR/GETZ bekannt gewordenen
Straftaten, bei denen die mutmaßlichen Täter und Täterinnen auf den NSU
und/oder auf die rassistische Mordserie an neun migrantischen Kleinunter-
nehmern Bezug nehmen, ist es nach Kenntnis der Bundesregierung bislang
zu einer Verurteilung von Tatbeteiligten gekommen (bitte nach Tatort, Tat-
datum, Bundesland, Urteil, zuständiges Gericht aufschlüsseln)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/2031
4. In wie vielen der dem BKA und/oder dem GAR/GETZ bekannt gewordenen
Straftaten, bei denen die mutmaßlichen Täter und Täterinnen auf den NSU
und/oder auf die rassistische Mordserie an neun migrantischen Kleinunter-
nehmern Bezug nehmen, ist es nach Kenntnis der Bundesregierung bislang
zu Freisprüchen von Angeklagten gekommen (bitte nach Tatort, Tatdatum,
Bundesland, Urteil, zuständiges Gericht aufschlüsseln)?

5. In wie vielen der dem BKA und/oder dem GAR/GETZ bekannt gewordenen
Straftaten, bei denen die mutmaßlichen Täter und Täterinnen auf den NSU
und/oder auf die rassistische Mordserie an neun migrantischen Kleinunter-
nehmern Bezug nehmen, haben Staatsanwaltschaften nach Kenntnis der Bun-
desregierung Ermittlungsverfahren wegen Werbung für eine terroristische
Vereinigung nach § 129a Absatz 5 Satz 2 des Strafgesetzbuchs eingeleitet
(bitte nach Tatort, Tatdatum, Bundesland, zuständiger Staatsanwaltschaft
aufschlüsseln)?

6. Inwieweit ist das GAR/GETZ mit Straf- und Gewalttaten befasst, bei denen
sich die Täter und Täterinnen auf die Mordserie des NSU und den NSU be-
ziehen?

7. In wie vielen Fällen haben Sicherheitsbehörden des Bundes und nach Kennt-
nis der Bundesregierung der Länder bei Rechtsextremistinnen und Rechts-
extremisten seit dem 1. Januar 2012 Waffen, Sprengstoffe, Sprengkörper und
Hinweise auf Planungen und Durchführungen von Wehrsportübungen gefun-
den sowie Hinweise feststellen können, dass sich diese Personen ausdrück-
lich auf die rassistisch motivierte Mordserie und Bombenanschläge des NSU
beziehen (bitte einzeln auflisten)?

8. In wie vielen Fällen haben Sicherheitsbehörden des Bundes und nach Kennt-
nis der Bundesregierung der Länder bei Rechtsextremistinnen und Rechts-
extremisten seit dem 1. Januar 2012 feststellen können, dass diese Personen
in Netzwerken und Gruppierungen operieren bzw. neue Netzwerke und
Gruppierungen bilden, und dass sie sich dabei positiv auf die rassistisch
motivierte Mordserie und Bombenanschläge des NSU beziehen (bitte ein-
zeln, auch nach Bundesländern auflisten)?

9. In wie vielen Fällen haben Sicherheitsbehörden des Bundes und nach Kennt-
nis der Bundesregierung der Länder bei rechtsextremen, rassistischen Netz-
werken und Gruppierungen mit internationalen Beziehungen feststellen
können, dass diese sich positiv auf die rassistisch motivierte Mordserie und
Bombenanschläge des NSU beziehen (bitte einzeln, auch nach Bundeslän-
dern auflisten)?

Berlin, den 1. Juli 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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