BT-Drucksache 18/202

Den NATO-Bündnisfall umgehend beenden

Vom 17. Dezember 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 18/202
18. Wahlperiode 17.12.2013

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz,
evi Da delen, Dr. Diether Deh , Annette Groth, eike nsel, nge
Höger, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Niema Movassat,
Dr. Alexander S. Neu, Alexander Ulrich, Katrin Werner und der
Fraktion DIE LINKE.

Den NATO-Bündnisfall umgehend beenden

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Am 4. Oktober 2001 beschloss der Nordatlantikrat in der Folge des Terror-
anschlags vom 11. September 2001 auf Antrag der USA, den Bündnisfall
nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags zu erklären. Der Artikel 5 des
Nordatlantikvertrags nimmt ausdrücklich Bezug auf den Artikel 51 der
Charta der Vereinten Nationen.

2. Die Bindung des Bündnisfalls nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags an
Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen bedeutet auch, dass der
Bündnisfall aufzuheben ist, wenn ein das Recht auf kollektive oder indivi-
duelle Selbstverteidigung auslösender Angriff nicht oder nicht mehr vor-
liegt. Ist das Selbstverteidigungsrecht aus materiellen (kein gegenwärtiger
Angriff) und/oder aus formellen Gründen (Maßnahmen des Sicherheitsrates
gemäß Artikel 51 Satz 2 der Charta der Vereinten Nationen) nicht mehr
gegeben, fehlt es an der Legitimität für die Fortdauer des Bündnisfalls. Ist
die unmittelbare Gefahr eines Angriffs auf das betroffene Mitgliedsland
abgewendet, besteht kein Recht mehr, die militärischen Maßnahmen fort-
zuführen. Eine Präventivverteidigung gegen mutmaßliche neue Angriffe ist
völkerrechtlich unzulässig.

3. Der Bündnisfall ist auf die Abwehr eines unmittelbar stattfindenden oder
drohenden Angriffs gerichtet. Der Nordatlantikrat hat in seinem Beschluss
vom 4. Oktober 2001 keine zeitliche Befristung des Bündnisfalls oder auch
nur ein regelmäßiges Überprüfungsregime vorgesehen, womit diese Auf-
gabe den NATO-Mitgliedsländern obliegt. Auf bisherige Erfahrungen kann
nicht zurückgegriffen werden, denn der Bündnisfall ist am 4. Oktober 2001
erstmalig in der NATO-Geschichte erklärt worden. Artikel 5 des Nordat-
lantikvertrags schreibt kein über die allgemeinen Grundsätze der NATO
hinausgehendes Verfahren zur Erklärung bzw. Aufhebung des Bündnisfalls
vor. Es gilt also das allgemeine Konsensprinzip und eine dementsprechen-
de Erklärung der Bundesrepublik Deutschland ist ausreichend, um deutlich
zu machen, dass ein Konsens in dieser Frage nicht mehr besteht.
Drucksache 18/202 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich auf der Ebene der NATO-Mitgliedstaaten und im NATO-Rat dafür
einzusetzen, den am 12. September sowie am 4. Oktober 2001 ausgerufe-
nen Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages zu beenden,

2. im Falle der Aufrechterhaltung des NATO-Bündnisfalles nach Artikel 5
des Nordatlantikvertrags durch die anderen NATO-Mitgliedstaaten den
Bündnisfall für die Bundesrepublik Deutschland einseitig als beendet zu
erklären und

3. umgehend jegliche deutsche Beteiligung an den Einsätzen, die sich aus
dem ausgerufenen NATO-Bündnisfall begründen, zu beenden.

Berlin, den 17. Dezember 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Voraussetzungen für den NATO-Bündnisfall lagen von Beginn an nicht vor. Als einzige Fraktion im
Deutschen Bundestag machte sich die damalige PDS-Fraktion nicht die Begrifflichkeit der „uneinge-
schränkten Solidarität mit den USA“ zu eigen. Selbst diejenigen, die vertreten haben, dass die Angriffe vom
11. September 2001 ein (staatlicher bzw. einem Staat zurechenbarer) bewaffneter Angriff im Sinne des
Artikels 51 der UN-Charta waren, können zumindest 13 Jahre später nicht mehr vernünftigerweise behaup-
ten, dass eine militärische Reaktion zur Abwehr dieses Angriffs noch erforderlich sei.
Das heute noch mit dem NATO-Bündnisfall begründete Mandat Operation Active Endeavour (OAE) wurde
schon im letzten Antrag der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 17/11466) politisch nicht mehr mit
dem NATO-Bündnisfall begründet. Angeführt wurden stattdessen eine „erhöhte[n] Volatilität insbesondere
[des] südlichen Sicherheitsumfelds“. In der Parlamentsdebatte führte der Verteidigungsminister auf, dass
OAE mit seiner „abschreckenden Funktion auch eine präventive Wirkung“ entfalten könne. Eine weitere
Erklärung war die des „gesteigerten Interesses [Deutschlands] an sicheren Seewegen“. An diesen Erklärun-
gen wird deutlich, dass selbst die Befürworter des OAE-Mandates dies nicht mehr mit dem NATO Bünd-
nisfall begründen.
In der aktuellen Debatte aus dem November 2013 wird seitens der geschäftsführenden Bundesregierung
aufgeführt, dass der „Artikel 5 Prozess überdacht“ gehöre, dass man „zu einer Weiterentwicklung über den
Art. 5 NATO-Vertrag hinaus kommen müsse“.
Über die Fläche des gesamten Mittelmeeres unterhält die NATO ein Netz von über 8 000 Horchposten, die
dazu dienen alle Schiffsbewegungen im Mittelmeer auch unabhängig von der zivilen Schiffsverkehrsüber-
wachung zu registrieren und auszuwerten. Die Auswertung erfolgt im Marine-Hauptquartier der NATO in
Neapel. Die Erlangung von „Maritime Situational Awareness“ ist inzwischen das erste von drei Hauptzielen
der OAE. Daran wird wiederum deutlich, dass die Operation Active Endeavour keinerlei Zusammenhang
mit Artikel 5 des Nordatlantikvertrags hat.

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